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Das Verhältnis der Letten zu ihren deutschen Heimatgenossen

Im Dokument ALEXANDER VON TOBIEN (Seite 135-192)

tierrnftut in Livland

Bestand auch zwischen den Herren und den Dienenden eine nationale Verschieden­

heit, so hat diese Tatsache doch, wie wir nachgewiesen zu haben glauben1, nicht als er­

schwerendes Moment auf die livländischen ländlichen Zustände eingewirkt. In den Agrar­

staaten des westlichen Europa war das Verhältnis der Gutsherren zu ihren Bauern, auf das es im wesentlichen ankommt, nicht anders als in Livland2. Auch die Fronhof Verfassung, die als unerträgliche, den Bauernstand am Emporkommen hindernde Last geschildert zu werden pflegt3, war in Livland keineswegs drückender als anderswo 4. Ihre Geschichte bietet dem objektiven Beurteiler, der nicht in den häufig vorkommenden Fehler verfällt, Einrichtungen entlegener Zeiten nach modernem Maßstabe zu bewerten, auch gute Seiten. Sie faßte die für die ländliche Großwirtschaft nötigen Arbeitskräfte zu geschlos­

senen Körperschaften zusammen, um sie bei dem wechselnden Arbeitsbedürfnis stets für die Zeit der Saat und Ernte bereit zu haben. Die Bauernschaft eines Rittergutes bildete einen Wirtschaftsorganismus, der den Bauernwirten die Führung einer eigenen Landwirtschaft und damit eine gewisse Unabhängigkeit sicherte. Die gemeinsame Arbeit hatte den Fronknechten eine eigenartige soziale Ausprägung verliehen. Die Gleich­

artigkeit und Disziplinierung des Tagewerks schuf eine gleichartige Denkweise und

1 Oben.

2 Alexander von Tobien: „Die Leibeigenschaft in deutschen Territorien und in Livland", Zweites Baltenheft, Beilage zu den Ostdeutschen Monatsheften, Danzig-Berlin 1924.

3 Dr. Oskar Siebeck: „Der Frondienst als Arbeitssystem". Ergänzungsheft XIII zur Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Tübingen 1904, S. 1.

4 Wie Oskar Grosberg: „Konzeption und Vollendung des lettischen nationalen Gedankens". Rigasche Rundschau, Jahrgang 1923, Nr. 214, richtig betont.

rief unter den gebundenen Arbeitern einen esprit de corps hervor. Mit derselben Arbeit pflanzte sich dieselbe Denkweise, dieselbe Empfindung fort K Hieraus erklärt sich die Tatsache, daß die erste nationale Regung des lettischen und estnischen Volkes schon in der Epoche der Unfreiheit im 18. Jahrhundert in die Erscheinung trat. Sie schwoll alsdann unter der zwar von der Gutsuntertänigkeit befreiten, aber unter dem Druck der neugebildeten Fronwirtschaft (1819—1865) leidenden2 bäuerlichen Bevölkerung mächtig an. Sie machte schließlich dann einer ganz anderen nationalen Bewegung Platz, als die Naturalwirtschaft der Geldwirtschaft gewichen, die Zahl der bäuerlichen Hofeigentümer gewachsen, das wirtschaftliche und soziale Gedeihen des flachen Landes ein Machtfaktor geworden war.

Obgleich die erste nationale Bewegung der Esten und Letten sich auf kirchlichem Gebiete abspielte, so trug sie doch weit mehr einen sozialen, als einen kirchlichen Cha­

r a k t e r . E s w a r dieses d i e i m 1 8 . u n d i m 1 9 . J a h r h u n d e r t s o viel b e h a n d e l t e H e r r n h u t i -sche Bewegung.

Die „Herrnhuter" waren Nachkommen der alten Böhmischen Brüder und wan­

derten, ihres Zusammenhanges mit den Hussiten kaum mehr bewußt, zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus Mähren in die sächsische Oberlausitz aus. Sie siedelten sich auf dem, dem Grafen Nikolaus Zinzendorf gehörigen, Gut Berthelsdorf an und legten dort 1712 den Grund zum Ort Herrnhut, nach dem sie bezeichnet zu werden pflegten, während sie sich selbst Evangelische Brüdergemeinde, Brüder-Unität (-Sozietät) nannten. Durch Nachschub aus Mähren und Zuzug aus Deutschland wuchs in der Zeit des Pietismus der Ort Herrnhut mächtig an. Die Mährischen Brüder oder Herrnhuter erachteten sich grundsätzlich als Glieder der sächsischen Landeskirche und nahmen an deren gottesdienstlichen Lebensäußerungen teil, bildeten aber innerhalb der luthe­

rischen Landeskirche eine eigene Glaubensgemeinschaft, deren Dogma in der Haupt­

sache wohl das der Lutheraner war, aber doch in Einzelheiten, auf die wir hier nicht eingehen können, abwich. Das Ideal des Gründers der Brüdergemeinde, des Grafen

Zinzendorf, war innerkirchliche Gemeinschaft: „ecclesiola in ecclesia"3.

In Liv- und Estland hatten die schweren Drangsale des Nordischen Krieges die Gemüter zu ernster Einkehr gestimmt und eine Steigerung des kirchlichen Sinnes

1 Karl Bücher: „Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vorträge und Versuche", Tübingen 1904, S. 125 u. 377.

2 C. Hehn: „Die Intensität der livländischen Landwirtschaft", Abt. I. „Der Grund und Boden und die Arbeit". Dorpater Magister-Dissertation, Dorpat 1858, S. 96 ff.

(v. Hueck): „Darstellung der landwirtschaftlichen Verhältnisse in Est-. Liv- und Kurland", Leipzig 1845, S. 160 ff.

3 Johann Heinrich Kurtz: „Lehrbuch der Kirchengeschichte", 14. Aufl., herausg. von R. Bon-wetsch u. P. Tschackert. II. Bd.: „Seit der Reformation", bearb. von P. Tschackert, Leipzig 1906, S. 287 ff.

„Die Religion in Geschichte und Gegenwart", Handwörterbuch, herausg. von Fr. M. Schiele und L. Zscharnarck; II. Band Tübingen 1910, Sp. 2142 ff.

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erzeugt1, Zugleich war von der im Gefolge des verwüstenden Krieges verheerend auf­

tretenden Pest2 unter den Predigern dieses Gebietes so stark aufgeräumt worden, daß sich nach dem Frieden von 1721 nur ein Bruchteil von ihnen am Leben befand. Die hier­

durch entstandene Lücke wurde mit Kandidaten aus Halle, Jena und Königsberg aus­

gefüllt, die alle dem Pietismus zugetan waren und diesen nach Livland und Estland verpflanzten. Der Pietismus aber, jene religiöse Richtung, die eine „Entwertung der Kirchlichkeit" zur Folge hatte3, bahnte der Brüdergemeinde hierher den Weg.

Es war namentlich der Pastor Johann Justus Grüner4 zu Kremon in Livland, der 1729 den Diakon Christian David, seines Berufes ein Zimmermann, nach Liv­

land berief, damit er und seine zwei Gehilfen auf dem Pastorat Kremon als Lehrer und Seelsorger arbeiteten und die Letten heilsam beeinflußten. Grüner und David verstanden sich jedoch auf die Dauer nicht, weshalb die zugereisten Brüder5 Wolmarshof in Livland aufsuchten, wo die Generalin von Hallart den gastlichen Mittelpunkt einer ausge­

dehnten Wirksamkeit der Herrnhutischen Brüder begründete 6. Hiermit hatte die neue Bewegung im livländischen Adel einen festen Stützpunkt gewonnen, dem sie ihre Ein-wurzelung, Erhaltung und Ausbreitung dankte 7.

Neben der Generahn von Hallart war es in besonderem Maße der General und Land­

rat Johann Balthasar von Campenhausen 8, der die Brüdergemeinde mit seinem

1 Prof. Dr. Th. Harnack: „Die lutherische Kirche Livlands und die Herrnhutische Brüdergemeinde.

Ein Beitrag zur Kirchengeschichte neuerer und neuester Zeit", Erlangen 1860, S. 22.

2 Band I S. 1.

3 Schiele-Zscharnack: Handwörterbuch usw., 4. Band 1913, Spalte 1597.

4 Geb. 1697 im Halberstädtschen. Erich Seuberlich: „Stammtafeln deutsch-baltischer Geschlechter".

I. Band. Riga 1924, S. 126.

5 Ihr Schicksal in Riga, wo sie sich, bevor sie Kremon erreichten, aufhielten, erzählt Harnack, a. a. 0.

S. 27 anders, als Hermann Baron Bruiningk: „Das Geschlecht von Bruiningk in Livland", Riga 1913, S. 113, der offenbar das Richtige trifft.

6 Harnack, a. a. 0. S. 29. Magdalena Elisabeth von Hallart war nicht, wie Harnack a. a. 0. S. 30 irr­

tümlich annimmt, aus Sachsen gebürtig, sondern 1683.. Juli 4. zu Kortenhof in Livland als Tochter des Gustav von Bülow und seiner Gattin Magdalena von Patkul geboren. Bruiningk, a. a. 0. S. 145 Anm.

Sie war in erster Ehe mit dem Oberstleutnant Hans Georg Leyon vermählt (L. von Stryk: „Beiträge zur Geschichte der Rittergüter Livlands", II. Teil, Dresden 1885, S. 184), in zweiter Ehe mit dem General Freiherrn Nikolaus von Hallart, der im Dienste König Augusts von Polen, später in dem Peters des Großen stand, 1700 Narva belagerte, 1709 an der Schlacht bei Poltawa teilnahm und 1725 von Katharina I das Rittergut Wolmarshof bei Wolmar in Livland dotiert erhielt. Er ist am 27. Mai 1727 gestorben und in der lutherischen Kirche zu Wolmar beigesetzt worden. Seine Gemahlin starb am 18. Januar 1750 zu Wolmarshof. Dr. Fr. Bienemann jun.: „Das Tagebuch des Generals von Hallart über die Belagerung und Schlacht bei Narva 1700", Reval 1894, S. 2.

7 Harnack: a. a. 0. S. 29 Anm.

8 Geb. in Stockholm am 30. Juni 1689, gest. zu St. Petersburg am 28. Januar 1758. Anfangs auch im Dienste Karls XII. stehend, trat er 1711 in russische Dienste, wurde 1742 Generalleutnant und General­

gouverneur der damals von russischen Truppen besetzten schwedischen Anteile von Finnland. Seit 1721 livl. Landrat, hat er sich um die Wiederherstellung des Rigaschen Lyzeums verdient gemacht.

Im Jahre 1728 erwarb er von der Generalin Hallart das Gut Orellen im Kirchspiel Roop und erhielt 1745 von der Kaiserin Elisabeth das im Kirchspiel Wenden belegene Rittergut Lenzenhof geschenkt. L. von Stryk: „Beiträge zur Geschichte der Rittergüter Livlands". II. Teil, S. 184 und S. 341. Ernst Baron

großen Einfluß unterstützte1. wobei ihm ein Glied der Brüdergemeinde zur Seite stand2. Seine Söhne und Großsöhne wirkten im Sinne des Vaters und Großvaters weiter fort.

Unter ihnen war es namentlich Hermann von Campenhausen auf Orellen, der, in den Lehranstalten der Brüdergemeinde in Nisky und Barby erzogen3, die Be­

strebungen der Herrnhuter förderte. Wie das Geschlecht von Campenhausen tat­

k r ä f t i g e F ö r d e r e r d e r Brüdergemeinde i n sich schloß, s o a u c h d a s d e r v o n B r u i n i n g k .

Der in der Geschichte Livlands rühmlich bekannte Generalsuperintendent Hein­

rich Brüningk4, Schwager des oben erwähnten Generals Balthasar von Campenhausen, war den Mährischen Brüdern wohlwollend gesinnt5, sein zweiter Sohn Friedrich Justin widmete sich ganz der Brüdergemeinde, der er 1741 mit seiner Gattin förmlich beitrat.

Er war seit 1735 Pastor zu Wolmar, seit 1736 Assessor des livländischen Oberkonsisto­

riums und Probst, seit 1743 Vorsteher der Brüdergemeinde in Südlivland. Um noch mehr der Sache der Brüdergemeinde dienen zu können, legte er gegen Ende 1746 seine Ämter als Pastor zu Wolmar, Propst und Assessor des Oberkonsistoriums nieder und nahm in Ronneburg-Neuhof6 in Livland seinen Wohnsitz, weil dort, ebenso wie in Wolmar und Wolmarshof, die Herrnhuter sich in großer Zahl niedergelassen hatten.

Zwölf Jahre später siedelte er nach Brinkenhof im Kirchspiel Wendau über, das ebenso den Mittelpunkt für die Mährischen Brüder in Nordlivland bildete, wie Wolmar nebst Ronneburg-Neuhof in Südlivland. Alsbald zog er wieder nach Südlivland zurück, kaufte das neben Ronneburg-Neuhof belegene Rittergut Wesselshof und bestimmte in dem von ihm erbauten neuen Wohnhause einen Sapal für den'Dienst der Brüdergemeinde, der er sein am 28. Februar 1774 abschließendes Leben ganz geweiht hatte 7

Campenhausen-Loddiger: „Geschichte des Geschlechts der von Campenhausen", als Manuskript gedruckt. Riga 1908, S. 32 ff.

1 Hermann Plitt: „Die Brüdergemeinde und die lutherische Kirche in Livland. Schutzschrift für das Diasporawerk. Eine Erwiderung auf die Schrift von Th. Harnack" Gotha 1861, S. 98 ff.

2 Der cand. Buntebart, der als Hauslehrer in sein Haus gekommen war. Dr. C. Chr. Ulmann: „Zur Geschichte der Volksbildung und der Landschulen in Livland". In „Mitteilungen und Nachrichten für die evangelische Geistlichkeit Rußlands", VII. Band 1847, S. 154 u. 163.

3 Geb. am 9. Mai 1773, erzogen in Nisky und Barby, studierte 1792—95 in Halle, wurde 1798 Legations­

rat beim Reichstag zu Regensburg, 1805 Kreisdeputierter, 1815 Assessor des livländischen Oberkon­

sistoriums, 1824 Landrat, 1829 Glied der Kommission zur Ausarbeitung des Kirchengesetzes für die evangelisch-lutherische Kirche Rußlands, 1833 Präsident des livländischen Oberkonsistoriums. Gest.

am 27. Sept. 1836. Dr. K. L. Grave, Nekrolog in den „Mitteilungen aus dem Gebiet der Geschichte Liv-. Est- und Kurlands". I. Band 1840, S. 50 ff. Campenhausen-Loddiger: „Geschichte des Geschlechts der von Campenhausen", S. 45 ff.

4 Sohn des Narvaschen Ratsherrn Heinrich Brüningk, geb. 1675 Juli 7. zu Narva, gest. 1736 Jan. 24.

zu Riga, erster livländischer Generalsuperintendent zu russischer Zeit von 1711—1736. Bruiningk:

„Das Geschlecht von Bruiningk" usw., S. 33 und 103 ff.

5 Bruiningk: a. a. 0., S. 114.

6 Dieses Rittergut gehörte damals dem Generalfeldmarschall Fürst Trubetzkoi. Stryk: a. a. 0., S. 303.

7 Bruiningk: a. a. 0. S. 40 und 151 ff.

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Seine Kinder ließ Friedrich Justin Brüningk 1 im Geist und in der Pflege der

„Gemeine" aufwachsen, mit der sie so sehr verschmolzen, daß sämtliche Glieder dieses Zweiges, Männer wie Frauen, entweder dem engeren Gemeindeverband angehört2, oder doch zu ihm in nahen Beziehungen gestanden haben 3.

Auch die Glieder des Geschlechts von Bruiningk haben meist ihre Bildung des Geistes und Charakters in den Erziehungsanstalten der Brüdergemeinde genossen und dort Freundschaftsbeziehungen fürs Leben geschlossen 4. Unter ihnen hat sich nament­

l i c h d e r i n d e r Geschichte L i v l a n d s h e r v o r r a g e n d e L a n d r a t K a r l A x e l C h r i s t e r Freiherr von Bruiningk5 als Freund der Brüdergemeinde warm betätigt. Er, der mit ihr in steter Fühlung stand und von dem Erfolg der Gemeintätigkeit unter den estnischen Bauern aus eigener Anschauung Kenntnis gewonnen hatte, trat, als der von der russischen Regierung den Herrnhutern gewährte Rechtsschutz im Jahre 1836 in Frage gestellt wurde, für die Brüdergemeinde kraftvoll ein 6.

Neben den Geschlechtern von Campenhausen und von Bruiningk waren auch die F a m i l i e n : B a r o n U n g e r n - S t e r n b e r g , v o n G a v e l7, v o n S a m s o n H i m m e l -stjerna8, von Rennenkampff9, von Hagemeister10, von Schwebs11, und

1 Über die Verleihung des Adels an alle Glieder der Familie Brüningk, die sich später von Bruiningk schrieben, siehe Bruiningk, a. a. 0. S. 17 ff.

2 So namentlich Adam Heinrich von Bruiningk, der zweite Sohn des Pastors zu Wolmar Friedrich Justin, der es, in Deutschland lebend, bis zum Bischof der Brüderkirche gebracht hat. Ebenda, S. 48.

3 Ebenda, S. 156.

4 Ebenda, S. 161, 162 und 163.

5 Band I S. 320.

6 Bruiningk a. a. 0. S. 191 und 213.

7 Der Kapitän Karl Gustav von Gavel, der mit Friedrich Justin Bruiningk verwandt war, hatte das Gut Ronneburg-Neuhof, wo die Brüdergemeinde eine wohnliche Stätte fand, in Pacht. Das im Norden Livlands belegene Rittergut Brinkenhof, das ebenso wie Ronneburg-Neuhof den Herrnhutern eine Heimat wurde, gehörte dem Sohne Karl Gustavs, dem Hofgerichtsassessor Karl Fabian von Gavel, der den Mährischen Brüdern das Recht einräumte, sich in Brinkenhof niederzulassen, wo von ihnen der Haupt­

sitz im nördlichen Livland, den sie „Seitenschrein" nannten, begründet wurde. Stryk: „Gütergeschichte usw." I S. 174. Bruiningk, a. a. 0. S. 152.

8 Reinhold Johann Ludwig von Samson-Himmelstjerna, der geschichtlich bekannte Verfasser der liv­

ländischen Bauernverordnung von 1819, der ausgezeichnete Jurist, Präsident des livländischen Konsisto­

riums (Tobien: „Die Agrargesetzgebung usw." I, S. 346), war ein Beschützer und Gönner der Herrn­

huter. Maurach, Carl: „Eines livl. Pastors Leben u. Streben, Kämpfen und Leiden", Leipzig 1900, S. 186.

a Der livländische Ritterschaftsnotar Karl Christer Wilhelm von Rennenkampff» der 1814 Anna Henriette von Bruiningk, Tochter des Pastors Friedrich Justin heiratete, war Glied der Brüdergemeinde.

Bruiningk: a. a. 0., S. 155.

10 August von Hagemeister, geb. 1785, gest. 1869, der spätere Landmarschall (1842—44), hatte 1841 als Kreisdeputierter den Antrag gestellt: den Herrnhutern freieren Spielraum zur Betätigung ihres Wesens zu gewähren. C. von Rautenfeld: „Die livländischen Landmarschälle", Baltische Monatsschrift, 47. Bandl899, S.205. Tobien: „Die Agrargesetzgebung"usw. IIS.45. Bruiningk:a.a.O., S.213 Anm.

11 Friedrich von Schwebs, geb. 1801, gest. 1885, seit 1845 Vizepräsident des livländischen Hofgerichts (Album Academicum der Univers. Dorpat, Nr. 1295), war ein naher Freund und Gesinnungsgenosse des Landrats Karl Axel Christer Baron Bruiningk. Bruiningk a. a. 0., S. 224.

andere livländische Adelsfamilien nach herrnhutischem Zeugnis Wohltäter der Brüderge­

meinde 1. Edelleute Livlands haben vielfach Grundstücke und Material zur Erbauung von Bethäusern ungebeten hergegeben, oder baufällige gottesdienstliche Stätten renoviert2. Die dem Herrnhutertum wohlgeneigten Rittergutsbesitzer ließen sich jedoch nicht nur an der geistigen Pflege des Landvolks genügen, sondern suchten auch die materielle Lage der Bauernschaft zu heben.

B a l t h a s a r v o n C a m p e n h a u s e n , ein S o h n d e s einflußreichen P r o t e k t o r s der Brüdergemeinde, war es, der, wie wir gesehen haben 3, in seinem Testament vom Jahre 1799 seine Söhne ermahnte, ihre erbuntertänigen Bauern als von Gott ihnen an­

vertraute Kinder zu pflegen, und Ludolf August Baron Bruiningk, ein humaner Gutsherr, war es, der 1779 mit seinen Bauern eine Vereinbarung schloß, die ihrer Zeit vorauseilend diesen vorteilhaft w a r4 Viel weiter g i n g sein S o h n K a r l A x e l C h r i s t e r , der warme Freund der Brüdergemeinde, der als Student, von der modernen Humanitäts­

idee ergriffen, für die Bauernbefreiung eintrat5 und später in der Geschichte des liv­

ländischen Bauernschutzes eine rühmliche Rolle gespielt hat6. In demselben Geiste w a r e n seine Gesinnungsgenossen R e i n h o l d J o h a n n L u d w i g v o n S a m s o n H i m -m e l s t j e r n a7, A u g u s t u n d H e i n r i c h v o n H a g e m e i s t e r8, sowie G u s t a v R e i n ­ hold von Rennenkampff9 auf dem Gebiete des bäuerlichen Rechtsschutzes kraft­

voll tätig.

Es ist daher vollkommen unzutreffend, wenn gesagt worden ist: die zahl- und ein­

flußreichen adligen Anhänger der Brüder-Sozietät hätten nicht daran gedacht, auf eine Besserung der Agrarzustände, geschweige denn auf eine Beschränkung oder Abschaf­

fung der Leibeigenschaft einzuwirken und dadurch mit den Ideen der Zeit Kontakt zu gewinnen10. Diese Behauptung ist irreführend, denn in den vierziger Jahren des 19. Jahr­

hunderts, da, wie wir sehen werden, das Herrnhutertum in Livland den Höhepunkt seiner Entwicklung erreichte, hielt der größere Teil des livländischen Adels zu ihm11

und bildete zugleich die Gefolgschaft Hamilkar von Foelkersahms, des willens­

starken Reformators der agrarischen Zustände Livlands12.

1 Harnack: „Die luther. Kirche Livlands und die hermhutische Brüdergemeinde" usw., S. 29 Anmerkung

2 E. A. Bourquin: „Der Agitator Ballohd und das Herrnhutertum in Livland", Nisky 1870, S. 10;

Harnack: a. a. 0. S. 45 Anmerkung.

3 Siehe oben S. 31.

4 Vgl. oben S. 32.

5 Bruiningk: a. a. 0., S. 142.

0 Tobien: „Die Agrargesetzgebung Livlands im 19. Jahrhundert", I, S. 340, 414 Anm. und 415;

II, S. 41, 50 und 68.

7 Oben S. 36 u. 120.

8 Derselbe: a. a. 0., I, S. 339, II, S. 41.

9 Derselbe: a. a. 0., I, S. 342.

10 (Julius Eckardt): „Livland um die Mitte des 19.Jahrhunderts", Baltische Monatsschrift, 64. Band 1907, S.5.

11 Harnack: a. a. 0. S. 364.

12 Tobien: „Die Agrargesetzgebung Livlands usw.", II, S. 168.

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Anders, als der Adel sah die lutherische Geistlichkeit die Sache an. Sie nahm eine wechselnde Stellung zum Herrnhutertum ein.

Nach den furchtbaren Verwüstungen des Nordischen Krieges1 kam die Geist­

lichkeit Livlands früher ins Gleichgewicht, als der Adel2. Es war dieses zum Teil ein Ver­

dienst der schwedischen Kirchenordnung vom Jahre 1687 3, die dem Kirchenwesen Livlands eine feste Ordnung verliehen hatte; das Hauptverdienst ist jedoch der Ritter­

schaft zuzuschreiben, die ungeachtet der Verwirrung, die Krieg und Pest herbeiführten, sich die Wiederherstellung der verwahrlosten Kirche und die Wiederbesetzung der ver­

waisten Pfarren angelegen sein ließ, obgleich ihre Kassen leer, die staatlichen Kontri­

butionen drückend und die Richterstühle noch unbesetzt waren4. Die zur Bekleidung unbesetzter Pfarrämter aus Deutschland berufenen Prediger kamen meist aus Jena oder Halle und waren Schüler Frankes und Speners gewesen, von denen sie die

sub-jektivistische Gläubigkeit des Pietismus in sich aufgenommen hatten. Einige von ihnen waren mit dem Begründer des Herrnhutertums, dem Grafen Zinzendorf, persönlich bekannt geworden und hatten die Einrichtungen in Herrnhut kennen und schätzen gelernt5. So gelangte der Pietismus und mit ihm zugleich das Herrnhutertum nach Liv- und Estland.

Pastor Grüner-Kremon war, wie wir wissen6, der erste livländische Prediger, der Mährische Brüder nach Livland zog. Ihm folgte der Adel, der in der Brüder­

gemeinde keine Gefahr für die Landeskirche erblickte, sondern von ihr emsige Pflege kirchlichen Lebens und christlicher Zucht unter dem infolge des Krieges verwahr­

losten Landvolk erwartete. Nur wenige Pastore gab es, die von Anfang an sich zur neuen Bewegung mißtrauisch verhielten7 Wie dachten die lutherischen Oberhirten Livlands ?

Generalsuperintendent Heinrich Brüningk (1711—1736) war den Herrnhutern zugeneigt8. Unter seinem Amtsnachfolger Jakob Benjamin Fischer (1736—1744), der sich dem Wiederaufbau der Volksschule rege widmete 9, gewann Herrnhut einen vollständigen Sieg. Graf Zinzendorf kam 1736 nach Livland; fast der gesamte Adel fiel ihm zu und auch der Generalsuperintendent ließ sich von dieser hinreißenden und eigenartigen Persönlichkeit, die aus seinem „fürnehmen Humeur" keinen Hehl machte, zugleich aber ein religiöses Genie und ein Volksmann im weitesten Sinne des Wortes

1 Band I, S. 1.

2 P. Baerent: „Die kirchlichen Zustände in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts" Baltische Monats­

schrift, 56. Band, 1903, S. 229.

3 Vgl. Band I, S. 460ff.

4 Baerent: a. a. 0., S. 229 ff.

5 Harnack: a. a. 0., S. 27.

c Oben S. 118.

7 Baerent: a. a. 0., S. 236.

8 Bruiningk: a. a. 0., S. 33 und 112.

9 Tobien: „Die Agrargesetzgebung usw.", I, S. 41.

war1, gewinnen. Zwar war Fischer ein streng orthodoxer, allem neuen Wesen abge­

neigter Mann, allein er fand doch keinen Grund, der Tätigkeit Herrnhuts irgend welche Hindernisse in den Weg zu legen. Vielmehr glaubte er in den Brüdern wahre Stützen der evangelischen Kirche und der Kirchenzucht erblicken zu dürfen. Die General-Kirchen Visitation, die er 1739 nach den Vorschriften der schwedischen General-Kirchenordnung hielt, belobte und bestätigte nicht nur die „Sozietät", sondern empfahl sie auch den Gemeinden zur Nachahmung 2.

Den eigentlichen Mittel- und Stützpunkt der Wirksamkeit Herrnhuts bildeten die Wolmarschen Anstalten. Zu ihnen gehörten: das von der Generalin von Hallart mit großer Freigiebigkeit gegründete Diakonat zu Wolmarshof; ferner das damit verbundene, zur Ausbildung von lettischen Volksschullehrern bestimmte Schullehrer-Seminar; endlich das auf einem Hügel erbaute Versammlungs- oder Bethaus3. Die wirksamste der Anstalten war das Lehrer-Seminar, das 121 Zöglinge aufnehmen konnte und viel besucht wurde.

Und so gedieh denn die Brüdergemeinde in den Jahren 1729 bis 1742 zu immer größerer Blüte, bis dann gegen Ende der Amtsperiode Fischers im Jahre 1742 ein Rückschlag eintrat4.

Was war unterdes geschehen?

Die Hauptursachen des Gelingens der Wirksamkeit Herrnhuts in Livland lagen nicht etwa nur in der Begünstigung durch den Adel und in der Wohlgeneigtheit der Geist­

lichkeit, sondern in den Zeitverhältnissen und in dem von diesen beherrschten estnischen u n d lettischen L a n d v o l k5. D u r c h d i e Prediger d e r o r t h o d o x e n S c h u l e v o m „ r o h e s t e n Heidentum" erlöst und zum evangelischen Christentum nach und nach geführt 6r

waren die Esten und Letten durch die überstandenen schweren Drangsale des Nordischen

waren die Esten und Letten durch die überstandenen schweren Drangsale des Nordischen

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