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und ihnen eine Richtung geben

Im Dokument RESILIENZ TWG (Seite 23-27)

Tiefgreifende Krisen sind ein Merkmal nicht erst unserer Zeit. Frü-here Gesellschaften haben ebenso Epidemien, Naturkatastrophen und menschenverursachte Krisen, wie Kriege und Bürgerkriege, erlebt wie heutige Gesellschaften. Auch damals mussten eine Gesellschaft und ihre Mitglieder reagieren. Krisen zu erforschen gehört in der Archäologie heute ebenso zu den aktuellen Frage-stellungen, wie die Erforschung der Resilienz von Gesellschaften.

Resilienz meint hier die psychische Widerstandskraft und Fähig-keit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträch-tigung zu überstehen.

Die Mediziner der Antike überliefern in ihren Schriften ein klares Verständnis des Begriffs der Krise. Es ist jener Moment im Krank-heitsverlauf, an dem der Höhepunkt zum Beispiel eines Fiebers er-reicht ist und dann wieder abschwächt, die Temperatur also sinkt.

Heute wird der Begriff sehr viel weiter gefasst verstanden. Eine Krise hat verschiedene Phasen, kann als eine latente Krise über lange Zeiträume laufen oder auch ein eher akutes Ereignis sein.

Ebenso unterschiedlich sind die Auswirkungen der Krise auf eine Gesellschaft. Es erweist sich daher als ausgesprochen schwierig, Krisen exakt zu fassen und das Reagieren darauf zeitlich und kau-sal genauer zu identifizieren. Für die Antike ist dies noch einmal komplizierter. Die chronologische Auflösung ist in der Regel nicht so exakt, dass kausale Zusammenhänge in ihrer zeitlichen Abfol-ge überhaupt zu fassen sind.

Zugleich erlaubt der Blick in die Antike aber auch, Krisen und ihre Wirkungen über längere Zeiträume hinweg zu betrachten. Dabei ist eine Bandbreite zu erkennen, die auch im Kontext der Auswir-kungen der Corona-Pandemie beobachtet werden.

DER RÜCKZUG INS PRIVATE?

Athens klassische Zeit war in vielerlei Hinsicht eine krisenreiche Zeit. Am Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. fiel ein persisches Heer in Griechenland ein. Auch wenn am Ende die griechische Seite siegreich war, hinterließen die Perser doch auch zerstörte Städte und Landschaften. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot beschreibt die Zerstörung des Burgbergs von Athen mit seinen vielen Heiligtümern. Es folgen nach einer längeren Zeit offenbar des Nachdenkens der Wiederaufbau der Tempel. Kaum war der Parthenon mit dem Kultbild der Athena fertiggestellt, da steu-erte der Konflikt zwischen Athen und Sparta in eine lange Phase kriegerischer Auseinandersetzungen, die zur Belagerung Athens durch die Spartaner führte. Hinzu kam dann zwischen 430 und 426 v. Chr. der Ausbruch einer Seuche im eingeschlossenen Athen, in das sich viele Bewohner vom Land geflüchtet hatten. Der grie-chische Historiker Thukydides beschreibt in eindringlicher Form die in der überfüllten Stadt ausbrechende Seuche und ihre Folgen.

TITELTHEMA

THUKYDIDES,

DER PELOPONNESISCHE KRIEG 2, 48–53 (AUSZUG)

Angefangen hatte es zuerst, wie berichtet wird, von dem südlich Ägyptens gelegenen Äthiopien aus, sodann war es auch nach Ägypten und Libyen heruntergekommen und hatte sich weit im Lande des Großkönigs ausgebreitet. Über die Stadt der Athener brach es ganz plötzlich herein, und zuerst befiel es die Menschen im Piräus, weshalb von ihnen auch behauptet wurde, die Peloponnesier hätten Gift in die Zisternen geschüttet; denn Fließwasserquellen gab es dort damals noch nicht. Später erreichte es auch die weiter landeinwärts gelegene Stadt, und nun gab es ein noch viel größeres Sterben. (…) und wenn einer zuvor an irgendetwas gelitten hatte, so verschwand es und schlug in diese Erkrankung um. Über die anderen aber kamen ohne jede Vorankündigung, sondern bei voller Gesund-heit ganz plötzlich zuerst heftige Hitzewallun-gen des Kopfes sowie Rötung und Entzün-dung der Augen, und die inneren Bereiche, Rachen und Zunge, waren auf einmal blutig und verströmten einen so nie wahrgenomme-nen und übel riechenden Atem; dann folgten auf diese Symptome Niesen und Heiserkeit, und in gar nicht langer Zeit stieg das Leiden in die Brust hinab, starken Husten auslösend;

und sobald es sich im Magen festgesetzt hatte, stülpte es diesen um, und es erfolgten sämtliche Arten des Erbrechens von Galle, die von den Ärzten terminologisch erfasst sind, und zwar unter schlimmen Schmerzen. Auch überkam die meisten ein mit heftigen Krämp-fen verbundener, ergebnisloser Würgereiz, die einen gleich nach dem Nachlassen des Erbrechens, andere erst viel später. Und die Oberfläche des Körpers fühlte sich gar nicht besonders heiß an und war auch nicht blass, sondern leicht gerötet, blutunterlaufen, und zeigte einen Ausschlag von kleinen Bläschen und Geschwüren; innerlich jedoch wurde ein so starkes Brennen empfunden, dass die Kran-ken nicht einmal die ganz dünnen Kleidungs-stücke und feinsten Gewebe anziehen wollten und es überhaupt nur nackt aushielten, ja, am liebsten in kaltes Wasser gesprungen wären.

Und viele der Menschen, um die sich niemand kümmerte, taten das auch wirklich, nämlich in die Zisternen, von einem Durst, der nicht aufhörte, geplagt; und es bedeutete keinerlei Unterschied, ob sie mehr oder weniger zu trinken hatten. Dabei machte ihnen auch die ganze Zeit hindurch die Unfähigkeit, zur Ruhe zu kommen, sowie Schlaflosigkeit zu schaffen. Und der Körper unterlag, solange die Erkrankung auf ihrem Höhepunkt verharrte, keinem Auszehrungsprozess, sondern wider-stand verblüffenderweise der Tortur, so dass

die meisten entweder am neunten bzw. am siebten Tag, noch einigermaßen bei Kräften, an dem innerlichen Feuer zugrunde gingen, oder aber, wenn sie davonkamen, nach einem Übergreifen der Krankheit auf die Bauchhöhle und deren starker Vereiterung sowie gleich-zeitig auftretendem heftigem Durchfall an diesem durch Entkräftung später starben. (…) Es wurde gestorben teils infolge mangelnder Pflege, teils auch trotz bester Betreuung. Nicht ein und, um es so zu auszudrücken, überhaupt kein einziges Heilmittel wollte sich finden lassen, dessen Anwendung sichere Hilfe versprochen hätte. (…) Das Schrecklichste an der ganzen Misere war aber die Verzweiflung, sobald einer spürte, dass er krank war (denn da sie innerlich sofort jede Hoffnung verloren, gaben sie sich umso mehr auf und hatten der Krankheit nichts entgegenzusetzen), sowie die Tatsache, dass sie, der eine infolge der Pflege des anderen angesteckt, wie das Herdenvieh dahinstarben; das war Hauptursache für die hohe Zahl der Toten. (…) Und alle Regeln im Zusammenhang mit Bestattungen, die man früher eingehalten hatte, wurden in dem allgemeinen Durcheinander hinweggefegt, und jeder bestattete, wie er konnte. (…) Auch anderweitig war diese Krankheit für die Stadt der Anfang einer zunehmenden Auflösung von Brauch und Gesetz.

(Übers. M. Weißenberger, 2017) DER PARTHENON wurde nach der Zerstörung Athens durch die Perser im 5. Jahrhundert v. Chr. errichtet.

Das Gerüst dient der Durchführung notwendiger Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen.

Foto: picture alliance / www.piqtured.com | Richard Goldschmidt DIE AKROPOLIS VON ATHEN. Im Zentrum steht der Parthenon, der Tempel

der Göttin Athena. Foto: picture alliance / imageBROKER | Thomas Haupt

Es wurde viel darüber geforscht, wie die Epidemie entstand und welcher Erreger die Tragödie in Athen auslöste. Es liegt aber nicht allein an der fragmentarischen Überlieferung zum Ereignis, dass der Erreger und der Verbreitungsweg nicht bestimmbar sind. Es liegt wie in der aktuellen Situation auch daran, dass die Rekonst-ruktion von Ursprung und Verlauf einer solchen Epidemie ausge-sprochen schwierig ist.

Dem Bild der Ereignisse, das Thukydides in seinem Geschichts-werk entwirft, stehen ganz andere Bilder zum Beispiel auf atti-schen Vasen gegenüber. Während das Geschichtswerk das Grauen des Krieges und der Krankheit schildert, dominiert die Kunst der sogenannte Reiche Stil.

Schönlinig umspielen die Gewänder die Körper der Figuren, die

sich unter dem Stoff in einer Weise abzeichnen, als wäre der Stoff nass. Nicht wenige Vasen zeigen Szenen aus dem Frauengemach.

In einer ruhigen, vielleicht etwas gedämpften Gestimmtheit schmücken sich die Frauen, Spinnen und Weben oder bereiten sich für eine Hochzeit vor. Es ist geradezu ein Gegenentwurf zu dem, was außerhalb der Häuser an Ereignissen tobte. Es ist ein Rückzug ins Private, der in der kommenden Zeit auch in den Häusern selber zu fassen ist. Immer aufwendiger werden sie mit Mosaiken ausgestattet.

Nicht jede Krise führt in der Antike jedoch zu einem Rückzug ins Private oder eine Bildwelt mit einer ästhetisiert schönlinigen For-mensprache. Die Antike kennt auch ganz andere Bildwelten, die im Umfeld der Krise entstanden sind.

DIE HYDRIA (WASSERGEFÄSS), ENTSTAN-DEN ZWISCHEN 420 UND 410 V. CHR., ZEIGT EINE SZENE AUS DEM FRAUEN- BZW.

BRAUTGEMACH. Typisch für diese Zeit ist Darstellung der Gewänder, die wie nass am Körper „kleben“. Das Gefäß ist im Metropoli-tan Museum of Art, New York, ausgestellt.

Foto: gemeinfrei / https://www.metmuseum.

org/art/collection/search/247348

DER SOGENANNTE „BERLINER MEDEA- SARKOPHAG“, entstanden um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr., zeigt Szenen aus dem

„letzten Akt“ der Sage um Medea, die grau-sam Rache an ihrem untreuen Geliebten übt.

© ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN - PREUSSISCHER KULTURBESITZ Inv.-Nr. Sk 843 b

Foto: Johannes Laurentius

MOSAIK MIT DER DARSTELLUNG VON DIONYSOS AUF EINEM PANTHER AUS DEM 4. JAHRHUNDERT V. CHR. AUS PELLA, GRIECHENLAND.

Foto: picture-alliance / Herve Champollion / akg-images

TITELTHEMA

EIN ANSTIEG DER GEWALT?

Im Römischen Reich brach um 165 n. Chr. eine Pandemie aus, die bis 180 n. Chr. und vielleicht sogar noch darüber hinaus wütete.

Der antike Arzt Galen beschreibt als Zeitgenosse und Fachmann die Ereignisse: Fieber, Durchfall und Rachenentzündung sowie ein pustulöser Hautausschlag etwa ab dem neunten Krankheitstag kennzeichneten die Krankheit. Auch bei dieser zumeist antonini-sche Pest genannten Krankheit wird diskutiert, was es für ein Er-reger war, der die Krankheit auslöste. Verbreitet haben sollen ihn jene Legionäre, die von einem Feldzug des Lucius Verus gegen die Parther an der Ostgrenze des Imperiums in ihre Heimatstandorte zurückkehrten. Die Krankheit wurde in der Antike auch als

gött-liche Strafe für die Plünderung eines Apollontempels während des Feldzuges angesehen. Apollon ist zwar Heilgott, aber zugleich auch ein strafender Gott, dessen Pfeile Krankheit und Tod senden.

Die Kunst veränderte sich um 180  n.  Chr. so radikal, dass von Gerhard Rodenwaldt der Begriff des Stilwandels in der antoni-nischen Kunst geprägt wurde. Er beschrieb das Phänomen an-hand von Sarkophagen, die die Geschichte aus der griechischen Mythologie zeigen. Jason verlässt die Königstochter Medea, die ihm geholfen hatte, das goldene Vlies in Kolchis zu gewinnen, und will die korinthische Königstochter Kreusa heiraten. Medea wird verstoßen und rächt sich, indem sie Kreusa ein vergiftetes Kleid schenkt. Kreusa stirbt qualvoll und Medea vollendet ihre Rache, indem sie ihre eigenen Kinder tötete.

Der Stilwandel erfasst aber nicht nur Sarkophagbilder, er erfasst auch die Darstellungen kriegerischer Handlungen. Während am Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. mit der 112/113 n. Chr. errich-teten Trajanssäule ein bildlicher Kriegsbericht entstand, bei dem die Perfektion der Logistik der römischen Feldzüge gegen die Daker oder auch das Einhalten religiöser Rituale gezeigt wurde, eher selten dagegen tatsächliche Kämpfe, ändert sich dies an der um 180  n.  Chr. errichteten Markussäule. Die Bilder der Feld-züge des Mark Aurel gegen die Markomannen zeigen vor allem Kampfszenen und dies nicht selten in Form wahrer Gewaltorgien.

Das Kämpfen und Sterben wird in expressiven Formen mit aller Grausamkeit gezeigt. Die Feinde werden niedergemacht. In der Bildwelt der spätantoninischen Zeit dominieren also ganz andere Bilder als im ausgehenden 5. Jahrhundert v. Chr. in Athen.

Die Schwierigkeit der wissenschaftlichen Analyse besteht darin, dass sich weder die Mechanismen von Entstehen und Verbrei-tung der beiden Epidemien exakt beschreiben lassen, noch ein exakter kausaler Zusammenhang zwischen den Ereignissen und der Bildwelt bestimmen lässt. Deutlich ist jedoch, dass nicht eine einzige Ausdrucksform in Gesellschaften existiert, auf eine Krise zu reagieren. Wenn man das gesamte Spektrum an Reak- tionen und künstlerischen Äußerungen in Betracht zieht, können tatsächliche und überlieferte Gewaltexzesse, Erfahrungen von Krankheit und Sterben mit ruhigen Bildern wie im ausgehenden 5. Jahrhundert v. Chr. parallel auftreten. In der spätantoninischen Zeit scheinen hingegen die Bilder die tatsächlichen Erfahrungen von Schmerz und Sterben exzessiv in expressiver Bildsprache dar-zustellen. Wie Gesellschaften auf eine Krise reagieren, ist dabei je-doch nicht deterministisch vorgegeben, sondern unterliegt offen-sichtlich dem Gestaltungsvermögen einer Gesellschaft.

PROF. DR. DR. H.C. FRIEDERIKE FLESS ist Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts.

Foto: Kuckertz Auf den römischen Sarkophagen wird die Szene der qualvoll

ster-benden Kreusa um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. in einer eher geschlossenen und ruhigen Formensprache gezeigt. Nur zwanzig Jahre später, um 180–190 n. Chr. ändert sich dies grund-legend. Körper und Gesichter sind expressiv von Schmerz verzerrt DAS VON MEDEA GESCHENKTE KLEID TÖTET KREUSA.

Auch wenn sich ihr Vater Kreon die Haare rauft, erscheint die Szene ansonsten sehr ruhig.

© ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN - PREUSSI-SCHER KULTURBESITZ , Inv.-Nr. Sk 843 b, Foto: Johannes Laurentius

AUCH WENN DIE TRAJANSSÄULE DURCHAUS KÄMPFE ABBILDET, ZEIGEN VIELE SZENEN VOR ALLEM LOGISTISCHE ABLÄUFE – hier die Anlandung Trajans mit Truppen und Legionäre, die sich in Marsch setzen.

Foto: D-DAI-ROM-90.249 UNGLEICH DRAMATISCHER IST DIE DARSTELLUNG DER

STERBENDEN KREUSA AUF DEM SARKOPHAG IN BASEL, DER IN DIE ZEIT VON 180–190 N. CHR. DATIERT WIRD.

© Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig, Inv.-Nr. BS 203

AUF DER ETWA SIEBZIG JAHRE SPÄTER ERRICHTETEN MARKUSSÄULE WERDEN GEFANGENE ABGESCHLACHTET.

Foto: D-DAI-ROM-89.327

Für die Veränderung in der künst-lerischen Darstellung zum Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. prägte GERHARDT RODENWALDT vor 85 Jahren den Begriff des antoni-nischen Stilwandels – nach dem Kaiser Marcus Aurelius Antoninus, besser bekannt als Marc Aurel.

Foto: https://digi.ub.uni- heidelberg.de/diglit/roden-waldt1935/0009

DIE TRAJANSSÄULE IN ROM wurde zu Ehren Kaiser Trajans 112/113 n. Chr. errichtet. Das spiralförmig aufsteigende Relief zeigt auf über 200 Metern Länge Szenen aus dem Krieg Trajans gegen die Daker.

Foto: picture alliance / imageBROKER | B. Bönsch

und bewegen sich ekstatisch. Die Gewänder mit ihrem schön- linigen Faltenspiel sind unruhig aufgelöst und verstärken den ex-pressiven Gesamteindruck der Darstellung. Die exex-pressiven Bilder der Sarkophage ließen sich geradezu als Spiegel der Erfahrungen von Pandemie und Tod, von Schmerz und Trauer lesen.

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Schon Friedrich Nietzsche stellte 1888 fest „Was mich nicht

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