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Nach der Erörterung der theoretischen Grundlagen der USt-Harmonisierung sollen nun die wichtigsten geschichtlichen Entwicklungslinien nachgezeich-net werden, durch die bereits vor Gründung der EWG im Jahre 1958 ent-scheidende Welchen für die spätere Harmonlsierungsdlskussion gestellt wurden.

In den zwei ersten Abschnitten wird zunächst auf die steuerpolitischen Auseinandersetzungen in der Benelux- und der Montan-Union eingegangen.

In beiden Fällen handelte es sich bei den Unionsstaaten um Mitgliedstaaten der späteren EG der Sechs. Beide Male ist es, mit weitreichenden Folgen für die EG, nicht gelungen, die einzelnen Staaten durch gemeinsam erlasse-ne Regeln steuerpolitisch zu binden.

Ein dritter Abschnitt ist den Überlegungen und Interessen gewidmet, die während der Verhandlungen zum EWG-Vertrag zur Einbeziehung steuerlicher Vorschriften in das Vertragswerk geführt haben. Dabei soll Insbesondere herausgearbeitet werden, aus welchen Gründen die die Mitgliedstaaten un-mittelbar bindenden Art.95-97 nur unzulänglich formuliert worden sind.

Denn nichts hat die in Art.99 vorgesehene Harmonisierung der indirekten Steuern in der späteren EG mehr vorangetrieben als die eingebauten Unzu-länglichkeiten der Art.95-97.

2.1. Enttäuschung in der Benelux-Union Der Vorschlag zu einer USt-Harmonisierung

Der auch heute noch - unabhängig von der EG - stattfindende Prozeß der ökonomischen Integration im Benelux-Raum wurde eingeleitet durch den Vertrag über eine Wirtschaftsunion zwischen Belgien und Luxemburg aus dem Jahre 1921. Obwohl beide Staaten damals bereits eine allgemeine USt eingeführt hatten, wurde in dem Vertrag darauf mit keinem Wort eingegan-gen. Es mußte daher nachträglich versucht werden, die gravierendsten der sich aus den unterschiedlichen Steuersystemen ergebenden Probleme durch verschiedene ad hoc-Vereinbarungen abzumildern. Eine über das unbedingt notwendige Maß hinausgehende USt-Harmonislerung wurde dagegen in der Belgisch-Luxemburgischen Wirtschaftsunion nicht Ins Auge gefaßt: Die

Steuerquoten wie auch die relative Bedeutung von indirekten und direkten Abgaben waren In den beiden Ländern zu unterschiedlich.'

Noch während der zweite Weltkrieg andauerte, verhandelten die Exilregie-rungen der drei späteren Benelux-Staaten über eine engere ökonomische wie politische Kooperation zwischen ihren Ländern. Der daraufhin 1944 ge-schlossene Vertrag von London sah nicht nur die Gründung einer Zollunion vor, sondern brachte bereits den Wunsch der beteiligten Staaten zum Aus-druck, nach den Zoll- auch auf die Steuergrenzen - d.h. auf den steuerli-chen Grenzausgleich - zu verzichten. Es war offensichtlich, daß zur Besei-tigung des Grenzausglelches die Struktur und die Sätze der Akzisen einan-der angeglichen werden mußten. Eine entsprechende Bestimmung wurde da-her Im Vertrag von London aufgenommen. Keinerlei Erwähnung fanden dem-gegenüber die für die Abschaffung der Steuergrenzen viel bedeutsamere USt2 , was darauf zurückzuführen war, daß die vertragschließenden Parteien damals noch gar nicht wissen konnten, ob überhaupt und gegebenenfalls wie der umsatzsteuerllche Grenzausgleich abgeschafft werden konnte. Wäh-rend bei den Akzisen die im politischen Raum einfach zu verstehende Lö-sung der Satzangleichung auf der Hand lag, war bei der USt die Arbeit von Fachleuten gefragt.

In 1946 begann eine Gruppe von Finanzexperten mit entsprechenden Unter-suchungen, die 1949 mit dem Vorschlag abgeschlossen wurden, die Steuer-grenzen unter Beibehaltung der in den drei Benelux-Staaten erhobenen BruttoUSt abzuschaffen. Der Entwurf beinhaltete die folgenden, wesentli-chen Elemente:•

Vereinheitlichung der Steuersätze;

Abschaffung des steuerlichen Grenzausgleichs im intra-Unions-Handel:

steuerliche Behandlung wie bei inländischen Geschäften, d.h. keine Belastung (bzw. Entlastung) von Importen (Exporten) aus (In) Staaten der Benelux-Union;

Beibehaltung des steuerlichen Grenzausgleiches gegenüber Drittländern:

möglichst vollständiger Ausgleich der inländischen Steuerlast an den Außengrenzen der Union.

Die Gründe für das Scheitern des Vorschlags

Der Vorschlag der Expertenkommission war von dem Bemühen gekennzeich-net, das Ziel Abschaffung des Grenzausgleiches mit einem minimalen An-passungsbedarf der nationalen Steuersysteme zu erreichen. Aus diesem Blickwinkel gesehen kann er als durchaus gelungen bezeichnet werden.

Vgl. Meade/Llesner/Wells (1962), S.32f. Vgl. a. Scallteur (1974).

S.475ff.

Vgl. Scailteur (1974), S.476f.

Vgl. Meade/Liesner/Wells (1962). S.92ff. Vgl. a. Scailteur (1974), S.477f.

Aber trotzdem wurde der budgetäre Anpassungsbedarf von den Regierungen als Immer noch zu hoch angesehen. Insbesondere Belgien verweigerte seine Zustimmung zu der Satzangleichung, die mit der Herabsetzung des auf Großhandelsumsätze gelegten Steuersatzes erhebliche und anderweitig nicht kompensierbare Einnahmenausfälle mit sich gebracht hätte.•

Tabelle B-1

USt-Sätze in den Benelux-Staaten (1949) in %

Nieder lande Belgien Luxemburg : Experten-Vorschlag

Produzentenumsätze 3 4,5 2 1 1

Großhandelsumsätze 0,5 4,5 0, 5 0, 5

Einzelhandelsumsätze 3 2

Quelle: Meade/Liesner/Wells (1962), S.93.

Aber auch wenn sich die budgetären Probleme nicht gestellt hätten, wäre der Vorschlag In der ursprünglichen Form mit Sicherheit nicht angenommen worden. Die Ursache hierfür liegt In einem zunächst weniger sichtbaren Problem begründet, dem aber, Immer wenn der Grenzausgleich irgendwo ab-geschafft werden soll, entscheidende Bedeutung zukommt. Es geht um die Verteilung der Steuereinnahmen zwischen den Unions-Staaten. Im Falle einer Verwirklichung des 1949er Vorschlages hätte sich, bedingt durch die Wirtschaftsstruktur der Benelux-Staaten, automatisch eine Umverteilung des USt-Aufkommens zulasten von Luxemburg ergeben:• Luxemburg Importierte viele Rohstoffe und Halbfertigprodukte aus Belgien, um sie nach einer Wei-terverarbeitung In Drittländern abzusetzen; entsprechend dem Harmonisle-rungsvorschlag der Experten hätte der belgische Fiskus die USt für die nach Luxemburg gelieferten Produkte vereinnahmt, während Luxemburg sie beim Export der Fertigprodukte hätte zurückerstatten müssen. Die USt-Har-monlslerung hätte daher, um für Luxemburg annehmbar zu sein, Bestimmun-gen über die Redistribution der Steuereinnahmen zwischen den nationalen Fisel enthalten müssen. Daß dies kein einfaches Unterfangen Ist, wird an späterer Stelle noch desöfteren deutlich werden.

Die Folgen des Scheiterns

Es bleibt festzuhalten, daß die Benelux-Staaten nicht In der Lage waren, sich frühzeitig auf eine auch nur partielle Harmonisierung Ihrer USt-Syste-me zu verständigen. Dies zog eine für die weitere Harmonlslerungsdebatte Im Benelux-Raum als auch In der späteren EG wichtige Konsequenz nach sich: Nachdem zum 1.Januar 1948 Innerhalb der Benelux-Union alle Zoll-grenzen gefallen waren, fühlten sich die einzelnen Regierungen unter

Vgl. Scallteur (1974), S.478.

• Vgl. Meade/Llesner/Wells (1962), S.97.

Druck, vermehrt die Steuergrenzen als Mittel zum Schutz nationaler Indu-strien einzusetzen. Mangels gemeinschaftlich fixierter Verhaltensnormen konnte dieser Druck auch schon bald erste Ergebnisse zeigen. Deutlich zu sehen war das bei der auf Importe erhobenen USt. Noch nach dem zweiten Weltkrieg besteuerten alle drei Staaten Importe mit dem Standardsatz ihrer Jewelllgen BruttoUSt. Die Niederländer waren 1952 die ersten, die eine bis zu dreiprozentige Zusatzsteuer für Importwaren einführten. Die Belgier zo-gen scnon 1953 mit einer ähnlichen Maßnahme nach. Lediglich die Luxem-burger hielten sich, nicht zuletzt wegen Ihres sehr niedrigen Steuersatzes von nur 2%, zurück. Bel der steuerlichen Entlastung der Exporte zeigte sich ein ganz ähnliches Bild. Auch hier übten die Luxemburger Zurückhal-tung und befreiten die Exporte lediglich von der USt-Pfllcht. Die Nieder-länder bemühten sich demgegenüber, die auf Exportprodukten lastende USt möglichst weitgehend zurückzuerstatten. Die Belgier schließlich versuchten, einen vergleichbaren Entlastungseffekt zu erreichen, Indem sie neben den Exporten auch solche Güter von der USt befreiten, die für die Produktion von Exportprodukten verwandt wurden - sogenannte indirekte Exporte.

Im Laure der Jahre schaukelten sich Niederländer und Belgier gegenseitig hoch. Da die Eigendynamik der politischen Systeme durch keine auf Bene-lux-Ebene verabschiedete Verhaltensregel gebremst wurde, näherte sich der steuerliche Grenzausgleich zusehends der effektiven, inländischen USt-Be-lastung der Produkte. Der 1949er Expertenvorschlag wurde damit nach und nach von der Realität überholt. Statt, wie ursprünglich angeregt worden war, die Steuergrenzen Im Handel zwischen den Unions-Staaten abzubauen, wurden Immer höhere Grenzausgleichssätze praktiziert. Der Vertrag zu einer Benelux-Wirtschaftsunion vom 3.Februar 1958 zog schließlich die Konse-quenz aus dieser Entwicklung: Zwar wird noch grundsätzlich an dem Ziel der Beseitigung des Grenzausglelches festgehalten; von dem Wie und dem Wann Ist jedoch nicht die Rede, und die USt-Harmonlsierung wird nament-lich erst überhaupt nicht erwähnt.•

Die wichtigsten Ergebnisse des vorliegenden Abschnittes lassen sich mit der folgenden Darstellung kurz rekapitulieren:

Vgl. Scallteur (1974), S.478ff.

Schaubild 8-9: Der umsatzsteuerliche Grenzausgleich in der Benelux-Union Vorschlag der

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+

Höhe des

Grenzaus-.. - - - -Standardsatz

---1---t--•

50 gleichs in % der der BruttoUSt

2.2. Streit in der Montan-Union

100 effektiven inländ.

USt-Belastung

Wie der Benelux-Union, so bereitete auch der Montan-Union die USt-Pro-blematlk einiges Kopfzerbrechen. Man war auch hier nicht In der Lage, durch gemeinsam beschlossene Regeln die Freiheit der einzelnen Mitglied-staaten im USt-Bereich einzugrenzen. In beiden Fällen hatte die Unfähig-keit zur Einigung weitreichende und in die gleiche Richtung weisende Kon-sequenzen für die spätere USt-Harmonlslerung in der EG: Die nationalen Regierungen wurden bei Ihrem Wettlauf um Erhöhungen des steuerlichen Grenzausglelches nicht gebremst. Die Ursachen für die fehlgeschlagenen Einigungsbemühungen waren Jedoch voneinander verschieden. Waren in der Benelux-Union im wesentlichen budgetäre Gründe ausschlaggebend, so sind in der Montan-Union, wie nachfolgend zu zeigen sein wird, die beiden fol-genden Ursachen für die ausgebliebene Steuerharmonisierung verantwortlich zu machen:

die Beschränkung der Montan-Union auf die Integration nur einiger we-niger Branchen - sogenannte Teilintegration;

die Beschränkung der Hohen Behörde der Montan-Union auf die ökono-mischen Aspekte der USt-Problematik; die ebenfalls bedeutsamen poli-tischen und Jurispoli-tischen Gesichtspunkte wurden in der Problemanalyse vollkommen übersehen bzw. als vernachlässigbar erachtet.

Soweit die grundsätzlichen Thesen dieses Abschnitts. Was ist aber nun im sogenannten Steuerstreit der Montan-Union im Einzelnen überhaupt vorge-fallen?7

Zu der folgenden Darstellung vgl. Insbes. Albers (1953); Meade/

Llesner/Wells (1962), S.310ff.; Regul (1955); Regul (1965), S.296ff;

Regul/Renner (1966), S.85ff.; Schmölders (1953b).

Die Ursachen des Steuerstreits

Am 18.April 1951 schlossen die Staaten, die sich auch später in der EWG zusammenfanden, den Vertrag zur Gründung einer Europäischen Gemein-schaft für Kohle und Stahl - kurz EGKS genannt. Zu diesem Zeitpunkt fehlte offensichtlich noch eine klare Vorstellung davon, welche Probleme ein Gemeinsamer Markt aufwerfen könnte: " .. der Vertrag muß weitgehend als ein Politikum angesehen werden, dessen wirtschaftliche Auswirkungen in vollem Umfang erst nachträglich erkennbar werden.""

Es ließ dean auch nicht lange auf sich warten, bis sich die erste, schwer-wiegende Lücke im Vertragswerk zeigte. Noch vor der für den l .Mai 1953 vorgesehenen Eröffnung des gemeinsamen Eisen- und Stahlmarktes glaubte die deutsche Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie herausge-funden zu haben, daß die deutsche Industrie durch den damals von Frank-reich praktizierten hohen umsatzsteueriichen Grenzausgleich im Wettbewerb diskriminiert würde. Der damalige Geschäftsführer des Verbandes war "wie besessen von dieser Idee"•. Er machte sich daher daran, die im Bonner Wirtschafts- und Finanzministerium zuständigen Beamten mit "Engelszun-gen"10 für sein Anliegen zu erwärmen. Die Verwaltungsfachleute, sie waren meist Juristen, verstanden die Argumentation der Stahlindustrie zwar nicht in allen Details, hielten die Sache jedoch für plausibel: ein französischer Grenzausgleich von ca.19% abzüglich eines deutschen Grenzausgleichs von ca.4% ergibt eine Benachteiligung der deutschen Industrie gegenüber der französischen von ca.15%. Da 15% keine Kleinigkeit sind, reichte man das Problem an die Hohe Behörde nach Luxemburg weiter, die es auf die Tages-ordnung einer Ministerratsitzung setzte. Dort kam es dann prompt zum

"großen Knall"11 : Der Steuerstreit zwischen den beiden Hauptkontrahenten Deutschland und Frankreich war angezettelt.

Da der Vertrag zu dem von Deutschland aufgeworfenen Problem nichts sagte und auch die eiligst begonnenen Verhandlungen zwischen den Regierungen zu keinem Ergebnis führten, betraute die Hohe Behörde mit Beschluß vom 5.März 1953 einen Sachverständlgenausschuß mit der Klärung des Problems.

Die vier Wissenschaftler - Vertreter von Deutschland und Frankreich waren bewußt nicht in den Ausschuß berufen worden - tagten unter Vorsitz des Niederländers Tinbergen von Mitte März bis Anfang April "nahezu in Per-manenz"•• und konnten bereits zum 8.April ihren "Bericht über die durch

Albers (1953), S.162f.

• Persönliches Interview.

•• Persönliches Interview.

11 Persönliches Interview.

12 Schmölders (1953b), S.94.

die Umsatzsteuer aufgeworfenen Probleme auf dem Gemeinsamen Markt"13 vorlegen.

Die ausgetauschten Argumente

Der Standpunkt der beiden Parteien stellte sich wie folgt dar. Die Deut-schen waren der Auffassung, daß nur ein Verzicht auf jeglichen steuerli-chen Grenzausglelch14 Wettbewerbsverzerrungen verhindern könne. Die deut-sche Stahlindustrie fühlte sich durch den französideut-schen Grenzausgleich gleich zweifach diskriminiert: Zum einen waren die Indirekten Steuern In Deutschland wesentlich niedriger als In Frankreich mit seinem traditio-nellen Obergewicht bei der Verbrauchbesteuerung; zum anderen glichen die Franzosen die Im Inland erhobenen Indirekten Steuern fast vollständig an der Grenze aus, während sich der deutsche Grenzausgleich auf nur knapp die Hälfte der effektiven, durchschnittlichen USt-Belastung erstreckte. Die Rechnung war damit einfach und ergab, wie oben schon gezeigt, eine Be-nachteillgung der deutschen Industrie In Höhe von ca.15%. Die Franzosen behaupteten demgegenüber, alleine die korrekte Durchführung eines Grenz-ausglelches !rönne Wettbewerbsverzerrungen ausschließen. Dabei argumen-tierten sie wie folgt:

Die Höhe der direkten Steuern beeinflußt dle Wettbewerbsbedingungen nicht, da direkte Abgaben nicht überwälzt werden könne,~ und damit die Preise unverändert bleiben.

Dagegen werden Indirekte Steuern überwälzt, sie verändern die Preise und verursachen daher Verzerrungen; Indirekte Abgaben erfordern folg-lich einen Grenzausgleich, um alle durch unterschiedfolg-liche Steuersätze bedingten Preisdifferenzen zwischen zwei Ländern zu neutralisieren.

Die Argumente der beiden Selten klangen überzeugend, waren jedoch falsch.

Man kann den betelllgten Ländern bei dem Stand des damaligen Wissens sicherlich nicht unterstellen, bewußt falsche Argumente produziert zu haben. Aber es war auch alles andere als ein Zufall, daß die jeweils auf-gestellten Behauptungen sich In völllgem Einklang mit den dahinterliegen-den wirtschaftlichen Interessen befandahinterliegen-den. Der Tlnbergen-Berlcht und die sich daran anschließende Diskussion entlarvte die deutsch-französische Kontroverse als ein Scheingefecht. Sobald man flexible Wechselkurse - oder alternativ ein variables Preisniveau - zuläßt, wird deutlich, daß, eine ein-heitliche Belastung In den jeweiligen Ländern vorausgesetzt, sowohl die vollständige Anwendung als auch der völllge Verzicht auf den Grenzaus-gleich zu wettbewerbsneutralen Situationen führen, die sich alleine In der

13 Zitiert Im folgenden als Tlnbergen-Bericht (1953).

14 Die Abschaffung des Grenzausgleiches setzte man damals meist mit dem Obergang zum ULP gleich. Diese Gleichsetzung Ist Jedoch, wie die Ausführungen In Kap.B.1.3. haben deutllch werden lassen, nicht in Jedem Fall korrekt. Sie soll daher hier nicht verwandt werden.

Höhe des gleichgewichtigen Wechselkurses - oder alternativ des Inländi-schen Preisniveaus - voneinander unterscheiden.

Trotzdem konnte der Tlnbergen-Berlcht, und das war eine für die weitere Entwicklung sehr wichtige Entscheidung, für die Montanindustrie weder die korrekte Anwendung noch den Verzicht auf den steuerlichen Grenzausgleich empfehlen. Der Grund für dieses vollkommen sachgerechte Urteil lag darin, daß der EGKS-Vertrag lediglich eine wirtschaftliche Teilintegration vor-sah.15 Die beiden oben genannten Systeme sind jedoch nur dann neutral, wenn sie für alle Güter gleichermaßen angewandt werden. Frankreich er-füllte diese Bedingung bereits Insofern, als bei allen Gütern der Grenzaus-gleich fast vollständig durchgeführt wurde: Frankreich erhob damals die rudimentäre Form einer NettoUSt; der Grenzausgleich erfolgte l.d.R. In Höhe des nominalen Steuersatzes. In Deutschland jedoch, und ähnliches galt auch für die anderen Mitgliedstaaten der EGKS, erstreckte sich der Grenzaus-gleich auf durchschnittlich nur knapp die Hälfte der Inländischen, effek-tiven USt-Belastung: Die Deutschen erhoben eine allphaslge BruttoUSt; der Grenzausgleich war l.d.R. auf den Standardsatz der USt begrenzt und lag damit erheblich unter der effektiven Belastung. Der Tlnbergen-Ausschuß betrachtete die deutsche Regelung zwar nicht als das Optimum, aber zu-mindest war der Grenzausgleich bei allen Gütern In etwa gleich unvoll-ständig, sodaß der Wechselkurs-Mechanismus die zwischen Deutschland und Frankreich bestehende Prelsnlveaudlfferenz ausgleichen und damit eine annähernd wettbewerbsneutrale Situation

Demgegenüber hätte eine isolierte Regelung eindeutig zu Verzerrungen geführt:

herbeiführen konnte.

alleine Im Montanbereich Die Einführung eines vollständigen Grenzausglelches im Montanbereich hätte, bei ungefähr gleichbleibenden Wechselkursen, der deutschen Montanindustrie einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil gegenüber der französischen Konkurrenz verschafft.

Der Verzicht auf den Grenzausgleich alleine Im Montanbereich wäre für die Deutschen noch attraktiver gewesen, hätte er Ihnen doch einen relativen Vorteil gegenüber den Franzosen von stolzen 15% beschert.

Die Beilegung des Steuerstreits

Nach "tage- und nächtelangen Verhandlungen"" mit den beteiligten Grup-pen sprach die Hohe Behörde kurz vor Eröffnung des gemeinsamen Eisen-und Stahlmarktes auf der Basis des Tlnbergen-Berlchtes die Empfehlung aus, bis auf weiteres alles beim Alten zu lassen. Der Hohen Behörde schien damals keine andere Wahl zu bleiben. Eine Isolierte Anderung alleine Im Montanbereich konnte es nicht geben. Den Obergang zu einem vollständigen Grenzausgleich bei allen Gütern wollte niemand. Und ein Verzicht auf den Grenzausgleich bei allen Gütern wäre wegen Frankreich politisch absolut

1' Vgl. z.B. Schmölders (1962), S.14f.

16 Schmölders (1953b), S.102f.

unmöglich gewesen, da er einen ca.15prozentigen Abwertungsdruck auf den französischen Franc ausgelöst hätte, der 1953 bereits, aus rein politischen Gründen, um ca.25-33% überbewertet war.17 Ein deutsches Beharren auf der Abschaffung jeglichen Grenzausglelches hätte die EGKS daher politisch einfach überfordert: "Wahrscheinlich wäre dies der beste Weg, um die Idee der wirtschaftlichen Integration von vorneherein zu diskredltieren"18 - so der Kommentar eines damaligen Beobachters.

Wie reagierten aber nun die einzelnen Länder auf die Entscheidung der Hohen Behörde? Die Franzosen waren äußerst zufrieden, da die Entschei-dung für sie nicht besser hätte ausfallen können. Die Benelux-Staaten hatten ohnehin schon mit der französischen Auffassung sympathisiert, was wohl auf ihre einschlägige Erfahrung mit der Benelux-Union zurückzuführen war. Alleine die Deutschen waren verärgert, hätte die Entscheidung doch für sie nicht schlechter ausfallen können.19 Um den deutschen Unmut zu kanalisieren, willigten die Anderen In die Gründung einer aus Experten der nationalen Finanzministerien zusammengesetzten Arbeitsgruppe ein, die sich weiter mit den vom Tinbergen-Berlcht aufgeworfenen Problemen beschäfti-gen sollte. Der nach seinem Vorsitzenden benannte Coppe-Ausschuß kam im Juni 1955 mit der einstimmigen Verabschiedung eines Thesenpapiers, das später auch vom Ministerrat förmlich angenommen wurde, zu einem wichti-gen Zwischenergebnls.20 Insbesondere klärte der Ausschuß nochmals das im Steuerstreit so wichtige Wechselkursargument. Der Wechselkurs, so wurde festgestellt, ist lediglich In der Lage, Unterschiede der durchschnittlichen Steuerbelastung zweier Länder auszugleichen:

"Ceterls paribus wird daher eine Industrie im Internationalen Wettbewerb benachteiligt oder begünstigt sein, je nachdem ob beim Grenzübertritt die steuerliche Belastung Ihrer Erzeugnisse höher oder niedriger ist als die durchschnittliche Belastung der übrigen Produkte der eigenen Volkswirtschaft. "21

Leider vergaßen die einzelnen Staaten wieder überraschend schnell diese wichtige Erkenntnis. Auch die Argumente, mit denen Frankreich und Deutschland den Steuerstreit geführt hatten, waren damit nur

vorüberge-17 Albers (1953), S.172.

1e Albers (1953), S.163.

1• In einer Art Trotzreaktion auf die Empfehlung der Hohen Behörde ermächtigte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung noch Im Sommer 1953, den für Stahlerzeugnisse erhobenen Grenzausgleich um 4-6% heraufzusetzen; von der Ermächtigung wurde allerdings nie Gebrauch gemacht; vgl. Regul/Renner (1966), S.88.

20 Vgl. Hohe Behörde, Steuerausschuß, Dok.Nr. 4798/55 v.18.6.55. Vgl. a.

Regul (1955), S.315ff, sowie Regul (1965), S.296ff.

21 Hohe Behörde, Steuerausschuß, Dok.Nr. 4798/55 v. 18.6.55.

hend vom Tisch: Sie alle tauchten später noch mehrmals auf. Aber zu-nächst einmal konnte der Steuerstreit "beerdigt werden"22:

"Der Ausschuß hält es Im Augenblick weder für opportun noch für notwendig, Vorschläge zu einer Änderung der Jetzt beste-henden Regelungen auf dem Gebiet der Umsatzsteuerbefreiungen und -vergütungen sowie der Ausgleichsabgaben bei der Einfuhr

"Der Ausschuß hält es Im Augenblick weder für opportun noch für notwendig, Vorschläge zu einer Änderung der Jetzt beste-henden Regelungen auf dem Gebiet der Umsatzsteuerbefreiungen und -vergütungen sowie der Ausgleichsabgaben bei der Einfuhr