• Keine Ergebnisse gefunden

Vogelschwarm

Im Dokument Visuelle Kontrolle der Lokomotion (Seite 132-139)

Methoden

In methodischer Hinsicht entspricht dieses Experiment weitgehend dem Schneesturm-Experiment. Die Änderungen lagen vor allem in der Präsenta-tion der Szenerie.

Damit die dunklen Vogelfiguren deutlich gegen den Hintergrund zu erkennen waren, wurde der Himmel als blaue-weiße Wolkenstruktur prä-sentiert (Abbildung 4.5.). In einem vor dem Fahrer mitbewegten Volumen von 1000 x 1200 x 100 m (Breite, Tiefe, Höhe) wurden 500 Vögel zufällig plat-ziert. Das waren deutlich weniger als die 5000 Elemente des Schneevolu-mens, denn nur bei dieser reduzierten Anzahl konnte eine zufrieden-stellende Aktualisierungsrate von 36 Hz erreicht werden. Das Volumen wurde in der Breite ausgedehnt, da in diesem Experiment die Szene auf der Projektionsfläche einen horizontalen Bereich von 180˚ einnahm. Bei der ursprünglichen Volumenbreite von 500 m wäre die Vogeldichte in den seitli-chen Bereiseitli-chen sehr ausgedünnt gewesen.

Die Grundversion der Vögel bestand aus einem einfachen Modell (Abbildung 4.5.). Das Modell war 2.7 m lang, 3.5 m breit, und 0.8 m hoch.

Aus dieser Grundversion wurden uniform skalierte Versionen abgeleitet, deren Größe zufällig zwischen 50% und 150% der Grundversion variierte.

Die Vogelmodelle waren somit verhältnismäßig groß, da sie auch bei größe-rem Abstand zum Beobachter noch gut erkennbar sein sollten.

Der Vogelschwarm hatte eine Eigengeschwindigkeit relativ zum Grund, die das 1.5-fache der Geschwindigkeit des Fahrers betrug. Die Vögel vollzo-gen gleichzeitig eine sinusoidale Bewegung in vertikaler Richtung, mit einer Frequenz von 1.32 Hz und Amplituden von 0.44 m bei einer Geschwindig-keit des Fahrers von 60 km/h, und 0.66 Hz und Amplitude von 0.22 m bei 30 km/h. Die Phase der sinusoidalen Vogelbewegung war für jeden Vogel zufällig, so dass die Vögel sich entlang der vertikalen Richtung teilweise gegenläufig bewegten, und in Verbindung mit der Eigengeschwindigkeit der Eindruck entstand, die Vögel bewegten sich aus eigenem Antrieb vor-wärts. Wenn die Vögel sich quer zum Fahrer bewegten, änderten sie entspre-chend auch ihre Orientierung. Die seitliche Bewegung setzte während einer der kurzen Dunkelperioden (250 ms) abrupt ein.

Jede Versuchsperson absolvierte 54 Durchfahrten, aufgeteilt auf drei Ver-suchsblöcke. Jeder Durchgang war 25 Sekunden lang. Die 36 Durchgänge mit seitlichem Vogelflug, waren eine Kombination aus 3 Versuchsblöcken, 2 Geschwindigkeiten des Fahrers (30 und 60 km/h), 3 Exzentrizitäten des Expansionsfokus des Vogelschwarms (iFOE-Exzentrizität von 15˚, 30˚ und 45˚), und 2 Richtungen des iFOE (links oder rechts der Fahrtrichtung). Jede

Durchfahrten wurden die Fahrer auf der Fahrbahn versetzt, wie im vorigen Experiment beschrieben. Die Abfolge der Bedingungen wurde innerhalb eines Versuchsblocks randomisiert. Zwischen den Versuchblöcken wurden einige Minuten Pause eingelegt.

Vier Versuchspersonen im Alter zwischen 26 und 31 Jahren (Mittelwert 28.8) nahmen an diesem Experiment teil. Keiner hatte am vorigen Experi-ment teilgenommen. Alle waren lizenzierte Fahrer und nur eine Person gab an nicht mehrmals wöchentlich ein Fahrzeug zu benutzen. Die Vergütung der Probanden betrug 15 DM/h.

Ergebnisse

Die Differenzen in der lateralen Position zwischen dem Einsetzen der seitlichen Vogelschwarmbewegung und 5 Sekunden später wurde einer Varianzanalyse unterzogen. Diese ergab einen signifikanten Effekt des Fak-tors Richtung des irrelevanten Expansionsfokus, F(1,4) = 18.30, p = 0.023, und einen Effekt des Versuchsblocks,F(2,6) = 6.53,p = 0.031.

Abbildung 4.5.Ansicht des dreidimensionalen Vogelmodels und des Fahrszenarios. Oben:

Das vereinfachte Modell eines Vogels bestand aus 66 Dreiecken und 98 Vertizes. Unten:

Fahrszenario mit entgegenfliegenden und querfliegenden Vogelvolumen. Die Flugrichtung des Vogelschwarms ist auch gut durch die Orientierung der einzelnen Vögel zu erkennen.

Wie der Abbildung 4.6. zu entnehmen ist, steuerten die Fahrer systema-tisch in Richtung des iFOE, also in Gegenrichtung zur Vogelschwarmbewe-gung. Die Abweichung, die sie nach 5 Sekunden erreichten, war bei der höheren Geschwindigkeit größer, diesmal jedoch nur nominal. Die Interak-tion zwischen der Richtung des iFOE und der Geschwindigkeit war nicht signifikant,F(1,3) = 5.670, p > 0.05. Bei 60 km/h beobachtete man im Mittel eine Positionsänderung von 0.145 m, und bei 30 km/h nur noch 0.036 m. In Abbildung 4.7. ist die Geschwindigkeitsabhängigkeit auch über die Ver-suchsblöcke dargestellt. Wie man sieht, trennen sich die Mittelwerte der ein-zelnen Faktorenstufenkombinationen, trotz der fehlenden statistischen Signifikanz, recht konsistent. Der signifikante Effekt Versuchsblock ist gra-phisch in Abbildung 4.8. dargestellt. Der Faktor Versuchsblock war für sich allein signifikant, ohne eine Wechselwirkung mit der Richtung des iFOE.

Insofern ist dieser Effekt nicht unmittelbar mit den unterschiedlichen Rich-tungen der Vogelschwarmbewegung in Verbindung zu bringen.

In der Abbildung erkennt man, dass die Signifikanz dieses Faktors sehr wahrscheinlich auf eine im Mittel stärkere Abweichung nach rechts im ers-ten Versuchsblock zurück zu führen ist. Zwar zeigte sich ein Effekt des Fak-tor Versuchblock in der Varianzanalyse als signifikant, post-hoc Vergleiche aller dreier Mittelwerte mit einer Bonferroni-Korrektur ergaben dagegen kei-nen signifikaten Mittelwertsunterschied (allep> 0.05). Bei der geringen Zahl

Abbildung 4.6.Laterale Positionsänderung nach Einsetzen der Vogelschwarmbewegung:

Hauptergebnis der Richtung des iFOE. Wenn der iFOE des Vogelschwarms links von der Fahrtrichtung liegt, geht die Vogelschwarmbewegung nach rechts: Die Fahrer steuern in diesem Fall nach links (), und umgekehrt. Gestrichelten Linien stellen±1 Standardschätz-fehler der lateralen Position dar. N = 4.

0 1 2 3 4 5

−0.2

−0.1

0

0.1

0.2

Zeit nach Okklusion (s)

Laterale Positionsänderung

Fokus links Fokus rechts

an Versuchspersonen und den relativ wenigen Wiederholungen, die in diese Mittelwerte eingingen, sollte diesem Effekt keine besondere Bedeutung bei-gemessen werden.

Abbildung 4.7. Laterale Positionsänderung getrennt aufgetragen nach Geschwindigkeit, Richtung und Versuchsblock. Die Interaktion zwischen Richtung des Expansionsfokus und Geschwindigkeit ist nicht signifikant (p= 0.098), bestätigt jedoch tendenziell die Ergebnisse des vorigen Experimentes (siehe auch Abbildung 4.3.). Helle (dunkle) Markierung stellen die Mittelwerte der Bedingungen, in denen der iFOE links (rechts) von der Fahrtrichtung lag.

Geschwindigkeiten: = 30 km/h,= 60 km/h.

Abbildung 4.8.Effekt des Versuchsblocks. Der signifikante Unterschied der Positionsän-derung zwischen den Versuchsblöcken scheint insbesonders auf die insgesamt stärkere Reaktion nach rechts im ersten Versuchblock zurück zu gehen.

1 2 3

−0.5

0

0.5

Versuchsblock

Laterale Positionsänderung (m)

1 2 3

−0.2

−0.1

0

0.1

0.2

Versuchsblock

Laterale Positionsänderung (m)

Zusammenfassung und Diskussion

Dieses Kontrollexperiment konnte zusätzliche Evidenz dafür liefern, dass die systematische Abweichung von der Straßenmitte in die Richtung des irrelevanten Expansionsfokus aufgrund der visuellen Bewegung geschieht, und nicht aufgrund einer Kompensationsreaktion auf vermuteten Seitenwind.

Die hier beobachteten Abweichungen waren etwas kleiner als im vori-gen Versuch. Jedoch wurde ein bewegtes Feld simuliert, das weit weniger Elemente enthielt und dabei ein etwas größeres Volumen hatte. Insgesamt war demnach die Dichte der Elemente deutlich reduziert. Es ist nicht überra-schend, wenn dadurch die Fahrer einen geringeren Bewegungseindruck hat-ten. Tendenziell wurde auch die Abhängigkeit der lateralen Abweichung von der Vorwärtsgeschwindigkeit bestätigt. Ferner gleichen sich die Resul-tate beider Experimente, indem sie keinen systematischen Einfluss der Exzentrizität des irrelevanten Expansionsfokus zeigen, und auch keine Reduktion der Abweichung über den Versuchszeitraum. Der letztgenannte Befund zeigt, dass die Fahrer auf diese Beeinflussung nicht adaptiert oder dagegen kompensiert haben. Die mangelnde Kompensation könnte auch darin liegen, dass viele Fahrer sich von der seitlichen Flussbewegung gar nicht beeinflusst sahen.

Aufgrund der Resultate des Schneesturm- und Vogelscharm-Experi-ments soll der beobachtete Effekt als etabliert und genügend exploriert betrachtet werden. Die Gründe für die beobachteten Abweichungen von der Geradeausfahrt aufgrund der visuellen Bewegung genauer zu untersuchen, ist die Aufgabe der folgenden zwei Abschnitte (Kapitel 5 „Heading oder subjektives Geradeaus” und Kapitel 6 „Blick und Bewegungsrichtung”).

K

A P I T E L

5

CHAPTER5

H EADING ODER

Im Dokument Visuelle Kontrolle der Lokomotion (Seite 132-139)