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Die Im Februar 1967 verabschiedeten ersten beiden USt-Rlchtllnlen reichten aus, um die für das Integrationsklima schädlichen Manipulationen am steuerlichen Grenzausgleich In Zukunft zu unterbinden. Selbstverständlich llell das nunmehr gemeinschaftlich fixierte MWSt-System noch die eine oder andere gravierende Lücke offen, die vor Erreichung des Endziels Abschaf-fung der Steuergrenzen ausgefüllt werden mul\te. Bis gegen Ende der 60er Jahre hatte die Kommission jedoch nicht vor, sich bei der über die 2.USt-Rlchtllnle hinausgehenden Harmonisierung der MWSt-Bemessungsgrundlage länger aufzuhalten. Ihre erklärte Absicht war vielmehr, auf die ersten bei-den USt-Rlchtllnlen lediglich noch eine dritte' folgen zu lassen, dl& bis spätestens Anfang der 70er Jahre die noch fehlenden Voraussetzungen für die Beseitigung der Steuergrenzen - Insbesondere die Angleichung der Sätze - schaffen und damit die USt-Harmonlslerung abschließen sollte.

Aber es kam anders. In der ersten Hälfte der 70er Jahre sah sich die Kom-mission veranlaßt, Ihre auf die baldige Verwirklichung des alten Stufenpro-grammes• ausgerichteten Harmonlslerungspläne zu revidieren und der end-gültigen Abschaffung der steuerlichen Grenzkontrollen zunächst einen Zwi-schenschritt vorzuschalten: die umfassende Vereinheitlichung der MWSt-Be-messungsgrundlage.

Verursacht wurde die umsatzsteuerpolltlsche Neuorientierung Brüssels durch zwei voneinander ganz unabhängige Entwicklungen. Zum einen scheuten die Mitgliedstaaten davor zurück, das hellle Eisen Angleichung der Steuersätze anzufassen. Um nicht vollständig zur Untätigkeit verurteilt zu sein, widme-te sich die Kommission der Harmonisierung der Bemessungsgrundlage, und zwar In einem Ausmal\, wie sie es ursprünglich gar nicht vorgesehen hatte.

Zum anderen fiel Im April 1970 die Entscheidung, einen Tell des nationalen Bis 1966 wurde In Brüssel von einer 3., danach von einer 4.USt-Rlchtllnle gesprochen, da sich eine gesonderte Richtlinie zur Besteue-rung der Landwirtschaft ab Ende 1966 bereits in Ausarbeitung befand.

Vgl. Kap.C.l.1.3.

MWSt-Aufkommens In die EG-Kasse fließen zu lassen. Dies erforderte, so zumindest nach Ansicht der Kommission, eine Vereinheitlichung der MWSt-Bemessungsgrundlage, die über das zur Abschaffung der Steuergrenzen not-wendige Maß weit hinausging.•

Der Zwischenschritt Harmonisierung der Bemessungsgrundlage war Insofern ungeplant, als er das ursprüngliche Konzept der Kommission sowohl Inhaltlich - hinsichtlich des Grades der angestrebten Angleichung - als auch zeitlich - er nahm die gesamten 70er Jahre in Anspruch und Ist bis heute noch nicht abgeschlossen - sprengte. Im folgenden soll nun darge-stellt werden, welche Zielvorstellungen dabei Im einzelnen eine Rolle spielten - 1.Abschnltt - und wie sich der politische WUlensbUdungsprozeß vollzog 2.Abschnltt

-1. Die Ziele der w1cht111tan Akteure

1.1. Das alte Ziel: Wettbewerbsneutralität

Die Gewährleistung einer wettbewerbsneutralen Besteuerung war das aus-schlaggebende Motiv für die ersten beiden USt-Rlchtllnlen gewesen. Dieses Ziel war auch Insofern erreicht worden, als die Höhe des Grenzausgleichs nun ein für alle Mal festlag. Verzerrungen gab es aber nach wie vor. Ver-ursacht wurden sie durch zahlreiche Steuerbefreiungen und Sonderregelun-gen, die mit der reinen MWSt Im Sinne der Theorie zwar nicht zu vereinba-ren sind, die aber den Mitgliedstaaten zur Erleichterung 'eines Kompromis-ses In der 2.USt-Rlchtllnle zugestanden werden mußten. Die einzelnen Re-gierungen schöpften die Ihnen gewährten Gestaltungsspielräume auch aus, um den Obergang zur MWSt so reibungslos wie möglich über die Bühne zu bringen. Da die technischen und politischen Voraussetzungen für eine USt-Reform In den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich waren, konnte es nicht überraschen, daß die 6 bzw. später 9 MWSt-Systeme der Gemeinschaft nur

Die Abschaffung der Steuergenzen setzt eine begrenzte Harmonisierung der MWSt-Bemessungsgrundlage voraus. Eine weitgehende Vereinheitli-chung Ist aber, wie In Kap.D.2.3. ausführlicher dargestellt wird, nicht erforderlich.

In Ihren Grundlinien übereinstimmten. Einige der verbleibenden Divergenzen beeinträchtigten, zum Leidwesen der Kommission, auch weiterhin die Wett-bewerbsbedingungen In der EG.•

Die Steuerpolitiker der Mitgliedstaaten wandten sich nach der Verabschie-dung der 1. und 2.USt-Rlchtllnle Im Februar 1967 von Europa ab und den nationalen Problemen zu. Sie mußten zuhause ein MWSt-Gesetz durch das Parlament boxen und anschließend die komplizierte Maschinerie In der Praxis zum Laufen bringen. Nach diesem Kraftakt - die Einführung der MWSt bedeutete für die Mehrzahl der betroffenen Länder die einschnei-dendste Steuerreform seit Kriegsende - wollten sie erst einmal Ruhe an der MWSt-Front. Die von der Kommission Immer wieder monierten Verzerrungen wurden zwar durchaus gesehen, In der Mehrzahl der Fälle jedoch für nicht hinreichend gravierend gehalten, um eine weitere USt-Harmonlsierung zu rechtfertigen.

Der Grund für den fehlenden Harmonislerungs-Enthuslasmus auf selten der nationalen Entscheidungsträger war zweifacher Art. Erstens hatte man sich überall dort, wo Kompromisse einfach zu finden waren, schon in der 2.USt-Rlchtllnle auf gemeinsame Regeln verständigt. Rasche Fortschritte waren also In Zukunft nicht mehr zu erwarten. zweitens war die entscheidende Triebkraft für die Vereinheitlichung der MWSt-Basis in der 2.USt-Richtllnie die Hoffnung der einzelnen Regierungen gewesen, sich in der labilen 0ber-gangsphase zur MWSt durch eine EG-Vorschrift vor innenpolitischem Druck absichern zu können. Nachdem die MWSt aber erst einmal eingeführt war, büßte dieses Motiv zunehmend an Kraft ein. Die MWSt stabilisierte sich und gewann an der jeder alten Steuer immanenten Trägheit, die sie vor Angrif-fen interessierter Gruppen schützte.

Im Laufe der Zeit begannen die nationalen Steuerbeamten, die jeweilige MWSt-Version als die ihre zu begreifen: "Falls die Steuerleute gut gearbei-tet haben, Ist das nationale Steuersystem optimal an die jeweiligen Ver-hältnisse angepaßt; jede Harmonisierung Im Sinne einer Änderung der einzelstaatlichen Regeln bedeutet damit eine Verschlechterung."" So der Kommentar eines USt-Experten, der die generelle Einstellung der europä-ischen Finanzbeamtenschaft kurz nach Einführung der MWSt und auch heute noch treffend- wlederspiegelt.6 Von der hier angesprochenen optimalen Be-steuerungstechnik versteht man auf politischer Ebene erfahrungsgemäß wenig. Dort denkt man eher in den Kategorien budgetä.re Erfordernisse und Wählerstimmen, was aber bereits ausreicht, um jeder noch so kleinen Ände-rung der MWSt mit äußerster Skepsis zu begegnen: Führt eine Maßnahme zu

Vgl. z.B. Easson (1980b), S.120ff. Vgl. a. Scailteur (1974), S.519ff.

Persönliches Interview.

Vgl. z.B. ähnl. Vogelaar (1970), S.335.

einem steuerlichen Mlnderaufkommen, so bringt sie den Finanzminister In Rage; Ist sie umgekehrt mit einem Mehraufkommen verbunden, so löst sie bei den zur Kasse gebetenen Gruppen ein Wehgeschrei aus, das dem Ergeb-nis bei den nächsten Wahlen nur abträglich sein kann.

Aus Falrneßgründen bleibt hinzuzufügen, daß die Mitgliedstaaten nicht Je-den Brüsseler Harmonlsierungsvorschlag von vornehereln abblockten. Eine Initiative der Kommission fand Immer dann Ihre Zustimmung, wenn sie Wettbewerbsverzerrungen durch die Übertragung der eigenen Regelung auf alle anderen Mitgliedstaaten abzubauen versprach. Damit war und Ist der Kommission natürlich nicht gedient. Auf Fortschritte und die damit verbun-denen Zugeständnisse konnte sie nur hoffen, wenn einzelne Verzerrungen die Interessen eines oder mehrerer EG-Staaten In einem Maße bedrohten, daß diese sich bereit fanden, ihre steuerpolitische Ruhe für eine weitere Harmonislerungsanstrengung zu opfern.

Ein solcher Ausnahmefall lag beispielsweise bei der Besteuerung der Land-wirtschaft vor. Da man sich in der 2.USt-Richtllnie auf keine gemeinsame Regel hatte einigen können, brachten es die "kräftigen Streiter der Grünen Front"• im Deutschen Bundestag fertig, sich Im MWSt-Gesetz eine indirekte Subventionierung zu erkämpfen. Ihnen wurde ein pauschaler VSA in Höhe von 5% Ihres Umsatzes gewährt, obwohl nach Ansicht des Bonner Finanzmi-nisteriums die Vorsteuerbelastung der deutschen Landwirtschaft Im Durch-schnitt nicht höher als 3,5% lag. Von den Deutschen - die Niederländer praktizierten im übrigen Ähnliches - auf die Füße getreten fühlten sich insbesondere die Franzosen, die aus budgetären Gründen Ihre Landwirt-schaft von der MWSt befreit und damit Jeden VSA ausgeschlossen hatten.

Um den drohenden Konflikt abzuwenden, präsentierte die Kommission, nach langen internen Querelen•, dem Rat im Februar 1968 endlich einen Richt-linienentwurf zur Besteuerung der Landwirtschaft.• Die darin enthaltene Pauschallerungsmethode fand, von einem Vorbehalt Frankreichs abgesehen, die grundsätzliche Unterstützung der Mitgliedstaaten. Mit dem darüberhin-aus vorgeschlagenen einheitlichen und reduzierten Steuersatz für alle landwirtschaftlichen Produkte in der EG - das war der Preis, den die Steuerleute der Kommission an ihre Agrar-Kollegen für deren Zustimmung zur neutralen Pauschallerung bezahlen mußten - hatte sich die Kommission aber zu weit vorgewagt. Die Mitgliedstaaten stellten sich der Satzanglei-chung geschlossen entgegen. Darüberhinaus fühlten sich Frankreich, Deutschland und die Niederlande herausgefordert, dem Kommissionsvorschlag

Persönliches Interview.

Vgl. Kap.C.2.1.4.3.

AB 1968/C 48, S.2ff. Vgl. a. die Kurzdarstellung in: Bulletin der EG, 1.1968, Heft 4, S.4lff. Vgl. a. Le Monde 28.2.68 u. Blick durch die Wirtschaft 27 .5.68.

auf der Ratsltzung vom 27 .Januar 1969 eigene Rlchtllnlenentwürfe ent-gegenzustellen, die Ihren jeweiligen Interessen näher lagen. An eine baldige Einigung war damit nicht mehr zu denken.

Neben der Landwirtschaft war es Insbesondere der grenzüberschreitende Austausch von Dienstleistungen, der zu einigem Kopfzerbrechen Anlaß gab.

Bel der Aushandlung der 2.USt-Rlchtllnle hatte man sich, da jeder Staat auf der Beibehaltung seiner eigenen Regelung bestand, nicht auf eine ein-heitliche Definition des Ortes, an dem eine Dienstleistung besteuert werden soll, einigen können. Von Land zu Land unterschledllche Regelungen mußten zunächst hingenommen werden mit der Konsequenz, daß exportierte Dienst-leistungen teils einmal, teils überhaupt nicht und teils doppelt besteuert wurden. Gemeinsamen Handlungsbedarf sahen In erster Linie die Niederlän-der, die Insbesondere Im Transportwesen eine bedeutende wlrtschaftllche Stellung zu verteidigen hatten. Nach der EG-Erweiterung von 1973 wurden sie unterstützt von den Briten, die für ihre weltweit tätigen Banken und Versicherungen günstige steuerllche Voraussetzungen schaffen und absi-chern wollten. Da die Mehrwertbesteuerung einer Dienstleistung - Im Gegensatz zu einer gegenständllchen Ware ist der Grenzübertritt einer Dienstleistung nicht eindeutig bestimmbar - technisch äußerst komplexe Probleme aufwirft, war es verständlich, daß sich die Vorarbeiten für einen Rlchtllnlenvorschlag lange hinzogen und bis 1969 noch nicht abgeschlossen werden konnten. Ab 1970 flossen dannn sämtliche auf die Sicherstellung der Wettbewerbsneutralltät gerichteten Bemühungen der Kommission In die Vorbereitung einer 6.USt-Richtllnle ein. Das gilt auch für die Besteuerung der L,-ndwirtschaft; der bereits auf dem Tisch Uegende Rlchtllnlenvorschlag wurde daher ~oäter von der Kommission wieder zurückgenommen.10

1.2. Das Endziel: Abschaffung der Steue:-0renzen

Mit dem Ausbruch der Krise Im Jahre 1965 hatte die Kommission das um-satzsteuerllche Endziel Abschaffung der Steuergrenzen zunächst ad acta gelegt und Ihre Bemühungen auf die Einführung der MWSt konzentriert.

Anfang 1969 - seit der Verabschiedung der ersten beiden USt-Rlchtllnlen waren nun schon zwei Jahre verstrichen, und Ihre Implementierung in den noch fehlenden Staaten stand, wie man damals noch hoffen konnte, kurz bevor - hielten Kommissar von der Groeben und seine Leute den Zeitpunkt für gekommen, einen erneuten Anlauf zur Beseitigung der Grenzkontrollen zu wagen. Die alten Studien wurden wieder hervorgeholt und auf den

aktu-10 Vgl. KOM(74)42 v. 16.1.74.