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Wikipedia als Wissensquelle

C. Die Ermittlung des ausländischen Rechts nach § 293 ZPO

VI. Zusammenfassung

2. Wikipedia als Wissensquelle

Wikipedia als Quelle juristischer Fachinformation Prof. Dr. Eric Steinhauer (FernUniversität in Hagen)

Die Wikipedia kann von der Idee her als Teil der seit den 70er konzipierten

Rechtsinformationssystemen angesehen werden, die heute als Juris oder BeckOnline sehr erfolgreich sind. Allerdings haben diese Systeme nicht alle Anforderungen eingelöst, vgl.

Reisinger, Rechtsinformatik, 1977:

"Anzustreben ist, dass jeder Bürger … die Möglichkeit hat, sich des Juris zu bedienen." (S.

131)

"Hier wird deutlich, dass die Wünsche der Benutzer teilweise über ein reines

Dokumentationssystem hinausgehen und auf ein Fakten-Retrieval-System oder Frage-Antwort-System zusteuern." (S. 130)

"Komfortable Eingabe von Benutzervorschlägen zur Speicherung von Dokumenten." (S.

127)

Kann Wikipedia diese Anforderungen heute einlösen? Wikipedia als Enzyklopädie zu begreifen, lenkt auch den Blick auf Rechtslexika, die in der Rechtswissenschaft allerdings eher wenig verbreitet sind. Welche sinnvolle Nutzung kann Wikipedia haben? Zu nennen wären: Begriffliche Erstinformation, Einstieg in die Literatur. Zudem können neue

Rechtsgebiete begrifflich "kartiert" werden. Gerade für freie Texte ist Wikipedia eine gute Möglichkeit, um ein Publikum zu finden. In diesem Sinne unterstützt Wikipedia Open Access.

Am Rande wird noch informationsethisch gefragt: Darf man offenkundige Fehler in der Wikipedia ignorieren, wenn man sie erkannt hat und zugleich fähig ist, diese Fehler zu korrigieren? Die Frage ist auch vor dem Hintergrund interessant, dass sehr viele Menschen Wikipedia nutzen und so eine Falschinformation weiterhin verbreitet wird.

Wikipedia als Wissensquelle in der Wissenschaft

Prof. Dr. Debora Weber-Wulff (HTW Berlin) und Prof. Dr. Roland Schimmel (FH Frankfurt)

Es geht los mit dem Thema "Plagiat, Internet und Öffentlichkeit". Vor 150 Jahren hat Theodor Mommsen die Publikation von Dissertationen gefordert. Öffentlichkeit sollte Qualität garantieren. Im Rahmen der Plagiatsprüfung von VroniPlag wurden in etwa 3%

der medizinischen Dissertationen Wikipedia-Zitate gefunden. Kritisiert wird zunächst, dass nicht formal korrekt zitiert wird. Wikipedia wird in den Dissertationen genutzt, um

benachbarte Fachgebiete oder historische Sachverhalte zu belegen. Zudem: Sehr häufiger Gebrauch der Wikipedia, um Begriffe in Glossaren zu erläutern.

Wikipedia wird auch gerne genutzt, um daraus zu plagiieren. Diese Plagiate werden beispielsweise auf VroniPlag Wiki nachgewiesen, das ebenfalls ein Wiki ist. Es werden viele Beispiele, auch solche von etablierten Wissenschaftlern, für Wikipedia-Plagiate angeführt. Was man wissen sollte: Wikipedia ist für das wissenschaftliche Arbeiten keine Quelle, sondern vor allem eine erste Anlaufstelle für die Recherche.

Soziologische Aspekte von Wikipedia

Prof. Dr. Christian Stegbauer (Universität Frankfurt)

Lobender Einstieg: "Es gibt keine größere Wissensquelle auf der Welt." ... Dann kommen kritische Anmerkungen. Für die soziologische Untersuchung werden drei Fragestellungen genannt.

Warum beteiligen sich Menschen?

Wie beteiligen sie sich?

Konsequenzen der Beteiligung: Institutionalisierung - von der Befreiungs- zu einer Produktideologie

Die Teilnahme an Wikipedia ist schwer zu erklären. Individuelle Motive sind wenig erkennbar: keine materiellen Gewinne, Reputations- und Aufmerksamkeitsgewinne

scheiden weitgehend aus. Kollektive Werte sind auch ein schwacher Grund, "freies Wissen schaffen" etwa.

Es fällt auf, dass innerhalb der Wikipedia die Autoren nach den Erfordernissen ihrer sozialen Position dort handeln. So agiert ein Admin anders als ein anerkannter

"Qualitätsautor".

Ein Problem bei der Mitarbeit bei Wikipedia : Soziale Bindungen im Internet sind brüchig.

Im Laufe der Geschichte der Wikipedia ist ein ideologischer Wandel erkennbar: Es geht heute um die beste Enzyklopädie (Produktideologie) und nicht mehr darum, dass jeder irgendwie teilnehmen kann (Befreiungsideologie). Auffallend ist, dass mit steigender Hierarchie innerhalb der Wikipedia die Befreiungsideologie immer weniger wichtig ist. Die

"Vandalismusbekämpfung" ist wie eine Art Wettbewerb ausgestaltet. Innerhalb der Wikipedia gibt es eine stark zentralisierte Beziehungsstruktur, die ihren Grund in dem

"Ideologiewechsel" (Qualität statt Befreiung) hat. Schwierigkeit, neue Teilnehmer zu integrieren. Die Zukunft der Wikipedia ist daher etwas düster.

Vox populi und kollektive Selbsttäuschung PD Dr. Miriam Ommeln (KIT Karlsruhe)

Es geht bei der Wikipedia um die Demokratisierung von Wissen. Aber: Wird die Wikipedia nicht am Ende zu einer Vermassung und Nivellierung von Wissen führen? Es besteht auch die Gefahr einer Manipulation durch wenige. Die Idee der Schwarmintelligenz wird kritisch gesehen. Es wird ein interessanter Vergleich zur Rechtsprechung gezogen: Urteile ergehen im Namen des Volkes, aber durch Fachleute!

Es wird auf die Gefahr hingewiesen, dass Wikipedia durch die "Massen" im Netz zerstört wird.

Podiumsdiskussion

moderiert von Prof. Dr. Andrea Czelk (Universität Gießen)

Auf der abschließenden Podiumsdiskussion wurde unter reger (!) Einbeziehung des

Publikums recht kontrovers um die Frage der Autorität und der Manipulation bei Wikipedia diskutiert. Befürchtet wurde auch der Verlust individueller Autorschaft und damit

Zurechenbarkeit von Inhalten.

Dem wurde entgegnet, dass Wikipedia kein Ort sei, um Meinungen und Manipulationen zu positionieren - derartige Probleme sind bei Social Media sehr viel größer -, vielmehr sei

Wikipedia nur ein Instrument, das Informationen nachweise, gewissermaßen eine Art

"Clearingstelle" für im Internet und in sonstigen Publikationen reichlich vorhandenes

"Wissen".

Dem Verschwinden von Autorschaft kann man entgegenhalten, dass Wikipedia durch Links gerade frei zugänglichen Texten eine hohe Aufmerksamkeit verschaffen und damit Autorschaft sogar stärken könne. Es wurde aber auch die Gefahr gesehen, dass

unkorrigierte falsche Angaben Eingang in traditionelle Medien finden, die wiederum als Beleg für eben diese Angaben bei Wikipedia fungieren können. Ebenso besteht die Gefahr, dass manipulative Inhalte aus gewissen "Internetblasen" als Belege für die Wikipedia genommen werden und sie insoweit infizieren. Hier wurde aber betont, dass die offene Struktur ja jederzeit Korrekturen erlaube.

An dieser Stelle wurde kritisch angemerkt, dass es sehr wichtig sei, kompetente und engagierte Menschen zu finden, die Wikipedia pflegen. Aus Sicht gerade der Soziologie wurde die Zukunft hier aufgrund bestimmter hierarchischer Strukturen, die sich

mittlerweile bei den "Wikipedianern" herausgebildet haben, skeptisch beurteilt. Ein Konsens konnte in der Diskussion nicht erzielt werden. Es fiel aber auf, das Qualität und Bearbeitertransparenz gerade bei traditionellen Publikationsformaten wie gedruckten Lexika und dergleichen etwas idealisiert und kaum kritisch hinterfragt wurden. Zurecht wurde angemerkt, dass Brockhaus und Meyer anonyme Artikel enthalten. Auch im Bereich der Justiz seien gerade Urteile durch Anonymität und den Nichtausweis von Zitaten

gekennzeichnet. Interessanterweise wurde die im Laufe des Nachmittags aufgeworfene ethische Frage, ob man sehenden Auges einen erkannten Fehler bei Wikipedia stehen lassen dürfe, nicht verhandelt, angesichts der Reichweite der Wikipedia bei weiten Teilen der Bevölkerung ein merkwürdiges und problematisches Elfenbeintürmertum.

Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion war die Frage, inwieweit Wikipedia eine Rechtsquelle sei. Das wurde durchgehend verneint. Wikipedia sei eine Quelle für

Alltagswissen und ein Nachweisinstrument. Normative Kraft komme ihr aber nicht zu. Hier könnte man freilich überlegen, ob nicht eine Konstellation denkbar ist, in der Wikipedia als Indikator für bestehendes Gewohnheitsrecht nicht doch eine gewisse normative Kraft entfalten kann.

Zweiter Tag

Begrüßung

Prof. Dr. Ada Pellert (Rektorin der FernUniversität in Hagen)

Wikipedia und FernUniversität passen gut zusammen, weil Wikipedia in gleicher Weise für zeit- und ortsunabhängige Wissensvermittlung steht. In diesem Zusammenhang ist

Wikipedia auch als Forschungsgegenstand für die FernUniversität besonders interessant.

Dabei geht es nicht nur darum, die Dinge zu verstehen, sondern auch, sie zu gestalten.

Zudem fordern freie Angebote wie Wikipedia angestammte wissenschaftliche Methoden und Arbeitsweisen heraus. Das betrifft auch Publikations- und Kommunikationswege (Open Access!). Speziell bei Wikipedia geht es auch um Fragen der Qualitätssicherung, die anders funktioniert, als das lange Zeit in der Wissenschaft der Fall war. Dabei wird das Verhältnis von Experten und Laien neu verhandelt. Besonders gesellschaftlich spannende Themen können nicht allein Experten überlassen werden. Zur Vertiefung wird Stalders Buch über die Digitalität empfohlen.

Diese Aspekte sind hier wichtig: Relationalität und Verbindungen, die durch Digitalität befördert werden. Gemeinschaftlichkeit, die auf Austausch mit anderen basieren.

Algorithmizität als Ordnungsmuster als Verbesserung und Chance. Es gibt aber auch eine postdemokratische politische Herausforderung, wobei es aber auch die Chancen der Commons gibt.

Begrüßung

Prof. Dr. Gabriele Zwiehoff (Dekanin der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität in Hagen)

In der Praxis wird von Juristen in der Ausbildung Wikipedia gerne zum Lernen genutzt.

Dem steht gegenüber, dass Wikipedia als unseriös und nicht zitierfähig gilt. Das bedeutet:

Jeder benutzt Wikipedia, aber keiner zitiert Wikipedia. Hervorgehoben wird, dass es auch bei traditionellen Inhalten unseriöse Arbeitsweisen gibt. Zudem müsse man heute über neue Lehr- und Arbeitsmethoden nachdenken.

Wikipedia dient der Theoriedarstellung, nicht der Theoriefindung. Daher kommt wohl die Zurückhaltung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bei der Mitarbeit. Es bleibt aber das Problem unkorrekter Inhalte. Interessanterweise ist die Rechtsprechung viel aufgeschlossener bei der Nutzung von Wikipedia als die Rechtswissenschaft. Grund dafür ist offenbar ein Effizienzgewinn bei der Ermittlung von Tatschen und Erfahrungssätzen.

Hier gibt es einige interessante prozessuale Probleme, die man aber nicht überdramatisieren sollte. Man sollte daher Wikipedia aufgeschlossen beobachten und reflektieren. Das Thema ist wichtig und wird noch wichtiger werden.