• Keine Ergebnisse gefunden

1 Wildnis und Klimaschutz

1.2 Wildnis und Biodiversität

Wird man zum ersten Mal mit dem Begriff der Wildnis konfrontiert, tauchen in jedem von uns unterschiedliche Vorstellungen, Erfahrungen und Bilder auf. Der folgende Abschnitt konzentriert sich vorrangig auf die Bedeutung der Wildnis für die Biodiversität und somit den Beitrag für aktiven Klimaschutz.

Im Anschluss daran wird erläutert, warum die Entfremdung der Menschen von der wilden Natur einen negativen Einfluss auf das Handeln gegenüber dersel-ben hat.

Crist spricht davon, dass die Menschheit nach und nach alles zerstört, was das Leben auf der Erde ausmacht (2020, S. 20). Tropische Wälder werden durch Flächenbrände vernichtet, Gras- und Waldflächen werden für Futtermittelanbau zu Monokulturen umgepflügt, aus allen Bereichen der Natur verschwinden die Tiere und die Artenvielfalt ist bedroht (ebd). Crist begründet diese Tatsache damit, dass der Mensch immer weiter in unberührte Natur vordringt und so Le-bensräume nachhaltig zerstört (ebd., S.21). Die unberührte und weitläufige Wildnis, welche als Fundament der Artenvielfalt fungiert, zersplittert in winzig kleine Teile (ebd.). Doch Biodiversität ist mehr als nur die Vielfalt unterschiedli-cher Lebewesen. Die Vielfalt der Gene innerhalb einer Art und die Vielfalt der Lebensräume an sich zählen ebenso dazu. Gerade deshalb ist die Gefährdung der Biodiversität auf diesen drei Ebenen höchst problematisch (UmweltDialog, 2019).

Der international angesehene Professor für Umweltwissenschaften Professor Vaclav Smil zeigt durch seine Forschungen eindrucksvoll, wie weit der Mensch sich bereits ausgebreitet hat. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Biomasse wild-lebender Wirbeltiere im Verhältnis mit der Biomasse von Menschen und domes-tizierten Tieren nur noch verschwindend gering ist (Smil, 2013, S. 24ff.).

Weitere Zahlen über die Biomasse aller Wirbeltiere auf dem Festland kommen aus einer Studie, die 2018 in Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America [PNAS] veröffentlicht wurde. Diese Studie gibt einen Überblick über die weltweite Gesamtbiomasse aller Nutztiere, Menschen und wildlebenden Tiere und setzt diese in ein Verhältnis zueinander (Bar-On, Yinon M.; Phillips, Rob & Milo, Ron, 2018, S. 6506ff.).

In der Abbildung 2 ist die prozentuale Aufteilung der Gesamtbiomasse aller le-benden Wirbeltiere zu sehen. Von dieser Gesamtbiomasse aller lele-benden Wir-beltiere stellen die Menschen mit einem Anteil von 60 Prozent die größte Kenn-zahl dar.

Die Biomasse von Nutztieren wie Schweinen oder Kühen beträgt 36 Prozent.

Dem gegenüber steht die Biomasse aller wildlebenden Säugetiere weltweit mit nur vier Prozent. Das bedeutet, dass der Mensch mit seinen, meist unter

qual-vollen Umständen gezüchteten Nutztieren, alle wildlebenden Wirbeltiere in ei-nem Verhältnis von 96 Prozent zu 4 Prozent übertrifft.

Für die kurze Zeitspanne der menschlichen Geschichte, hat der Mensch durch Entwicklungen wie die der Nutztierhaltung, der Landwirtschaft und der industri-ellen Revolution einen radikalen ökologischen Fußabdruck hinterlassen (Bar-On et al., 2018, S. 6508).

Somit lassen sich zwei Dinge schlussfolgern: Erstens wird sowohl die unberühr-te Wildnis als auch die Biomasse wildlebender Tiere davon bedroht, dass sich der Mensch durch seine Anzahl und die dafür benötigte Fläche immer weiter ausbreitet. Zweitens ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit so, dass sich diese fortschreitende Ausbreitung in unberührte Gebiete nicht stoppen lässt.

Abbildung 2: Vergleich Biomasse weltweit lebender Wirbeltiere 2018

Crist spricht davon, dass der menschliche Expansionismus als etwas Normales wahrgenommen wird, was diesen davor bewahrt, infrage gestellt zu werden (Crist, 2020, S. 198). Dies wird ihrer Meinung nach darin begründet, dass die nichtmenschliche Welt keinen wesenhaften Rang hat und somit auch keine mo-ralisch begründete Rücksichtnahme erfolgen müsse (Crist, 2020, S.199).

Selbstbeschränkung als undenkbarer Weg für die Menschheit fasst die gegen-wärtige Situation treffend zusammen.

Die menschlichen Freiheiten in der westlichen Welt zu nutzen bedeutet unter anderem, so zu leben wie man möchte, zu reisen, oder soviel tierische Produk-te zu konsumieren und zu nutzen, wie man möchProduk-te. Crist erläuProduk-tert, dass diese Freiheiten als Erweiterung des menschlichen Horizonts gelten und somit eine starke Legitimation erfahren (Crist, 2020, S. 201).

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass auch in wirtschaft-lich starken Ländern nicht alle Menschen die Mögwirtschaft-lichkeit haben, diese propa-gierten Freiheiten auszuüben. Doch die weltweiten politischen und wirtschaftli-chen Anstrengungen zielen darauf ab, möglichst vielen Menswirtschaftli-chen Zugang zu Wohlstand und Überfluss nach westlichem Vorbild zu gewähren. Die Vereinten Nationen beispielsweise verabschiedeten am 25. September 2015 das Ergeb-nisdokument für die Agenda 2030. In diesem ist festgehalten, dass entschlos-sen daran gearbeitet wird, dass „alle[n] Menschen ein vom Wohlstand gepräg-tes und erfüllgepräg-tes Leben genießen können“ (Vereinte Nationen, 2015, S. 2).

Dallmer schreibt in seinem Buch darüber, dass „die optimistische Vision, in ei-ner nahen Zukunft für eine Welt mit neun Milliarden Bewohei-nern allseits stetig wachsende Einkommen und materiellen Wohlstand mit sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit verbinden zu können, ein schlichtweg illusionä-res Szenario darstellt“ (2020, S. 25).

Der Schutz unberührter Wildnis ist ein wichtiger Faktor für den Klimaschutz.

Auch Deutschland hat dies erkannt und setzte sich im Jahr 2007 spezifische Ziele zur Wildnisentwicklung (Bundesamt für Naturschutz, 2016). Laut dem Bundesamt für Naturschutz sollen „zwei Prozent der Landesfläche Deutsch-lands als überwiegend großflächige Wildnisgebiete gesichert werden“ (ebd.).

Doch bis jetzt ist davon nicht einmal ein Drittel erreicht. Der Verein BioFrankfurt macht mit der diesjährigen Veröffentlichung der Biozahl 0,6 auf das Ergebnis

des von der Bundesregierung gesetzten Zieles von den geplanten zwei Prozent der Landesfläche als Wildnisgebiete auszuweisen, aufmerksam (BioFrankfurt, 2020). Es wurden nur 0,6 Prozent der geplanten 2 Prozent an Wildnisflächen in Deutschland gesichert (ebd.). Dass Wildnisgebiete dem Klima helfen ist eine unumstrittene Tatsache unter den führenden Naturschutzorganisationen in Deutschland. Gesunde Wälder, Moore und Auen wirken ausgleichend auf das Weltklima, helfen dauerhaft den CO2 Ausstoß zu kompensieren und sichern biologische Diversität (Wildnis in Deutschland, 2016). Es erscheint auch hier unverständlich, warum sich die Bundesregierung in Zeiten der Klimakrise nicht an die selbstgesetzten Ziele hält und der Renaturierung von Wildnis in Deutsch-land wenig Beachtung schenkt. Wildnis ist gleichzusetzen mit Biodiversität – je zahlreicher diese Verschiedenheit der Arten ausgeprägt ist, desto besser wird alles Lebendige auf dieser Erde unterstützt und stabilisiert. Ohne genug Wildnis wird unser Planet, so wie wir ihn kennen, die Lebensbedingungen für uns und viele weitere Arten nicht aufrechterhalten können. Der weltbekannte britische Naturforscher David Attenborough sagte über Biodiversität folgendes:

“Biodiversity is what drives our living world. It’s the magic dust that enables Life to do what it does so well. Technically, the term stands for the total variety of all Life – the product of all the thousands of different wild communities, and the millions of different species, the billions of different individuals, and the trillions of different characteristics they all have. It’s an immense, unfathomable con-cept, and because of that, most people choose not to mention it. We cannot continue to do so. Everyone needs to understand the value of biodiversity, be-cause the higher the biodiversity of Earth, the more secure all Life on Earth is, including – in fact – especially, humankind” (Attenborough, 2020).

Nun ergibt sich aus den oben genannten Fakten das Bild, dass sich der Mensch immer weiter in Naturgebiete ausbreitet und damit eine umfassende Zerstörung der Artenvielfalt verursacht. Da sich das Expansionsstreben der Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht stoppen lässt, stellt sich die Frage, ob es einen Weg gibt, der die Ausbeutung und Zerstörung der Tier- und Pflanzenwelt redu-zieren oder unterbinden kann. Ist es möglich mit einem veränderten Umwelt-verhalten der westlichen Welt, die Ausbeutung zu reduzieren? In diesem Zu-sammenhang lohnt es sich, die in Deutschland vorherrschende Diskrepanz zwi-schen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten näher zu betrachten.

1.3 Die Diskrepanz zwischen Umweltbewusstsein und