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Unterstützungsmöglichkeiten

Im Dokument Kinder psychisch kranker Eltern (Seite 46-50)

5. Schutzfaktoren

5.2 Unterstützungsmöglichkeiten

Es wird davon ausgegangen, dass es sich bei der Resilienz nicht um eine Fähigkeit handelt, die Menschen von Geburt an besitzen oder nicht besitzen (vgl. Pretis, Dimova 2019, S. 77), sondern sich im Laufe des Lebens entwickelt, indem sich die minderjährigen und erwachsenen Kinder psychisch kranker Eltern aktiv mit den belastenden Lebensumständen auseinandersetzen und den Umgang mit diesen lernen (vgl. Lenz, Wiegand-Grefe 2016, S. 30 f.). Dementsprechend können Resilienzprozesse gefördert werden, wobei nicht jedes Kind von psychisch kranken Eltern gleichermaßen Fördermaßnahmen benötigt, denn „die jeweilige Unterstützungsnotwendigkeit hängt in hohem Maße vom Gleichgewicht zwischen Risikofaktoren und Resilienzprozessen ab“ (Pretis, Dimova 2019, S. 82).

Die meisten Unterstützungsmaßnahmen sind präventive Angebote, deren Ziel ist, Risikofaktoren zu mildern und die Ressourcen der Kinder und der Familie zu stärken (vgl. Lenz, Kuhn 2011, S. 293 / Lenz, Wiegand-Grefe 2017, S. 48). Hierbei ist die Zusammenarbeit der einzelnen Leistungssysteme mit kind-, eltern- und familienbezogenen Angeboten für eine zielführende Unterstützung entscheidend (vgl.

Schone, Wagenblass 2010, S. 225 f.). Bei Hilfsmöglichkeiten ist es besonders wichtig, die Kinder und Familie präventiv zu unterstützen bevor die Kinder auffällig werden, weil das Verhalten der meisten Kinder unauffällig und problemlos wirkt, obwohl Hilfe benötigt wird (vgl. Pretis, Dimova 2019, S. 22 f.). Um möglichen Störungen der Entwicklung schon frühzeitig entgegenwirken zu können, müssen hier vorbeugende Maßnahmen eingesetzt werden (vgl. Lenz, Kuhn 2011, S. 293).

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Psychisch kranke Eltern haben nach §27 Abs. 1 SGB VIII einen Rechtsanspruch auf Unterstützung des Jugendamts, damit eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung gewährleistet werden kann. Dennoch nimmt ein Großteil der Betroffenen diese Hilfsmöglichkeiten nicht in Anspruch (vgl. Lenz, Brockmann 2013, S. 125).

Viele psychisch erkrankte Eltern wissen nicht, dass ihnen Unterstützung zusteht und an wen sie sich wenden können, um diese Angebote in Anspruch zu nehmen (vgl.

ebd.). Aber auch wenn sie Unterstützungsmaßnahmen kennen, fällt es ihnen häufig schwer, das Jugendamt um Unterstützung zu bitten, weil sie einen Sorgerechtsentzug (vgl. Semmelhack 2011, S. 78 f. / Heim 2011, S. 55) oder eine Kontakteinschränkung befürchten (vgl. Neuschäfer 2014, S. 33). Diese Angst ist auch insofern begründet, dass nach einer Hochrechnung von Lenz bei 1500 bis 1800 Fällen eines Sorgerechtsentzugs pro Jahr in Deutschland eine psychische Störung der Eltern zumindest einen auslösenden Faktor für eine Sorgerechtseinschränkung darstellt (vgl.

Lenz 2008, S. 7).

Innerhalb der letzten Jahre hat die Erwachsenenpsychiatrie große Fortschritte gemacht: Psychisch kranke Menschen werden nicht mehr überwiegend stationär, sondern vermehrt ambulant in ihren natürlichen Lebenszusammenhängen betreut.

Daraus folgt, dass psychisch kranke Eltern häufig mit ihren Kindern zusammen im häuslichen Umfeld leben können und die Kinder nicht stationär untergebracht werden müssen. Somit können auch die Unterstützungen für die Kinder in der eigenen Häuslichkeit erfolgen (vgl. Pretis, Dimova 2019, S. 37).

Professionelle Hilfen reichen von einer allgemeinen Unterstützung in der Erziehung und Betreuung bis hin zur konkreten Unterstützung der Kinder in Freizeitaktivitäten, Kontaktmöglichkeiten mit Gleichaltrigen und Hilfen bei Hausaufgaben sowie der Eltern im Haushalt sowie Psychotherapie hinaus (vgl. Lenz, Brockmann 2013, S. 125).

Durch die Einordnung der psychischen Störung der Eltern als Familienerkrankung richten sich nach Semmelhack viele Angebote an die gesamte Familie. Dies ist einerseits sehr sinnvoll, andererseits hat dies den Nachteil, dass bei fehlender Krankheitseinsicht der Eltern auch die Kinder keine Unterstützung erfahren (vgl.

Semmelhack 2011, S. 91). Nach Jungbauer et al. hingegen sind die meisten präventiven Angebote auf die Kinder selbst beschränkt und es sollten mehr familienorientierte Gesamtkonzepte entwickelt werden (vgl. Jungbauer et al. 2011, S. 17). Diese Disparität zeigt auf, dass es eine noch nicht aufgelöste wissenschaftliche

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Kontroverse darüber gibt, inwiefern Hilfsangebote für Kinder gewährleistet werden.

Daher ist es nicht möglich Aussagen darüber zu treffen, ob die Hilfsangebote für die gesamte Familie oder für die Kinder selbst ausreichend sind oder zu wenig Unterstützungsmöglichkeiten vorhanden sind.

Bei Unterstützungen für die Kinder von psychisch kranken Eltern ist es besonders wichtig, dass eine für die Kinder und Familie passende Unterstützungsmöglichkeit gefunden wird. Es muss somit im Einzelfall entschieden werden, welche Unterstützung zu den Bedürfnissen der betroffenen Familie passt und welche Maßnahmen angenommen werden können. Demnach kann kein pauschales Angebot erstellt werden und die Hilfen werden je nach Krankheitsbild und Persönlichkeit der Familienmitglieder auf die Bedarfe der Familien ausgelegt (vgl. Pretis, Dimova 2019, S. 27). Erwachsene Kinder psychisch kranker Eltern werden zumeist durch Selbsthilfegruppen oder durch Psychotherapie unterstützt. Diese Hilfsangebote erleichtern ihnen zum einen, die Erlebnisse aus der Kindheit zu verarbeiten und Bewältigungsstrategien für diese zu entwickeln und zum anderen sich mit den aktuellen Schwierigkeiten durch die noch immer andauernde psychische Störung ihrer Eltern zu beschäftigen und in dem Umgang mit dieser unterstützt zu werden (vgl.

Jungbauer et al. 2018, S. 222 f.). Im Folgenden sollen beispielhaft zwei Hilfsprojekte, die speziell für die Unterstützung von Kindern psychisch kranker Eltern organisiert wurden, vorgestellt werden.

In den letzten Jahren sind einige Patenschaftsprojekte entstanden (vgl. Schmutz 2010, S. 121), die an den sozialen Schutzfaktor einer Bezugsperson für die Kinder anknüpfen (vgl. Semmelhack 2011, S. 88). Das Ziel von Patenschaften liegt darin, den Kindern

„eine langfristige und kontinuierliche Unterstützung durch einen gesunden erwachsenen Ansprechpartner zu bieten“ (Reinisch et al. 2011, S. 68). Durch diese Unterstützungsmaßnahme soll nach Reinisch eine Fremdunterbringung der Kinder verhindert werden. Gleichzeitig sollen die Kinder Normalität und Unterstützung erfahren und ihre kindliche Entwicklung soll unterstützt werden. Für die Eltern liegt das Ziel einer Patenschaft in der Entlastung und der sozialen Unterstützung. Die Aufgaben der Pat*innen liegen in der Begleitung der Kinder in ihrem Alltag (vgl. ebd.) sowie in „Versorgungs-, Pflege-, Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsaufgaben“

(Schmutz 2010, S. 121). Darüber hinaus können die Kinder bei ihren Pat*innen oder Patenfamilien während Klinikaufenthalten und intensiven Krankheitsphasen der

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Eltern kurzzeitig einziehen (vgl. Semmelhack 2011, S. 89), weswegen eine Voraussetzung für eine Patenschaft in der sozialräumlichen Nähe liegt (vgl. Reinisch et al. 2011, S. 69). Damit eine Patenschaft für alle Beteiligten zielführend sein kann, ist wichtig, dass sowohl die Kinder als auch die Eltern eine vertrauensvolle Beziehung zu den Pat*innen haben (vgl. Lenz, Brockmann 2013, S. 102). Solche Patenschaften werden zumeist ehrenamtlich wahrgenommen oder mit einer Aufwandsentschädigung honoriert (vgl. Schmutz 2010, S. 121).

Eine beispielhafte Unterstützungsmöglichkeit für erwachsene Kinder psychisch kranker Eltern stellt der Verein Seelenerbe e.V. dar.17 Dieser hat zum einen das Ziel, einen offenen Umgang mit psychischen Erkrankungen zu fördern sowie die gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf die spezifische Gruppe der erwachsenen Kinder psychisch kranker Eltern zu lenken, damit Stigmatisierungen und Vorurteile abgebaut werden. Zum anderen sollen die erwachsenen Kinder unterstützt und ihre bundesweite Vernetzung gefördert werden. Die Unterstützung erfolgt unter anderem über ein Forum zum Austausch. Nach Jungbauer et al. sehen 45,7 % der Betroffenen Internetforen für erwachsene Kinder psychisch kranker Eltern als ein nützliches Hilfsangebot an (vgl. Jungbauer et al. 2018, S. 222). Des Weiteren werden im Rahmen des Vereins Veranstaltungen mit speziellen Seminaren und Workshops angeboten, die sich meist als gemeinsam verbrachte Wochenenden gestalten, in denen sich über die eigenen Erfahrungen und deren Folgen ausgetauscht wird. Nach Jungbauer et al.

schätzen 65 % der erwachsenen Kinder diese Art der Unterstützung als hilfreich ein (vgl. ebd.). Zusätzlich ist auf der Website des Vereins eine Übersicht über Selbsthilfegruppen in Deutschland speziell für erwachsene Kinder psychisch kranker Eltern zu finden. Diese Möglichkeit der Unterstützung wird von erwachsenen Kindern – sofern die Selbsthilfegruppen mit einer Fachkraft stattfinden – als besonders geeignet eingeschätzt: 81,6 % der erwachsenen Kinder halten Selbsthilfegruppen für hilfreich (vgl. ebd.). Außerdem stellt der Verein eine Auswahl an Texten und Literatur über Kinder psychisch kranker Eltern zur Verfügung, die den erwachsenen Kindern bei der Bewältigung der Erfahrung, mit psychisch kranken Eltern aufgewachsen zu sein, helfen sollen.

17 Alle Ausführungen dieses Abschnitts, die nicht anders belegt sind, beziehen sich auf diese Website:

http://www.seelenerbe.de/

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