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Das Verhältnis von informatischer Bildung, Medienbildung und digitaler Bildung

Im Dokument Frühe informatische Bildung – (Seite 69-73)

Nadine Bergner, Hilde Köster, Johannes Magenheim, Kathrin Müller, Ralf Romeike, Ulrik Schroeder, Carsten Schulte

1 Potenziale informatischer Bildung

1.6 Das Verhältnis von informatischer Bildung, Medienbildung und digitaler Bildung

In den Anfängen der Diskussion über Informatik in der Bildung nannte man Com-puter (engl . „to compute“: rechnen) gerne auch Rechner; wie wir im vorangegan-genen Abschnitt gesehen haben mit enger Anbindung an die Mathematik . Doch zunehmend wurden Computer in verschiedensten Zusammenhängen eingesetzt, etwa in Bildung, Handel, Produktion, Wissenschaft, Militär, Gesundheitswesen oder Politik (vgl . Magenheim & Schulte, 2006) – und damit veränderten sich so-wohl die Anwendungen als auch die Auswirkungen und die Sichtweise auf Compu-ter . Nach einer Debatte, ob CompuCompu-ter vor allem als Rechner oder eher als Werkzeu-ge, als Instrumente oder als Medien eingeschätzt werden sollten, änderte sich die Sicht zumindest insofern, dass digitale Artefakte nun zumindest als interaktive

‚Medien’ im persönlichen Umgang und mittlerweile auch zumeist als vernetzte Online-Medien gesehen werden .

In Bezug auf den Umgang mit digitalen Artefakten als „persönliche Medien“

charakterisiert Keil den „Computer als Medium – Medien als Denkzeug des Geis-tes“ . Er formuliert:

„Der Sichtweise des Computers als Automaten, der ohne Eingreifen des Menschen Prozesse ausführt, und der Sichtweise des Computers als Werkzeug, das speziell unter dem Gesichtspunkt der Interaktivität den Nutzern einen Handlungs- und Entscheidungsspielraum zur Ablaufstruk-turierung überlässt, stellt Coy 1995 die bis dahin ungebräuchliche Sicht-weise des Computers als Medium zur Seite . Die Unterstützung verteil-ter kooperativer Arbeitsprozesse sei nicht mehr mit der Sichtweise des Werkzeugs verträglich bzw . könne damit nicht hinreichend begründet werden, denn: ,Vernetzte Kooperation ist die Basis der modernen ar-beitsteiligen Produktionsweise, ihre angemessene technische Unterstüt-zung geschieht über vernetzte Rechner: Der Computer wird zum Medium (Coy, 1995a, 36)ʻ“ (Keil, 2012, S . 147) .

Denkzeuge sind diese interaktiven Medien, da sie Rückmeldung und somit Dif-ferenzerfahrung ermöglichen . Durch die Repräsentation etwa eines

Rechenvor-gangs kann dieser wahrgenommen und auf Differenzen zum eigentlich gewollten Ergebnis geprüft werden: Das schriftliche Denken ist daher leistungsfähiger als das Kopfrechnen . Diese Unterstützung macht digitale Artefakte als persönliche Medien zu Denkzeugen .

Der Informatiker und Vordenker Alan Kay geht soweit, digitale Artefakte durch ihre Kombination von Interaktion und automatisierter Verarbeitung als neue kultu-relle Ausdrucksform zu begreifen, die das Buchzeitalter ablöst .

1977 haben Goldberg und Kay ihre Idee des Dynabook wie folgt beschrieben:

ein Gerät in der Größe eines Notizbuches (im englischen: Notebook)

„which could be owned by everyone and could have the power to han-dle virtually all of its owner’s information-related needs . Towards this goal we have designed and built a communications system: the Small-talk language, implemented on small computers we refer to as ,interim Dynabooksʻ . We are exploring the use of this system as a programming and problem solving tool; as an interactive memory for the storage and manipulation of data; as a text editor; and as a medium for expression through drawing, painting, animating pictures, and composing and gen-erating music“ (Kay & Goldberg, 1977, S . 1) .

Die Dynabook-Idee drückt genau das aus, was Keil als Denkzeug bezeichnet: ein interaktives Werkzeug für das Verfertigen und Ausdrücken von Gedanken, das Ausdrücken vor allem in dynamischer und interaktiver Form . Diese Medien werden daher nicht in herkömmlichen Sinn geschrieben, noch in herkömmlichen Sinn programmiert (im Sinne codiert), sondern mittels des ebenfalls interaktiven Werk-zeugs in einem heuristischen Schreib- und Programmierprozess erzeugt . Damit entsteht eine neue mediale Ausdrucksform, die nur diejenigen zu nutzen wissen, die programmieren können . Kay und Goldberg haben dazu Squeak entwickelt, die erste objektorientierte Programmiersprache .

Das Verfertigen von Äußerungen ist dann zweifach auf Medien angewiesen:

einmal auf Medien zur Verbreitung und zum Transport, zum anderen aber auch für den interaktiven Erstellungsprozess . Medienhandeln ist damit oft oder sogar im-mer auf Produkte angewiesen und findet etwa in sozialen Netzwerken statt, also in von kommerziellen Firmen bereitgestellten digitalen Infrastrukturen . Darauf verweist die Medienbildung und verknüpft das gerne mit dem Argument, eine rein ,technische‘ Betrachtungsweise dieser digitalen Welt reiche deshalb nicht aus .

Döbeli fasst diese Diskussion in folgender Abbildung zusammen:

Abbildung 11. Verschiedene Möglichkeiten, den Zusammenhang zwischen (A)nwendung von IT, (I)nformatik und (M)edienbildung zu konzipieren (nach Döbeli Honegger, 2015)

In der öffentlichen Wahrnehmung stehen demzufolge die Anwendungen im Vorder-grund: Das effiziente und effektive Nutzen von digitalen Artefakten bzw . Informa-tions- und Kommunikationstechnologien . Aus der Perspektive der informatischen Bildung steht die Informatik im Mittelpunkt: das Verstehen der „Grundkonzepte der automatisierten Informationsverarbeitung“, das Nutzen der Grundkonzepte für Problemlösungen und zum Verstehen der Informationsgesellschaft . Aus der Perspektive der Medienbildung stehen die Medien im Mittelpunkt: Digitale Inhal-te produzieren, kritische Reflexion von „Nutzung, Bedeutung und Wirkung“; vgl . auch Döbeli Honegger, 2016) .

Die Idee, die Abbildung 11 zugrunde liegt, ist, aufzuzeigen, dass aus den je-weiligen disziplinären Sichtweisen heraus der jeweils „eigene“ Kreis als konstitu-tiv für die Betrachtung der anderen Kreise gesehen wird . Damit wird die Annahme verbunden, dass die jeweils ‚eingebetteten‘ Themen bzw . Kompetenzen (aus den anderen Bereichen) einfach nebenbei mit erworben werden . Dagegen scheint es sinnvoller, wie es in der Schweiz mit dem Lehrplan 21 versucht wird (Deutsch-schweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz, 2016), die Bereiche eher gleichbe-rechtigt nebeneinander zu berücksichtigen .

Es gibt daneben auch Versuche, weniger aus der eigenen disziplinären Sicht zu argumentieren und stattdessen allgemein oder übergreifend Kompetenzen für die digitale Welt zu beschreiben: Eine Expertengruppe aus Informatikerinnen und Informatikern sowie Medienwissenschaftlerinnen und Medienwissenschaftlern hat 2010 (für das BMBF) Kompetenzen für die digitale Welt beschrieben . Diese sind in vier Themen- und Aufgabenfelder gegliedert:

1 . Information und Wissen

2 . Kommunikation und Kooperation 3 . Identitätssuche und Orientierung

4 . Digitale Wirklichkeiten und produktives Handeln

Die einzelnen Kompetenzen werden dann ohne direkten Bezug zur Disziplin recht abstrakt beschrieben . Eine Kompetenz im Bereich Information und Wissen wird etwa wie folgt gefasst: „[…] die Herstellung und Verbreitung von Informationen und deren Erschließung als interaktive Prozesse begreifen und sich adressaten-gerecht, situationsbezogen und verantwortlich beteiligen“ (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz, 2016, S . 9) .

Aktuelle Ansätze suchen nach Wegen, die verschiedenen Aspekte oder Sicht-weisen so zu vereinbaren, dass sie in Bildungsprozessen fruchtbar aufeinander bezogen werden können . Sie zielen darauf, einerseits eine häufi g als sinnlos erlebte Einführung in innertechnische Wirkprinzipien ohne Lebensweltbezug zu verhindern und andererseits eine Bedienschulung, die nur ein Nutzen und damit Anpassen individueller Handlungsmöglichkeiten an vorgegebene digitaltechni-sche Systeme ermöglicht, zu vermeiden . Insbesondere soll so auch die gesell-schaft lich-kulturelle Perspektive gestärkt werden:

Abbil dung 12. Das Dagstuhl-Dreieck: Erkenntnisperspektiven auf die digitale Welt (Brinda et al., 2016)

Das Dagstuhl-Manifest beschreibt die drei Perspektiven mit folgenden Worten (Brinda, Diethelm, Gemulla, Romeike, Schöning & Schulte, 2016):

■ Die technologische Perspektive hinterfragt und bewertet die Funktionswei-se der Systeme, die die digitale Welt ausmachen . Sie gibt Antworten auf die Frage nach den Wirkprinzipien von Systemen, auf Fragen nach deren Erweite-rungs- und Gestaltungsmöglichkeiten . Sie erklärt verschiedene Phänomene mit immer wiederkehrenden Konzepten . Dabei werden grundlegende Prob-lemlösestrategien und -methoden vermittelt . Sie schafft damit die techno-logischen Grundlagen und das Hintergrundwissen für die Mitgestaltung der digitalen Welt .

■ Die gesellschaftlich-kulturelle Perspektive untersucht die Wechselwirkungen der digitalen Welt mit Individuen und der Gesellschaft . Sie geht z . B . den Fra-gen nach: Wie wirken digitale Medien auf Individuen und die Gesellschaft?

Wie kann man Informationen beurteilen, eigene Standpunkte entwickeln und Einfluss auf gesellschaftliche und technologische Entwicklungen nehmen?

Wie können Gesellschaft und Individuen digitale Kultur und Kultivierung mit-gestalten?

■ Die anwendungsbezogene Perspektive fokussiert auf die zielgerichtete Aus-wahl von Systemen und deren effektive und effiziente Nutzung zur Umsetzung individueller und kooperativer Vorhaben . Sie fragt, wie und warum Werkzeuge ausgewählt und genutzt werden . Dies erfordert eine Orientierung hinsichtlich der vorhandenen Möglichkeiten und Funktionsumfänge gängiger Werkzeuge in der jeweiligen Anwendungsdomäne und deren sichere Handhabung . Diesem Manifest folgend stellen wir hier ein Modell vor, das die im Dagstuhl-Drei-eck aufgezeigten Perspektiven entfaltet . Wichtig ist uns dabei, dass die einzelnen Perspektiven ineinandergreifen . Wir gehen dabei ebenfalls von der digitalen, ver-netzten Welt aus, in der Kinder heutzutage aufwachsen . Die vorrangige Perspek-tive ist für uns die technologische und damit die Frage: „Wie funktioniert das?“

Trotzdem sind die anderen beiden Perspektiven auf diesen Gegenstand der digi-talen Welt ebenso wichtig .

Im Dokument Frühe informatische Bildung – (Seite 69-73)