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INDIVIDUELLE BITTEN UM HILFE –

Im Dokument RESILIENZ TWG (Seite 29-32)

WEIHRELIEF AUS DEM ASKLEPIEION VON PIRÄUS (CA. 400 V. CHR.), DAS DIE HEILUNG EINER KRANKEN DURCH ASKLEPIOS ZEIGT.

Foto: Welter (D-DAI-ATH-Piraeus-0092)

Während sich ab etwa dem 5. Jahrhundert v. Chr. eine wissen-schaftliche Medizin und professionelle ärztliche Versorgung zu eta-blieren begannen, sind in der antiken griechischen und römischen Welt auch gleichzeitig weiterhin theurgische Krankheitskonzepte fassbar. Diese schreiben die Heilung und teilweise auch die Entste-hung von Krankheiten dem Wirken göttlicher Mächte zu. Über Op-fer, Gebet und Votivpraxis versuchte man, im Rahmen sogenannter Heilkulte Heilung zu erlangen bzw. Krankheit zu verhüten. Archäo-logisch überliefert sind zahlreiche Heilkultstätten im griechischen Raum, unter denen die Heiligtümer des Asklepios, dem bekanntes-ten Heilgott, am besbekanntes-ten erforscht sind. Zu den berühmtesbekanntes-ten ge-hören das seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. bestehende Asklepieion

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DIE TEILREKONSTRUIERTE INKUBATIONSHALLE IM ASKLEPIEION VON EPIDAUROS, wo die Inkubanten im Traum die Anwesenheit des Gottes erfuhren. Foto: picture alliance / ANE Edition | Andreas Neumeier

DAS ASKLEPIOS-HEILIGTUM VON EPIDAUROS IN DER LUFTAUFNAHME. Den zentralen Bereich nahmen der Tempel und die Inkubationshalle, das enkoimeterion, adyton oder abaton ein.

Foto: Boecker / Quelle: Google Earth

von Epidauros, wie auch die Heiligtümer von Korinth, Ägina, Piräus und Athen (Gründungen im 5. Jahrhundert v. Chr.) sowie Perga-mon und Kos (gegründet im 4. Jahrhundert v. Chr.).

Aus dem Heiligtum von Epidauros sind verschiedene Zeugnisse erhalten, die Nöte und Sorgen der Heiligtumsbesucher veran-schaulichen und Einblick in individuelle Krisensituationen bieten.

Archäologisch überliefert sind verschiedene wichtige Elemente des Kultes wie spezifische Architektur (Inkubationshallen), Weih-inschriften und Votive als Dank für erfolgreiche Heilungen sowie schriftliche Quellen zur „Heiltätigkeit“ im Heiligtum. Dank dieser Zeugnisse lässt sich relativ gut rekonstruieren, wie antike Heilig-tumsbesucher Asklepios um Hilfe baten.

EIN WEIHRELIEF AUS DEM 4. JAHRHUNDERT V. CHR.

zeigt den mythologischen Heiler Amphiaraos, der einen Verband oder ein Salben-pflaster auflegt.

Archäologisches Nationalmu-seum, Athen, Griechenland, Inv.-Nr. 3369.

Foto: picture-alliance / akg-images / Erich Lessing

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DAS THEATER VON EPIDAUROS wurde im 4. Jahrhundert v. Chr.

angelegt und in römischer Zeit erweitert. Seitdem fasst es bis zu 14.000 Zuschauer. Die antike Anlage wird auch heute noch für Aufführungen und Theaterfestivals genutzt.

Foto: picture alliance / Heritage Images | Sites & Photos

Zentrales Element des Aufenthaltes im Heiligtum war der nächtli-che Tempelschlaf, die sogenannte Inkubation. Sie diente als rituel-les Mittel, um mit der Gottheit in direkten Kontakt zu treten und ihren Rat und ihre Hilfe unmittelbar zu erfahren.

Bevor man Zugang zur Inkubationshalle (adyton) erhielt, musste man verschiedene Reinigungsriten (wie sexuelle Enthaltsamkeit, Verzicht auf bestimmte Lebensmittel, ein Bad im Meer oder in spe-ziellen Badeanlagen) durchlaufen und Voropfer an verschiedene Götter bringen. Im adyton schlief man – häufig nach Geschlech-tern getrennt – auf einem Polster, einer Decke oder auf dem Fell eines Opfertiers. Die Lichter wurden gelöscht. Die Heilung der Krankheit erfolgte entweder direkt durch die Traumerscheinung des Gottes samt seinem Gefolge oder über seine Anweisungen, die er während des Traumes übermittelte. Geläufige schriftliche und bildliche Darstellungen sind Heilung durch Handauflegen, das Auflegen von Salben oder Pflastern oder die Gabe von Heil-tränken.

Nach der dort verbrachten Nacht bezahlte man die fällige Gebühr an den Tempel und besprach den Traum mit den Priestern des Heiligtums. Seine Dankbarkeit erwies man durch ein Dankopfer und durch Votivgaben.

Aus Epidauros stammen auch etwa 70 kurze Heilungsberichte, die sogenannten iamata, die ins 4. Jahrhundert v. Chr. datiert werden.

Sie waren im Heiligtum aufgestellt und berichten über die Heilun-gen durch Asklepios während der nächtlichen Inkubation:

„Andromache aus Epeiros wegen Kindersegens. Diese schlief im Heil-raum und sah einen THeil-raum: es träumte ihr, ein schöner Knabe decke sie auf, hierauf berühre sie der Gott mit der Hand. Darauf bekam Andromache einen Sohn von Arybbas.“

„Kleinatas von Theben mit den Läusen. Dieser kam mit einer gewal-tigen Menge von Läusen an seinem Leib an, schlief im Heilraum und sieht ein Gesicht: es träumte ihm, der Gott ziehe ihn aus, stelle ihn nackt aufrecht hin und fege mit einem Besen die Läuse von seinem Leib. Als es Tag geworden war, kam er gesund aus dem Heilraum heraus.“

MARMORNE VOTIVTAFEL AUS DEM 2. JAHRHUNDERT N. CHR., auf der Marcus Julius Apellas minutiös seinen Aufenthalt im Asklepiei-on vAsklepiei-on Epidauros und die Anweisungen, die er im Traum zur Behand-lung seiner Verdauungsbeschwerden erhielt, beschreibt.

Foto: picture alliance / Beate Schleep IM STADION VON EPIDAUROS

FANDEN WETTKÄMPFE ZU EHREN DES HEILGOTTES STATT.

Foto: Boecker

„Ambrosia aus Athen, einäugig: Diese kam als Bittfleherin zu dem Gott. Als sie im Heiligtum herumging, lachte sie über einige von den Heilungen als unwahrscheinlich und unmöglich, dass Lahme und Blinde gesund werden sollen, nachdem sie nur einen Traum gesehen hätten. Als sie schlief, sah sie ein Gesicht: Es schien ihr, der Gott trete vor sie und sage, dass er sie zwar gesund machen werde, aber als Lohn von ihr verlange, dass sie in das Heiligtum ein silbernes Schwein stifte als Erinnerung an ihre Unwissenheit. Dies gesagt, habe er ihr das kranke Auge aufgeschlitzt und ein Heilmittel hinein-gegossen. Als es Tag geworden war, kam sie gesund heraus.“

(Epidauros Nr. 31, 28, 4; Übersetzungen R. Herzog) Wahrscheinlich wurden diese Berichte vom Heiligtumspersonal zusammengestellt und veröffentlicht. Man kann davon ausgehen, dass auch ein geschicktes Self-Marketing dahintersteckte. Auf je-den Fall verweisen viele Berichte auf die materielle Gegenleistung, die für die göttliche Heilung zu erbringen war.

Wie diese Traum- oder „Wunderheilungen“ funktionierten, ist viel diskutiert worden. Vermutlich spielte der Glaube an die göttliche Wirkmacht ebenso mit hinein wie die Erwartungshaltung der In-kubanten und die Rolle der Priester. Oder wie es der Philosoph Diogenes lapidar formuliert haben soll: „Es wären noch viel mehr, wenn auch die nicht Geretteten Tafeln aufgestellt hätten.“

Wie erfolgreich das Heiligtum in Epidauros in jedem Fall war, zeigt nicht nur seine Frequentierung über die Jahrhunderte, sondern auch seine umfangreiche erhaltene Infrastruktur: Neben verschie-denen Unterkünften für Heiligtumsbesucher wurden mit der Zeit auch Bäder, Bankettgebäude, ein Stadion sowie ein Theater errichtet. Alle fünf Jahre fanden große musische und athletische Wettkämpfe zu Asklepios Ehren statt.

Man kommt nicht umhin, sich den Betrieb im Heiligtum ähnlich wie in modernen Kurorten vorzustellen.

„Schaut man sich jedoch die Heiligtümer an, in die die anatomi-schen Votive gestiftet wurden, und die Funde, mit denen sie ver-gesellschaftet sind, genauer an, ergibt sich ein komplexeres Bild.“

So konnte beispielsweise Asklepios, dessen Kult zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. aus Epidauros nach Rom übernommen wur-de, in Mittelitalien bis zur Kaiserzeit sonst kaum Fuß fassen. Auch gibt es aus dieser Zeit keine Belege für die aus griechischen Kulten bekannte nächtliche Inkubation, wie der Religionswissenschaftler Gil Renberg vor kurzem zeigen konnte. „Die Einbettung der Kör-perteilweihungen in Heilkulte nach griechischem Vorbild, wie sie bislang häufig angenommen wurde, ist daher problematisch.

Wahrscheinlich gehen sie auf ältere, einheimische Traditionen zu-rück, in die neue, passende Elemente eingebunden wurden. Ich konnte in meiner Untersuchung zwei Gruppen ausmachen: Zum einen gibt es innerstädtische Heiligtümer, in die auffällig viele weibliche Statuetten, weibliche Votivköpfe, Uterus- und Brust-votive sowie Spielzeug und Handwerksgerät wie Webgewichte gestiftet wurden. Vermutlich gehen diese auf eine überwiegend weibliche Klientel zurück, die hier Beistand zum Beispiel beim Übergang von einer Lebensphase in eine andere suchte. Anlässe

könnten beispielsweise die Menarche, Hochzeit oder Schwanger-schaft gewesen sein – in Latium ist Juno besonders häufig Emp-fängerin dieser Weihgaben. Zum zweiten gibt es extra-urban ge-legene Heiligtümer, oft an überregionalen Verbindungswegen, in denen Fuß- und Penisvotive mit Rinderstatuetten vergesellschaf-tet sind. Wahrscheinlich gehen diese auf Reisende wie Hirten und Händler zurück, die unterwegs die Stätten aufsuchten – ähnlich wie eine Autobahnkapelle. Dass Männer in dieser Zeit mobiler wa-ren als Frauen, ist in verschiedenen Studien untersucht worden“, führt Velia Boecker aus. Die Gottheiten, die in diesen Heiligtümern verehrt wurden, sind nur selten namentlich überliefert. Aufgrund der Vergleiche mit angrenzenden Regionen erscheint die Zuwei-sung an Hercules aber häufig plausibel.

Exklusiv in den Bereich Krankheit und Heilung lassen sich die Körperteilweihungen nicht einordnen. Die Gottheiten, denen sie gestiftet wurden, sind wohl eher „helfende“ als „heilende“ Mächte, die in verschiedenen Situationen, die mit Unsicherheit und Angst verbunden sein konnten, um Beistand gebeten wurden oder de-nen für die Hilfe bei der Überwindung individueller Krisensituati-onen gedankt wurde.

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VELIA BOECKER

ist Wissenschaftliche Referentin am DAI. In ihrer Dissertation hat sie die Weihung von Körperteilvotiven in Latium (Italien) untersucht.

Die Arbeit wurde von der Gerda Henkel Stiftung gefördert.

Foto: Benthin HEILKULTE IN ITALIEN?

Für das vorkaiserzeitliche Italien fehlen derartige Zeugnisse, wie sie aus Griechenland bekannt sind, dagegen. Überliefert sind dort Zehntausende sogenannter Körperteilweihungen aus Terrakotta, die in der bisherigen Forschung als Indikatoren für Heilkulte ver-standen wurden.

„Diese Körperteilweihungen, die sich grob in den Zeitraum des 4.–2. Jahrhunderts v. Chr. einordnen lassen, wurden lange als Stell-vertreter des dargestellten, erkrankten Körperteils gedeutet und die Gottheiten, denen sie geweiht wurden, als Heilgottheiten“, er-klärt Velia Boecker, die über 100 Fundstellen anatomischer Votive in Latium für ihre Dissertation untersucht hat.

Maßgeblich zu dieser Deutung beigetragen hat, dass sich um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert zuerst Ärzte und Medi-zinhistoriker wie Ludwig Stieda und Theodor Meyer-Steineg mit den Terrakotten beschäftigten und sie mit Weihgaben u. a. aus katholischen Wallfahrtsorten verglichen. Sie waren vor allem in-teressiert daran, anhand der anatomischen Votive pathologische Auffälligkeiten zu diagnostizieren – die archäologischen Kontexte der Weihungen blieben dagegen lange unberücksichtigt.

„Da die antiken Autoren nichts über diese Votivpraxis überliefern und die Körperteilweihungen selbst bis auf ganz wenige Ausnah-men keine Inschriften tragen, lässt sich über die individuelle In-tention der Stifterinnen und Stifter wenig sagen“, so Velia Boecker.

UNGEFÄHRES VERBREITUNGSGEBIET VON KÖRPERTEILWEIHUNGEN AUS TERRAKOTTA IN ITALIEN. Der Großteil der Funde stammt aus Etrurien und Latium. Karte: Boecker (Grundlage: d-maps.com)

DIE ANATOMISCHEN VOTIVE bilden isolierte Körperteile, darunter Extremitäten, Sinnes- und Geschlechtsorgane nach (hier ein Über-blick über verschiedene Stücke vom Fundort

Pantanacci bei Lanuvio). Foto: Boecker

RELATIV SELTEN SIND DARSTELLUNGEN GEÖFFNETER TORSI wie bei diesem Fund unbekannter Herkunft, der im Museo Nazionale Romano (Inv.-Nr. 14608) aufbewahrt wird. Foto: D-DAI-ROM-54.105

„VOTIVWAND“ MIT DANKINSCHRIFTEN FÜR DIE MUTTERGOTTES IN TRASTEVERE, ROM. Derartige Rituale können helfen, persönlichen Krisen oder Schwierigkeiten zu begegnen. Foto: Boecker

DER ARZT UND ANATOM LUDWIG STIEDA (1837–1918).

Foto: gemeinfrei

Der Übergang der steinzeitlichen Jäger- und Sammler-Kulturen

Im Dokument RESILIENZ TWG (Seite 29-32)