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Teil 1: Gutachten

6. Bewertung verschiedener Regelungsoptionen im deutschen Recht

6.4 Regelungen im Abstammungs- und Partnerschaftsrecht

Wie dargestellt, bedarf es Änderungen im Abstammungs- und Partnerschaftsrecht, um de lege lata Personen ohne Geschlechtseintrag und Personen mit einer personenstandsrechtlichen Änderung nach dem TSG sowie de lege ferenda Personen mit dem Geschlechts eintrag „weitere Geschlechtsoptionen“ oder dem Eintrag „keine Angaben“ rechtssicher zu berücksichtigen.

6.4.1 Abstammungsrecht

Im Abstammungsrecht betrifft dies die Regelungen zur Elternschaft. Angesichts der umfang-reichen Reformdiskussionen unter den Expert_innen des vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz organisierten Arbeitskreis Abstammungsrecht155 wurden im Rah-men des Gutachtens lediglich Lösungen für die bessere Berücksichtigung inter- und transge-schlechtlicher Eltern entwickelt, die in die in Vorbereitung befindliche umfassende Reform des Abstammungsrechts integriert werden können.

151 Siehe in Kapitel 5.3.1.

152 Bundesrat (Fn. 103); GFMK, Beschlüsse (Fn. 103).

153 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005, 1 BvL 3/03, Rn. 48.

154 So wurde die Hinzufügung eines weiblichen Vornamens zu einem männlichen trotz Hinweis auf eine entspre-chende transgeschlechtliche Identität einer intergeschlechtlichen Person abgelehnt (BVerwG, Beschluss vom 19.05.2016, BVerwG 6 B 38.15).

155 https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2015/02092015_AK_Abstammung.html

Eine Option ist die völlige Ablösung der geschlechtsspezifischen Bezeichnungen und Voraus-setzungen im Abstammungsrecht (Mutter/Frau, Vater/Mann) durch geschlechtsneutrale Bezeichnungen, die an die Fortpflanzungsfunktion anknüpfen.156 So enthält das Familienrecht eines australischen Bundesstaats bzw. Territoriums etwa keine geschlechtsspezifischen For-mulierungen mehr im Abstammungsrecht, sondern knüpft an die Fortpflanzungsfunktion an.157

Vor dem Hintergrund der Realität von Geschlechtervielfalt bietet sich als Abstammungsindi-kator stärker als Geschlecht die Fortpflanzungsfunktion an, die nicht dem binären Verständ-nis von Geschlechterfunktionen entsprechen muss und weder zwingend mit Geschlechtsiden-tität noch dem personenstandsrechtlichen Geschlecht übereinstimmt.158

Eine weniger weitreichende Option läge darin, die Begriffe Mutter und Vater personenstands-rechtlich beizubehalten und lediglich in den Legaldefinitionen in §§ 1591, 1592 BGB die geschlechtsbezogenen Voraussetzungen zu streichen und die Begriffe Frau und Mann durch eine geschlechtsneutrale Bezeichnung (Person) zu ersetzen. Vorteile dieser Lösung wären der geringere Folgeänderungsbedarf im Familienrecht sowie die starke gesellschaftliche Veranke-rung der Konzepte Mutterschaft und Vaterschaft.

Andererseits würde damit die Elternschaft von Menschen, die sich außerhalb des binären Systems verorten, nicht gleichberechtigt anerkannt. Schwerer wiegt noch, dass in Konstellatio-nen gebärender Transmänner oder zeugender Transfrauen der Schutz der Intimsphäre vor ungewollter Offenbarung unzureichend gewahrt wäre, da sie in der Geburtsurkunde dennoch als Mütter oder Väter ausgewiesen wären. Letzterem könnte begrenzt durch eine Erstreckung des Offenbarungsverbotes auf die Geburtsurkunde abgeholfen werden, indem – wie in Malta oder Australien – die Geburtsurkunde der Kinder dem gewählten Geschlechtseintrag der Eltern angepasst wird oder auf der Geburtsurkunde die geschlechtsneutrale Bezeichnung Eltern ausgewiesen wird.159

Die Ablösung der geschlechtsspezifischen Bezeichnungen und Voraussetzungen durch

geschlechtsneutrale Begriffe und Definitionen, die an die Fortpflanzungsfunktion anknüpfen, könnte mit dem Grundrecht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft inklusive seiner geneti-schen Abstammung aus Artikel 2 Absatz 1 i. V. m. Art. 1 Absatz 1 GG kollidieren. Auch in Arti-kel 7 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention ist das Recht des Kindes verankert, seine Eltern zu kennen.

Begrenzt der Gesetzgeber durch das familienrechtliche Statusrecht die Möglichkeiten, die genetische Abstammung klären zu lassen, greift er in das Persönlichkeitsrecht betroffener Kinder ein.160 Die Formulierung fortpflanzungsbezogener statt geschlechtsspezifischer

Voraus-156 Ebenso Helms (Fn. 56), S. 22; Remus (Rn. 58).

157 Bezeichnung der Elternteile als „birth parent“ und „other parent“; zudem können Elternteile frei wählen, wie sie auf der Geburtsurkunde der Kinder bezeichnet werden möchten (Australian Capital Territory).

158 Vgl. zum Verhältnis Geschlecht und Fortpflanzungsfunktion im Recht: Theile (Fn. 58), S. 49.

159 So bereits zum geltenden Recht unter Berufung auf das Offenbarungsverbot AG Münster, Beschluss vom 04.01.2016, 22 III 12/15, S. 7.

160 Di Fabio (Fn. 149), Rn. 212.

setzungen für das Abstammungsrecht begrenzt diese Möglichkeit jedoch gerade nicht. Denn noch immer würde das Recht daran anknüpfen, welche Person das Kind geboren hat, und der genetische Erzeuger könnte entsprechend § 1592 Nummer 3 BGB festgestellt werden. Erstreckt man das Persönlichkeitsrecht des Kindes plausiblerweise auch über die genetische Abstam-mung hinaus auf die Kenntnis, welcher der Elternteile es ausgetragen und geboren und wel-cher es gezeugt hat, kann auch dies, etwa durch Bezugnahme auf den „gebärenden“ und den

„anderen“ Elternteil im Personenstandsregister, ohne geschlechtsspezifische Zuordnung gewährleistet werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat es als berechtigtes Anliegen des Gesetzgebers bezeichnet, zu verhindern, dass rechtlich dem männlichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder gebären oder rechtlich dem weiblichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder zeugen, weil dies dem Geschlechtsverständnis widerspricht und weitreichende Folgen für die Rechtsordnung hat.

Angesichts des weitreichenden Eingriffs in das Recht auf körperliche Unversehrtheit durch die Sterilisationsverpflichtung im Rahmen des TSG sei der körperlichen Unversehrtheit jedoch größeres Gewicht beizumessen.161 Das Bundesverfassungsgericht verweist in seiner Abwä-gungsentscheidung zwar auf die rechtlichen Möglichkeiten, Kinder dennoch rechtlich ihrer Mutter oder ihrem Vater zuzuweisen, verpflichtet aber – anders als in der Rechtsprechung zum Teil rezipiert162 – den Gesetzgeber nicht, dies sicherzustellen.

Damit wird eine Ablösung des Abstammungsrechts von geschlechtsbezogenen Begriffen auch sowohl dem Schutz der Intimsphäre transgeschlechtlicher Eltern vor ungewollter Offenba-rung als auch den Interessen der Kinder an einer Geburtsurkunde, die nicht die Transge-schlechtlichkeit der Person, die ihn geboren hat, offenbart163, am besten gerecht, da sie für alle Eltern und Kinder gilt.

6.4.2 Regelungen zu rechtlich geschützten Partnerschaften

Das Recht, mit einer Person seiner Wahl eine dauerhafte Partnerschaft einzugehen und diese in einem der dafür gesetzlich vorgesehenen Institute rechtlich abzusichern, ist Bestandteil des Persönlichkeitsrechts.164

Dies könnte für inter- und transgeschlechtliche Menschen einerseits durch ein Öffnen der Institute Ehe und Lebenspartnerschaft unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit erfol-gen.165 Alternativ könnte nur die Lebenspartnerschaft geöffnet werden.166 In Ländern, in denen das Institut der Ehe allen Paaren offensteht wie Dänemark, Argentinien und Irland, ist ein geänderter oder offengelassener Geschlechtseintrag für die Eheschließung und das Fortbeste-hen der Ehe unerheblich. Auch in Deutschland ist die Diskussion um die

geschlechtsunabhän-161 BVerfG, Beschluss vom 11.01.2011, 1 BvR 3295/07, Rn. 68 ff.

162 KG Berlin, Beschluss vom 30.10.2014, 1 W 48/14.

163 Vgl. KG Berlin, Beschluss vom 30.10.2014, 1 W 48/14.

164 BVerfG, Beschluss vom 11.01.2011, 1 BvR 3295/07, Rn. 53; BVerfGE 115, 1, 24.

165 Helms (Fn. 56) S. 17, mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Theilen (2014) (Fn. 66), 337 f.

166 So der Vorschlag des Deutschen Ethikrats für intergeschlechtliche Menschen mit einer dritten Geschlechtskate-gorie, Deutscher Ethikrat (Fn. 6), Empfehlung 9.2.3.

gige Öffnung des Instituts der Ehe bereits weit fortgeschritten; es ist zweifelhaft, ob verfas-sungsrechtliche Gründe gegen eine solche Lösung sprechen.167

6.4.3 Entwickelter Normierungsvorschlag

Im Abstammungsrecht werden die geschlechtsspezifischen Bezeichnungen und Voraussetzun-gen durch geschlechtsneutrale BezeichnunVoraussetzun-gen, die an die Fortpflanzungsfunktion anknüpfen, ersetzt. Die Institute der Ehe und der Lebenspartnerschaft werden geschlechtsunabhängig für alle Partnerschaften geöffnet.