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Vertikale Integration: Forschung zum Problemlösungsprozeß des Globalen Wandels

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153 Entscheidungsorientierte Aufbereitung der Probleme C 7.2

• Implementierung. Im Anschluß an die Vereinba-rung internationaler Abkommen stellt sich die Frage nach deren Umsetzung und Durchführung (Implementierung) sowie nach Möglichkeiten der Sanktionierung. Die dabei auftretenden Hinder-nisse sind angesichts der Tatsache, daß Problemlö-sungsprozesse gerade in diesem Stadium oft stag-nieren, genauer zu analysieren (Kap. C 7.6).

• Entscheidungs- und Risikoforschung. Übergrei-fend zur Begleitforschung bzgl. der genannten Elemente des Entscheidungsprozesses, vor allem aber zur Trägerproblematik und zur Wirksamkeit der Instrumente, sind Entscheidungs- und Risiko-forschung voranzutreiben, da sie zwei spezifische Merkmale des Problemlösungsprozesses zum Globalen Wandel untersuchen: das Problem der Konsensfindung bei teilweise fundamentalen In-teressensgegensätzen sowie den Umgang mit un-sicherem Wissen (Kap. C 7.7).

Im folgenden werden die zu den hier geschilder-ten Schritgeschilder-ten bestehenden Forschungsansätze analy-siert und wichtige Forschungslücken aufgezeigt.

Nicht behandelt wird an dieser Stelle die Frage, wel-che Institutionen diese Forschung leisten können.

Aussagen hierzu finden sich an anderen Stellen des Gutachtens. In Kap. C 8 schlägt der Beirat beispiels-weise ein deutsches Strategiezentrum für den Globa-len Wandel vor, das nicht zuletzt auch übergreifende Aufgaben dieser Art zu übernehmen hätte.

7.2

Entscheidungsorientierte Aufbereitung der Probleme

In diesen Aufgabenbereich gehört die gesamte auf das Identifizieren, Erklären und Prognostizieren glo-baler Umweltprobleme ausgerichtete Forschung zur Natur- und Anthroposphäre. Über die Aufbereitung konkreter Umweltprobleme hinaus lassen sich u.a.

folgende allgemeine Erfordernisse skizzieren:

• Bei der Problembeschreibung und -erklärung sind unterschiedliche Perspektiven (verschiedene Dis-ziplinen, Akteure, Problemwahrnehmungen und Erklärungsansätze etc.) zu berücksichtigen; dies erfordert einen Diskurs zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit.

• Es sind geeignete Informationssysteme aufzubau-en, die insbesondere die Verbindungen zwischen den Sektoren und Teilbereichen stärken.

• Diese Systeme müssen auf Frühwarnung ausge-legt sein.

• Umweltpolitische Entscheidungen zu GW-Phäno-menen stellen generell Entscheidungen unter Un-sicherheit dar. Entsprechende Entscheidungspro-zesse werden im Rahmen der Entscheidungs- und

Risikoforschung (siehe auch Kap. C 7.7) aus den Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen be-handelt.

Wegen der Komplexität der globalen Probleme sind vorrangig Methoden zu entwickeln bzw. zu diffe-renzieren, die bei der Abschätzung von Ursachen und Wirkungen integrativ vorgehen (z.B. Syndrom-ansatz, siehe Kap. C 2). Daher sind die Systemanaly-se und die mit ihr im Zusammenhang stehende Mo-dellierung und Simulation von komplexen Systemen dringlich fortzuentwickelnde Methoden.

7.3

Leitbildentwicklung und Zielforschung

Seit UNCED (1992) ist das Leitbild sustainable development eine für die Völkergemeinschaft ver-bindliche Programmatik geworden. Dies erfordert die Einbindung aller nationalen Umweltpolitiken in den Orientierungsrahmen dieses Konzepts (WBGU, 1993; SRU, 1994). Auch die verwendeten Ziele und Zielfindungsverfahren müssen sich daher am Kon-zept der nachhaltigen Entwicklung orientieren, das eine systemare Betrachtung von ökologischen, öko-nomischen und soziokulturellen Aspekten verlangt.

Die Commission on Sustainable Development (CSD) hat die Aufgabe, an der Konkretisierung des Kon-zepts, insbesondere auch im Wege der Indikatoren-bildung zu arbeiten und die Einhaltung der Zusagen von Rio zu überwachen.

Für die Zielformulierung des Nachhaltigkeitskon-zepts kann bereits auf einige Ansätze im Bereich der nationalen Umweltpolitik zurückgegriffen werden.

Sowohl das Umweltgutachten des SRU (1994) als auch der Bericht der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ (1994) zeigen mög-liche Wege, aber auch die bestehenden Defizite bei Umsetzung und Quantifizierung der Ziele im Sinne einer nachhaltigen bzw. dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung auf.

Auf der Basis einer systemaren Betrachtung sowie der Erkenntnis, daß Problemlösungen in der Anthro-posphäre ansetzen müssen, erachtet der Beirat fol-gende Ziele für den Bereich der globalen Umwelt-politik als wesentlich:

• Gesellschaftliche Entwicklung darf nicht allein als Steigerung des materiellen Wohlstands begriffen werden: global müssen die Ernährungs- und Ge-sundheitssituation sowie die Bildungsmöglichkei-ten entscheidend verbessert werden.

• Eine schrittweise Angleichung der materiellen und immateriellen Lebensbedingungen zwischen hochentwickelten und weniger entwickelten Län-dern muß angestrebt werden (intragenerationelle Gerechtigkeit).

154 C 7 Vertikale Integration: Forschung zum Problemlösungsprozeß

• Eine besondere Forschungsaufgabe ist die Be-rücksichtigung der Interessen zukünftiger Gene-rationen (intergenerationelle Gerechtigkeit).

Die Erarbeitung eines solchen Leitbilds ist ein dis-kursiver Prozeß, der für Anpassungen über die Zeit offen ist. Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung kann nicht als eine für alle Zeiten feste Zielgröße de-finiert werden, sondern ist als Ausdruck gesellschaft-licher Werte einem zeitlichen Wandel unterworfen.

Gerade über Leitbilder, die letztlich Anweisungen für ein angemessenes umweltbezogenes Handeln darstellen, muß auf allen gesellschaftlichen Ebenen eine breite Diskussion geführt werden, schon allein, um die notwendige Akzeptanz für die erforderlichen Verhaltensänderungen sicherzustellen, aber auch, um das kreative Potential partizipativer Prozesse auszuschöpfen.

Trotz intensiver Diskussion des Leitbilds ist der Gehalt des Konzepts einer nachhaltigen, zukunftsfä-higen (WBGU, 1993) bzw. dauerhaft-umweltgerech-ten (SRU, 1994) Entwicklung nicht ausreichend kon-kretisiert. Auch über die Operationalisierung des Leitbildes, dessen Umsetzung vielfältige Kompeten-zen erfordert (SRU, 1994 und 1996), besteht weder in Deutschland noch der EU und erst recht nicht auf globaler Ebene Konsens. Erforscht werden müssen daher sowohl die Barrieren, die einer Konkretisie-rung dieses Zielsystems gesellschaftlicher Entwick-lung direkt entgegenstehen, als auch die Alternativen zur Überwindung dieser Barrieren, z.B. Formen um-weltverträglicher Lebensstile.

Der Ansatz des Beirats hierzu ist die Orientierung an einem „Leitplanken-Modell“ (Kap. C 2) als Alter-native zu einer Fixierung eines detaillierten „Endzu-stands“. Dieses Modell baut auf einem Politikansatz auf, der Begrenzungen festlegt, aber innerhalb dieser Begrenzungen freie Entscheidungen zuläßt. Hier ist es insbesondere Aufgabe der Forschung zu klären, in-wiefern Leitbilder und Ziele konkreter Umweltkon-ventionen diesem Prinzip entsprechen (Kap. B 3.7).

Ein weiterer Gegenstand der Forschung zu dem The-ma ist die Anpassung dieses Modells an zusätzliche, interdisziplinär zu bearbeitende Begrenzungen unter ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten.

Ein großes Defizit bei der Forschung zu Zielfin-dungsprozessen sieht der Beirat in der mangelhaften Berücksichtigung und Konkretisierung der Bedürf-nisse zukünftiger Generationen. Hier muß internatio-nal und interdisziplinär und unter Berücksichtung ethischer Aspekte Forschung zur Abschätzung zu-künftiger Bedürfnisse geleistet werden, z.B. der Legi-timation einer Diskontierung des Nutzens späterer Generationen (siehe auch Kap. B 3.6.4.1).

Inwieweit der Ansatz des Stoffstrommanage-ments, der von der Enquete-Kommission des Deut-schen Bundestags vorgeschlagen wird, die

Hand-lungsregeln auch unter globalen Gesichtspunkten er-gänzt oder aber zu weiteren Regeln führen müßte, sollte ebenfalls eingehender untersucht werden. Die als Ziel vorgegebene Forderung, Ökosysteme sollten nur im Rahmen ihrer Aufnahme- oder Tragekapazi-tät belastet werden, führt zu der Frage, wie weit die-se Inanspruchnahme aus Vorsorgegründen oder aus dem Zwang zur intergenerationellen Gerechtigkeit gehen darf. Hierzu besteht Forschungsbedarf mit be-sonderem Augenmerk auf Irreversibilitäten.

7.4

Forschung zu Trägern globaler Umweltpolitik Während bei den übrigen Elementen des Ent-scheidungsprozesses beim Übergang von nationalen zu globalen Umweltproblemen eine graduelle Erhö-hung der Komplexität vorliegt, ist die Trägerproble-matik auf der zwischenstaatlichen Ebene durch eine qualitativ andere Dimension gekennzeichnet (Zim-mermann, 1992). So gibt es z.B. keine zentrale, durch-setzungsfähige Instanz für globale Umweltpolitik.

Am ehesten würde man im Sinne einer übernationa-len Institution an UN-Institutionen denken. Deren Aufgabe ist allerdings vor allem Koordination, nicht aber Anordnung und Sanktion. Die nationalen Trä-ger einer globalen Umweltpolitik keiner souveränen

„Weltregierung“ untergeordnet sind, können sie ihre jeweiligen Einzelinteressen zu jedem Zeitpunkt ein-bringen. Folglich muß der unterschiedliche Grad der Betroffenheit, sei es als Verursacher, sei es als Ge-schädigter, in die strategischen Überlegungen mit eingehen, ebenso wie die besondere Rolle des Politi-kers. Ein vielversprechendes Analyseinstrumentari-um, das sich mit interdependenten Entscheidungssi-tuationen bei partiell kontroversen Interessen und der Möglichkeit zu kooperativem Verhalten befaßt, ist die Spieltheorie.

Eine weitere wichtige Forschungsfrage betrifft die Interessen der Akteure im Rahmen bestehender bzw. geplanter Konventionen. In welchem Maße sind diese Interessen durch Entwicklungsstand, durch ge-sellschaftliche Werte, religiöse oder ethnische Zuge-hörigkeit geprägt? Welche Akteure sind einem Kon-zept der weltweiten Verantwortlichkeit zugänglich?

Was ist zu tun, um unter höchst unterschiedlichen Voraussetzungen zu einvernehmlichen Lösungen bei GW-Problemen zu gelangen?

155 Forschung zu Instrumenten globaler Umweltpolitik C 7.5

7.5

Forschung zu Instrumenten globaler Umweltpolitik

Der charakteristische Unterschied zwischen den Instrumenten einer nationalen und einer globalen Umweltpolitik (siehe Kap. B 3.6.4.1) hängt mit der qualitativen Besonderheit der Träger zusammen:

Weil es keine „Weltregierung“ gibt, müssen die In-strumente auf der internationalen Ebene vergleichs-weise „weich“ sein. Erst bei der Durchsetzung im einzelnen Land können dann wieder die bekannten Instrumente der Umweltpolitik zum Einsatz kom-men, wie Ordnungsrecht, Abgaben, Haftungsrecht, aber auch Maßnahmen der Umweltbildung. Bei der Diskussion der Instrumentierung einer wirksamen GW-Politik ist daher die traditionelle Einschränkung auf ordnungsrechtliche versus marktwirtschaftliche Instrumente dahingehend zu erweitern, daß auch pä-dagogisch-psychologische Ansätze und Strategien der Verhaltensänderung (im Sinne einer breit ver-standenen Umweltbildung, siehe WBGU, 1996) als Instrumente der Umweltpolitik eingesetzt werden.

Darüber hinaus ist zu prüfen, inwieweit andere Formen der internationalen „Instrumentierung“ hel-fen können, Ziele der globalen Umweltpolitik zu er-reichen. Hierzu könnten Deklarationen, „runde Ti-sche“, aber auch nationale Maßnahmen wie Zertifi-zierungen (z.B. das Symbol „Teppich ohne Kinder-arbeit“) eingesetzt werden. Des weiteren ist zu unter-suchen, inwieweit der Ausbau einer internationalen Wirtschaftsordnung über die Neuregelung des inter-nationalen Haftungsrechts, Operationalisierung des Begriffs „Öko-Dumping“, internationale Zertifika-te-Modelle etc. zur stärkeren Berücksichtigung öko-logischer Belange beisteuern kann. Auch sollten der Einsatz von informatorischen Instrumenten und vor allem des Öko-Audits gemäß der EU-Verordnung in ihrer Anwendbarkeit auf globale Probleme unter-sucht werden (WBGU, 1996).

Des weiteren ist die interdisziplinäre Forschung zu den globalen Konventionen auszubauen (siehe Kap. B 3.7.2.1). So gibt es zwar bereits umfangreiche Forschung über das Zustandekommen, die Themen-setzung (agenda setting) und die internen Prozesse von Umweltkonventionen (regime formation), aber die Probleme ihrer Umsetzung und Wirksamkeit (re-gime implementation, re(re-gime effectiveness) sind erst ansatzweise bearbeitet. Hier sind insbesondere poli-tik- und rechtswissenschaftliche Forschungsansätze mit dem Theorieansatz der politischen Ökonomie zu verbinden. Sie sollten sich auf folgende Schwerpunk-te konzentrieren:

• Regimebildung (regime formation). Hierzu gibt es bereits eine Reihe von Studien zu den Themen

„Seerecht“, „Ozon“ und „Klima“. Zukünftig ist es wichtig, die Verhandlungsprozesse der Klima-, Desertifikations- und der Biodiversitätskonventi-on systematisch nachzuvollziehen und jene vBiodiversitätskonventi-on geplanten Übereinkommen (Wälder, Böden, Ge-wässer) vorausschauend zu erforschen.

• Themenbesetzung (agenda setting). Der Prozeß des agenda setting ist eine wesentliche und bisher nur wenig erforschte Voraussetzung der Entste-hung von Umweltregimen. Dabei geht es um die Frage, wie Themen auf die internationale Politik-agenda gelangen, wer Themen „vergibt“, begrün-det und gegebenenfalls gegenüber anderen The-men durchsetzt.

• Wirksamkeit von Umweltregimen (regime effecti-veness, regime implementation). Neben Forschung zu den Entstehungsvoraussetzungen von Umwelt-regimen ist es notwendig, vermehrt Erkenntnisse über ihre Wirkung zu gewinnen. Hierzu müssen vor allem im Bereich der empirischen Politikwis-senschaft Methoden zur Erfassung und Messung von Effektivität entwickelt werden.

7.6

Forschung zur Implementierung internationaler Vereinbarungen

Nach Beschluß einer globalen Konvention bzw. ei-nes Protokolls, sind u.a. folgende Aufgaben zur Um-setzung bzw. DurchUm-setzung zu lösen, ohne die ein Er-folg internationaler Vereinbarungen nicht gewährlei-stet ist:

• Interpretation der vertraglichen Grundlagen.

• Konkretisierung der vereinbarten Ziele.

• Diskussion und Bewertung der einzusetzenden Instrumentarien.

• Überprüfung der vereinbarten Koordinations-und Abstimmungsmechanismen.

• Verifikation der individuellen Beiträge eines Lan-des zu internationalen Vereinbarungen.

• Definition und Durchsetzung von Sanktionen.

Die wirksame Erfüllung dieser Aufgaben muß durch Forschung begleitend unterstützt werden. Zu dieser Thematik liegen bisher erst wenige For-schungsergebnisse vor.

7.7

Entscheidungs- und Risikoforschung

Der Problemlösungsprozeß des Globalen Wan-dels gestaltet sich aufgrund zweier spezifischer Merkmale besonders schwierig. Zum einen stehen sich bei der Problemlösung souveräne Staaten mit oft stark divergierenden Interessen gegenüber. Zum

156 C 7 Vertikale Integration: Forschung zum Problemlösungsprozeß

anderen sind bei der Entscheidungsfindung häufig keine gesicherten Erkenntnisse verfügbar (siehe die Hinweise zur Unsicherheit der Wissensbasis auch im jüngsten IPCC-Bericht, 1996).

Diese den Problemlösungsprozeß erschwerenden Aspekte werden vor allem von der Risiko- und Ent-scheidungsforschung genauer untersucht. So be-schäftigt sich die Risikoforschung mit der Wahrneh-mung, Bewertung und Akzeptanz von Risiken. Im Rahmen des Problemlösungsprozesses spielt sie so-mit bereits bei der Identifizierung von Umweltpro-blemen eine wichtige Rolle. Des weiteren ist die Wahl der Instrumente und Träger von der jeweiligen Einschätzung der Risiken abhängig. Zu diesen Pro-blemkomplexen sieht der Beirat noch großen For-schungsbedarf, der neben der expliziten Risikofor-schung auch Dilemma- und WerteforRisikofor-schung, For-schung zu Verhaltensdeterminanten, zu Steuerungs-und Interventionssystemen, zur Wirkung von Me-dien- und Kommunikationsstrategien sowie zu um-weltbezogenen Bewertungsmethoden umfaßt.

In der Entscheidungsforschung lassen sich zwei Ansätze unterscheiden. Zum einen gibt es sozial-und verhaltenswissenschaftliche Ansätze, z.B. For-schung zu Wirkungen von Mediationsverfahren oder zur „Entscheidung unter Unsicherheit“, wobei der Aspekt des ungesicherten Wissens und sein Einfluß auf Entscheidungssituationen analysiert wird (siehe Kap. B 3.8.2.3 und B 3.8.4.1). Zum anderen gibt es eine normativ geprägte und eher formal ausgerichte-te Entscheidungstheorie, die insbesondere von Wirt-schaftswissenschaftlern entwickelt worden ist. Für beide Ansätze gilt es, den Stand der Anwendung der jeweiligen Methoden und Verfahren bei Entschei-dungsprozessen zu globalen Problemen zu untersu-chen. Die dabei gewonnenen Erfahrungen sollten bei der Weiterentwicklung der vorliegenden Ansätze be-rücksichtigt werden. Dabei ist eine verstärkte Zu-sammenarbeit von Wirtschafts-, Sozial- und Verhal-tenswissenschaften sowie Ethik anzustreben.

8

8.1

Erfordernisse

Umweltforschung ist problemorientiert und eher synthetisch als analytisch. Das gilt verstärkt für die GW-Forschung mit ihren erdumspannenden Ansät-zen. Nach welchen Prinzipien kann die notwendige problemorientierte Synthese verwirklicht werden?

Der wiederholte Ruf nach Vernetzung, interdiszipli-närem Denken und Kooperation reicht sicherlich nicht aus, gesucht sind vielmehr organisatorisch-strukturelle Grundsätze und Instrumente, die eine Ganzheitsbetrachtung des Globalen Wandels ermög-lichen.

Für die Anforderungen an die zukünftige Organi-sation der GW-Forschung in Deutschland lassen sich prinzipiell mehrere Aspekte formulieren:

• Neue Formen der Definition von Forschungsthe-men. Aus den Phänomenen des Globalen Wandels ergeben sich komplexe Problemstellungen, die kooperativ analysiert und auf bearbeitbare Pro-jekte aufgeteilt werden müssen. Dies kann z.B. im Rahmen des vom Beirat entwickelten Syndrom-konzepts geschehen.

• Neue Formen der Durchführung von Forschung.

Die Forderung nach mehr inter- bzw. transdiszipli-närer Forschung legt nahe, daß Forscher in stärke-rem Maße in Gruppen arbeiten und regionale und überregionale Forschungsgruppen sowie For-schungsnetzwerke aus verschiedenen Instituten (inter-institutionelle Forschung) temporär gebildet werden.

• Neue Formen der Forschungsbegutachtung. Insbe-sondere für die Behandlung komplexer, disziplin-übergreifender Themen ist das bisherige System der Begutachtung auf Defizite und Strukturfehler hin zu überprüfen. Empfohlen wird eine Begut-achtung im Team, analog zum Vorgehen bei Son-derforschungsbereichen.

• Anpassung der Forschungsfinanzierung. Neue Forschungsansätze (insbesondere disziplinüber-greifende Forschung, Forschung mit räumlich und/oder zeitlich erweiterten Themen, z.B. bei

Längsschnittstudien) erfordern eine Anpassung der finanziellen Ausstattung, um den von ihnen er-warteten Zusatznutzen erbringen zu können. So müssen Mittel für eine interdisziplinaritätsför-dernde Infrastruktur und für die Anregung trans-disziplinärer „Übersetzungsprozesse“ bereitge-stellt werden. Dies kann unter den zur Zeit gege-benen Finanzrestriktionen nur teilweise durch

„neue“ Mittel erfolgen.Wichtig ist daher der flexi-ble Einsatz von Projektmitteln.

Wichtige Prämissen für die Diskussion über derar-tige neue Anforderungen an die Förderung und Or-ganisation der GW-Forschung sind:

• Forschung zum Globalen Wandel beschäftigt sich mit den Wechselbeziehungen zwischen Natur- und Anthroposphäre und betrifft somit die meisten wissenschaftlichen Disziplinen. Sie ist in den ver-schiedenen Disziplinen jedoch höchst unter-schiedlich weit ausgebaut: Während sie in den Na-turwissenschaften bereits gut entwickelt ist, be-steht ein Nachholbedarf vor allem bei den Sozial-und Verhaltenswissenschaften, den Wirtschafts-, Rechts- und Politikwissenschaften (siehe Kap. B 3.6 - 3.8).

• Der bisherigen GW-Forschung fehlt es – aus ver-schiedenen Gründen – vor allem an Problemlö-sungskompetenz. Da Problemlösungen immer an der Anthroposphäre ansetzen, kann eine pro-blemlösungsorientierte Forschung nicht ohne die Erkenntnisse der kulturwissenschaftlichen For-schung auskommen. Problemlösungen, die das Handeln einzelner Menschen betreffen, sind pri-mär lokaler Art, so daß für die auf Intervention bezogene Forschung eine Trennung zwischen GW-Forschung und „sonstiger“ Umweltforschung nicht (immer) sinnvoll zu treffen ist.

• Die Wissenschaft muß einerseits erfahren, welche Entscheidungen Politik, Verwaltung, Industrie, etc. hinsichtlich globaler Umweltprobleme treffen müssen. Sie muß den jeweiligen Bedarf in For-schungsfragen umsetzen, die multi- bzw. interdis-ziplinär und konkurrierend (Konkurrenz zwi-schen Konzepten, methodizwi-schen Zugängen etc.) zu bearbeiten sind. Auf der anderen Seite müssen

Forschungsorganisation

158 C 8 Forschungsorganisation

die Ergebnisse der GW-Forschung entscheidungs-relevant „übersetzt“, aufbereitet und kommuni-ziert werden, damit sie eine Chance haben, politik-und handlungsrelevant zu werden.

8.2

Von der multidisziplinären zur transdisziplinären Forschung

Die Konzeption, Förderung und Durchführung von Forschung erfolgt noch immer überwiegend auf der Grundlage traditioneller Denkschemata, mit dis-ziplinären Grenzen, Weltbildern und Methoden als Orientierungsmarken. Auch in explizit interdiszipli-när angelegten Programmen findet ein Diskurs über Disziplingrenzen hinweg nur parallel zur Projektbe-arbeitung statt. Eine inter- bzw. transdisziplinäre Per-spektive hingegen – von der Definition und Be-schreibung der Probleme über die Konzeption und Bearbeitung von Forschungsprojekten bis hin zur nutzerorientierten Aufbereitung und Kommunika-tion der Ergebnisse – ist bisher nicht oder nur ansatz-weise auszumachen.

Die Gründe für diese disziplinäre Ausrichtung sind vielfältig: Neben der über Jahrzehnte gewachse-nen, einzelwissenschaftlich orientierten Struktur der universitären Forschung und Lehre ist die überwie-gend disziplinäre Orientierung der Forschungsförde-rung zu nennen. Auch die bei Stellenbesetzungen ge-übte Praxis sowie die daraus resultierenden man-gelnden Karrierechancen für interdisziplinär arbei-tende Wissenschaftler sorgen für eine Perpetuierung der disziplinären Struktur in der deutschen For-schungslandschaft. Der erreichte hohe Spezialisie-rungsgrad in den meisten Disziplinen tut ein übriges zur Entstehung immer kleinerer „Nischen“, die oft-mals nur von wenigen Forschern oder Forschergrup-pen „besetzt“ sind, deren Theorien, Inhalte und Er-gebnisse aber gegenüber Vertretern anderer Diszi-plinen, ja oftmals schon innerhalb des eigenen Fachs immer weniger kommunizierbar zu sein scheinen.

Eine weitere Hürde für eine inter- bzw. transdiszipli-näre GW-Forschung stellt die Heterogenität der be-teiligten Disziplinen dar, bezüglich der Theorien und Konzepte, der zugrundegelegten Prämissen und Menschenbilder sowie der verwendeten Methoden.

Und selbst wenn alle äußeren Hindernisse ausge-räumt werden können, bedarf es immer noch der Be-reitschaft der einzelnen Forscher, Zeit und Interesse für die Rezeption und Auseinandersetzung mit

„fachfremden“ Theorien, Inhalten und Ergebnissen aufzuwenden, um interdisziplinäres Arbeiten zu er-möglichen.

Es ist daher kaum verwunderlich, wenn der erfor-derlichen Interdisziplinarität der GW-Forschung in

der Realität bestenfalls ein multidisziplinäres

„Patchwork“ gegenübersteht, das zudem meist nur lose Verbindungen zwischen den einzelnen diszipli-nären Forschungen aufweist.

Probleme im Umweltbereich tun uns „häufig nicht den Gefallen, sich als Probleme für disziplinäre Spezialisten zu definieren“ (Mittelstraß, 1989). Viel-mehr wollen sie zunächst selbst definiert sein, was durch die unterschiedlichen disziplinären Perspekti-ven zwar schwierig, unter der Prämisse einer Pro-blemlösungsorientierung der Forschung jedoch un-abdingbar ist. Für dieses multi-perspektivische Vor-gehen, das bei der Problemdefinition beginnt und von dort aus zu einer veränderten Forschungspraxis führen muß, wurde der Begriff der Transdisziplina-rität geprägt. TransdisziplinaTransdisziplina-rität hebt die disziplinä-ren Parzellierungen auf und erlaubt so einen neuen Blick auf die Probleme. Damit wird disziplinäre

Probleme im Umweltbereich tun uns „häufig nicht den Gefallen, sich als Probleme für disziplinäre Spezialisten zu definieren“ (Mittelstraß, 1989). Viel-mehr wollen sie zunächst selbst definiert sein, was durch die unterschiedlichen disziplinären Perspekti-ven zwar schwierig, unter der Prämisse einer Pro-blemlösungsorientierung der Forschung jedoch un-abdingbar ist. Für dieses multi-perspektivische Vor-gehen, das bei der Problemdefinition beginnt und von dort aus zu einer veränderten Forschungspraxis führen muß, wurde der Begriff der Transdisziplina-rität geprägt. TransdisziplinaTransdisziplina-rität hebt die disziplinä-ren Parzellierungen auf und erlaubt so einen neuen Blick auf die Probleme. Damit wird disziplinäre

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