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E. Einzelfragen

IV. Erfordernis dreijähriger Eigentätigkeit des Arztes bei Einbringung seiner Zulassung in ein

3. Lösungsmöglichkeiten

Angesichts der praktischen Schwierigkeiten und der lediglich richterrechtlichen Herleitung des Gebots der Eigentätigkeit von mindestens drei Jahren besteht für den Gesetzgeber Handlungsbedarf. Aus Sicht der Gutachter stehen zwei Varianten zur Verfügung, auf die Rechtsprechung einzugehen: Erstens kön-nen die von der Rechtsprechung entwickelten Vorgaben inhaltlich unverändert gesetzlich umgesetzt werden, indem eine dreijährige Mindestbeschäftigungsdauer in Absatz 4a übernommen wird (zu dieser Variante unter a). Zweitens kann eine kürzere Frist der Mindesttätigkeit – die Gutachter schlagen in-soweit ein Jahr vor – vorgesehen werden. Auch bei einer Mindesttätigkeit dieser Dauer darf der Ge-setzgeber beim Wechsel vom Status des selbstständigen Vertragsarztes in den Angestelltenstatus noch von einem ernsthaften und gelebten Willen zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung aus-gehen. Andererseits ist diese Mindesttätigkeitsdauer noch nicht so lang, dass aufwändige Regelungen zur Tätigkeitsreduktion im Alter vorgesehen werden müssten. (zu dieser Variante unter b). Zu den Vorschlägen im Einzelnen:

a) Variante: Umsetzung der Rechtsprechung mit dreijähriger Mindesttätigkeitsfrist

In dieser ersten Variante wird die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts praktisch unverän-dert in Gesetzesform übernommen:185

183 BSG, Urt. v. 15.8.2012 – B 6 KA 47/11 R –, Rn. 16 juris.

184 BSG, Urt. v. 22.10.2014 – B 6 KA 44/13 R –, Rn. 46 juris mit Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber eine explizite Regelung wie in § 103 Abs. 3a Satz 5 SGB V schaffen müsse, dies aber nicht getan habe.

185 Neuer Gesetzestext unterstrichen.

(4a) 1Verzichtet ein Vertragsarzt in einem Planungsbereich, für den Zu-lassungsbeschränkungen angeordnet sind, auf seine Zulassung, um in ei-nem medizinischen Versorgungszentrum tätig zu werden, so hat der Zu-lassungsausschuss die Anstellung zu genehmigen, wenn Gründe der ver-tragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen; eine Fortführung der Praxis nach Absatz 4 ist nicht möglich. 2Bei der Prüfung ... . 3Der Arzt kann ... . 4Nach einer Tätigkeit von mindestens fünf Jahren .... 5 Me-dizinischen Versorgungszentren ist die Nachbesetzung einer Arztstelle möglich, auch wenn Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind; dies gilt nicht, soweit der Nachbesetzung Festlegungen nach § 101 Absatz 1 Satz 8 entgegenstehen. 6Ist die gemäß Satz 5 nachbesetzbare Arztstelle in der Weise entstanden, dass zuvor ein Vertragsarzt gemäß Satz 1 auf seine Zulassung verzichtet hat, so kann diese Arztstelle nach Ausscheiden des früheren Vertragsarztes aus dem medizinischen Versorgungszentrum nur nachbesetzt werden, wenn und soweit der frühere Vertragsarzt mindes-tens drei Jahre selbst als Angestellter im medizinischen Versorgungs-zentrum tätig war. 7Eine Nachbesetzung ist auch bei kürzerer Tätigkeit des früheren Vertragsarztes im medizinischen Versorgungszentrum zu genehmigen, wenn das medizinische Versorgungszentrum im Rahmen des Antrags auf Nachbesetzung der Arztstelle nachweist, dass der frühere Vertragsarzt im Zeitpunkt seines Zulassungsverzichts eine Tätigkeits-dauer von drei Jahren im medizinischen Versorgungszentrum angestrebt hatte, diese Tätigkeitsdauer aber infolge von Gründen, die dem früheren Vertragsarzt bei Verzicht unbekannt waren, nicht verwirklichen konnte.

8Eine Nachbesetzung ist, ohne dass die Voraussetzung einer Mindesttä-tigkeitszeit im Sinne von Satz 6 erfüllt wird, ebenfalls möglich, wenn der frühere Vertragsarzt vor Erreichen der Mindesttätigkeitszeit verstirbt o-der soweit o-der frühere Vertragsarzt das 62. Lebensjahrs bei Aufnahme seiner Tätigkeit im medizinischen Versorgungszentrum vollendet hatte und nach einem Jahr seiner Tätigkeit im medizinischen Versorgungszent-rum seine dortige Tätigkeit in den beiden Folgejahren höchstens um je-weils den Anrechnungsfaktor von einem Viertel reduziert hat. 9Die Sätze 6 bis 8 gelten nur für die erstmalige Nachbesetzung einer Arztstelle, die in der Weise entstanden ist, dass zuvor ein Vertragsarzt gemäß Satz 1 auf seine Zulassung verzichtet hat; für weitere Nachbesetzungen derartiger Arztstellen gilt Satz 5. ...

Erläuterung

Der neue Satz 6 führt nach den Vorgaben der Rechtsprechung eine Mindesttätigkeitsdauer von drei Jahren des die Arztstelle „einbringenden“, vormaligen Vertragsarztes als Bedingung der spä-teren Nachbesetzung dieser Arztstelle ein.186 Durch die Formulierung, „wenn und soweit“ wird außerdem zum Ausdruck gebracht, dass die Nachbesetzung – unabhängig von der Dauer der Ei-gentätigkeit im MVZ – nur in dem Umfang möglich ist, welcher der dem Arzt ursprünglich er-teilten Anstellungsgenehmigung entspricht. Verzichtet ein Vertragsarzt auf seine volle Zulassung und erhält danach auf der Grundlage von § 103 Abs. 4a Satz 1 SGB V eine Anstellungsgenehmi-gung im Umfang z. B. (lediglich) einer halben Stelle, so kann auch später nur „insoweit“ nachbe-setzt werden, d. h. im Umfang einer halben Stelle.187

Satz 7 nimmt auf den Umstand Rücksicht, dass die strikte Bindung der Nachbesetzbarkeit an eine Dreijahresfrist der Eigentätigkeit zu erheblichen Härten führen könnte. Dies wäre z. B. der Fall, wenn der die Arztstelle „einbringende“ Arzt nach Aufnahme der Angestelltentätigkeit wegen der Pflege von Angehörigen wegziehen müsste oder selbst berufsunfähig würde und das MVZ die Arztstelle – mit der möglicherweise erhebliche Investitionen im MVZ wie ein Gerätekauf ver-bunden waren – dauerhaft und entschädigungslos verlöre. In Übereinstimmung mit der Recht-sprechung wird deshalb die Dreijahresfrist flexibilisiert.188 Dabei wird die Feststellungslast dem-jenigen auferlegt, der die Nachbesetzung der Arztstelle beantragt. Diese Verteilung der Feststel-lungslast folgt ebenfalls den Vorgaben des Bundessozialgerichts, erscheint aber nicht unkritisch, da damit dem MVZ die Feststellungslast für Umstände in der Person eines Dritten, nämlich des angestellten, früheren Vertragsarztes auferlegt wird.

Satz 8 des Entwurfs knüpft an die Vollendung des 62. Lebensjahrs die Möglichkeit, die Arbeits-zeit im MVZ – ohne nachteilige Folgen für die Nachbesetzbarkeit – zu reduzieren. Diese Erleich-terung für ältere Ärzte ist – ohne Festlegung einer konkreten Altersgrenze durch den 6. Senat – vom Bundessozialgericht ebenfalls vorgegeben.189 Was die Altersgrenze von 62 Jahren angeht, orientiert sich der Vorschlag an der unteren Grenze für den Vorruhestand, wie sie Satzungen ärztlicher Versorgungswerke für ihre derzeit eintretenden Mitglieder vorsehen.190 Die vom Bun-dessozialgericht geforderte volle Mindesttätigkeitszeit im ersten Jahr und die nur eingeschränkten Reduktionsmöglichkeiten in den Folgejahren wurde umgesetzt; wir halten sie aber für problema-tisch. Derartige Regelungen lassen sich mit sonstigen Vorschriften zur Arbeitsreduktion z. B.

nach dem TzBfG schwer vereinbaren. Wegen der Gefahr der „Altersdiskriminierung“ und den daraus folgenden verfassungs- und europarechtlichen Problemen ist außerdem von streng an Al-tersgrenzen anknüpfenden gesetzlichen Regelungen betreffend Arbeitsverhältnisse eher abzura-ten.

b) Variante: Nachbesetzung nach kürzerer Mindesttätigkeitsfrist von einem Jahr

Angesichts der genannten Nachteile einer dreijährigen Mindestbeschäftigungsdauer bietet sich als alternative Variante eine verkürzte Dauer der Mindesttätigkeit im MVZ an. Im folgenden

186 BSG, Urt. v. 4.5.2016 – B 6 KA 21/15 R –, Rn. 27 ff. juris.

187 Dies entspricht BSG, Urt. v. 4.5.2016 – B 6 KA 21/15 R –, Rn. 13 ff., insbes. Rn. 17 juris.

188 BSG, Urt. v. 4.5.2016 – B 6 KA 21/15 R –, Rn. 29 juris.

189 BSG, Urt. v. 4.5.2016 – B 6 KA 21/15 R –, Rn. 30 juris.

190 Z. B. § 35 Nr. 2 i. V. m. § 91f Abs. 2 Satzung der Bay. Ärzteversorgung i. d. F. v. 1.12.1995 (Bayerischer Staatsan-zeiger 1995 Nr. 51/52 S. 2) zuletzt geändert durch Satzung v. 4.12.2018 (Bay. StaatsanStaatsan-zeiger 2018 Nr. 49 S. 4).

Änderungsvorschlag werden die Worte „mindestens drei Jahre“ in der ersten Variante durch die die Anforderung „mindestens ein Jahr“ ersetzt, außerdem wird auf eine umfangreiche Regelung von Ausnahmetatbeständen verzichtet.

(4a) 1Verzichtet ein Vertragsarzt ... 5Medizinischen Versorgungszentren ist die Nachbesetzung einer Arztstelle möglich, auch wenn Zulassungs-beschränkungen angeordnet sind; dies gilt nicht, soweit der Nachbeset-zung Festlegungen nach § 101 Absatz 1 Satz 8 entgegenstehen. 6Ist die gemäß Satz 5 nachbesetzbare Arztstelle in der Weise entstanden, dass zuvor ein Vertragsarzt gemäß Satz 1 auf seine Zulassung verzichtet hat, so kann diese Arztstelle nach Ausscheiden des früheren Vertragsarztes aus dem medizinischen Versorgungszentrum nur nachbesetzt werden, wenn und soweit der frühere Vertragsarzt mindestens ein Jahr selbst als Angestellter im medizinischen Versorgungszentrum tätig war, es sei denn der frühere Vertragsarzt hat die kürzere Dauer seiner Tätigkeit im medi-zinischen Versorgungszentrum nicht zu vertreten. 7Satz 6 gilt nur für die erstmalige Nachbesetzung einer Arztstelle, die in der Weise entstanden ist, dass zuvor ein Vertragsarzt gemäß Satz 1 auf seine Zulassung ver-zichtet hat; für weitere Nachbesetzungen derartiger Arztstellen gilt Satz 5. ...

Erläuterung

Satz 6 dieser Variante entspricht – mit Ausnahme der geforderten Dauer der Mindesttätigkeit – Satz 6 der ersten Variante; insofern wird auf die dortige Erläuterung verwiesen. Abweichend von der ersten Variante wird eine Mindestdauer der Eigentätigkeit des vormaligen Vertragsarztes im MVZ von (nur) einem Jahr vorgesehen. Auch diese Mindestdauer für die Eigentätigkeit von ei-nem Jahr geht über die vor Bekanntgabe des Revisionsurteils vom 4.5.2016 gängige Verwaltungs-praxis vieler Zulassungsausschüsse und einer früher oftmals vertretenen Literaturauffassung, wo-nach ein bis zwei Quartale der Eigentätigkeit im MVZ erforderlich seien,191 deutlich hinaus. Mit einer geforderten Eigentätigkeit von einem Jahr kommt der Wille des vormaligen Vertragsarztes, nach Aufgabe der eigenen Praxis noch substanziell als Angestellter am vertragsärztlichen System teilnehmen zu wollen, ausreichend zum Ausdruck. Damit wird sichergestellt, dass die Einbrin-gung der Zulassung in das MVZ nicht lediglich der Umgehung der Vorschriften über die Praxis-weiterführung (§ 103 Abs. 3a, 4 SGB V) dient.

Die Forderung einer Eigentätigkeit von einem Jahr lässt sich auch mit der Dreijahresfrist nach

§ 103 Abs. 3a Satz 5 i. V. m. Satz 3 und Absatz 4 Satz 5 Nr. 6 SGB V in Einklang bringen. Bleibt

191 Z. B. Plagemann/Bergmann, DStR 2017, 1392; Gerdts, ZMGR 2018, 9, 10; Wigge, in: Schnapp/Wigge, § 6, Rn. 238, wonach die Zulassungsgremien in der Regel ein Quartal gefordert hätten; Pawlita, in: jurisPK SGB V, § 103 Rn. 146 SGB V, fordert allgemein für die Nachbesetzung von Angestelltenstellen, dass der Arzt nicht nur eine „juristische Sekunde“ im MVZ tätig wird, nennt aber keine Mindestfrist; Greve, ZMGR 2016, 379 ff. spricht von einer „Scham-frist“.

der seine Arztstelle einbringende Arzt nach Zulassungsverzicht mindestens noch ein Jahr (seiner

„Lebenszeit“) selbst im vertragsärztlichen System tätig, wird ausreichend deutlich, dass es sich um einen ernsthaften „Statuswandel“ der (fortwährenden) Teilnahme am vertragsärztlichen Sys-tem und nicht um die Aufgabe der SysSys-temteilnahme handelt, an welcher § 103 Abs. 3a SGB V anknüpft. Die Betrachtungszeiträume für die Frage, ob ein ernsthaft gewollter Statuswechsel in-nerhalb des vertragsärztlichen Systems vorliegt, und für die Frage, wann die Fortführung der Pra-xis privilegiert wird, müssen dabei nicht notwendig übereinstimmen. Angesichts der unterschied-lichen Sachverhalte – einerseits Nachweis des ernsthaften, fortbestehenden Systemteilnahmewil-lens bei Aufnahme einer Angestelltentätigkeit, andererseits Voraussetzung für die Fortführung einer an sich aufgegebenen Praxis bzw. Privilegierung eines bestimmten Bewerbers um die Pra-xisnachfolge – liegen ausreichende sachliche Differenzierungsgründe für unterschiedliche Fristen vor.

Gleichzeitig dürfte die kürzere Mindestdauer (ein Jahr statt drei Jahre) in der Lebenswirklichkeit seltener zu Umsetzungsproblemen führen. Die Gutachter erachten deshalb eine vereinfachte Här-tefallregelung, wie in Satz 6, letzter Halbsatz vorgeschlagen, für ausreichend. Erreicht der frühere Vertragsarzt selbst die notwendige Eigentätigkeitsdauer von einem Jahr im MVZ nicht, so kommt es für die Nachbesetzung der entsprechenden Arztstelle durch das MVZ darauf an, ob der Vertragsarzt diesen Umstand zu vertreten hat. Kein Vertretenmüssen liegt z. B. bei schwerer Erkrankung oder Tod des Vertragsarztes vor. Die Herausbildung der genauen Kriterien des Ver-tretenmüssens sollte der Rechtsprechung überantwortet werden; dies sichert die Flexibilität der Regelung angesichts unzähliger Fallgestaltungen der Lebenswirklichkeit. Sonderregelungen für das stufenweise Ausscheiden älterer Vertragsärzte sind bei einer Mindesttätigkeitsdauer von ei-nem Jahr nicht notwendig, zumal das Bundessozialgericht für das erste Jahr der Tätigkeit älterer Ärzte ohnehin keine Tätigkeitsreduktion vorgesehen hat.