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6.3 Der Betrag des wiedergefrierenden Schmelzwassers

6.4.3 W¨ armesummenfaktoren

In W¨armesummenmodellen wird der Betrag von Schnee- und Eisschmelze mit der Summe der positiven Temperaturen w¨ahrend eines bestimmten Messzeitraums in Beziehung gesetzt. Den Proportionalit¨atsfaktor dieser Beziehung bezeichnet man alsW¨armesummen- oderGrad-Tag-Koeffizient (engl.degree-day coefficient), der in Einheiten von mm/dC ausgedr¨uckt wird.4 In manchen Arbeiten wird dieser Faktor auch Schmelzfaktor (engl. melt factor, z.B. bei Hock (1998)) genannt.

Die W¨armesummenkoeffizienten erkl¨aren sich durch den Effekt der lokalen Ober-fl¨acheneigenschaften wie Oberfl¨achenalbedo oder Turbulenz auf die St¨arke des Schmelzens. ¨Ublicherweise werden die Koeffizienten f¨ur verschiedene Oberfl¨achen als jeweils konstant angesehen, obwohl auch innerhalb einer Oberfl¨achenklasse

4 Sofern nicht anders angegeben, ist im Folgenden mit der Einheit mm immermm Was-ser¨aquivalent gemeint. Die Einheit spricht sich also

Millimeter Wasser¨aquivalent pro Tag und Grad Celsius“.

100 6. Modellparameter

die Eigenschaften der Oberfl¨ache ver¨anderlich sind [Arendt und Sharp (1999)].

Dies sollte sich insbesondere auf Untersuchungen auswirken, bei denen eine hohe zeitlichen Aufl¨osung notwendig ist. Da die Berechnungen in dieser Arbeit aber auf langj¨ahrigen Mitteln basieren, wird dieses Problem f¨ur die Untersuchungen als vernachl¨assigbar angesehen.

Ergebnisse aus Gel¨ande- und Modellstudien haben gezeigt, dass der W¨ arme-summenfaktor f¨ur Schnee generell deutlich niedriger ist als der f¨ur Eis, was auf die unterschiedliche Albedo beider Oberfl¨achentypen zur¨uckzuf¨uhren ist. Bei ih-ren Untersuchungen an f¨unf Gletschern der Schweizer Alpen nehmen Braithwaite und Zhang (2000) im Schnitt ein Verh¨altnis von ks/ki = 0,6 an. Der in Tab. 6.7 dargestellte ¨Uberblick ¨uber die in verschiedenen Untersuchungen gemessenen oder genutzten Schmelzfaktoren macht allerdings deutlich, dass sich sowohl die Fakto-ren f¨ur Schnee und Eis als auch deren Gr¨oßenverh¨altnis zueinander von Eismasse zu Eismasse unterscheiden k¨onnen. Es f¨allt dabei auf, dass außergew¨ohnlich hohe Werte (von 13,8 bis 22,2 mm/dC) auf Spitzbergen und Gr¨onland erreicht werden, und zwar in Bereichen, die durch sehr kalte Bedingungen mit sehr geringer Ablati-on gekennzeichnet sind. Nach Braithwaite (1995b) kann dies bei Betrachtung der Energiebilanz f¨ur die jeweilige Situation auch erwartet werden. Eine eindeutige Begr¨undung f¨ur die verschiedenen W¨armesummenfaktoren in Tab. 6.7 ist jedoch nicht einfach. So w¨urde man z.B. f¨ur die relativ hoch gelegenen Gletscher der Schweizer Alpen aufgrund geringerer turbulenter Str¨ome einen niedrigeren W¨ ar-mesummenfaktor f¨ur Eis erwarten als z.B. f¨ur die niedriger gelegenen Gletscher Norwegens und Gr¨onlands [Braithwaite (1995a)]. W¨ahrend die Ergebnisse von Kasser (1959) diese Annahme best¨atigen, zeigen im Gegensatz dazu die Gel¨ an-demessungen von Braithwaite und Zhang (2000) am Griesgletscher unerwartet hohe Werte f¨ur den W¨armesummenfaktor von Eis. Insgesamt scheint es dennoch in kalten Regionen eine Tendenz zu h¨oheren W¨armesummenfaktoren f¨ur Eis und niedrigeren Koeffizienten f¨ur Schnee und dementsprechend ein niedrigeres Ver-h¨altnis ks/ki zu geben.

Ein direkter Vergleich von W¨armesummenkoeffizienten wird jedoch aus folgen-den Gr¨unden erschwert (vgl. auch Hock (1998)):

1. F¨ur gew¨ohnlich werden die Schmelzkoeffizienten auf der Basis von Tages-mitteltemperaturen bestimmt. Diese k¨onnen jedoch je nach der Art ihrer Berechnung variieren [Arnold und MacKay (1964)].

6.4 Ablationsterm 101

Tabelle 6.7: armesummenfaktoren f¨ur verschiedene Gletschergebiete in mm d−1◦C−1.

Eis (ki) Schnee (ks) ks/ki Ort Datenquelle

Alpen

4,5 Weissfluhjoch, Schweiz Zingg (1951)

5,0–7,0 versch. schweizer. Gletscher Kasser (1959)

8,3–9,4 Griesgletscher, Schweiz Braithwaite und Zhang (2000)

5,5 Gr. Aletschgletscher, Schweiz Lang et al. (1977) 11,7 5,3 0,45 Gr. Aletschgletscher, Schweiz Lang (1986)∗∗

4,5 Weissfluhjoch, Schweiz De Quervain (1979)

6,2 3,8 0,61 Glacier de Sarennes, Frankreich Vincent und Vallon (1997) Skandinavien

6,3 St. Supphellebreen, Norwegen Orheim (1970)

5,5±2,3 versch. norweg. Gletscher Braithwaite (1977)

6,4 4,4 0,69 Nigardsbreen, Norwegen ohannesson et al. (1995)

6,0 4,5 0,75 ˚Alfotbreen, Norwegen Laumann und Reeh (1993)

5,5 4,0 0,72 Nigardsbreen, Norwegen Laumann und Reeh (1993)

5,5 3,5 0,64 Hellstugubreen, Norwegen Laumann und Reeh (1993)

7,7 5,4 0,70 atuj¨okull, Island ohannesson et al. (1995)

6,3 4,4 0,70 Storglaci¨aren, Schweden Hock (1999)

13,8 Spitzbergen Schytt (1964)

Gr¨onland

18,6 EGIGCamp IV, Gr¨onland Ambach (1963, 1988)

20,1–22,2 GIMEX††-Profil, Westgr¨onland Van de Wal (1992)

7,2 2,5 0,35 Nordbogletscher, S¨udgr¨onland Braithwaite und Olesen (1989) 8,1 2,9 0,35 Nordbogletscher, S¨udgr¨onland Braithwaite (1995b)

7,3 2,8 0,38 Qamanˆarssˆup sermia, Westgr¨onland ohannesson et al. (1995) 8,3 3,7 0,45 Qamanˆarssˆup sermia, Westgr¨onland Braithwaite (1995b)

5,9–9,8 Nordgr¨onland Braithwaite et al. (1998)

kanadische Arktis

6,3±1,0 kanadische Arktis Braithwaite (1981)

7,6 2,7–5,5 John-Evans-Gletscher, Ellesmere Island Arendt und Sharp (1999) Sonstige

6,0 3,0 0,50 Franz-Josef-Gletscher, Neuseeland Woo und Fitzharris (1992)

6,9–7,1 Patagonien Takeuchi et al. (1996)

zitiert nach Braithwaite und Zhang (2000)

∗∗zitiert nach Hock (1998)

Exp´edition glaciologique internationale au Groenland

††Greenland Ice Margin Experiment, Universit¨aten Utrecht und Amsterdam

2. Schwanken die Temperaturen im Laufe eines Tages um den Gefrierpunkt, so kann es an diesem zu positiven Temperaturen und damit Schmelzvor-g¨angen kommen, obwohl die Tagesmitteltemperatur m¨oglicherweise einen Wert kleiner 0C annimmt und somit im Modell von keinen Schmelzprozes-sen ausgegangen wird. Dies k¨onnte je nach Berechnungsvorgang zu einer Untersch¨atzung des Schmelzbetrags oder einer ¨Ubersch¨atzung des W¨ ar-mesummenkoeffizienten f¨uhren. Diesem Problem w¨are durch eine h¨ohere

102 6. Modellparameter

zeitliche Aufl¨osung der Temperaturintegration zu begegnen.

3. In den verschiedenen Arbeiten sind die W¨armesummenkoeffizienten nicht unbedingt immer gleich definiert. Manche Arbeiten gehen z.B. davon aus, dass Schmelzvorg¨ange bei anderen Temperaturen als dem Gefrierpunkt be-ginnen und f¨uhrten daher einen von 0C verschiedenen Temperaturschwel-lenwert ein [Braun und Aellen (1990), Gottlieb (1980)]. Ein SchwelTemperaturschwel-lenwert oberhalb des Gefrierpunktes w¨urde so der Tatsache Rechnung tragen, dass Schmelzprozesse nicht unbedingt schon bei einer Temperatur von 0C auf-treten m¨ussen [Kuhn (1987)]. Auf der anderen Seite beobachtete Braithwai-te (1995b) bei UnBraithwai-tersuchungen in Gr¨onland, dass Schmelzprozesse auch bei Temperaturen auftreten k¨onnen, die unterhalb des Gefrierpunktes liegen.

Aufgrund dieser unterschiedlichen Beobachtungen wurde der Schwellenwert in dieser Arbeit exakt auf 0C gesetzt und damit auch auf den Wert, den die meisten vergleichbaren Arbeiten nutzen.

Trotz dieser Einschr¨ankungen k¨onnen die in der Literatur angegebenen Werte aus klimatisch der Devon-Eiskappe ¨ahnlichen Regionen Anhaltspunkte dar¨uber liefern, in welchem Bereich sich die Schmelzfaktoren dieser Studie voraussichtlich bewegen. Die einzigen f¨ur die kanadische Arktis existierenden Daten stammen von Braithwaite (1981) sowie Arendt und Sharp (1999). Erstere liefern einen Wert von 6,3 mm/dC f¨ur den W¨armesummenkoeffizienten von Eis und entstam-men einer Auswertung von Messungen aus den 60er Jahren an drei Standorten auf Axel Heiberg Island und einem Standort auf dem Sverdrup-Gletscher, also einem Bereich am Rande der Devon-Eiskappe. Die Ergebnisse dieser Auswertung wurden auf den oben angegebenen Wert gemittelt und dann als Koeffizient f¨ur Eis angegeben. M¨oglicherweise ist dieser Wert ein Mischfaktor f¨ur Oberfl¨achen aus Eisund Schnee. F¨ur die Untersuchung existieren keine Angaben ¨uber Schnee-oder Eisbedeckung, weshalb nicht zwischen diesen unterschiedlichen Oberfl¨ achen-typen unterschieden werden konnte. Da die Untersuchungsgebiete aber allesamt in relativ niedriger H¨ohe – mit im Sommer sehr seltener Schneebedeckung der Gletscheroberfl¨ache – liegen, ist anzunehmen, dass der gemessene Schmelzfaktor dem f¨ur Eis relativ nahe liegt. ¨Ahnliche Werte ergaben auch die Messungen von Arendt und Sharp (1999) auf dem John-Evans-Gletscher. Diese lieferten f¨ur den Sommer 1996 einen mittleren Wert f¨ur Eis von 7,6 mm/dC. Die an mehreren Standorten gemessenen und zus¨atzlich f¨ur den Sommer 1998 vorliegenden

Da-6.4 Ablationsterm 103

ten f¨ur Schneeoberfl¨achen lieferten Werte zwischen 2,7 und 5,5 mm/dC. Diese große Bandbreite weist darauf hin, wie stark die Koeffizienten bei punktuellen und kurzfristigen Messungen schwanken k¨onnen, was auf die im Laufe ihres Alte-rungsprozesses stark unterschiedlichen Eigenschaften einer Schneedecke zur¨ uck-zuf¨uhren ist. Bei kurzfristigen oder zeitlich hoch aufl¨osenden Berechnungen kann dies durchaus ein großes Problem darstellen. F¨ur die Berechnungen in dieser Ar-beit, deren W¨armesummenkoeffizienten als langzeitliche Mittel anzusehen sind, liefern die Werte aus der kanadischen Arktis aber einen guten Hinweis auf die Bandbreite der auf der Devon-Eiskappe m¨oglichen Werte.

Nimmt man vergleichbare Standorte aus Gr¨onland hinzu, so f¨allt auf, dass sich der Großteil der Schmelzfaktoren f¨ur Eis an diesen Stationen zwischen etwa 7 und 10 mm/dC bewegt (vgl. Tab. 6.7). Braithwaite (1995b) stellte bei einer Auswer-tung der ihm bekannten Koeffizienten zus¨atzlich fest, dass sich die Werte um einen mittleren Wert von etwa 8 mm/dC scharen. Genau diesen Wert nutzten auch Huybrechts et al. (1991) f¨ur ein Modell zur Berechnung des Meeresspiegelan-stiegs als Folge einer m¨oglichen Erw¨armung des gr¨onl¨andischen Eisschilds. Diese H¨aufung der Werte um 8 mm/dC l¨asst die beiden Ausreißerwerte vom EGIG-Camp und dem GIMEX-Profil besonders exotisch erscheinen. Beim Tuning des Modells zeigt sich dann auch, dass mit solch hohen Werten keine plausiblen Er-gebnisse erzielt werden k¨onnen (vgl. Kap. 6.5).

Der Koeffizient f¨ur Schnee ks ist bei allen genannten Untersuchungen deutlich niedriger als der f¨ur Eis und nimmt Werte zwischen 2,5 und 5,5 mm/dC an. Es f¨allt auf, dass das Verh¨altnis ks/ki bei Gletschern der gem¨aßigten Breiten in fast allen F¨allen gr¨oßer als 0,6 ist, w¨ahrend es sich bei Eismassen in k¨alteren Regionen zwischen 0,35 und 0,45 bewegt. Dies k¨onnte auf eine geringere Verschmutzung dieser Gletscheroberfl¨achen, eine damit eine h¨ohere Albedo und somit niedrigere Werte f¨urks zur¨uckzuf¨uhren sein.

Bandbreite der m¨oglichen Werte f¨ur die Schmelzfaktoren

Die optimalen W¨armesummenkoeffizienten f¨ur das jeweilige Massenbilanzmodell werden ¨uber ein Tuning der Parameter so bestimmt, dass die Modellergebnisse m¨oglichst gut mit den gemessenen Werten ¨ubereinstimmen (vgl. Kap. 6.5). Aus den oben angef¨uhrten Bemerkungen k¨onnen aber bereits im Voraus folgende

An-104 6. Modellparameter

merkungen zur Plausibilit¨at der Faktoren gemacht werden, die die Bandbreite der m¨oglichen Werte einschr¨anken:

• Der W¨armesummenkoeffizient f¨ur Eis ki liegt innerhalb der Bandbreite von 5,0 bis 13,8 mm/dC.

• Der Koeffizient f¨ur Schneeks bewegt sich zwischen 2,5 und 5,5 mm/dC.

• Das Verh¨altnis ks/ki bewegt sich voraussichtlich zwischen 0,35 und 0,75.