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Die Wettbewerbsfähigkeit und internationale Verflechtung der Schweizer Wirtschaftsbranchen

Ingesamt ist die Schweiz zwar gut in die Weltwirtschaft integriert; zwischen den einzelnen Wirtschaftsbranchen bestehen jedoch bedeutende Unterschiede.

Der Grenzschutz beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit der Agrar- und Nahrungsmittelbranche.

Die Einschätzung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit einer Branche ist nicht möglich, ohne auch die Exportrate dieser Branche zu berücksichtigen. Diese wird gemessen am Prozentsatz der Produktion, der exportiert wird.

Hat sich ein Land gut in die Weltwirtschaft integriert und sich stark spezialisiert, so kennt es automatisch auch eine hohe Importneigung. Denn eine Spezialisierung in einer grossen Anzahl von Branchen und Produktion ist nicht möglich. So entsteht unausweichlich auch eine gewisse Importabhängigkeit. Die Importpenetration ist definiert als der Anteil der Importe an der Inlandnachfrage in der entsprechenden Branche13. Ein Wert nahe bei 100 für eine bestimmte Branche bedeutet, dass die Inlandnachfrage weitgehend durch die Importe befriedigt wird und die Inlandpro-duktion andererseits vor allem in den Export geht.

13 Die Binnennachfrage wird definiert als die inländische Produktion plus Importe minus Exporte.

Abbildung 1.4 setzt die beiden Indikatoren der internationalen Wettbewerbssitua-tion, den einen auf dem Inlandmarkt, den anderen auf den Exportmärkten, in Rela-tion zueinander. Eine PosiRela-tionierung im rechten oberen Quadranten deutet auf aus-geprägten intraindustriellen Handel hin, die charakteristische Handelsform für entwickelte Staaten, in denen ähnliche, aber differenzierte Produkte gleichzeitig exportiert und importiert werden. Es handelt sich im Allgemeinen um Güter mit hoher Kapital- und Technologieintensität, für die hochqualifizierte Arbeitskräfte benötigt werden. Für eine kleine Volkswirtschaft wie die Schweiz ist die internatio-nale Arbeitsteilung essentiell, da sie so neben Vorteilen aus der Spezialisierung und Skalenerträgen, insbesondere auch aus einer höheren Vielfalt bei Zwischen- und Endprodukten Nutzen ziehen kann.

Die Grafik wird zweigeteilt durch eine Gerade. Die Differenzen zwischen Exportrate und Importpenetration in den einzelnen Branchen deuten auf die Spezialisierung der Schweizer Volkswirtschaft hin, so auf die starke Exportorientierung der Branchen Präzisionsinstrumente, Chemie und Maschinen. Umgekehrt sind die Bereiche der Radio- und Fernsehgeräte sowie der Textilien durch eine höhere Importpenetration gekennzeichnet. Dies ist charakteristisch für die Branchen, in denen die Schweiz einen komparativen Nachteil besitzt.

Abbildung 1.4 Exportneigung und Importpenetration, Waren, 200114

Fahrzeuge

Quelle: STAN-Indikatoren der OCDE für die Schweiz, 2001

14 Beim Interpretieren der Daten sollte beachtet werden, dass der Wert der Exporte denje-nigen der Produktion aus folgenden Gründen übersteigen kann: Die Exporte beinhalten Reexporte und es können Verzerrungen entstehen, wenn die Handelsdaten pro Produkt in Branchendaten umgewandelt werden.

Neben den bereits genannten Branchen hat die Schweiz auch komparative Nachteile im Landwirtschaftssektor und bei den natürlichen Ressourcen (nicht in der Grafik dargestellt), da die Schweiz die fossilen Energieträger importieren muss.

Die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelbranche befinden sich im linken unteren Quadranten der Abbildung 1.4 und unterscheiden sich damit klar von der Produktion der übrigen Produktion von Waren15. Die geringe Importpenetration widerspiegelt hier den hohen tarifären und nichttarifären Grenzschutz, der einhergeht mit einer geringen Wettbewerbsfähigkeit auf den Exportmärkten, die sich in der tiefen Export-rate äussert. Obwohl sich die Nahrungsmittel in der Grafik fernab der übrigen Waren befinden, liegen sie doch näher an der Gerade als die landwirtschaftlichen Produkte.

Dieser Unterschied widerspiegelt eine hohe Wettbewerbsfähigkeit einiger speziali-sierter Unternehmen bei den verarbeiteten Landwirtschaftsprodukten. Generell ist festzuhalten, dass es in der Schweiz in jeder Branche, in welcher der Wettbewerb durch Importe ausgeprägt ist, Unternehmen mit hoher Effizienz und auf dem tech-nisch neusten Stand gibt.

Die Spezialisierung führt zu einer besseren Allokation der natürlichen, industriellen und finanziellen Ressourcen sowie des Humankapitals. Kurzfristig kann sie allerdings mit Anpassungskosten verbunden sein.

Der internationale Austausch erlaubt den Unternehmen nicht nur, von Grössenvor-teilen und günstigeren Vorleistungen zu profitieren, sondern auch Nutzen zu ziehen aus Wissens- und Technologietransfer. Die Intensivierung dieses Austausches trägt dazu bei, dass sich die produktivsten Unternehmen positiv entwickeln; weniger produktive Unternehmen werden sich allerdings gezwungen sehen, sich aus dem Markt zurückzuziehen, oder sie werden von wettbewerbsfähigeren Konkurrenten übernommen.

Gemäss OECD führt die internationale Integration der Wirtschaft zu einer veränder-ten Verteilung der Arbeitsplätze auf Branchen und Berufsgruppen, aber sie trägt nicht zu einem generellen Beschäftigungsabbau bei16. Ein flexibler Arbeitsmarkt wie derjenige in der Schweiz ist ein Schlüssel für eine möglichst reibungslose Ver-lagerung der Ressourcen von weniger produktiven Branchen in solche mit höherer Wertschöpfung. Gleichzeitig ist es wahrscheinlich, dass der zunehmende Handel mit Tieflohnländern, aber auch der technische Fortschritt in einem gewissen Umfang zur Verstärkung von Lohnungleichheiten in mehreren OECD-Staaten beigetragen haben17.

In der Integration der Dienstleistungen in den Welthandel liegt weiterhin ein grosses Potenzial, besonders für die Schweiz als Dienstleistungsnation.

Der tertiäre Sektor, auch wenn er sich sehr dynamisch entwickelt, weist im grenz-überschreitenden Handel im Vergleich zum Warenhandel einen deutlichen

15 Die hier angegebenen Daten beziehen sich auf Werte in Schweizer Franken. Der im Agrarbericht 2007 angegebene Selbstversorgungsgrad der Schweiz von 59 % bei den Nahrungsmitteln (2005) ergibt sich aus der damit nicht vergleichbaren Errechnung basie-rend auf Kalorien.

16 OECD (2005), «Les coûts d’ajustement liés aux échanges sur les marchés du travail des pays de l’OCDE: quelle est leur ampleur véritable?», Kapitel 1: «Perspectives de l’emploi de l’OCDE», Paris.

17 OECD (2007): «Les travailleurs des pays de l’OCDE dans l’économie mondiale: de plus en plus vulnérables?», C/MIN(2007)2/ANN1.

stand auf. Dieser Rückstand erklärt sich teilweise aus der Tatsache, dass Dienstleis-tungen in der Regel schlechter handelbar sind als Waren, da Dienstleister und Kon-sumentinnen wie Konsumenten oftmals persönlich zusammentreffen müssen. Aber dies ist nicht der einzige Grund. Ein weiterer Erklärungsfaktor ist der relativ hohe Regulierungsgrad der Dienstleistungsbranchen. Abbildung 1.5 zeigt die grossen Unterschiede im Öffnungsgrad der Dienstleistungsbranchen.

Die Wettbewerbsfähigkeit der Banken und Versicherungen, der Logistikbranche und des Tourismus widerspiegelt sich in einer relativ hohen Exportrate. Die tiefe Importpenetration im Sektor der Banken und Versicherungen zeigt, dass dieser einen wesentlichen Teil der Inlandnachfrage selbst zu befriedigen vermag. In den Infra-strukturbranchen, in der Bildung und im Gesundheitswesen sind die tiefen Import- und Exportraten – neben der lückenhaften Erfassung – nur zum Teil Folge der fehlenden Handelbarkeit. Sie gründen auch in der teilweise hohen Produktmarkt-regulierung und der wenig wettbewerbsorientierten Finanzierung der Nachfrage durch die öffentliche Hand.

Abbildung 1.5 Exportneigung und Importpenetration, Dienstleistungen, 2001

Logistik u.ä.

Quelle: Input-Output-Tabellen der OECD für die Schweiz, 2001, Berechnungen SECO Wenn die Lage der verschiedenen Dienstleistungsbranchen auch durch statistische Schwierigkeiten bei der Erfassung des Handels mit Dienstleistungen beeinflusst wird18, stimmen die aus Abbildung 1.5 gezogenen Schlussfolgerungen doch überein mit den Untersuchungen zum Stand der Dienstleistungsliberalisierung in der Schweiz im Vergleich zur EU19. In diesem Vergleich zeigte sich, dass die Schweiz

18 Die Daten über den Dienstleistungshandel sind aufgrund der Erfassungslücken mit Vorsicht zu interpretieren. Beispielsweise sind die Daten zum Handel mit unternehmens-bezogenen Dienstleistungen sehr lückenhaft, obwohl diese Branche in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat.

19 SECO (2005): Bericht zur Dienstleistungsliberalisierung in der Schweiz im Vergleich zur EU.

bei den Bankdienstleistungen, den unternehmensbezogenen Diensten und dem Güterschienenverkehr zu den Vorreitern der Liberalisierung gehört. Bei den Infra-strukturdiensten Elektrizitätsversorgung, Personenschienenverkehr, Postdienste und Telekommunikation weist sie dagegen einen Liberalisierungsrückstand auf, der eine geringere internationale Verflechtung zur Folge hat. Bei den noch wenig interna-tional gehandelten Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen liegt die Schweiz nur leicht hinter den sich am stärksten öffnenden EU-Staaten zurück.

Diejenigen Branchen, die einen hohen Grad der internationalen Öffnung aufweisen, sind gleichzeitig auch diejenigen mit der höchsten

Stundenproduktivität.

Die Unterschiede im Ausmass, in dem die Branchen der internationaler Konkurrenz ausgesetzt sind, haben bedeutende Auswirkungen für die wirtschaftliche Leistungs-fähigkeit der Schweiz. Abbildung 1.6 bildet das Produktivitätsniveau in den einzel-nen Branchen ab. Erneut findet man ein gutes Abschneiden des produzierenden Gewerbes sowie der Banken und Versicherungen. Die hinterherhinkenden Branchen sind vor allem diejenigen, die vor Konkurrenz abgeschirmt sind, auch mithilfe tarifärer und nicht tarifärer Handelshemmnisse. Dies ist der Fall für die Landwirt-schaft, die nur schwer handelbaren persönlichen Dienstleistungen, das Gesundheits-wesen und die Baubranche.

Abbildung 1.6 Schweiz, Produktivität je Vollzeitäquivalent, nach Branchen, 2006

0 50 100 150 200 250 300 350 400 450

Landwirtschaft Gastgewerbe Pernliche DL Gesundheit Bau Handel Unternehmensbez. DL Verwaltung und Unterricht Verkehr und Kommunikation Aggregiert Industrie Versicherungen Bankdienstleistungen Elektrizitäts- und Wasserversorgung

in tausend CHF

Quelle: BFS, SECO

Die hohe Produktivität der Branche Energie- und Wasserversorgung wird durch ihre sehr hohe Kapitalintensität erklärt, während sich die vergleichsweise tiefe Produk-tivität im Tourismus auch aus dem relativ hohen Einsatz von niedrig qualifiziertem

Personal ergibt. Die Schweiz profitiert von ihren Direktinvestitionen im Ausland und bleibt gleichzeitig auch ein attraktiver Produktionsstandort.

Für ein vollständiges Bild der Integration der Schweizer Volkswirtschaft in die internationalen Märkte genügt es nicht, einzig den Handel mit Waren und Dienst-leistungen zu untersuchen. Auch die Direktinvestitionen im Ausland spielen hierfür eine wichtige Rolle. Insbesondere wird ein grosser Teil des Dienstleistungshandels über lokale Niederlassungen abgewickelt20 und hängt damit eng mit den Direktin-vestitionen im Dienstleistungssektor zusammen. Die erste Feststellung bezüglich Direktinvestitionen: Die Schweiz ist eine Nettoexporteurin von Kapital. Die Erträge, die sie aus ihren Direktinvestitionen im Ausland erzielt – bei einem Gesamtbestand von 635 Milliarden Franken an Direktinvestitionen im Ausland – lagen im Jahr 2006 bei 69 Milliarden Franken21. Wenn die Präsenz von Schweizer Unternehmen im Ausland überdurchschnittlich ist, bedeutet dies aber nicht, dass die Schweiz selbst für ausländische Direktinvestitionen unattraktiv wäre, im Gegenteil. Im Jahr 2006 erreichte der Bestand an ausländischen Direktinvestitionen in der Schweiz 266 Milliarden Franken (vgl. Tabelle 1.5). Ebenfalls im Jahr 2006 arbeiteten 351 000 Personen in der Schweiz in Unternehmen, die in ausländischem Besitz waren.

Tabelle 1.5 Ausländische Direktinvestitionen in der Schweiz, nach Branchen, 2006, Anteil in % (100 % = 266 Milliarden Schweizer Franken)

Industrie 17.9

Chemie und Plastik 8.6

Metalle und Maschinen 2.6 Elektronik, Energie, Optik, Uhren 4.7 Andere Industriebranchen und Bau 2.1

Dienstleistungen 82.1

Handel 13.2

Finanz- und Holdinggesellschaften 45.3

Banken 12.1

Versicherungen 6.3

Verkehr und Kommunikation 2.7 Andere Dienstleistungen 2.5

Total 100.0 Quelle: SNB

Aus dem Blickwinkel internationaler Konzerne betrachtet, ist die Schweiz gemäss einer Untersuchung ihrer Attraktivität derzeit in Europa führender Standort für internationale oder europäische Hauptsitze, Forschungszentren sowie Zentrums-funktionen mit administrativen oder buchhalterischen Aufgaben22. Zu den häufig

20 Modus 3 gemäss Definition des GATS (General Agreement on Trade in Services)

21 SNB (2007). Die Entwicklung der Direktinvestitionen im Jahr 2006. Zürich: SNB

22 Ernst & Young (2006): Swiss Attractiveness Survey – What Foreign Companies Say.

Zürich.

genannten Schlüsselfaktoren zählen die makroökonomische Stabilität der Schweiz, ihre grosse Diversität und interkulturelle Tradition, die Qualität ihrer Infrastruktur, die Flexibilität ihres Arbeitsrechts sowie das günstige steuerliche Umfeld.

Damit die Schweiz in den wertschöpfungsstarken Branchen wettbewerbsfähig bleibt, müssen die Unternehmen ihr Innovationspotenzial ausschöpfen können, indem sie einfachen Zugang zu Spezialistinnen wie Spezialisten und

hochqualifiziertem Personal erhalten.

Seit die Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte in den 90er-Jahren auf Länder mit einem vergleichsweise hohen Reallohnniveau beschränkt worden ist und seit Anfang dieses Jahrzehnts dank dem Personenfreizügigkeitsabkommen alle Branchen gleich-berechtigt in der EU Personal rekrutieren können, wird deutlich, dass sich die Schweiz in Richtung Branchen mit hoher Qualifikation der Beschäftigten speziali-siert. In der nachstehenden Abbildung 1.7 wird am Beispiel der im 2. Quartal 2005 in der Schweiz erwerbstätigen Ausländerinnen und Ausländer gezeigt, wie sich die Zusammensetzung der Zuwanderung über die letzten 15 Jahre in qualifikatorischer Hinsicht gewandelt hat.

Abbildung 1.7 Bildungsstand der erwerbstätigen ausländischen Bevölkerung,

2. Quartal 2005, in Abhängigkeit des Zuzugsjahres in die Schweiz, in %23

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90

1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Mindestens Abschluss Sekundarstufe 2 Hochschulabschluss

Quelle: Bundesamt für Statistik, Erwerbstätigenstatistik.

23 Berücksichtigung fanden nur Ausländerinnen und Ausländer, die im Besitz zumindest einer Jahresaufent-haltsbewilligung waren und die im Erwachsenenalter (d.h. über 18 Jahre) in die Schweiz einwanderten sowie 2005 erwerbstätig waren.

Hatten die im Jahre 1992 zugewanderten Personen, die im 2. Quartal 2005 noch in der Schweiz erwerbstätig waren, lediglich zu 20 % einen Abschluss auf tertiärer Bildungsstufe, so sind es in der jüngeren Vergangenheit schon mehr als die Hälfte der Zuwandernden. Gerade spiegelbildlich dazu haben sich bei der Zuwanderung die Anteile von Personen ohne weiterführende berufliche Ausbildung entwickelt. Inter-nationale Verflechtung ist auch am grenzüberschreitenden Austausch von Arbeits-kräften zu messen und am Mass, wie und wie weit dieses durch staatliche Vorschrif-ten eingeschränkt ist.

1.5 Wirtschaftspolitische Folgerungen