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Versorgungsqualität von US-amerikanischen „Gesundheitseinrichtungen“ in ärztlichem

E. Einzelfragen

V. Etwaiger Zusammenhang zwischen Trägertyp (insbesondere Fremdbesitz) und

4. Versorgungsqualität von US-amerikanischen „Gesundheitseinrichtungen“ in ärztlichem

a) (Fehl-)Anreize bei Gesundheitseinrichtungen in ärztlichem Eigenbesitz

Zusätzlich zu den erwähnten Studien zu Krankenhäusern verschiedener Trägerschaft gibt es einen Strang in der internationalen gesundheitsökonomischen Literatur, der speziell die Unterschiede zwischen Ärzten als Eigentümern und allen anderen Eigentümertypen untersucht und teilweise auf den oben ausgeführten wirtschaftsethischen Überlegungen basiert. Ausgangspunkt dieser Un-tersuchungen ist die Verlagerung bestimmter medizinischer Behandlungen (z. B. orthopädische, chirurgische oder kardiologischen Behandlungen) von Allgemeinkrankenhäusern („general hos-pitals“) in spezialisierte Krankenhäuser oder spezialisierte ambulante Behandlungseinrichtungen in den USA, die dort in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einsetzte.220 Eine

216 Wübker/Wuckel, CESifo Economic Studies 2019, S. 373 ff.

217 Diesen Zusammenhang finden Doyle et al., Journal of Political Economy, Vol. 123 (2015), in einer Studie von Kran-kenhäusern verschiedener Qualitätsstandards.

218 Doyle et al. Journal of Political Economy, Vol. 123 (2015), S. 170ff. versuchen dieses Selektionsproblem zu überwin-den, indem sie die Einlieferung in ein Krankenhaus als nicht primär vom Patientenwillen abhängig erachten, sondern von dem per Zufall gewählten Krankenwagenunternehmen. Sie betrachten dazu den Bundesstaat New York im Zeit-raum von 2002 bis 2010 und stellen dabei fest, dass besser ausgestattete Krankenhäuser eine höhere Versorgungsqua-lität bieten.

219 Siehe Gliederungspunkt D.II.2.a).

220 Al-Amin, American Journal of Economics and Sociology, Vol. 71 (2012), S. 45.

Ursache für diese Verlagerung war die für größere Bevölkerungsteile unzureichende medizini-sche Versorgung bei gleichzeitig steigenden Ausgaben im Gesundheitssystem. Neue, effizientere Formen der Leistungserbringung in spezialisierteren Einrichtungen sollten dieses Ungleichge-wicht der Versorgung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen abschwächen.221

Diese – in Ergänzung zu den „general hospitals“ geschaffenen – (ambulanten oder stationären) spezialisierten Einrichtungen stehen in der Regel in Allein- oder jedenfalls Miteigentum von Ärzten („physician-owned specialized facilities“ mit den zwei Unterformen „physician-owned spezialized hospitals“ und „physician-owned ambulatory surgery centers“), während sich die „ge-neral hospitals“, d. h. Allgemeinkrankenhäuser, überwiegend in gemeinnütziger (56 %) oder öf-fentlicher (18 %) Hand befinden.222 Die Befürworter der Entwicklung hin zu „physician-owned specialized facilities“ sehen deren Vorteile in einer effizienteren und zielgerichteten Versorgung der Patienten mit der Folge sinkender Kosten und einer – aufgrund der Spezialisierung – besseren medizinischen Versorgung. Ferner, so die Argumentation der Befürworter, steige die Versor-gungsqualität weiter, weil der Arzt gleichzeitig Einrichtungsinhaber und medizinischer Leistungs-erbringer sei und es somit keine gegensätzlichen Interessen (d. h. kein P-A-Problem) zwischen beiden Rollen gebe.223

Die Gegner dieses Versorgungsmodells hingegen befürchten bei ärztlichem Eigenbesitz gleich-wohl einen Interessenkonflikt, der daraus resultiert, dass neben dem ärztlichen Ethos das Ziel der Einnahmenmaximierung stehe. Ärzte als Einrichtungsinhaber generierten neben ihren Honoraren für die unmittelbare ärztliche Behandlung einen Unternehmensgewinn mit der Einrichtung. Dies könne dazu führen, dass die Hemmschwelle der „Arzt-Eigentümer“ sinke, unnötige Behandlun-gen durchzuführen oder sich vor allem auf profitable Fälle zu spezialisieren.224 Diese Befürchtun-gen gehen in den USA so weit, dass das US-amerikanische Gesundheitsministerium (U.S. De-partment of Health and Human Services) die Möglichkeiten für Ärzte, Eigentümer von Gesund-heitseinrichtungen zu werden, mittlerweile einschränkte; manche Arzt-Eigentümerstrukturen sind sogar gänzlich untersagt.225

Interessanterweise verläuft diese US-amerikanische Argumentation der in Deutschland häufig vertretenen Auffassung diametral entgegen, wonach in medizinischen Einrichtungen (MVZ) in Investorenhand, von – im Vergleich zum ärztlichen Eigenbesitz – höherem Gewinnstreben und der Gefahr der Rosinenpickerei ausgegangen werden müsse.

221 Trybou et al., Health Policy, Vol. 118 (2014), S. 316 ff.

222 Stand 2017, statistica.com; https://www.statista.com/statistics/203003/number-of-hospitals-in-the-us-by-ownership-type/#statisticContainer (abgerufen 21.6.2020).

223 Trybou et al. Health Policy, Vol. 118 (2014), S. 317.

224 Trybou et al., Health Policy, Vol. 118 (2014), S. 317. Zusätzlich befürchten die Kritiker dieser Entwicklung, dass die Einrichtungen der Arzteigentümer (teilweise auch die privaten Krankenhäuser im Allgemeinen) die durch Steuerbe-freiungen subventionierte Behandlung der armen und nicht oder schlecht versicherten Bevölkerungsteile durch die gemeinnützigen und öffentlichen Krankenhäuser behindern. Al-Amin, American Journal of Economics and Sociology, Vol. 71 (2012), S. 39. Aufgrund der flächendeckenden gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland und der auch steuerlich anderen Situation wird dieses letzte Argument im Folgenden nicht weiterverfolgt.

225 Howard/David/Hockenberry, Journal of Economics and Management Strategy, Vol. 26 (2017), S. 152.

b) Empirische Befunde für den US-amerikanischen Markt

aa) Patientenselektion, Versorgungsqualität und Effizienz von spezialisierten Gesundheits-einrichtungen und Allgemeinkrankenhäusern

In einer systematischen Gesamtauswertung der relevanten internationalen gesundheitsöko-nomischen Datenbanken (u. a. Pubmed, Web of Science) identifizieren Trybou et al. ins-gesamt 46 Einzelstudien, die sich mit dem o. g. Konflikt um ärztliche Inhaberschaft spezi-alisierter Einrichtungen empirisch beschäftigen. Aus diesen Studien ziehen die Autoren folgende Schlussfolgerungen: Erstens weisen die spezialisierten Einrichtungen in ärztli-chem Eigenbesitz („physician-owned specialized facilities“) eine höhere Versorgungsqua-lität auf (gemessen z. B. anhand der Sterblichkeit oder Wiedereinweisung), die allerdings mit einem Patientenklientel insgesamt besserer gesundheitlicher Verfassung („verzerrte Selektion“) sowie der infolge der Spezialisierung höheren Fallzahlen in diesen spezialisier-ten Einrichtungen erklärt werden kann. Zweispezialisier-tens gibt es keine empirische Evidenz für eine erhöhte Effektivität bei der Erbringung medizinischer Leistungen in spezialisierten Ein-richtungen in ärztlichem Eigenbesitz. Einige Studien legen im Gegenteil nahe, dass ärztli-cher Eigenbesitz die Behandlungs-Hemmschwelle senkt. Drittens lässt sich empirisch be-legen, dass spezialisierte Einrichtungen vermehrt gut versicherte Patienten behandeln, we-niger nicht vergütete Leistungen erbringen („uncompensated care“ wird in den USA von Gesundheitseinrichtungen für nicht-versicherte Patienten erbracht) sowie finanziell unat-traktive Patienten an (mehrheitlich nicht gewinnorientierte) Allgemeinkrankenhäuser ver-weisen. Schließlich und viertens gibt es keine überzeugende empirische Evidenz für mehr ökonomische Effizienz bei spezialisierten Einrichtungen. Letzteres wird im Übrigen durch eine neuere Studie bestätigt: Carey/Burgess/Young finden zwischen 1998 und 2008 in 80 orthopädisch oder chirurgisch spezialisierten Einrichtungen in ärztlichem Eigenbesitz keine Effizienzvorteile (weder Größenvorteile aufgrund der hohen Anzahl bei den Spezi-alfällen noch Verbundvorteile durch effizientere Bereitstellung der gesundheitlichen Leis-tungen) gegenüber 883 Allgemeinkrankenhäusern.226

Im Ergebnis gibt es bei Trybou et al. für die USA keine Evidenz, dass es die Institutionen in ärztlichem Eigenbesitz (jedenfalls in Form der hier dargestellten „physician-owned spe-cialized facilities“) üblicherweise zugeschriebenen Vorteile gegenüber Einrichtungen in Fremdbesitz tatsächlich gibt. Die Autoren können bei den Institutionen in ärztlichem Ei-genbesitz weder niedrigere Kosten feststellen noch eine höhere medizinische Qualität. Hin-gegen ist Evidenz für Rosinenpickerei vorhanden.227 Dieses Ergebnis wird durch Untersu-chungen aus jüngerer Zeit bestätigt. So findet Chakravarty für den Zeitraum 1995 bis 2004 einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Patientenselektion der spezialisierten Einrichtungen in ärztlichem Eigenbesitz und finanziellen Einbußen der im Umfeld ange-siedelten Allgemeinkrankenhäuser.228

226 Carey/Burgess/Young, Contemporary Economic Policy, Vol. 33 (2015), S. 104 ff.

227 Trybou et al., Health Policy, Vol. 118 (2014), S. 316 ff.

228 Chakravarty, International Journal of Health Economics and Management, Vol. 16 (2016), S. 103 ff.

bb) Reaktion von spezialisierten Gesundheitseinrichtungen und Allgemeinkrankenhäusern auf neue medizinische Erkenntnisse

Einen weiteren – im hier untersuchten Kontext ebenfalls interessanten – Aspekt beleuchten Howard/David/Hockenberry Die Autoren untersuchen am Beispiel der Behandlung von Gelenkverschleiß im Knie, inwiefern eine neue wissenschaftliche Erkenntnis in Abhängig-keit von der Eigentümerstruktur einer medizinischen Einrichtung umgesetzt wird. Im Jahr 2002 wurde in einer renommierten medizinischen Fachzeitschrift (New England Journal of Medicine) ein Aufsatz veröffentlicht, wonach bestimmte, häufig praktizierte, chirurgische Eingriffe Arthrose im Knie nicht lindern können. Die Umsetzung dieser neuen wissen-schaftlichen Erkenntnis und damit die Abkehr von der bisherigen Behandlungspraxis be-deutete, dass weniger der finanziell attraktiven chirurgischen Eingriffe vorgenommen wer-den sollten. Howard et al. stellen vor diesem Hintergrund für Florida in wer-den Jahren 1998 bis 2010 fest, dass sowohl Allgemeinkrankenhäuser als auch die überwiegend in ärztlichem Eigenbesitz stehenden Spezialeinrichtungen in Folge der Veröffentlichung der neuen wis-senschaftlichen Erkenntnisse weniger dieser chirurgischen Eingriffe vornehmen. Aller-dings nehmen die chirurgischen Eingriffe in Spezialeinrichtungen in ärztlichem Eigenbe-sitz langsamer ab. Die Autoren schließen daraus, dass Ärzte in Allgemeinkrankenhäusern (unterschiedlicher Träger) und Spezialeinrichtungen in ärztlichem Eigenbesitz verschieden (schnell) auf allgemein zur Verfügung stehende neue wissenschaftliche Erkenntnisse rea-gieren, sofern dies den Verzicht auf finanziell attraktive Eingriffe bedeutet.229

Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass sich die dargestellten Studien zu Auswirkungen des ärztlichen Eigenbesitzes von Gesundheitseinrichtungen ausschließlich auf den US-amerikanischen Gesundheitssektor beziehen. Eine eins-zu-eins-Übertragung auf Deutschland ist nicht möglich, zumal die Studien medizinische Einrichtungen in ärzt-lichem Eigenbesitz mit Allgemeinkrankenhäusern und nicht mit ambulanten Einzelpraxen oder BAG vergleichen. Nichtsdestotrotz sind die Ergebnisse für die hiesige Fragestellung insofern von Interesse, als die Folgen verschiedener Eigentümerstrukturen mit Blick auf Behandlung äquivalenter Fälle verglichen werden.