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Kreiszylinderschalen unter konstantem Axialdruck

2.1 Stand der Forschung

2.1.1 Unversteifte Kreiszylinderschalen unter Axialdruck

Schon bevor Lorenz [Lorenz, 1908] im Jahre 1908 erstmals eine Lösung zur Bestimmung der idealen, kritischen Beullast präsentierte, wurden axial gedrückte, lange Rohre mittels Euler-Formel auf Stabilitätsversagen in Form von Stabknicken hin untersucht. Lorenz bestimmte die Verzweigungslast des Kreiszylinders mit achsensymmetrischem Beulmuster unter Vernachlässigung der Querkontraktionν(Gl. 2.1).

Pcr= 2

√3πEt2 (2.1)

Wie Lorenz, basierte Timoshenko seine Studien auf der Loveschen Theorie dünner Plat-ten und Schalen [Love, 1907]. Er fand 1910 die ideale Verzweigungslast der mittellangen Kreiszylinderschale [Timoshenko, 1910], indem er einen Membranspannungszustand im Vorbeulbereich sowie eine radiale Aufweitungsmöglichkeit der Schale an ihren Rändern unterstellte (Gl. 2.2).

Pcr= 2

p3 (1−ν2)πEt2 (2.2)

Beim Beulvorgang selbst unterstellte Timoshenko jedoch eine Verschiebungsbehinde-rung an den Schalenrändern. Die Verzweigungsspannung nach Gl. 2.3 lässt sich über die Integration des Ausdruckes in Gl. 2.2 über den Schalenquerschnitt ermitteln und ist auch unter dem Synonym der „klassischen“ idealen Axialbeulspannungσclbekannt.

σcl = 1

p3 (1−ν2)πEt

r ≈0,605Et

r (fürν= 0,3) (2.3)

Bild 2.1: Mögliche Beulmuster des axialgedrückten Kreiszylinders nach [Wirth, 2008]

Bild 2.2: Ideale Axialbeulspannung in Abhängigkeit von der Zylinderlänge nach Flügge (aus [Reinke, 2014])

Flügge publizierte 1932 in [Flügge, 1932] eine erste „vollständige“ lineare Beultheorie.

Mit den Ansätzen nach Gln. 2.4 a-c löste er die drei homogenenen, partiellen Differential-gleichungen für die axialen, tangentialen und radialen Verschiebungskomponenten. Flügge nutzte die Gln. 2.4 a-c zur Beschreibung der Verschiebungen der ausgebeulten Geometrie des Zylinders.

u=Acos (nϕ) cos mπx

l

(2.4a) v =Bsin (nϕ) sin

mπx l

(2.4b) w=Ccos (nϕ) sin

mπx l

(2.4c) Dabei steht mfür die Anzahl der Beulhalbwellen in Meridianrichtung und nfür die Anzahl der Umfangsvollwellen. Die möglichen Beulformen sind schematisch im Bild 2.1 dargestellt: a) Ringbeulen, b) Schachbrettbeulen, c) Längsbeulen.

Die algebraische Darstellung des Differentialgleichungssystemes unter Verwendung der Ansätze aus den Gln. 2.4 a-c führt auf ein homogenes Gleichungssystem mit den FreiwertenA,BundC. Aus der Entwicklung der Koeffizientendeterminante ergibt sich die Beulbedingung in Abhängigkeit von der Anzahl der Beulwellen in Umfangs- und Meridianrichtung.

ω =





 l r

rr

t <4→ωI= l r

rr t = l

√rt l

r rr

t >4→ωII= l r

rt r

(2.5)

2.1 Stand der Forschung 7 Die grafische Darstellung dieses Sachverhaltes ist als „Girlandenkurve“ bekannt und im Bild 2.2 wiedergegeben. Sie stellt die Abhängigkeit der Verzweigungsspannungσcrvon der Länge axial gedrückter Kreiszylinderschalen anschaulich über den dimensionlosen Längenparameter ω (Gl. 2.5) dar. Für eine bessere Darstellung wird dieser Parameter im Bild 2.2 beiω ≈ 4neu definiert. Es wird gezeigt, dass ein großer Anteil möglicher Geometrien in den Bereich mittellanger Zylinder fällt und somit die Verzweigungslast unabhängig von den Randbedingungen ermittelt werden kann.

Im Bereich des kurzen Zylinders (ωI≤1,7) ist das Beulmuster axialsymmetrisch (eine Beulhalbwelle:m = 1) und zeigt eine Ähnlichkeit zum knickstabähnlichen Plattenbeulen eines kurzen Plattenstreifens. Das Beulverhalten wird von den gewählten Randbedingungen der Querränder beeinflusst.

Mittellange Zylinder (ωI>1,7undωII<0,5) können mit mehreren Beulhalbwellen in Meridian- und Umfangsrichtung beulen (m >1, n >1). Die Schalenränder beeinflussen die Verzweigungslast nicht.

Lange Zylinder kennzeichnen Beulformen mit wenigen Umfangshalbwellen. Im Grenz-fall erreichtneins und das Schalenbeulproblem geht in das Stabknicken über.

Donnell beschäftigte sich mit Kreiszylindern unter Torsion [Donnell, 1933]. Seine Erkenntnisse wandte er auf axialgedrückte Zylinder an [Donnell, 1934] und stellte eine vereinfachte Theorie zur Beschreibung des Beulverhaltens von Kreiszylindern auf.

Wie Flügge setzte er den Verschiebungsansatz aus den Gln. 2.4 a-c ein, um die Beullast der Kreiszylinderschale zu bestimmen und erhielt so Gl. 2.6 als Bestimmungsgleichung.

σmincl

E = m2

(m2+n2)2 + (t/r)2

12 (1−ν2) · (m2+n2)2

m2 mit:m= mπr

l (2.6)

Um die Verzweigungslast zu bestimmen, minimierte Donnell die Gleichung indem er die Wertepaaren,mvariierte. Für mittellange Kreiszylinder (n >4) ergibt sich eine gute Übereinstimmung mit der von Flügge bestimmten Girlandenkurve. Für weniger als vier Beulhalbwellen in Umfangsrichtung, nimmt die Genauigkeit von Donnels Lösung ab und genauere Theorien sind zu empfehlen [Hoff, 1966], [Speicher und Saal, 1998].

Das Ergebnis der Minimierung mit ganzen Zahlen führt auf die bereits durch Timoshenko hergeleitete Beziehung nach Gl. 2.3. Werden für die Minimierung auch nicht ganzzahlige Wertepaare (m,n) zugelassen, bleibt das kritische Beulmuster unbestimmt und muss lediglich die Bedingung nach Gl. 2.7 erfüllen.

m2

(m2+n2)2 = s

(t/r)2

12 (1−ν2) (2.7)

Stellt man Gl. 2.7 grafisch dar (Bilder 2.3 und 2.4), erhält man den „Koiter-Circle“ [Ko-iter, 1945] (englische Übersetzung in [Ko[Ko-iter, 1967]). Die möglichen Beulformen reichen vom achsensymmetrischen Ringbeulmuster (m >1,n = 0), über das Schachbrettbeulmus-ter (m >1,n >1) bis zum Längsbeulmuster (m= 1,n >1).

Besondere Bedeutung für die Beschreibung des Verzweigungsverhaltens von Kreiszy-lindern unter Axialdruck haben dabei die Wertepaare, die genau zu den Grenzwerten der oben genannten Muster führen (Tab. 2.1).

Erste Untersuchungen hinsichtlich des Nachbeulverhaltens axial belasteter Kreiszylin-derschalen führten v. Kármán und Tsien [v. Karman und Tsien, 1941] ab 1941 durch. Sie

Bild 2.3: Originaldarstellung des „Koiter-Circle“ (aus [Koiter, 1970])

Bild 2.4: Ergänzte Darstellung des „Koiter-Circle“ (aus [Wirth, 2008])

erkannten, dass in unmittelbarer Umgebung zum stabilen, ansteigenden Vorbeulpfad, labile Gleichgewichtszustände unterhalb der kritischen Beulspannung existieren. Das Springen der Schale in einer dieser Gleichgewichtslagen kann schon durch eine geringe Störung initiiert werden. Die erreichbaren Lasten der benachbarten Gleichgewichtszustände sind so gering, dass von bösartigem Nachbeulverhalten gesprochen wird.

Rechnerisch ermittelten v. Kármán und Tsien, mittels eines zweiparametrigen Ansatzes, das Minimum der Nachbeulkurve eines Kreiszylinders unter Axialdruck zu

σmin = 0,194Et

r (2.8)

Aus Experimenten, u.a. von [Kanemitsu und Nojima, 1939], war zu dieser Zeit bereits bekannt, dass die tatsächliche Traglast des Zylinders deutlich unter der Verzweigungslast

2.1 Stand der Forschung 9

Tabelle 2.1: Beulmuster, Wertepaare und Beulwellenlängen

Beulmuster Anzahl Beulwellen Wellenlänge

Ringbeule n= 0 m= l

1,73√

rt lx = 1,73√ rt Schachbrett n= 2πr

6,91√

rt m= l

3,46√

rt lx =lϕ = 3,46√ rt

Längsbeule n= 2πr 2l

s l 1,73√

rt−1 m= 1 lϕ =l

l 1,73√

rt−1 −0,5

liegt und das Traglastminimum längenabhängig ist. Die von v. Karman und Tsien ermit-telte Abminderung von etwa siebzig Prozent entsprach somit schon deutlicher den aus Experimenten gewonnenen Erwartungen an die Tragfähigkeit, als die Ergebnisse früherer Arbeiten.

Koiter wies 1963 die hohe Imperfektionssensitivität axial gedrückter Kreiszylinderscha-len nach [Koiter, 1963]. Er entwickelte Gl. 2.9 (Notation nach [Chen, 2011]), mit der, auf Basis eines sinus-förmigen, achsensymmetrischen Vorbeulmusters, eine asymptotische Bestimmung der Traglast für kleine Vorverformungenδ0möglich war. Wie anhand von Bild 2.5 deutlich wird, zeigten die von Koiter bestimmten Abminderungsbeiwerte eine sehr gute Übereinstimmung mit dem heute aktuellen Stand der Technik.

σu σcl

= 1−h 0,75p

3 (1−ν2)i

δ0 t

 1 + 2t 0,75p

3 (1−ν20

!0,5

−1

 (2.9) Anders als die Schweißimperfektion haben die von Koiter verwendete Imperfektion sowie die erste achsensymmetrische Beuleigenform in- und auswärts gerichtete Verfor-mungsvektoren. Daher ist die Vorbeultiefe bei diesen Imperfektionsmustern doppelt so tief, wie bei der Schweißbeule. Folglich sind die Widerständeα=σucrfür die Schweißim-perfektion mit einer Tiefeδ0/t= 1den Ergebnissen Koiters bei einer Imperfektionstiefe vonδ0/t = 2gegenüberzustellen. Daher wurde für die Kurven nach Koiter und für die Verläufe basierend auf der ersten Eigenform die Vorbeultiefe, gegenüber der Schweißim-perfektion für die Darstellung im Bild 2.5, verdoppelt (vgl. [Chen, 2011]).

Weitere rechnerische Untersuchungen von Hoff [Hoff et al., 1966] zeigten, dass bei großenr/t-Verhältnissen das Nachbeulminimum gegen null strebt. Da dies nicht durch die Experimente erklärt werden konnte, wurde der Versuch, das Nachbeulminimum als Tragfähigkeitskriterium zu verwenden, aufgegeben [Hoff, 1969].

Der Grund der unzutreffenden Vorhersage der Traglast lag in der Verwendung einer unendlich langen Schale als Berechnungsmodell. Die theoretische Bestimmung des Nach-beulverhaltens endlich langer Kreiszylinderschalen gelang u.a. [Thielmann und M., 1969].

Hutchinson und Koiter [Hutchinson und Koiter, 1970] beschäftigten sich ebenfalls mit dem Nachbeulverhalten imperfektionssensitiver Kreiszylinderschalen unter Axialdruck.

Sie gaben in ihrem Artikel eine anschauliche Zusammenstellung des Wissensstandes zu dieser Zeit und zeigten Tendenzen der Forschung für die Folgejahre auf. Auch die beiden Autoren beschrieben einen starken Traglastabfall des axial gedrückten Zylinders, sobald

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 0,0

0,2 0,4 0,6 0,8 1,0

Vorbeultiefe∆w0/t α=σucl

Koiter 1. EF Schweißbeule Typ A

Bild 2.5: Imperfektionssensitivität nach [Koiter, 1963], mit Eigenform (1. EF) und Schweißbeule Typ A fürr/t= 1000, S 355,l/r = 3

Imperfektionen in der Untersuchung eine Rolle spielten. Sie zeigten, dass die Tragfähigkeit bei einer Vorbeultiefe in der Größenordnung der Blechstärke bereits auf etwa zwanzig Prozent der Verzweigungslast fallen kann.

Die Berechnungen der frühen 1940er Jahre wurden zunehmend mit Experimenten be-gleitet. Seide, Weingarten und Morgan erarbeiteten bis 1960 einen Bericht [Seide et al., 1960] über die Entwicklung von Kriterien für das Stabilitätsversagen dünnwandiger Kreis-zylinderschalen. In diesem Schlussbericht wurde erläutert, wie anhand von Mylarzylindern empirische untere Hüllkurven des Knockdown-Faktorsα(in früheren Veröffentlichungen meist alsρbezeichnet) zur Bestimmung der Traglast aus der Verzweigungslast abgeleitet wurden. Neben rein axialdruckbelasteten Zylindern wurde auch der Einfluss von Innen-druck und Biegung auf das Stabilitätsverhalten untersucht. Die Zusammenstellung der Testergebnisse wurde von Weingarten, Morgan und Seide ergänzt [Weingarten et al., 1965].

In Karlsruhe wurden von Mitte der 80er bis Ende der 90er Jahre Regeln für den Umgang mit Silos und ihren spezifischen Beanspruchungen erarbeitet [Licht et al., 2000]. Für dieses Forschungsvorhaben wurden u.a. Versuche zum Einfluss des Schüttgutes auf die Axialbeullast durchgeführt [Licht et al., 2000]. Diese Versuchsergebnisse wurden von Knödel [Knödel, 1995] und Ummenhofer [Ummenhofer, 1996] in ihren Dissertationen detailliert beschrieben, ausgewertet und numerisch erweitert.

Auch in der jüngsten Vergangenheit wurden Versuche durchgeführt, um damit z.B.

numerische Parameterstudien zu kalibrieren. Athiannan und Palaninathan [Athiannan und Palaninathan, 2004] untersuchten unversteifte Schalen unter Axialdruck und Schublast.

Wirth [Wirth, 2008] wertete Versuche an Schornsteinen mit Fuchsöffnung unter Axialdruck sowie, bis dato unveröffentlichte, Testergebnisse von kleinmaßstäblichen Lipp-Silos aus, um damit die Eignung von [DIN EN 1993-1-6, 2007] zu überprüfen. Stranghöhner und Gorbachov [Stranghöner und Gorbachov, 2015], [Gorbachov et al., 2017] publizierten Experimente und FEM-Berechnungen an Zylindern aus rostfreiem Edelstahl. Die Er-gänzungen und Korrekturen der von Schmidt und Hautala [Schmidt und Hautala, 2000]

vorgeschlagenen Beul-Abminderungsfaktoren für axialdruckbelastete

Kreiszylinderscha-2.1 Stand der Forschung 11

Bild 2.6: Abhängigkeit des Knockdown-Faktors α von r/t nach [Harris et al., 1957]

(Darstellung aus [Rotter, 2004])

len aus rostfreiem Stahl werden voraussichtlich Einzug in DIN EN 1993-1-4 [DIN EN 1993-1-4, 2015] erhalten.

Als eine bedeutende Zusammenstellung von Versuchen ist u.a. die von Harris et. al [Harris et al., 1957] (Bild 2.6) zu nennen, die bis heute zitiert wird, u.a. von [Rotter, 1990], [Chen, 2011]). Weitere bedeutende, selektive Kollektionen von Experimenten an

unversteiften, axialgedrückten Kreiszylinderschalen sind u.a. von Schulz [Schulz, 1980], Bornscheuer [Bornscheuer, 1984], Doup [Doup, 1997] sowie [Gettel, 2008] und für die Kommentierung von [DIN 18800-4, 1990] in [Schmidt und Greiner, 1998] mit deren Quasi-Nachfolger, den ECCS-Recommendations [Schmidt und Rotter, 2015a], erstellt worden.

Letztere beinhaltet eine rein grafische Darstellung der Vesuchsergebnisse. Ein Vorschlag eines, gegenüber [DIN EN 1993-1-6, 2007] weniger konservativen Bemessungsverfahrens, konnte durch eine Neuauswertung der Experimente in [Jäger-Cañás und Pasternak, 2017b]

für besonders dünnwandige Kreiszylinder abgeleitet werden.

Mit der besseren Verfügbarkeit von leistungsfähigen Computern und passender Software spielte die Definition der Randbedingungen eine zunehmend untergeordnete Rolle. Ver-besserte Finite-Element-Programme erlaubten, u.a. Yamaki [Yamaki, 1984], ausführliche Parameterstudien an endlich langen Zylindern mit unterschiedlichen Randbedingungen bis in den Nachbeulbereich hinein durchzuführen. Seine, in Bild 2.7 exemplarisch dargestellten Ergebnisse, stellte er in Bezug zum Batdorf-ParameterZ(Gl. 2.10) dar.

Z =√

1−ν2 l2

rt (2.10)

Die stetig verbesserte Rechentechnik erlaubte auch Rotter eine Vielzahl an Veröffentli-chungen. Eine seiner bedeutenden früheren Fachbeiträge beschäftigte sich mit Schweißver-zug als Imperfektionsform [Rotter und Teng, 1989] und bildet heute noch die Grundlage ausgedehnter Forschung, u.a. der Erst-, bzw. seiner Co-Autoren Sadowski [Sadowski

Bild 2.7: Abhängigkeit des Nachbeulverhaltens vom Batdorf-Parameter [Yamaki, 1984]

und Rotter, 2009], Chen [Chen, 2011], Al Lawati [Rotter und Al-Lawati, 2016] und Fa-juyitan [FaFa-juyitan et al., 2017]. Rotter beeinflusste mit seinen Beiträgen, u.a. [Rotter, 1996], [Rotter, 1998], [Rotter, 1999], [Rotter, 2002] und [Rotter, 2011] maßgeblich die heute gültige Fassung von [DIN EN 1993-1-6, 2007]. Im Jahre 2016 stellte er das „Refe-rence Resistance Design“-Nachweiskonzept vor [Rotter, 2016], welches bereits über die 1. Änderung 2017 in die deutsche Fassung von [DIN EN 1993-1-6, 2007] übernommen wurde. Weiterführende Informationen für Wissenschaftler, die ihre Ergebnisse passend zum neuen Designgedanken aufbereiten wollen, gab er 2017 bei der SSTA2017-Konferenz in Danzig [Rotter, 2017].

Weiterhin wurden numerische Berechnungen an axial gedrückten Kreiszylinderschalen in jüngerer Vergangenheit von Gettel [Gettel, 2008] durchgeführt. Seine Ergebnisse im Parameterraum0< r/t ≤1250fasste er so zusammen, dass eigenformaffine Imperfektio-nen grundsätzlich ungeeignet sind und schlug quasi-kollapsaffine Muster vor. Im Fall des reinen Axialdrucks stellte sich eine rotations-symmetrische, konvexe Ringbeule (Bild 2.8, B) – grafische Darstellung aus [Timmel, 2004] übernommen – als besonders traglastmin-dernd heraus. Seine Aussagen stützte er auf Berechnungen, die mit Schachbrettbeulen als Imperfektion regelmäßig höhere Traglasten ergaben, als bei der Verwendung achsen-symmetrischer Muster. Er kritisierte den entsprechenden Absatz von [DIN EN 1993-1-6, 2007], der, bei einem normkonformen Vorgehen mit Skalierung der ersten Beuleigenform, zu unsicheren Ergebnissen führt.

Loose [Loose, 2008] untersuchte detailliert den Einfluss des Schweißvorgangs und dem daraus resultierenden Verzug des Kreiszylinders und führte mit dem Vorbeulmuster der Schweißsimulation und den eingeprägten Eigenspannungen eine Parameterstudie durch.

Aufgrund der Komplexität der Abhängigkeiten der einzelnen Parameter voneinander konnte er keine allgemeingültigen Schlussfolgerungen ziehen, außer dass der Fügeprozess sich eindeutig auf das Stabilitätsverhalten auswirkt. Er erklärte, dass sich durch sukzessive Füllung der Schweißnähte in Umfangsrichtung die tangentiale Welligkeit verstärkt und

2.1 Stand der Forschung 13

Bild 2.8: Imperfektionen für einen axial gedrückten Kreiszylinder nach [Timmel, 2004]

daher rotationssymmetrische Verläufe von Vorbeulmustern nicht zutreffend sind. Loose stellte fest, dass die Tragfähigkeit bei der Verwendung einer transienten Wärmequelle geringer, als bei einer rotationssymmetrischen Wärmequelle ist.

In der jüngeren Vergangenheit sind nur wenige Studien, die sich mit dem axial gedrück-ten Zylinder befassen, publik geworden. Rotter und Al Lawati beschäftiggedrück-ten sich mit dem Längeneffekt auf das Beulverhalten kurzer Kreiszylinderschalen unter Axialdruck [Rotter und Al-Lawati, 2016]. Sie zeigten, dass perfekte Zylinder sich in Abhängigkeit der Länge anders als imperfekte Schalen verhalten. Bei bestimmten Längenverhältnissen stellte sich eine gesteigerte Imperfektionssensitivität mittellanger Zylinder ein. Die Autoren schlugen eine Einführung eines lastfallabhängigen Imperfektionssensitivitätsfaktors in die Norm vor.

Sie warnten gleichzeitig aber davor, dass ein einzelner Faktor ggf. der mechanischen Kom-plexität nicht gerecht werden kann und dies daher eine ungerechtfertigte Vereinfachung darstellen könnte.

Mehr im Fokus der Forschung in den letzten Jahren waren eher dickwandige Kreiszy-linderschalen unter Biegung. Reinke [Reinke, 2014] beschäftigte sich mit polygonalen Masten unter Biegung und verwendete dabei, als Referenz, ein zylindrisches Rohr. Sa-dowski [SaSa-dowski und Rotter, 2013] forschte zunächst an einer vereinfachten Anwendung der Schalentheorie mittels Tabellenkalkulationsprogrammen als Ersatz für Finite-Element-Berechnungen. Später publizierte er als Co-Autor von Rotter [Rotter et al., 2014] Untersu-chungen an biegebeanspruchten Kreiszylinderschalen mit unterschiedlichen Längenverhält-nissen und der Bemessung von Kreishohlprofilen unter Biegebeanspruchung [Rotter und Sadowski, 2014]. Zusammen mit seinen Co-Autoren Sadowski und Rotter veröffentlichte Fajuyitan [Fajuyitan et al., 2015] eine Parameterstudie zum Einfluss der Lagerungsbedin-gungen von perfekten und imperfekten Kreiszylindern unter Biegung und verschiedenen Längenverhältnissen auf deren Traglast. Zwei Jahre darauf veröffentlichte Fajuyitan mit

Sadowski und Wadee [Fajuyitan et al., 2017] Ergebnisse einer numerischen Studie an kurzen, biegebelasteten Kreiszylinderschalen mit einer Schweißimperfektion.

Peters und seine Co-Autoren [Peters et al., 2017] stellten beim Eurosteel 2017-Kongress eine Studie vor, die sich mit der Kalibrierung des Eurocode-Designmodells für biege-beanspruchte, dünnwandige Zylinder beschäftigte. Motiviert durch die vielfältigen und abweichenden Regelungen in aktuellen Normen, wurde eine neue Dimensionierungsvor-schrift auf Grundlage des Bemessungskonzepts mit Referenzwiderständen („Reference Resistance Design“) entwickelt. Das vorgestellte Modell ist bereits in der überarbeiten Norm [DIN EN 1993-1-6, 2017] enthalten.

Die Aufzählung nur weniger, ausgesuchter Beiträge Rotters zur Entwicklung der aktu-ellen Norm wird seinem Einfluss auf das aktuelle Regelwerk nicht gerecht. Zusammen mit seinen Co-Autoren ebnete er den Weg für ein modernes, zukunftsorientiertes Regel-werk, [DIN EN 1993-1-6, 2017], das die Brücke von den empirisch gewonnenen Abmin-derungskurven und deren numerische Erweiterung bis hin zu rein numerisch ermittelten Abminderungsfunktionen schlägt. Dabei ermöglicht die Norm vereinfachte Nachweise für eine schnelle und sichere Bemessung. Sie erlaubt darüber hinaus aber auch die Anwendung numerischer Methoden und gibt explizite Handlungsempfehlungen für die numerische Analyse. Neben seinem Engagement in der Normenentwicklung ist er Autor und Editor von

„Buckling of Thin Metal Shells“ [Rotter und Teng, 2004]. Zusammen mit den Mitgliedern der ArbeitsgruppeTWG 8.4 – Shells, leistete er wertvolle Beiträge für die Kommentierung von EN 1993-1-6 in den ECCS Recommendations [Schmidt und Rotter, 2015a].