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Fazit und Ausblick

Im Dokument Kinder psychisch kranker Eltern (Seite 50-55)

Die vorliegende literaturbasierte Bachelorthesis hat sich mit den möglichen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung der Eltern auf ihre Kinder beschäftigt.

Das Anliegen dieser Arbeit war es, die Zielgruppe der minderjährigen und erwachsenen Kinder psychisch kranker Eltern in die Aufmerksamkeit zu rücken und einen fachlichen Beitrag zur gemeinsamen Betrachtung zu leisten. Im Verlauf der Arbeit kommt die besondere Wichtigkeit der Thematik zur Geltung: Drei Millionen Kinder machen jeden Tag die Erfahrung, mit psychisch kranken Eltern aufzuwachsen.

Diese Zahl zeigt, dass es sich keinesfalls um eine Randgruppe handelt, auch wenn sich die Kinder psychisch kranker Eltern häufig allein mit ihrer Situation fühlen. Deshalb ist die Betrachtung der möglichen Auswirkungen auf die Kinder insgesamt ein Unterfangen von besonderer Wichtigkeit.

Insgesamt sind die Kinder psychisch kranker Eltern in vielen Bereichen von der elterlichen Erkrankung betroffen. Dazu gehört bei minderjährigen Kindern unter anderem eine starke Orientierungslosigkeit aufgrund von mangelnden Strukturen wie einem geregelten Tagesablauf. Darüber hinaus sind viele Kinder sozial isoliert, was sich auf die Tabuisierung der Krankheit zurückführen lässt. Zusätzlich können Schuldgefühle aufgrund mangelnder Erklärungen für das Verhalten der Eltern entstehen sowie Überforderung, welche aus dem Versuch resultiert, Verantwortung zu übernehmen. Die Auswirkungen, die sie aus dem Zusammenleben mit ihren Eltern tragen, sind nicht nur auf die Zeit begrenzt, in denen sie den belastenden Lebensumständen direkt ausgesetzt sind, sondern können ein langfristiger Bestandteil ihres täglichen Lebens sein. Einige langfristige Folgen bleiben aus der Kindheit bestehen, wie beispielsweise Schuldgefühle, das Gefühl, den Eltern helfen zu müssen und die tatsächliche Übernahme von Aufgaben. Neben diesen Einflüssen fällt eine starke Vernachlässigung der eigenen und Fokussierung auf die Bedürfnisse Anderer sowie die Angst vor einer eigenen psychischen Erkrankung auf. Hinzu kommen negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Persönlichkeit und ein geringes Selbstwertgefühl. Zudem konnte herausgestellt werden, dass sich die Auswirkungen auf die Kinder psychisch kranker Eltern gegenseitig beeinflussen. So zeigt sich unter anderem, dass bei einer Tabuisierung der psychischen Störung die Desorientierung der Kinder stärker ausfällt.

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Im Gegensatz dazu entwickeln sich viele Kinder psychisch kranker Eltern positiv und die Risikofaktoren ziehen keine negativen Folgen nach sich. Diese Kinder weisen Schutzfaktoren und Bewältigungsstrategien auf, welche durch die Unterstützung von Fachkräften gestärkt werden können. Sozialpädagogische Fachkräfte unterstützen zum einen die gesamte Familie, indem sie ihnen helfen, ihre lebensweltbedeutsamen Schutzfaktoren zu mobilisieren, um damit den Kindern eine positivere Alltagsgestaltung zu ermöglichen. Zum anderen können sie die Kinder bei der Entwicklung ihrer kindbezogenen Schutzfaktoren unterstützen, indem sie sie beispielsweise kindgerecht über die psychische Störung aufklären und ihre offenen Fragen – die meist von den Eltern nicht ausreichend beantwortet werden – klären.

Rückblickend erscheint die Fachliteratur über die minderjährigen Kinder psychisch kranker Eltern sehr umfassend. In der Gesamtzahl sind allerdings zu wenig präventive Angebote für die Kinder psychisch kranker Eltern vorhanden (vgl. Semmelhack 2011, S. 89). Mitunter können die allgemeinen Unterstützungsangebote der Hilfen zur Erziehung genutzt werden, aber konkrete Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern werden in erster Linie durch Initiativen einzelner Personen aufgestellt und sind nicht einheitlich festgelegt (vgl. Lenz 2009, S. 27 / Reinisch et al. 2011, S. 62). Die Angebote werden meist durch Spenden, Kooperationen mit Stiftungen sowie karitativen Fördernden und vereinzelt durch öffentliche Mittel finanziert (vgl.

BMFSFJ 2009, S. 236). Demnach wäre es aus sozialpädagogischer Perspektive wünschenswert, wenn es mehr Hilfsmöglichkeiten geben würde, die speziell auf die Bedürfnisse der Kinder psychisch kranker Eltern ausgelegt sind sowie einheitlich festgelegt und durch öffentliche Mittel finanziell gesichert sind. In der Praxis treffen Mitarbeitende, die Hilfen zur Erziehung anbieten, häufig auf Situationen, die sie nicht umfassend bearbeiten können, weil sie bezogen auf die besonderen Verhaltensweisen von psychisch kranken Menschen sowie die Methoden des Umgangs mit diesen und ihren Angehörigen nicht ausreichend ausgebildet sind (vgl. Schone, Wagenblass 2010, S. 232). Aus diesem Grund wurden bereits einige und sollten auch in Zukunft weitere Konzeptionen so weiterentwickelt werden, dass sie nicht mehr nur die klassischen Hilfen zur Erziehung beinhalten, sondern unter Berücksichtigung der besonderen Situation der Familien mit psychisch kranken Eltern erweitert werden (vgl. ebd.).

Zusätzlich ist es notwendig, dass mehr Angebote für alle Altersgruppen geschaffen werden, die für Kinder selbst zugänglich sind. Beispielsweise könnten mehr Projekte wie die der Arbeitsgemeinschaft SeelenNot entwickelt werden, die für Kinder

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verständlich erklären, worum es sich bei psychischen Störungen handelt.18 Bis auf beginnende Modellprojekte sind für einige Altersgruppen kaum institutionalisierte Strukturen vorhanden, die sie selbst erreichen können (vgl. Pretis, Dimova 2019, S. 26). Für die Unterstützung der minderjährigen Kinder psychisch kranker Eltern sind demnach zukünftige Herausforderungen das Schaffen eines Regelangebots, die bessere Erreichbarkeit der betroffenen Familien, die Vernetzung der professionellen Unterstützungssysteme – es bedarf multiprofessioneller Fachkompetenz aus den Bereichen der Erwachsenenpsychiatrie und der Jugendhilfe – und die nachhaltige Finanzierung von Präventionsangeboten (vgl. Heitmann et al. 2012, S. 129 / Jungbauer et al. 2011, S. 18).

Die Fachliteratur über die Auswirkungen und Erfahrungen von erwachsenen Kindern psychisch kranker Eltern bedarf vor allem mit Blick auf ihre herausgestellte Wichtigkeit umfassender Ergänzungen. Auch nach Murphy et al. gibt es kaum Forschungsarbeiten, die sich auf die langfristigen Auswirkungen der Kinder beziehen (vgl. Murphy et al. 2016, S. 1), weswegen die erste zukünftige Herausforderung in der Erfassung der langfristigen Folgen – insbesondere durch Studien mit repräsentativem Charakter – liegt. Viele erwachsene Kinder haben das Bedürfnis, sich durch geeignete Hilfsangeboten unterstützen zu lassen: 78,9 % der erwachsenen Kinder psychisch kranker Eltern sind der Auffassung, dass sie als eigenständige Zielgruppe einen Bedarf an Beratung und an Unterstützung haben (vgl. Heim 2011, S. 54 f. / Jungbauer et al.

2018, S. 222). Ebenso wie bei den minderjährigen Kindern ist es erforderlich, ein spezifisches Angebot für erwachsene Kinder psychisch kranker Eltern zu schaffen.

Zwar sind allgemeine Angebote wie Selbsthilfegruppen ohne spezielle Zielgruppe auch hilfreich, jedoch werden Selbsthilfegruppen, die speziell für erwachsene Kinder psychisch kranker Eltern ausgerichtet sind, als geeigneter angesehen. Darüber hinaus halten 88,2 % der erwachsenen Kinder eine individuelle Einzelberatung, die speziell für die Zielgruppe der erwachsenen Kinder psychisch kranker Eltern konzipiert wird, für eine besonders hilfreiche Unterstützungsmöglichkeit (vgl. ebd.). Demnach ist es in der praktischen sozialpädagogischen Arbeit erstrebenswert, erwachsene Kinder als eigenständige Adressat*innengruppe stärker wahrzunehmen, indem ihnen

18 Die Website der Arbeitsgemeinschaft SeelenNot ist unter folgendem Link zu finden:

https://www.seelennot-ev.de/fuer-kinder-und-jugendliche

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Unterstützungen angeboten werden, die auf ihre persönlichen und in ihrem Lebensumfeld vorhandenen Probleme zugeschnitten sind.

Neben der Fokussierung auf die speziellen Bedürfnisse der Zielgruppe sollte es ein grundlegendes Ziel sein, mehr Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, damit die Stigmatisierung von Seiten der Gesellschaft abnimmt. Die Angst vor Stigmatisierungen sowie die tatsächlichen Stigmatisierungserfahrungen erschweren es den psychisch erkrankten Personen, die Erkrankung zu akzeptieren und entsprechende Hilfen in Anspruch zu nehmen (vgl. Schmutz 2010, S. 33). Als Folge dessen wird die elterliche Erkrankung von der Familie tabuisiert und die minderjährigen und erwachsenen Kinder sind von vielfältigen Belastungen betroffen. „Vor diesem Hintergrund braucht es eine Öffentlichkeitsarbeit, die sich sowohl an Betroffene als auch an die Gesamtbevölkerung richtet“ (ebd.). Das übergeordnete Ziel mit Blick auf die Gesellschaft sollte darin liegen, dass Betroffene einer psychischen Erkrankung von der Gesellschaft nicht mehr negativ assoziiert und gemieden werden, sondern als von einer Krankheit im medizinischen Sinne betroffen betrachtet werden (vgl. ebd.).

Durch umfassende Informationsmöglichkeiten zu dieser Thematik kann eine Aufklärung – beziehungsweise Weiterbildung – der Bevölkerung und damit eine Aufhebung der negativen Konnotation einer psychischen Erkrankung bewerkstelligt werden. Als Beispiel lässt sich hierfür die MUT-TOUR nennen, bei der Menschen mit und ohne Erfahrungen mit Depressionen durch verschiedene körperliche Aktivitäten, die in Gruppen unternommen werden, ins Gespräch kommen. Hierdurch erfolgt eine Aufklärung der Personen ohne Erfahrungen mit Depressionen durch die Betroffenen.

Zusätzlich werden die Erfahrungen der Teilnehmenden im Zuge von Befragungen durch Journalisten festgehalten. Dadurch wird ein tiefgreifendes Verständnis für Menschen mit Depressionen entwickelt, welches durch die MUT-TOUR direkt eine personelle Verbindung erfährt und damit persönlicher wird.19 Zur Weiterbildung der Gesellschaft bieten sich vor allem Kampagnenprogramme an, bei denen Menschen mithilfe von Informationsmaterialien wie Flyern, Plakaten und Filmen über psychische Störungen und deren Konsequenzen für die Betroffenen sowie deren Angehörigen aufgeklärt werden.20 Um Stigmatisierungen entgegenzuwirken, ist der Verzicht auf psychologische Begrifflichkeiten eine weitere Möglichkeit. Dies sollte

19 Die Website der MUT-TOUR ist unter folgendem Link zu finden: https://www.mut-tour.de/

20 Solche Kampagnen können beispielsweise unter folgender Website gefunden werden:

https://www.psychenet.de/de/psychische-gesundheit/kampagne.html

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vor allem in der sozialpädagogischen Zusammenarbeit beachtet werden, da diese Begriffe – wie bereits dargelegt – als stigmatisierend und defizitorientiert angesehen werden können. Statt die Eltern als „psychisch krank“ oder „psychisch gestört“ zu bezeichnen, ist es zentral, zu beachten, dass die psychische Erkrankung die Betroffenen nicht vollständig ausmacht, sondern auch persönliche Ressourcen vorliegen, die für die eigene Bewältigung sowie für das Stärken der Bewältigungskompetenzen der Kinder verwendet werden können. Dies erfordert eine umfassende Aus- beziehungsweise Weiterbildung der entsprechenden sozialpädagogischen Fachkräfte.

Abschließend lässt sich auf Basis der dargestellten Aspekte bezogen auf die Forschungsfrage dieser Arbeit, wie sich die psychische Erkrankung von Eltern auf ihre Kinder auswirken kann, folgendes Ergebnis darstellen. Die Auswirkungen und Belastungen auf die Kinder psychisch kranker Eltern können sehr vielfältig sein und können sich bis ins Erwachsenenalter ziehen. Durch eine angemessene und zielführende Unterstützung von Fachkräften ist es den Kindern psychisch kranker Eltern hingegen möglich, negative Auswirkungen zu verringern oder sogar zu negieren. Dieses Ziel sollte in der praktischen Arbeit durch die oben benannten Aspekte mehr in den Fokus gerückt werden, da die Zielgruppe der Kinder psychisch kranker Eltern bislang vor allem bezogen auf die erwachsenen Kinder zu wenig Beachtung erfährt.

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