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Massenbilanz

Die Massenbilanz eines Eisk¨orpers ist die Summe aus Zutrag (meist in Form von Schnee) und Abtrag (vor allem als Ergebnis von Schmelzprozessen). Bei ihrer Berechnung unterteilt man sie meist in drei Komponenten, so dass sie sich aus der Summe aus

• Akkumulation,

• Ablation und

• wiedergefrierendem Schmelzwasser

ergibt. Die Ver¨anderung an Eis-, Firn- und Schneemasse zwischen dem gleichen Datum von aufeinanderfolgenden Jahren definiert die j¨ahrliche Massenbilanz ei-nes Kalender- oder Messjahres. H¨aufig wird jedoch der Zeitraum als

Massenbi-9

10 2. Massenbilanzen von Eismassen

lanzjahr ausgedr¨uckt: dabei nimmt ein Bilanzjahr den Zeitraum zwischen zwei aufeinanderfolgenden j¨ahrlichen Minimumzust¨anden ein. Die in jedem Jahr un-terschiedlichen Witterungsverh¨altnisse lassen das Bilanzjahr ein und desselben Gletschers dabei von Jahr zu Jahr in der L¨ange variieren. Aus dem gleichen Grund beginnt und endet das Bilanzjahr an unterschiedlichen Gletschern zu unterschied-lichen Zeitpunkten. W¨ahrend es in den europ¨aischen Alpen in der Regel Anfang Oktober beginnt, kann es in der Arktis, wie z.B. auf der Eiskappe von Devon Island, bereits Ende August starten. Probleme mit dem Konzept des Bilanzjah-res k¨onnen auftreten, wenn – wie bei vielen maritimen Gletschern – die niedrig gelegenen Gletscherbereiche auch im Fr¨uhjahr und Herbst Ablationsvorg¨angen unterliegen [Oerlemans (2001)]. Dennoch wird das Bilanzjahr als geeignetes Maß f¨ur die j¨ahrlichen Ver¨anderungen der Masse angesehen [Paterson (1994)]. In die-ser Arbeit ist bei der Massenbilanz eines bestimmten Jahres immer – wenn nicht ausdr¨ucklich anders angegeben – das Massenbilanzjahr gemeint. Obwohl dieses ver¨anderlich ist, wird darunter der Einfachheit halber f¨ur die Devon-Eiskappe immer der Zeitraum von September des Vorjahres bis August angesehen.

Man bezeichnet die j¨ahrliche Massenbilanz auch als Summe aus j¨ahrlicher Ak-kumulation und j¨ahrlicher Ablation, ausgedr¨uckt jeweils in mm Wasser¨ aquiva-lent. Sind die saisonalen Unterschiede von Temperatur und Niederschlag stark ausgepr¨agt, unterscheidet man auch gerne zwischen Winter- und Sommerbilanz.

Die spezifische Massenbilanz ist die Bilanz an einem bestimmten Punkt auf dem Gletscher oder der Eismasse. Ihre Rate wird zumeist in kg m−2a−1 oder in m(we) a−1 (Meter Wasser¨aquivalent pro Jahr) angegeben1.

Gleichgewichtslinie

Im Allgemeinen zeigen Beobachtungen auf Gletschern ein einfaches Muster: In den am niedrigsten gelegenen Zonen des Gletschers sind die spezifischen Massen-bilanzen stark negativ; mit zunehmender H¨ohe verringern sich diese negativen Raten und werden schließlich positiv. Die Bereiche mit negativer Massenbilanz nennt man auch Ablationszone, die mit positiver Bilanz auch Akkumulationszone.

Die Grenze zwischen Akkumulations- und Ablationszone wird als

Gleichgewichts-1In dieser Arbeit wird als Einheit f¨ur die Massenbilanz immer das Wasser¨aquivalent voraus-gesetzt, auch wenn es aus Gr¨unden der ¨Ubersichtlichkeit nicht in jedem Fall in die Kurzformen m/Jahr oder mm/Jahr bzw. m a−1 oder mm a−1dargestellt ist.

2.1 Einf¨uhrende Bemerkungen 11

linie bezeichnet. Sie verbindet alle Punkte auf einem Gletscher, die eine spezifische Massenbilanz von 0 haben. Befindet sich ein Gletscher im stabilen Zustand, dann wird das Missverh¨altnis zwischen Massen¨uberschuss in der Akkumulationszone und Massendefizit in der Ablationszone durch die Gletscherbewegung ausgegli-chen.

Da die H¨ohe eine so offensichtliche Rolle spielt, kommt der H¨ohenlage der Gleichgewichtslinie (equilibrium line altitude = ELA) eine besondere Bedeutung zu. Klimaver¨anderungen, die Ver¨anderungen in der Massenbilanz einer Eismasse hervorrufen, sollten auch in einer Verschiebung der Lage der Gleichgewichtslinie ablesbar sein. Nach Oerlemans (2001) ist dieses Konzept aber nur einsetzbar, wenn f¨ur die Untersuchungen der Massenbilanz gewisse N¨aherungen erlaubt sind.

Der Grund liegt hierbei in der signifikanten r¨aumlichen Variabilit¨at von Schneeak-kumulation und Schmelzen. Daher folgt die spezifische Massenbilanz nicht immer einem einfachen Muster und die Gleichgewichtslinie bildet h¨aufig keine durchge-hende Linie. Wenn jedoch eine gewisse Gl¨attung erlaubt ist, so folgt die Gleich-gewichtslinie zumindest auf gr¨oßeren Talgletschern mehr oder weniger einer Iso-hypse. Wie das Beispiel der Eiskappe von Devon Island sp¨ater zeigen wird, kann die ELA aber auf großen Eismassen, in deren Einzugsbereich die klimatischen Verh¨altnisse st¨arker variieren, durchaus in unterschiedlichen H¨ohen liegen (vgl.

dazu auch Kap. 3.3.2 und Tab. 3.2).

Die Gleichgewichtslinie ist ein mathematisches Konzept, das nicht direkt zu be-obachten ist. Eine gute Ann¨aherung an ihre Position kann man jedoch erreichen, indem man die aktuelle Schneegrenze zum passenden Zeitpunkt betrachtet. Die aktuelle (und bewegliche) Schneegrenze bewegt sich im Herbst und fr¨uhen Winter gletscherabw¨arts, je nachdem bis in welche H¨ohen der Schneefall herabreicht. Vom Fr¨uhjahr an bis zum Ende der Ablationssaison am Ende des jeweiligen Sommers wandert die Schneegrenze dann mit zunehmender Temperatur gletscheraufw¨arts.

Wenn dann ab dem Ende des Sommers kein Schmelzen mehr stattfindet, muss sich die Schneegrenze nahe der H¨ohe befinden, bei der die Winterakkumulation von der sommerlichen Ablation ausgeglichen wird, also nahe der H¨ohe der Gleich-gewichtslinie.

12 2. Massenbilanzen von Eismassen

Massenbilanzgradient

Akkumulation und Ablation variieren mit der H¨ohe. Die Raten, mit der sich die-se Gr¨oßen in Abh¨angigkeit von der H¨ohe ver¨andern, nennt man Akkumulations-bzw. Ablationsgradient. Zusammen genommen definieren sie den Massenbilanz-gradienten. Dieser folgt meist einem einfachen Muster, kann aber durch lokale Einfl¨usse ¨uberpr¨agt sein.

Der Massenbilanzgradient bildet eine Verbindung zwischen den die Ablation und die Akkumulation eines Gletschers bestimmenden Klimaeinfl¨ussen und sei-ner Dynamik2. Daher ist er ein wichtiges Maß f¨ur die Aktivit¨at eines Gletschers.

Sehr steile Massenbilanzgradienten haben ihre Ursache in großen Niederschlags-mengen im oberen Akkumulationsbereich und starken Ablationsraten im Bereich des Gletscherterminus. Mit ihnen gehen gew¨ohnlich hohe Raten an Eisdurchfluss einher [Kuhn (1984)]. Zu dieser Gruppe von Gletschern geh¨oren diejenigen der feuchten mittleren Breiten, z.B. im s¨udlichen Alaska, Westnorwegen, Neuseeland und Patagonien. Im Gegensatz dazu besitzen viele Gletscher der Antarktis und diejenigen der Hocharktis sehr kleine Massenbilanzgradienten. Deren spezifische Massenbilanz ¨andert sich mit der H¨ohe nur relativ wenig und ihre Dynamik ist eher gering. Zu diesen geh¨ort auch die Eiskappe von Devon Island. Wie stark unterschiedlich die Gradienten und die daraus resultierenden Massenbilanzprofile sein k¨onnen, zeigt die Darstellung der Massenbilanzgradienten f¨ur den Nigards-breen (Norwegen), die Devon-Eiskappe und den White Glacier (beide kanadische Arktis) in Abb. 2.1.

In den Studien dieser Arbeit spielt der Massenbilanzgradient insofern eine große Rolle, weil mit seiner Hilfe das Modell kalibriert wird, d.h. die G¨ute der Berech-nung wird daran festgemacht, wie gut gemessener und simulierter Massenbilanz-gradient ¨ubereinstimmen.