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ASA - subjektives Geradeaus

Im Dokument Visuelle Kontrolle der Lokomotion (Seite 153-158)

Die visuelle egozentrische Lokalisation von Objekten in der Umwelt ist für das alltägliche motorische zielgerichtete Handeln ein äußerst wichtiger Prozess. Die Bedeutung erkennt man daran, dass wenn die egozentrische Lage künstlich verändert wird, zielgerichtetes Handeln anfangs enorm erschwert wird oder ganz versagt. Eine große Anzahl an experimentellen Arbeiten im Bereich der sensomotorischen Adaptation zeugen davon, in dem sie die Methode der prismatischen Verzerrung verwendeten. Dabei wird durch das Tragen einer Prismenbrille beispielsweise die Lage eines Objektes für eine Person versetzt, was dazu führt, dass die Person in die Richtung greift, in der sie das Objekt in egozentrischen Koordinaten sieht, und es folglich verfehlt. Es erfordert ein gewisse Zeit und einiges an Übung um sich auf solche Veränderung einzustellen (ein schöne Einführung ist Welch, 1978).

Die Fähigkeit, Objekte in einem egozentrischen Koordinatensystem zu lokalisieren, impliziert, dass es auch möglich ist angeben zu können, in wel-cher Richtung bezüglich unseres Körper geradeaus liegt. Dafür wurde von Dichgans und Brandt (1978) der Begriff dessubjektiven Geradeausgeprägt, als deutsche Bezeichnung für das englischeapparent straight ahead(ASA). Im fol-genden soll ASA als Akronym für die Lage des subjektiven Geradeaus ste-hen. Die Adjektive „subjektiv” bzw. „apparent” deuten darauf hin, dass die Richtung, die als Geradeaus empfunden wird, veränderbar ist. Davon wird im übernächsten Abschnitt noch die Rede sein.

Egozentrische Lokalisation als Alternative zum optischen Fluss

Wenn es zur Interaktion mit Objekten einer zuverlässigen egozentri-schen Lokalisation bedarf, ist dann diese Fähigkeit nur im Nahbereich not-wendig, oder ist sie auch von Bedeutung für weiter entfernte Ziele, weit außerhalb des Greifraumes? Bezogen auf die Frage, welche Hinweisreize zur Kontrolle der Lokomotion benutzt werden, wurde die egozentrische Lokali-sation als Alternative zur Optischen-Fluss-Theorie vorgeschlagen. In einer einfachen aber folgenreichen Untersuchung lieferten Rushton und seine Kol-legen einen ersten deutlichen Beleg (Rushton et al., 1998). Die Interpretation dieser Befunde rief sowohl bei den Advokaten der Optischen-Fluss-Theorie wie auch bei den Gegnern zahlreiche Reaktionen hervor (siehe Korrespon-denzteile inTrends in Cognitive Sciences, 3(12), 1999, S. 449-450; und 5(1), 2001, S. 6-9).

In dieser Studie wurde der Weg von Versuchspersonen bestimmt, die zu einem stationären Ziel laufen mussten, wobei jedoch die scheinbare Position des Ziels durch das Tragen einer Prismenbrille verändert wurde (Rushton et al., 1998). Die Autoren beobachteten, dass die Versuchspersonen anfangs diejenige Richtung einschlugen, die mit der scheinbaren Position des Ziels übereinstimmte. Befanden sie sich dann in der Vorwärtsbewegung, regulier-ten die Personen ihre Laufrichtung so, dass das Ziel immer mit ihrem ASA übereinstimmte. Sie versuchten also das Ziel über die gesamte Laufstrecke direkt anzulaufen. Die Strecke von Anfangs- bis Zielpunkt resultierte somit in einem gekrümmten Weg. Die Autoren fanden keinen Hinweis, der die Nutzung von optischem Fluss nahelegen konnte: Während der Vorwärtsbe-wegung hätten die Personen auf eine optische Fluss Strategie umsteigen können, nach welcher beispielsweise diejenige Richtung eingeschlagen wird, die das Ziel mit dem Expansionsfokus zur Deckung bringt. Stattdessen ermittelten die Autoren, dass zu jedem Zeitpunkt auf dem Weg zum Ziel, die aktuelle Laufrichtung in etwa um den gleichen Winkel vom Ziel abwich, um den auch die Umwelt durch die Prismenbrille versetzt wurde (siehe auch Abbildung 5.6.).

Gemäß der starken Version der egozentrischen Erklärung für die Kon-trolle der Lokomotion wird postuliert, dass die einzige Information, die man benötigt, die wahrgenommene egozentrische Richtung des Ziels ist. Oder anders gesagt: Man gelangt von hier nach dort, indem man sich zum „dort”

ausrichtet und einfach darauf zu läuft.

Diese Arbeit in der Folge stark kritisiert worden. Die Kritik betraf in ers-ter Linie die verwendete Methode und zentrierte um drei Punkte. Erstens hatten die Probanden, als sie loslaufen mussten, nur Informationen über die Richtung des Ziels, deshalb war ein Anfangsfehler unausweichlich. Erst

während der späteren Eigenbewegung konnte überhaupt optischer Fluss genutzt werden. Zweitens wurde das Experiment auf einer Rasenfläche durchgeführt, die wenig Kontrast besaß und wenig optischen Fluss erzeugte. Drittens verursachen Keilprismen, wie sie benutzt worden sind, außer der Versetzung der Szene, asymmetrische Verzerrungen innerhalb des Bildes. Auf der Seite des Prismenspitze (Apex) wird das Bild gedehnt, und auf der Seite der Prismenbasis komprimiert. Ferner fehlt ein kleiner exzent-rischer Bildbereich auf der Apexseite. Da durch diese Verzerrungen vor allem der periphere optische Fluss verändert wird, wird auch jede flussba-sierte Strategie beeinflusst, die nicht nur den Expansionsfokus, sondern die gesamte Struktur des optischen Flusses verwendet (Lappe, Bremmer, & van den Berg, 1999a).

Folgerichtig entstanden weitere Arbeiten, die die starke Version der ego-zentrischen Erklärung herausforderten. Die drei bis zum jetzigen Zeitpunkt publizierten Zeitschriftenartikel ziehen allesamt den gleichen Schluss: Die egozentrische Lage eines Ziels und der optische Fluss werden gleichzeitig verwendet. Im Normalfall stehen beide Informationsquellen in keinem Kon-flikt, da sie die gleiche Richtung anzeigen. Bietet die Umgebung reichhalti-gen optischen Fluss an, dann wird eher optischer Fluss verwendet und in einer wenig strukturierten Umwelt richten sich die Personen eher nach der egozentrische Richtung aus (Harris & Carre, 2001; Warren et al., 2001; Wood et al., 2000).

Abbildung 5.6.Lokomotion während prismatischer Versetzung. a: Ein Prismenkeil versetzt die scheinbare Richtung eines anzusteuernden Ziels um einen Winkel α (im Experiment von Rushton et al., 1998, warα= 16˚). b: Aufgrund der wahrgenommenen Richtung laufen die Versuchspersonen auf gekrümmten Wegen zum Ziel. c: Der Winkel zwischen der momentanen lokomotorischen Achse und der tatsächlichen Lage des Ziels, entspricht zu jedem Zeitpunkt ungefähr dem Winkelα.

Ziel Ziel Ziel

α

Ziel

a b c

Beeinflussung des subjektiven Geradeaus

Das subjektive Geradeaus (ASA) wird als eine Richtung in der medialen Ebene einer Person aufgefasst, die am Rumpf der Person zentriert ist. Die Bestimmung des ASA ist dabei vergleichsweise einfach. Probanden müssen mit einem Zeigeinstrument geradeaus auf eine Wand zeigen, oder eher indi-rekt, eine sichtbare Markierung auf einer Wand oder einem Bildschirm in die gewünschte Position bewegen. Mit diesen Verfahren wurde in der Vergan-genheit in einer Reihe von Arbeiten festgestellt, dass das ASA unter bestimmten Umständen veränderbar ist. Das ASA und die egozentrische Position von Objekten kann sich beispielsweise während der Augenbewe-gungen und bei exzentrischen Augenfixationen verschieben (Lewald &

Ehrenstein, 2000; Morgan, 1978). Bei anhaltender Fixation nach links, ver-schiebt sich auch das subjektive Geradeaus nach links. Durch Druck auf das Auge (Bridgeman & Graziano, 1989), durch Vibration der Nackenmuskeln oder durch kalorische Stimulation des Ohrs (Karnath, Sievering, & Fetter, 1994) wurden ebenfalls solche Effekte erzielt.

Im Zusammenhang mit der egozentrischen Erklärung der Lokomotions-kontrolle wurde die Hypothese formuliert, ob die Ergebnisse, die auf eine systematische Wirkung des optischen Flusses hindeuten, eventuell durch eine implizite Beeinflussung des ASA zu Stande gekommen sind. Nach die-ser Hypothese wäre dann die Wirkung des optischen Flusses nur indirekt und nicht ursächlich (Rushton & Salvucci, 2001). Es ist schon seit längerem bekannt, dass durch rein visuelle Stimulation die empfundene Körperlage und das ASA beeinflusst werden können. (Bei exzentrischen Augenpositio-nen und Augenbewegungen sind die Ursachen dabeinicht -visueller Natur, da die Verschiebung wahrscheinlich über die Augenmuskeln vermittelt wird). Dietzel und Roelofs1beobachteten unabhängig voneinander das nach ihnen benannte Phänomen, dass das ASA jeweils eine Tendenz zur Mitte eines visuellen Stimulus hat (zitiert nach Bridgeman, Peery, & Anand, 1997;

Bruell & Albee, 1955). Aber auch mit dynamischen visuellen Stimuli wurde eine Beeinflussung gezeigt. In Studien zur zirkulären Vektion konnte, neben der Empfindung von Eigenrotation auch eine Verschiebung des ASA in Richtung der Rotationsbewegung der Trommel gemessen werden (Brecher, Brecher, Kommerell, Sauter, & Sellerbeck, 1972; Dichgans & Brandt, 1978). In Abhängigkeit von der Geschwindigkeit der optokinetischen Stimulation konnte eine Verschiebung des ASA bis zu ca. 10˚ erreicht werden.

1) Roelofs, C. O. (1935). Optische Lokalisation.Arch. Augenheilk., 109, 395-415.

Dietzel, H. (1924). Untersuchungen über die optische Lokalisation der Mediane.Z. f. Biol., 80, 289 - 316.

Post und Heckmann (1986) verglichen den zeitlichen Verlauf von indu-zierter Bewegung und ASA und fanden ebenso eine Verschiebung des ASA in Richtung des bewegenden Hintergrunds. Die Verschiebung des ASA erfolgte dabei nicht sprunghaft, sondern konnte über einen Zeitraum von bis zu einer Minute auf eine Abweichung von 20˚ zunehmen. Wurde die Hinter-grundbewegung angehalten, benötigte die Rückführung des ASA auf die ursprüngliche Richtung einen vergleichbaren Zeitraum. Ziel dieses Experi-ments war es, zwischen zwei Interpretation der induzierten Bewegung zu unterscheiden: der objekt-relativen und der subjekt-relativen Erklärung (Bros-gole, 1968). Nach der objekt-relativen Interpretation, sieht man induzierte Bewegung, weil sich ein Objekt und ein Hintergrund relativ zueinander bewegen. Wird der Hintergrund vom Beobachter als stationär interpretiert, kann sich folglich nur das Objekt bewegt haben. Die subjekt-relative Inter-pretation dagegen nimmt an, dass der bewegte Hintergrund das subjektive Geradeaus der beobachtenden Person in die gleiche Richtung verschiebt.

Relativ zu dieser, nun verschobenen, Geradeaus-Richtung scheint das Objekt eine Bewegung in Gegenrichtung gemacht zu haben. Zwar finden Post und Heckmann (1986) eine Verschiebung des ASA, doch diese kann nicht die subjekt-relative Interpretation stützen. Während die Verschiebung der Geradeaus-Richtung eine Sättigung erreichte, finden die Autoren dass, die Empfindung der induzierten Bewegung weiterhin anhielt.

Die Hypothese für das nachfolgende Experiment war, ausgehend von der geschilderten Evidenz für eine Beeinflussung des ASA, auch unter den Bedingungen des Schneesturm-Experiments (Kap. 4) zu prüfen, ob eine sol-che Verschiebung auftritt und welsol-che Größe diese besitzt. Ebenso sollte der zeitliche Verlauf durch wiederholte Messungen beobachtet werden. Die erzielten Ergebnisse lassen sich dann direkt mit den Ergebnissen des vorigen Experimentes zur Headingschätzung vergleichen. Der einzige wesentliche Unterschied zum vorigen Experiment lag in der Instruktion der Probanden.

Hier sollten sie einfach die Markierung auf der Leinwand so positionieren, dass sie exakt in ihrer subjektiven Geradeaus-Richtung lag.

Methoden

Bis auf zwei Unterschiede entspricht die Versuchdurchführung exakt den Methoden im vorigen Experiment zur Headingschätzung (siehe Seite 128 ff). Die Versuchspersonen wurden instruiert, eine erscheinende Markierung genau in ihreGeradeaus-Richtungzu platzieren. Die Dauer eines Durchgangs betrug hier ca. 120-140 Sekunden. In dieser Zeit wurden 6 ASA-Schätzung während der lateralen Schneefeldbewegung abgegeben, und anschließend 6 Schätzungen bei einem rein radialen Schneefeld ohne seitli-che Bewegung. Während im vorigen Experiment die Straße drei

Orientie-rungen bezüglich der Leinwandmitte hatte, wurde hier die Straße immer zentral präsentiert. Alle restlichen experimentellen Faktoren waren gleich.

Die Anzahl der Durchgänge wurde beibehalten, und wegen der Reduktion des experimentellen Designs um einen Faktor, konnten die Faktorstufen-kombinationen drei Mal wiederholt werden.

Zehn Probanden wurden untersucht. Die Probanden saßen auf einem Stuhl, der zentral zur Leinwand ausgerichtet war. Sie wurden gebeten auf dem Stuhl möglichst aufrecht mit dem Rücken an der Rücklehne zu sitzen, diese Position während des Experiments beizubehalten und dabei immer beide Füße auf dem Boden zu lassen. Wie im vorigen Experiment trugen die Versuchpersonen ein präparierte Skibrille, die das Gesichtsfeld so ein-schränkte, dass nicht gleichzeitig die obere und untere Begrenzung der Lein-wand sichtbar war.

Im Dokument Visuelle Kontrolle der Lokomotion (Seite 153-158)