• Keine Ergebnisse gefunden

Teil 1: Gutachten

6. Bewertung verschiedener Regelungsoptionen im deutschen Recht

6.2 Voraussetzungen für Bestimmung und Änderung des Geschlechtseintrags

Nach der Grundentscheidung, ob und welche Geschlechtskategorien im Personenstandsrecht gefasst werden sollen, war im nächsten Schritt die Frage zu klären, unter welchen Vorausset-zungen der Geschlechtseintrag erstmals bestimmt und später geändert werden kann.

Da die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht wesentlich auch von der psychischen Konstitution und selbstempfundenen Geschlechtlichkeit eines Menschen abhängt, hat das Bundesverfas-sungsgericht ein „Recht auf Erkennen und Finden der eigenen Geschlechtsidentität“ aner-kannt. Dabei dürfe der Gesetzgeber die rechtliche Zuordnung zum nachhaltig empfundenen Geschlecht nicht von unzumutbaren Voraussetzungen abhängig machen.136 Dementsprechend hat das Gericht eine Reihe von Vorgaben des TSG im Laufe der Jahre für nichtig erklärt, zuletzt die Operations- und Sterilisationspflicht. Der Gesetzgeber dürfe den Geschlechtswechsel aber an einen auf objektivierte Kriterien gestützten Nachweis der Ernsthaftigkeit und existenziel-len Bedeutung des Änderungswunsches knüpfen, um beliebige Personenstandswechsel auszu-schließen.137

Die Yogyakarta-Prinzipien halten fest, die Verfahren müssten effizient, gerecht und nichtdis-kriminierend ausgestaltet sein und das Recht auf Privatsphäre achten.138 Die Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarats von 2015 fordert die Staaten auf, schnelle, transparente und zugängliche Verfahren zur Änderung des Namens und des Geschlechts in persönlichen Dokumenten zu entwickeln, die auf dem Prinzip der Selbstbestimmung basie-ren.139

Es stellt sich damit die Frage, wie der Gesetzgeber die Prinzipien von Selbstbestimmung, Zugänglichkeit und Zügigkeit im Verfahren zur Bestimmung und Änderung des Geschlechts-eintrags verwirklichen und zugleich dem Bedürfnis nach Dauerhaftigkeit und Eindeutigkeit des Personenstands Rechnung tragen kann.

Nach der oben entwickelten Lösung kann der bei Geburt mit der Kategorie „keine Angaben“

versehene Geschlechtseintrag durch einen Eintrag einer der drei benannten Kategorien („weib-lich“, „männ(„weib-lich“, „weitere Geschlechtsoptionen“) bestimmt werden. Es ist nicht ersichtlich, dass die dahinterstehenden Anliegen hinter das Bedürfnis nach Dauerhaftigkeit und Eindeu-tigkeit zurücktreten müssten.

136 BVerfG, Beschluss vom 11.01.2011, 1 BvR 3295/07, Rn. 51.

137 BVerfG, Beschluss vom 11.01.2011, 1 BvR 3295/07, Rn. 61.

138 Yogyakarta-Prinzipien (Fn. 16).

139 Parliamentary Assembly Resolution 2048 (2015) (Fn. 12).

Dass das Bedürfnis nach Dauerhaftigkeit des Personenstandes nicht so verstanden werden kann, dass der Personenstand grundsätzlich unveränderlich ist, ist mit dem TSG, aber auch mit dem Namensänderungsgesetz und anderen Gesetzen anerkannt. Ebenso wie in Verbindung mit der Eheschließungsfreiheit personenstandsrechtliche Änderungen verbunden sind, muss dies in Verbindung mit dem Recht auf Anerkenntnis der Geschlechtsidentität ebenfalls mög-lich und gegenüber dem Kontinuitätsprinzip höherrangig einzuordnen sein. Dabei dürfen auch mehrmalige Wechsel nicht ausgeschlossen werden, denn Geschlechtsidentität ist als ein Kontinuum zu verstehen, auf dem sich die graduelle Verortung auch mehrfach im Leben verändern kann.

Das Kriterium der Eindeutigkeit kann auf die Funktion des Registers bezogen werden, gestützt durch die Richtigkeitsvermutung aus § 54 PStG, eindeutige Auskunft über Personenstandsver-hältnisse wie die abstammungs- und partnerschaftsrechtlichen Beziehungen zwischen Men-schen zu geben. Durch die Erweiterung der Geschlechtskategorien und die Erleichterung der Änderung des Geschlechtseintrags würde die Eindeutigkeit nur dann gefährdet, wenn abstam-mungsrechtliche Beziehungen nicht mehr eindeutig zu fassen wären – etwa die Frage, in welchem abstammungsrechtlichen Verhältnis eine zeugende Transfrau zu ihrem biologischen Kind steht. Wird das Familienrecht an die Realität inter- und transgeschlechtlicher Eltern-schaft angepasst,140 besteht die Gefahr mangelnder Eindeutigkeit des Personenstands durch Änderungen des Geschlechtseintrags nicht.

Verhindert werden müssen dann nur noch „beliebige“, d. h. missbräuchliche und rein situative Wechsel. Missbräuchlich wäre etwa eine Änderung des Geschlechtseintrags, die nur angestrebt wird, um aus der Änderung einen Vorteil zu ziehen und anschließend ins Ausgangsgeschlecht zurückzuwechseln. Als Missbrauchsgefahr bei einem vereinfachten Geschlechtswechsel wird auch die Verschleierung der Identität etwa bei Straftaten genannt. Allerdings erscheint frag-würdig, ob zu diesem Zweck der Personenstandswechsel angestrebt würde, welcher register-rechtliche Spuren hinterlässt, oder eher der Weg über gefälschte Identitäten und Dokumente.

Zur Verhinderung missbräuchlicher Wechsel kommen verschiedene Elemente bei der Ausge-staltung des Verfahrens in Betracht.

6.2.1 Nachweispflichten bezüglich der Ernsthaftigkeit des Änderungsbegehrens

Medizinisch-psychiatrische Nachweispflichten

Die Etablierung medizinisch-psychiatrischer Nachweispflichten sind weitreichende Ein-schränkungen des Prinzips der Selbstbestimmung. Malta, Argentinien, Dänemark und Irland141 setzen im Rahmen ihrer Rechtsänderungen nur noch die Selbsterklärung und keinen medizinischen Nachweis mehr voraus. Die psychiatrischen Diagnoseverfahren nach dem TSG bilden eine erhebliche zeitliche und psychische Hürde und werden von transgeschlechtlichen Menschen als starke Belastung wahrgenommen.142 Zudem kommt es in den Ergebnissen nur

140 Siehe dazu unten Kapitel 6.3.

141 Nur für volljährige Personen, für 16- bis 18-jährige Personen wird zudem eine ärztliche Bescheinigung über Reife und Transition gefordert.

142 Adamietz/Bager (2017) (Fn. 8) mit weiteren Nachweisen.

äußerst selten zu Abweichungen von der Selbstdefinition.143 Hinsichtlich intergeschlechtlicher Menschen hat die im Rahmen des Gutachtens durchgeführte Evaluation ebenfalls auf Proble-me hingewiesen, wenn Änderungsverfahren von Proble-medizinischen Unterlagen und Begutachtun-gen abhängig gemacht werden.144

Insofern sollte der Gesetzgeber medizinisch-psychiatrische Nachweispflichten nur dann in Betracht ziehen, wenn keine anderen, hinsichtlich des Selbstbestimmungsprinzips mildere Mittel zur Verfügung stehen, um „beliebige“ Wechsel auszuschließen.

Pflichtberatung

Adamietz/Bager haben den Vorschlag entwickelt, auf den Nachweis einer spezialisierten Pflichtberatung abzustellen.145 Dies wäre eine das Primat der Selbstbestimmung schonende Lösung, die sich zugleich auf ein objektiviertes Kriterium stützt. Diese Lösung setzt allerdings voraus, dass als Pendant zur Beratungsverpflichtung ein Recht auf Beratung und flächende-ckend zugängliche Möglichkeiten zur Beratung zur Verfügung stehen.146

Selbsterklärung

Wie auch in Malta, Argentinien, Dänemark und Irland ist ebenfalls ein Abstellen auf eine Selbst-erklärung der Person in einem genauer zu bestimmenden behördlichen Verfahren denkbar. Zu berücksichtigen ist dabei, dass sich Befürchtungen wiederholter Wechsel oder Missbrauchsfälle bislang als unbegründet erwiesen haben, wie Studien und Erfahrungen in anderen Ländern, die ihre entsprechenden Gesetze bereits geöffnet haben, zeigen. Auch in Deutschland bilden derzeit Rückwandlungsbegehren nur 1 % der Verfahren nach dem TSG.147

Wartefristen

Ein weiteres denkbares Instrument zur Absicherung der Ernsthaftigkeit des Änderungsbegeh-rens ist die Voraussetzung von Wartefristen. So sieht Dänemark vor, dass nach Antragstellung eine sechsmonatige „Reflexionsperiode“ verstreichen muss, nach welcher der Antrag erneut bekräftigt wird. Eine andere Option ist die Regelung, dass seit der Änderung des Geschlechts-eintrags eine bestimmte Zeitspanne verstrichen sein muss, bevor ein weiteres Änderungsbe-gehren zulässig ist.

Die generelle Wartefrist vor der Eintragung der Änderung schränkt allerdings die Zugänglich-keit und ZügigZugänglich-keit des Verfahrens ein. Sie trägt auch dem Umstand unzureichend Rechnung, dass der Entscheidung einer transgeschlechtlichen Person, ihren Geschlechtseintrags zu ändern, häufig ein konkreter Anlass zugrunde liegt (etwa eine bevorstehende Reise oder ein Arbeitsplatzwechsel, die zur Verhinderung von Diskriminierung oder zur Wahrung der Intim-sphäre geänderte Personaldokumente notwendig machen). Diese Anlassbezogenheit ist nicht mit mangelnder Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Änderungsbegehrens gleichzusetzen.

143 Die Begutachtung von 670 Gutachten aus den Jahren 2005 bis 2014 ergab, dass in weniger als 1 % der Fälle dem Gericht die Ablehnung des Antrags empfohlen wird (Meyenburg, Bernd/Renter-Schmidt, Karin/Schmidt, Gunter (2015): Begutachtung nach dem Transsexuellengesetz. Auswertung von Gutachten dreier Sachverständiger 2005–2014, in: Zeitschrift für Sexualforschung 2015/28, S. 107–120).

144 Siehe oben Kapitel 4.2.2.

145 Ausführlich mit Begründung Adamietz/Bager (2017) (Fn. 8).

146 Vgl. §§ 2, 3 Schwangerschaftskonfliktgesetz.

147 Meyenburg/Renter-Schmidt/Schmidt (Fn. 143).

Anders ist es jedoch in Fällen, in denen eine Person anlassbezogen eine Änderung des Geschlechts-eintrags anstrebt, um aus dieser Änderung einen Vorteil zu ziehen und anschließend in das Aus-gangsgeschlecht zurückzuwechseln. Diesen missbräuchlichen Änderungen kann durch eine ange-messene Wartefrist zwischen zwei Änderungsanträgen entgegengewirkt werden.

Gebühren

Angesichts der grundrechtsverwirklichenden Funktion der Bestimmung oder Änderung des Geschlechtseintrags verbietet sich eine Steuerung über die Abschreckungswirkung hoher Gebühren.148 Deshalb wird im hier entwickelten Gesetzentwurf vorgesehen, dass die erstmali-ge Bestimmung des Eintrags erstmali-gebührenfrei erfolgt und für die Änderung des Eintrags zur Deckung des Verwaltungsaufwandes Gebühren und Auslagen erhoben werden können.

6.2.2 Regelungen für Minderjährige und sonstige in der Geschäftsfähigkeit beschränkte oder geschäftsunfähige Personen

Träger des Grundrechtes auf Anerkennung der Geschlechtlichkeit und selbstbestimmten Geschlechtsidentität ist jeder Mensch, also auch Minderjährige und sonstige in der Geschäfts-fähigkeit beschränkte oder geschäftsunfähige Personen.149 Insofern muss der Gesetzgeber auch regeln, wie und unter welchen Voraussetzungen die Rechte zur Eintragung und Änderung des Geschlechtseintrags durch diese Personen ausgeübt werden können, sofern dies nicht die allgemeinen Regeln für diese Personengruppen bereits mitumfassen.

Einer Vertretungsbefugnis der gesetzlichen Vertreter_innen von geschäftsunfähigen und in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Personen steht die Höchstpersönlichkeit der Erklärung über die Geschlechtsidentität entgegen;150 zu regeln ist daher die Zustimmungsbedürftigkeit der Erklärung des Kindes durch die gesetzlichen Vertreter_innen. Zudem sollte der Gesetzge-ber das Alter festlegen, ab dem die minderjährige Person ohne Mitwirkung der Eltern handeln und den Geschlechtseintrag bestimmen kann. Denkbar ist hierfür eine Anlehnung an die Regelungen zur religiösen Selbstbestimmung. Auch wenn die Geschlechtsfindung mit 14 Jahren noch nicht unbedingt abgeschlossen ist, sollte die geschlechtliche Identität anerkannt und eine entsprechende Bestimmung des Geschlechtseintrags zugelassen werden, zumal diese nicht unwiderruflich, sondern erneut änderbar ist.

6.2.3 Entwickelter Normierungsvorschlag

Auf der Grundlage der Bewertung der dargestellten Regelungsoptionen sieht der im Rahmen des Gutachtens entwickelte Gesetzentwurf ein standesamtliches Verfahren zur Bestimmung und Änderung des Geschlechtseintrags vor, das auf Selbsterklärung der Person beruht. Auf weitere Nachweis- und behördliche Prüfpflichten wird verzichtet. Zur Verhinderung missbräuchlicher mehrfacher Wechsel dient eine Frist von 12 Monaten, die seit der Eintragung der letzten Ände-rung verstrichen sein muss. Anträge von Kindern, die geschäftsunfähig oder noch nicht 14 Jahre

148 Vgl. analog zum Recht auf Informationsfreiheit § 10 Absatz 2 Informationsfreiheitsgesetz, hierzu auch BVerwG, Urteil vom 20.10.2016, 7 C 6.15.

149 Vgl. zur Grundrechtsträgerschaft Di Fabio, Udo (2016): Kommentierung Artikel 2 Absatz 1 GG, in: GG-Kommen-tar. Hrsg. Maunz/Dürig, 78. Ergänzungslieferung, Rn. 10, und Herdegen, Matthias (2016): Kommentierung Artikel 1 Absatz 1 GG, in: GG-Kommentar. Hrsg. Maunz/Dürig, 78. Ergänzungslieferung, Rn. 52 f.

150 Als subjektives Recht, das seinem Wesen nach so eng mit der Person des Berechtigten verbunden ist, nicht übertragbar; für das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist anerkannt, dass es sich um ein höchstpersönliches Recht handelt.

alt sind, bedürfen der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter_innen. In der Geschäftsfähigkeit beschränkte Kinder über 14 Jahren können ohne Mitwirkung der Eltern handeln.