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1 Epidemiologie ausgewählter Infektionskrankheiten in Sachsen-Anhalt

1.5 Tuberkulose

Meldungen: 2017: 131 Erkrankungen 2016 156 Erkrankungen

Inzidenzen: 2017: 5,58 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner 2016: 6,62 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner

Zeitlicher Verlauf

Sowohl in Sachsen-Anhalt als auch deutschland-weit ist die Tuberkulose-Inzidenz von 2015 bis 2017 gesunken und lag 2017 nur noch etwas über dem Niveau der Vorjahre bis 2014. In den Jahren 2015 und 2016 lag die Inzidenz für Tuberkulose in Sach-sen-Anhalt und in Deutschland deutlich über dem

langjährigen Mittel. Ursächlich hierfür waren die Ef-fekte der Flüchtlingsbewegung. Viele Asylbewerber kamen aus Ländern, in denen TB häufiger vorkommt als in Deutschland (TB-Hochprävalenzländer). Stu-dien zeigten, dass ein hoher Anteil der Tuberkulo-seerkrankungen bei Migranten innerhalb der ersten Steckbrief

Erreger: Bakterien: Mycobacterium-tuberculosis-Komplex:

v. a. Mycobacterium tuberculosis, M. bovis, M. africanum, M. microti, M. canetti, M.

pinnipedii, M.caprae; weltweit verbreitet

Reservoir: M. tuberculosis und M. africanum: Mensch; M. bovis: Mensch, Rind, manche Wildtiere;

M. canetti: Menschen am Horn von Afrika; M. microti: kleine Nager; M. pinnipedii:

Seehunde

Übertragungsweg: fast immer Tröpfcheninfektion, ausgehend v.a. von an offener Lungentuberkulose Erkrankten;

die Infektion mit M. bovis durch nicht pasteurisierte Milch infizierter Rinder spielt in Mitteleuropa keine Rolle mehr

Inkubationszeit: ca. 6 Wochen bis mehrere Jahrzehnte

Ansteckungsfähigkeit: am höchsten, wenn säurefeste Stäbchen mikroskopisch nachweisbar: Risiko steigt ab kumulativ 8 h Aufenthalt im geschlossenen Raum mit an offener Lungentuberkulose Erkrankten;

lediglich kultureller oder molekularbiologischer Nachweis: Risiko steigt ab kumulativ 20 h Aufenthalt im geschlossenen Raum mit an offener Lungentuberkulose Erkrankten;

Kinder unter 10 Jahren sind häufig mikroskopisch negativ und gelten zudem aufgrund ihres schwächeren Hustenstoßes in aller Regel nicht als infektiös;

mit wirksamer antituberkulöser Kombinationstherapie sind Patienten meist innerhalb von 2 bis 3 Wochen nicht mehr infektiös

Symptome: LTBI (latent tuberkulöse Infektion ohne Symptomatik, kann in Erkrankung übergehen);

in 80% der Fälle als Lungentuberkulose auftretend, jeder länger als 3 Wochen andauernde Husten sollte abgeklärt werden;

bei Säuglingen und Kleinkindern Gefahr der primären Generalisation mit Miliartuberkulose und tuberkulöser Meningitis

Diagnostik: Tuberkulin-Hauttest und Interferon-Gamma-Tests (IGRA) weisen nur eine tuberkulöse Infektion nach, keine Unterscheidung zwischen LTBI und Tuberkuloserkrankung möglich;

Nachweis der Tuberkulose: Erregerisolierung; mikroskopisch färberischer Nachweis säurefester Stäbchen, bestätigt durch Nukleinsäurenachweis nur in Material des gleichen Organsystems

Therapie: Kombinationsschemata mit mehreren Antituberkulotika

Prävention: Isolierung und Atemschutzmasken bei Erkrankten bzw. med. Personal/ Besucher;

rasche Entdeckung erkrankter/ infizierter Personen; Chemoprophylaxe bei exponierten Kindern unter 5 Jahren, Chemoprävention/ regelmäßige med. Untersuchungen (Röntgendiagnostik) bei exponierten Personen mit LTBI

Staatsangehörigkeit Personen Fälle Inzidenz Sachsen-Anhalt

(Deutsche) 2 122 767* 56 2,64

Sachsen-Anhalt

(Ausländer) 102 546* 75 73,14

Gesamt (Deutsche und

Ausländer) 2 225 313* 131 5,89

Demografische Merkmale

Deutschland ist ein Tuberkulose-Niedriginzi-denzland, im Gegensatz zu Tuberkulose-Hochinzi-denzländern kommt die Erkrankung innerhalb der deutschen Bevölkerung selten vor. Stratifiziert man Tuberkulose-Patienten nach ihrer Staatsangehörig-keit, fällt dementsprechend auf, dass die Inzidenz der Tuberkulose bei Personen mit ausländischer Staats-angehörigkeit auch im Jahr 2017 wesentlich höher lag als bei deutschen Staatsbürgern (siehe Tabellen).

Bei der Bewertung der Ergebnisse muss berück-sichtigt werden, dass bei Asylbewerbern durch die gesetzlich vorgeschriebenen Tuberkulose-Scree-ninguntersuchungen (§ 36 IfSG) aktive Fallfindung betrieben wird. Dadurch werden höchstwahrschein-lich mehr Fälle identifiziert als in anderen Bevölke-rungsgruppen.

5 Jahre seit ihrer Ankunft auftritt. Außerdem werden bei Flüchtlingen und Asylbewerbern bei ihrer An-kunft in einer Gemeinschaftseinrichtung in Deutsch-land Untersuchungen auf eine infektiöse Lungentu-berkulose gemäß § 36 IfSG vorgenommen. Durch diese Screeninguntersuchungen werden vermutlich mehr Erkrankungen registriert als in anderen Bevöl-kerungsgruppen. Seit Oktober 2015 wurde der Status

„asylsuchend“ zusätzlich in den Meldedaten erfasst, so dass epidemiologische Daten dieser Bevölke-rungsgruppe stratifiziert ausgewertet werden können.

Abb. 75: Inzidenz der Tuberkulose seit 2008, Sachsen-Anhalt und Deutschland im Vergleich

Abb. 76: Tuberkulose, altersspezifische Inzidenzen, Sachsen-Anhalt, 2017

Insbesondere bei der Stratifizierung nach Geburts-land fällt die in beiden Gruppen sehr unterschiedliche Altersverteilung auf. In Deutschland geborene Pati-enten waren überwiegend älter als 60 Jahre (32 von 59 bzw. 54 %), während im Ausland geborene Pati-enten meist unter 50 Jahre waren (65 von 72 bzw.

90 %; Abb. 3). Wegen der hohen Durchseuchung in ihren Herkunftsländern sind Menschen aus Tuberku-lose-Hochprävalenzländern häufiger in jüngeren Jah-ren betroffen als Personen deutscher Herkunft. So-wohl die im Ausland (76 %) geborenen als auch die in Deutschland (66 %) geborenen Betroffenen waren überwiegend männlich.

Bei den Personen mit ausländischer Staatsange-hörigkeit und den Personen mit ausländischem Ge-burtsland handelt es sich teilweise um unterschied-liche Personengruppen. Damit kommt es zu einer Differenz in der Anzahl der Erkrankten.

1 0 2 2

deutsche Patienten ausländische Patienten

Abb. 77: Tuberkulose, Verteilung der Altersgruppen bei deutschen und ausländischen Patienten, Sachsen-Anhalt, 2017

Tab. 17: Anzahl und Inzidenz der Tuberkuloseerkrankungen nach Staatsangehörigkeit, Sachsen-Anhalt, 2017

* Quelle: Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, Stand 05.06.2018, Bevölkerung am 30.09.2017

Regionale Verteilung

Epidemiologische Besonderheiten Erregernachweise

Behandlungsergebnisse Extrapulmonale Manifestationen

Tab. 20: Behandlungsergebnisse der 2016 in Sachsen-Anhalt gemeldeten Tuberkulosefälle

Behandlungsergebnis Anzahl

Abschluss der Behandlung ohne oder mit nur

einem Nachweis einer negativen Kultur 52

-nicht erhoben- 21

Abschluss der Behandlung mit Nachweis einer negativen Kultur im letzten Behandlungsmonat und zu wenigstens einem früheren Zeitpunkt

20

Fortführung der Behandlung nach mehr als 12

Monaten (Ergebnis folgt noch) 10

Tod an anderer Ursache während der Behandlung 9

-nicht ermittelbar- 9

Abbruch der Behandlung 4

Unbekannt, da Patient/in ins Ausland oder

unbe-kannt verzogen 2

Tod an TB vor Beginn einer notwendigen

Behand-lung 2

Tod an TB während der Behandlung 1

Tod an anderer Ursache vor Beginn einer

notwen-digen Behandlung 1

Tab. 18: Anzahl der Tuberkulose-Fälle nach Staatsange-hörigkeit, Sachsen-Anhalt, 2017

Abb. 78: Regionale Verteilung der übermittelten Tuberkulosefälle pro 100.000 Einwohner je Landkreis bzw.

Erreger (Gruppiert) Anzahl

Mycobacterium tuberculosis 72

-nicht erhoben- 35

Mycobacterium tuberculosis Komplex,

nicht differenziert 10

-nicht ermittelbar- 9

Mycobacterium bovis 3

Mycobacterium canetti 1

Mycobacterium africanum 1

Gesamt 131

Tab. 19: Erregernachweise, bei 2017 in Sachsen-Anhalt gemeldeten Tuberkuloseerkrankungen

Abb. 79: Übersicht über extrapulmonale Manifestationen bei Tuberkuloseerkrankungen 2017 in Sachsen-Anhalt

Ausgewählte Kasuistiken und Sterbefälle

Ein 60-jähriger Mann aus dem LK Börde wurde am 04.12.2016 in schlechtem Allgemeinzustand hos-pitalisiert. Am 08.12.2016 erfolgte die Diagnose einer offenen Lungentuberkulose basierend auf mikrosko-pisch positivem Sputum. Der PCR-Nachweis aus Di-rektmaterial und die Kultur fielen positiv aus für My-cobacterium tuberculosis, Resistenzen wurden nicht festgestellt. Am 09.12.2016 wurde der Betroffene in eine Lungenklinik verlegt. Nach Aussage seiner Part-nerin entwickelte er Anfang November 2016 starken Husten. Ebenfalls im November 2016 unternahmen beide eine Marokkoreise und dort eine insgesamt 16-stündige Busfahrt nach Marrakesch in einem Kleinbus mit 10 Mitreisenden. Die Untersuchungen des zuständigen GA ergaben, dass der radiologische Befund und der IGRA der mitreisenden Partnerin un-auffällig waren. Im Rahmen weiterer Umgebungs-untersuchungen ermittelte das zuständige Gesund-heitsamt die Teilnehmerliste der Marrakesch-Reise über den Reiseveranstalter bzw. die Reiseleitung vor Ort und die Flugpassagierliste über die Airline. Ge-mäß der ECDC-Empfehlungen RAGIDA war bei die-sem Fall keine Kontaktpersonennachverfolgung der Flugpassagiere nötig. Die jeweiligen zuständigen Ge-sundheitsämter der Busreiseteilnehmer wurden infor-miert. Der National Focal Point von Marokko wurde am 05.01.2017 angeschrieben mit Bitte um Nennung der zuständigen Gesundheitsbehörde in Agadir, um diese zu informieren.

2017 verstarben eine Frau und 2 Männer an Tu-berkulose:

• Eine 61-jährige in Deutschland geborene Frau erkrankte Anfang April 2017 an Lungentuberku-lose und wurde Ende Mai hospitalisiert. Sie ver-starb, bevor eine Tuberkulosebehandlung erfol-gen konnte.

• Ein 36-jähriger Deutscher erkrankte Anfang April 2017 an Lungentuberkulose, wurde Ende Mai hos-pitalisiert und verstarb 3 Tage später. Die Ergeb-nisse der labordiagnostischen Untersuchungen wiesen bei allen Patienten auf gegen Erstrangme-dikamente sensible Stämme hin.

• Ein 22-Jähriger aus Guinea-Bissau erkrankte An-fang August an einer Multiorgantuberkulose mit Perikarderguss, Spondylodiszitis im Bereich der Brustwirbelsäule, abdominellen Psoasabszessen, pulmonalen Infiltraten und Pleuraerguss und wur-de Enwur-de August hospitalisiert. Er verstarb im Ok-tober 2017 während der Tuberkulosebehandlung an der gemeldeten Krankheit (Lungenembolie, reanimationspflichtiges Kreislaufversagen).

Häufung

In Sachsen-Anhalt (LK Stendal, Anhalt-Bitterfeld, Burgenlandkreis) wurden 2017 5 Häufungen mit ins-gesamt 17 Fällen gemeldet.

Bericht über eine Häufung im Burgenlandkreis, 2017 Indexfall: Betroffen war eine 23-jährige Frau aus dem Kosovo, welche seit 1998 in Deutschland ge-duldet ist und seit 1999 in Hamburg lebt. Sie hat ein 3-jähriges Kind mit ihrem 21-jährigen Expartner, der ebenfalls aus dem Kosovo kommt und mit sei-ner Großfamilie im Burgenlandkreis (BLK) lebt. Der Indexfall hielt sich häufig bei dieser Familie zu Be-such auf.

Bei dem Indexfall vergrößerte sich 2015 eine seit dem 16. Lebensjahr bestehende Lymphknoten-schwellung am Hals. Schmerzen oder Fieber traten nicht auf. Die Betroffene verlor jedoch 6 kg Gewicht in einem halben Jahr. Mit dem Verdacht auf eine Sar-koidose wurde der Lymphknoten 2015 im BLK stati-onär entfernt und M. tuberculosis complex nachge-wiesen. Eine offene Tuberkulose (TB) konnte nicht ausgeschlossen werden, da die Patientin das Kran-kenhaus bereits gegen Revers verlassen hatte und es dem Krankenhaus nicht gelang sie zu informie-ren. Eine Meldung gemäß IfSG erfolgte 2015 nicht.

Im März 2017 wurde die Betroffene mit Husten und Thoraxschmerzen und ohne Papiere erneut in der Notaufnahme des Krankenhauses im BLK vorstel-lig. Die Thorax-Röntgen-Untersuchung (TRU) ergab einen auffälligen Befund mit Verdacht auf TB. Erneut lehnte die Betroffene eine stationäre Behandlung ab.

Diesmal erfolgte eine unverzügliche Meldung an das Gesundheitsamt BLK, welches das für den Wohnort der Patientin zuständige Gesundheitsamt Hamburg informierte. Der Fall wurde in der 12. Meldewoche in Hamburg erfasst. Weitere Ermittlungen im BLK, in dem sich die Betroffene noch immer aufhielt, erfolg-ten durch das Gesundheitsamt BLK. Dieses konnte die Betroffene überzeugen, sich im Krankenhaus be-handeln zu lassen. Während der aktuell andauern-den stationären Therapie wurde die Betroffene we-gen ihrer fehlenden Compliance mit ihrem 3-jähriwe-gen Kind nach Leipzig verlegt, um eine isolierte Betreu-ung zu gewährleisten. Die weiterführende Diagnos-tik ergab bei ihr einen positiven IGRA, mikroskopisch und kulturell positives Sputum sowie keinen Hinweis auf Resistenzen gegenüber Erstrangmedikamenten (Direkt-PCR und Kultur).

Bei den Umgebungsuntersuchungen im BLK wur-den 26 Kontaktpersonen, darunter 12 Kinder iwur-dentifi- identifi-ziert und IGRA und TRU durchgeführt. Elf der Kinder

waren unter 5 Jahre alt und eins 6 Jahre. Bei 5 Kin-dern mit positivem IGRA und auffälliger TRU, darunter auch das 3-jährige Kind des Indexfalls, erfolgte eine stationäre Aufnahme in Leipzig bzw. Halle (Saale).

Dort wurde bei allen 5 Kindern eine aktive TB dia-gnostiziert und eine ambulante Therapie begonnen.

Mikroskopisch gelang kein Nachweis im Magensaft.

Bei weiteren 4 Kindern wurde eine Chemoprävention veranlasst und bei 2 Kindern eine Chemoprophylaxe.

Ein Kind wurde als LTBI gemeldet. Außerdem hatte der Expartner der Betroffenen einen positiven IGRA bei unauffälliger TRU. Bei dem 62-jährigen Großvater des 3-jährigen Kindes liefen weitere Untersuchungen zur Abklärung seines positiven IGRA und der auffäl-ligen TRU. Wegen schwieriger Familienverhältnis-se verliefen die Umgebungsuntersuchungen im BLK nicht reibungslos. Teilweise mussten Ordnungsamt und Jugendamt eingeschaltet werden.

Das Gesundheitsamt BLK hat die dem Wohnort der Familie nahe gelegenen Kindertagesstätten u. a.

in einer Infoveranstaltung informiert. Es wurden hier keine Umgebungsuntersuchungen durchgeführt, da bei den erkrankten Kindern kein Nachweis einer an-steckungsfähigen TB erfolgte.

Neben dem BLK und Hamburg waren die Ge-sundheitsämter in Halle (Saale) und Heilbronn (Kon-taktperson aus dem BLK, die sich im GA Heilbronn untersuchen ließ) involviert. Das zuständige Gesund-heitsamt in Hamburg berichtete über die Ermittlung von 42 Kontaktpersonen. Zehn wurden nach Geest-hacht und Osnabrück übermittelt. Bei 3 Kindern wur-de eine aktive TB diagnostiziert (darunter das Kind des Indexfalls s.o.). Drei Erwachsene und 6 Kinder aus dem familiären Kreis oder dem Wohnumfeld des Indexfalls erhielten eine Chemoprävention bzw. eine Chemoprophylaxe.