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Wahrnehmung von geschlechtsspezifischer Ungleichheit

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Manuskripte 56 (Seite 120-123)

9 Geschlechtlich eingefärbte Zusammenarbeit mit den

10.2 Wahrnehmung von geschlechtsspezifischer Ungleichheit

Im Amt wird das Verhältnis weiblicher zu männlicher Beschäftigten als aus-gewogen und gut durchmischt wahrgenommen. Ebenso viele Frauen wie Männer sind davon überzeugt, dass es keine geschlechtsspezifischen Un-gleichheiten oder Ungleichbehandlungen gibt. Vereinzelt festgestellte Unter-schiede (z.B. Entlohnung) werden geschlechtsneutral auf längere Berufsaus-übung oder Verbeamtungs- und Beförderungsstrukturen zurückgeführt.

„ … weil hier Gleichstellung herrscht. … keine Vorzüge für die Frauen und keine Vorzüge für die Männer.“ (B5Y)

„Dass er Angestellter ist und ich Beamtin bin. … Das ist nicht, weil es so gewollt ist, sondern weil es sich so ergeben hat und nicht mehr anders geht.“

(B6X)

Die Mehrheit der Beschäftigten schreibt Frauen und Männern geschlechts-spezifische Eigenschaften, Kompetenzen bzw. besondere Fertigkeiten zu.

Parallel dazu vertreten sie die Auffassung, dass diese zugewiesenen Merk-male nicht in der Berufsausübung oder Zusammenarbeit wieder zu finden wären. Vielmehr sei in den Tätigkeitsfeldern des untersuchten Amtes das Geschlecht als Kriterium der Befähigung irrelevant.

„Männer sind einfacher gestrickt, zielstrebiger, die lassen sich nicht so leicht ablenken. Sie sind aber weniger kommunikationsbetont. Frauen sind komplexer, kommunikationsbetonter, die denken also auch mal neben’s Gleis. Die können also schneller komplexere Sachen erfassen. … Die können besser organisieren, die können mehrere Sachen gleichzeitig machen. … vie-le Sachen, gerade die jetzt so im Berufvie-leben anstehen, können Frauen besser machen. Männer haben mehr Köperkraft, sind also schneller. Das ist so, al-so vom Biologischen her gesehen.“ (B1X)

„Nee, es gibt Leute, die können manche Sachen nicht so gut und die können andere Sachen gut, aber das ist bei Männern und Frauen gleich. Also, da gibt es keinen Unterschied. … Also in der Zusammenarbeit macht das si-cherlich überhaupt keinen Unterschied (ob Frau oder Mann).“ (B5Y)

Es gibt im Alltagsbewusstsein der Beschäftigten geschlechtsspezifische Bil-der über Frauen bzw. Männer. Zugleich wird aber keine geschlechtsspezifi-sche Ausübung der Arbeitstätigkeiten wahrgenommen. D.h.: Einerseits wer-den stereotype Rollenbilder (Charakterzüge, Kompetenzen usf.)

insbesonde-re in ihinsbesonde-rer Funktion der Zuweisung zu sozial-betrieblichen Positionen brü-chig. Andererseits könnte die Wahrnehmung für unbewusste geschlechtsspe-zifische Zuschreibungen und vor allem Zuweisungen noch geschärft werden, um die Offenheit gegenüber allen Mitarbeitenden jenseits geschlechtlicher und hierarchischer Klischees zu fördern.

Für die Gesellschaft hingegen wird von allen Befragten (bis auf eine Mitar-beiterin) festgestellt, dass gesellschaftlich noch keine geschlechtliche Gleich-stellung erreicht ist. Das wird vorrangig daran festgemacht, dass noch immer eher Frauen die Familien- und Erziehungszuständigkeit übertragen wird.

Männer folgern daraus mit Blick auf die fehlenden Kinderbetreuungsangebo-te einen irreparablen beruflichen NachKinderbetreuungsangebo-teil für Frauen (Karriereknick). Frauen hingegen thematisieren eher pragmatisch die Vereinbarkeitsmöglichkeiten zwischen Familien und Beruf und schlussfolgern daher ein verstärktes Ein-treten von Frauen in den öffentlichen Dienst (flexible Arbeits- bzw. Teilzeit, Sicherheit, leichtere Tätigkeit usf.).

„… ich meine mal, es besteht nun mal die Ungleichbehandlung. Da will ich überhaupt nicht drüber hinwegreden und … sagen es ist nicht so. Ich sage für meinen Teil hier in der Abteilung ist es O.K. Aber ansonsten … auch in der Wirtschaft und überall – da muss es irgendwas geben. Denn als Frau hat man nach wie vor Nachteile in dieser Gesellschaft.“ (B11X)

„Tja, das hat was mit dem Kinderkriegen zu tun, nicht. … Äh die Chancen sind ja wohl da. Aber eben doch nicht, weil ne Frau eben denn, wenn sie ein Kind kriegt, aussetzen muss.“ (B4Y)

„Hier denke ich, sind die Chancen gleich – überhaupt im öffentlichen Dienst sind die Chancen gleicher als in der freien Wirtschaft.“ (B6X)

Damit wird in den Aussagen zumindest indirekt Frauen die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für eine Familie und deren Umsorgung unterstellt und das „Vereinbarkeitsproblem“ von Frauen selbst angeeignet bzw. ihnen übertragen. Einige Mitarbeiterinnen versuchen die strukturelle Benachteili-gungssituation in Form der Doppelbelastung aus einer verallgemeinerten Frauenperspektive zu lösen. Dies ist aber auch unter Frauen umstritten. So hält eine Mitarbeiterin unter den heutigen Bedingungen Frauenförderung und Quotenregelungen für (noch) erforderlich, während eine andere eine Frauen-bevorzugung eher als männliche Diskriminierung einordnet.

„Nein, nein und auch mit der ganzen Quotenregelung. Ich denke, dass es in diesem System schon gebraucht wird, weil sonst wird man als Frau total weggedrückt.“ (B11X)

„… dass Frauen und Behinderte bevorzugt sind … ist ja schön und gut … Das muss ich schon fast als Männerdiskriminierung empfinden.“ (B13X)

Mitarbeiter analysieren die Problemlage mit gleichem Ergebnis, ohne jedoch einen gesellschaftlichen Handlungsauftrag aus ihrer männlichen Perspektive abzuleiten.

Soziale Gleichstellung bedeutet aber in der Wahrnehmung der MitarbeiterIn-nen nicht in jedem Fall ein Ignorieren von Differenzen. So formulieren zwei Mitarbeiterinnen, dass bestimmte körperliche Anforderungen bzw. Aspekte (Kraft, Gebärfähigkeit) Frauen von bestimmten Arbeitsfeldern/Berufen (etwa einer Baustelle) ausschließen (sollten). Dem schließt sich ein Mitarbeiter an-teilig an. Er ist zwar prinzipiell für Gleichberechtigung, lehnt jedoch eine Gleichmacherei ab. Er sieht gesellschaftlich zwar Handlungsbedarf (mehr Frauen in politische Ämter), möchte aber dies nicht in jedem Bereich umge-setzt sehen (Damenboxen unnötig).

„Sagen wir mal so, was jetzt die Sache ausschließen würde, wäre ja der kör-perliche Aspekt. Weil also auf dem Bau arbeiten können, also richtig auf dem Bau arbeiten können also nur sagen wir mal, fast keine von uns. Kann schon nicht jeder Mann machen und von den Frauen fast gar niemand, ist zu schwer. Vom Körperlichen.“ (B1X)

„ … im Bergbau möchte ich als Frau nicht arbeiten, … als Frau hat man genug ja körperliche Sachen am Hacken, sprich Haushalt, Kind und so wei-ter. … solche Sachen sollten doch schon Männer machen, weil sie wirklich von ihrer Biologie her äh dafür besser geeignet sind.“ (B3X)

„ … im deutschen Bundestag könnten natürlich ein paar mehr Frauen sitzen, ist ja gar keine Frage. … jeder soll Chancengleichheit haben, das ist ja keine Frage, aber nun völlig … also ich bin auch nicht so für Frauenboxen oder so was. … ich finde also, es muss nicht alles immer.“ (B5Y)

Obwohl es also eine ausgeprägte Wahrnehmung der gesellschaftlichen Un-gleichheit zwischen Frauen und Männern bei fast allen Befragten gibt, neh-men die MitarbeiterInnen quasi ihre eigene Lebens- und Arbeitssituation aus dieser gesellschaftlichen Ungleichheitsdiagnose gedanklich heraus. Dieser

Befund verweist noch einmal auf die unbewusste Verankerung der stereoty-pen Rollenbilder über Frauen und Männer im Alltagsbewusstsein (bspw. zur Familien- oder Erziehungszuständigkeit). Weiterhin scheinen sich diese Rol-lenbilder einer einfachen individuellen kritisch-subjektiven Reflexion zu ent-ziehen. Daher liegt die Diagnose der gesellschaftlichen Ungleichheit zwi-schen den Geschlechtern auch außerhalb des eigenen Lebens. Hier kommt sie nur bei individuellen Entscheidungen zum Vorschein.

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Manuskripte 56 (Seite 120-123)