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3.5 Vergleichende Bildanalysen

3.5.4 Trümmerbeseitigung und Aufbau

Unter der Überschrift Aufbau folgen Abbildungen der Enttrümmerung sowie gemeinsamer Anstrengungen und erster Erfolge. Peter versuchte die Aufbruch-stimmung und den Aufbauwillen der Menschen, die sich jetzt einem ‚Nichts‘, das einmal Dresden war, gegenübersahen, in Szene zu setzen. Doch im Gegensatz zu den vorangegangenen Bildern sind diese Aufnahmen des Aufbaus weniger einprägsam. Ludger Derenthal konstatierte: „Die Dokumentation großer Wiederaufbauanstrengungen gelang Peter gewiß, es fehlt nun aber die Kraft zur überzeugenden sinnbildhaften Verdichtung.“333

Zwei Bilder der Trümmerbeseitigung sollen an dieser Stelle hervorgehoben werden.

Auf zwei gegenüberliegenden Buchseiten findet sich je eine Fotografie von Männern und Frauen, Trümmerbahn und Schuttmassen (Abb. 90). Auf der linken Seite, mit

332 Diese Aufnahme erscheint nicht im Bildband.

333 Derenthal: Bilder der Trümmer- und Aufbaujahre, 1999, S. 71.

der Bildunterschrift …auf den Schutthalden und Trümmerbergen versehen, sieht der Betrachter etwa ein Dutzend Arbeitende, vornehmlich Frauen, die die Gleise einer Trümmerbahn auf einem Schutthaufen verlegen. Die untere Hälfte des quer-formatigen Bildes wird von Steinen dominiert und die Mitte durch den Stahlträger der Bahn markiert, während sich in der oberen Hälfte die Menschen vor dem hellen Himmel abheben. Bis auf einen Mann stehen alle gebückt und arbeiten angestrengt.

Keiner blickt in die Richtung des Fotografen, alle sind mit der Arbeit beschäftigt.

Das Ergebnis dieser Anstrengungen kann der Betrachter auf der rechten Buchseite sehen: Die Gleise sind verlegt, eine Lore befindet sich auf einem hohen Trümmer-berg. Zwei Arbeiter haben den Inhalt dieser Lore soeben geleert. Rechts neben dem einen Mann sind die Reste eines Gebäudes erkennbar, es wirkt, als würde dieses Gebäude mit Schutt gefüllt. Durch die Untersicht erscheint der Trümmerkegel gewaltig, die Lore mit den zwei Arbeitern platzierte Peter bildmittig. Diese wirken angesichts der Steinmassen fragil, dem Schutt und Geröll fast unterlegen. Beide Bilder suggerieren ganz im Sinne der Ideologie: Verlässlich mag in solchen Situationen nur das Kollektiv sein, das auch noch die fehlenden Maschinen ersetzen muss.

Wie schon in Kapitel 3.5.3 skizziert, nahmen die anderen deutschen Fotografen eher das Alltagsleben auf. Im Vergleich zu Peters Œuvre ist die Anzahl der Fotografien mit einer Bildthematik, die Trümmerfrauen und Wiederaufbau ins Zentrum stellt, verhältnismäßig gering. Von Friedrich Seidenstücker sind einige Aufnahmen von Trümmerfrauen in Berlin bekannt, sie zeigen aber eher die Arbeit einzelner Frauen, selten eine kollektive Anstrengung. Eine Ausnahme bildet die Fotografie Trümmer-frauen von 1945/1946, die eine Gruppe von Frauen beim gemeinsamen Ausleeren einer Lore zeigt (Abb. 91). Diese Gruppe beherrscht das Bild, während im Hinter-grund Gebäude hinter Bäumen sichtbar werden.

Auch Fritz Eschen zeigte am Beispiel Berlin in der Fotografie Universität Unter den Linden (1946) die gemeinschaftliche Arbeit von Frauen (Abb. 92). Eine Gruppe von sechs Frauen mit Schaufeln ist mit der Schuttberäumung beschäftigt. Sie reihen sich entlang den Gleisen einer Trümmerbahn auf, die diagonal durch das Bild führt. An der rechten Bildseite steht ein älterer, Pfeife rauchender Mann, wobei nicht erkennt-lich wird, welche Aufgabe er erfüllt. Im Hintergrund befinden sich Ruinen. Durch

das helle Sonnenlicht und die leeren Schaufeln entsteht der Eindruck einer gestellten Fotografie.

Einer der wenigen Nichtdresdner, die die Stadt in den ersten Nachkriegsjahren foto-grafiert haben, war Henry Ries (1917–2004). Der emigrierte jüdische Deutsche kam als amerikanischer Soldat 1945 nach Deutschland zurück und reiste 1946 als Reporter durch Westeuropa und Deutschland.334 Im Juni 1947 weilte er für wenige Tage in Dresden; Bilder von Arbeitern, Bauern und Ruinen entstanden. In seinem Tagebuch notierte er: „Teile der Stadt sehen noch aus wie im Februar 1945!“335 Die Fotografie Dresden. 9. Juni 1947 zeigt eine Trümmerlandschaft in Dresden, die sich nicht näher lokalisieren lässt (Abb. 93). Von der rechten unteren Bildecke führt ein Weg in die Bildmitte, der an beiden Seiten von Steinhaufen gesäumt wird. Eine Menschenkette zieht sich von der Bildmitte auf den rechten Schuttkegel hinauf. Im Hintergrund erheben sich Gebäudereste vor einem bewölkten Himmel. Die linke Seite des Bildes wird von einem Sperrschild für das Gebiet eingenommen. Im Gegensatz zu Peters Aufnahmen von der Trümmerberäumung, bei der sich die Arbeiter meist deutlich von den Steinmassen absetzen, verschmelzen bei Ries die Menschen mit dem Trümmerberg. Er erfasste die Gesamtsituation und machte mit Hilfe des Schildes auf die Gefährlichkeit der Arbeit aufmerksam.

Wie schon bei seinen Aufnahmen von der zerstörten Stadt benutzte Peter auch bei seinen Fotografien der Enttrümmerung zur Steigerung der Bildwirkung die grafische Struktur von Material. Trägerbergung zeigt einen Arbeiter, der inmitten von deformierten Stahlträgern arbeitet (Abb. 94 & 95). Die Reste der Stahlkonstruktion heben sich wie ein Maschenwerk dunkel vor einem leicht bewölkten Himmel ab. Der Arbeiter mit seinem Hammer sitzt auf einem der Träger mittig in der unteren Bild-hälfte und bildet durch die bewegte Körperhaltung einen Kontrast zu den statischen Metallresten. In der rechten unteren Ecke ist wie ein stabiles Dreieck ein Mauer-fragment eingebaut. Peter steigerte die Wirkung dieser Fotoarbeit durch den Kontrast zwischen dem einzelnen, relativ kleinen Menschen und der Dimension der

334 Im Frühjahr 1946 scheidet Ries aus der Armee aus und wird zunächst Bildredakteur des OMGUS-Observer, einer Illustrierten der amerikanischen Militärregierung, und im November für die New York Times.

335 Zitiert nach Berlinische Galerie/Photographische Sammlung (Hrsg.): Henry Ries. Photographien aus Berlin, Deutschland und Europa, 1988, S. 16.

Stahlträger, eine Arbeit, die fast völlig ohne Licht und Schatten auskommt und nur auf die Wirkung von Hell und Dunkel vertraut.

In einer weiteren Aufnahme wird ebenfalls mit deformiertem Metall gearbeitet: Zwei Männer bergen Stahlschrott in einer Fabrikhalle (Abb. 96 & 97). Man blickt in den Raum eines zerstörten Produktionsgebäudes, auf dessen Fußboden der Schrott liegt.

Die zwei Fensteröffnungen ohne Rahmung und Glasscheiben geben einen Ausblick auf ein Industriegebiet frei. Links wird eine weitere zerstörte Werkhalle sichtbar, die sich perspektivisch verjüngt, rechts Schornsteine, die sich im Dunst verlieren. Peter hielt hier das Industriegebiet an der Zwickauer Straße fest, welches er bereits durch die Reste einer Stahlbewehrung fotografiert hatte (vgl. Abb. 33).

Industrie- und Arbeitermilieus waren für Peter seit den zwanziger Jahren vertraute Arbeitsgebiete. Als Bildberichterstatter für die linke Presse hatte er das Leben und den Kampf der Arbeiter fotografiert. Diese Thematik stand im Gegensatz zu den oft eher voyeuristischen Bildbeiträgen in den bürgerlichen Illustrierten und stellte somit eine neue Thematik in der deutschen Fotografie dar. Zeitgleich erzeugten die Industrie und ihre Produktentwicklungen das Interesse bei den Fotografen der

‚Neuen Sachlichkeit‘. Diese versuchten, mit der Kamera ein neues Lebensgefühl festzuhalten. Die Begeisterung der Fotografen für die Mechanisierung der Arbeit nutzte wiederum die Werbeindustrie. Zahlreiche Unternehmen „erkannten den wirtschaftlichen Vorteil der neuen fotografischen Produkt- und Firmenwerbung und gehörten zu den aktivsten Förderern des ‚Neuen Sehens‘.“336 So auch die Drewag, für die Peter in den dreißiger Jahren arbeitete. Die neusachliche Fotografie betonte den Fortschritt, blendete aber oft den Arbeitsalltag bzw. die Schattenseiten der Industrialisierung aus. Dagegen bildeten die Arbeiterfotografen diese Themen ab, sie arbeiteten aktuell und propagandistisch, um das „Selbstbewusstsein und den Klassenstolz der Arbeiter“337 zu fördern und zu festigen. Genau dies verwirklicht Richard Peter in seinem Buch, indem er dem harten Alltag und dem schweren Leben einen optimistischen, positiven Grundton verleiht. Gleichzeitig interessierte er sich für die Stilmittel der ‚Neuen Sachlichkeit‘ und verwendete diese in seinen Fotografien.

336 Molderings: Fotografie in der Weimarer Republik, 1988, S. 27.

337 Heinz: Die Vereinigung der Arbeitenfotografen Deutschlands. In: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hrsg.): Kunst im Aufbruch, 1980, S. 186–194, hier S. 193.

Der Bildband schließt mit zwei gegensätzlichen Fotoarbeiten: Dem Rathaus und einem die Leiter aufsteigenden Arbeiter (Abb. 98). Unter den Parolen Das Dresdener Rathaus wuchs empor! Weiter im Neuaufbau! sieht der Betrachter auf der linken Buchseite das Rathaus in einer klassischen Dokumentarfotografie vom Juni 1950, das auf den ersten Blick wiederaufgebaut wirkt. Auf den zweiten Blick wird sichtbar, dass der rechte Flügel (Ostflügel am Rathausplatz) noch zerstört ist. In einer ersten Bauphase bis 1952 wurde der Flügel an der Ringstraße (Südflügel) aufgebaut. Dabei wurde die Fassade in ihren Formen reduziert, d. h. es fand kein Wiederaufbau in denkmal-pflegerischem Sinne statt, sondern laut Fritz Löffler ein vereinfachter Wiederaufbau.

Die Fassaden an Schul- und Kreuzstraße blieben im Wesentlichen erhalten.338

Peters Standort war die Ringstraße, so dass der Flügel an der Schulgasse und der am Ring im hellen Sonnenlicht sichtbar sind. Über dem neu errichteten Südflügel erhebt sich der Rathausturm vor einem leicht bewölkten Himmel. Am linken Bildrand werden Wagen und eine Überdachung, eventuell für Geräte für den Straßenbau, sichtbar. Ein vorhandenes Spruchband339 unterhalb des Rathausdaches wurde so retuschiert, dass es nicht auffällt, da es nun wie ein Geländer wirkt. Interessant ist, dass das Spruchband bei der Aufnahme mit der Bacchusskulptur und einem Löwen in der Rathaussequenz nicht retuschiert wurde (vgl. Abb. 56). Sollte bei dem Rat-hausbild durch die Retusche eine Allgemeingültigkeit ohne eindeutigen Zeitbezug entsprechend der Überschrift erreicht werden?

Auf dem letzten Bild steigt ein Arbeiter auf einer schräg gestellten Holzleiter vor einem bewölktem Himmel nach oben. In Seitenansicht dominiert er durch seine Größe die gesamte Aufnahme. Auf dem Rücken trägt er eine Mörtelkiepe und in der Hand, eventuell als Stützhilfe, einen Spatenstiel. Die Leiter lehnt an einer Mauer und bildet mit dem Bauarbeiter eine aufsteigende Diagonale. Die Person scheint über die Leiter hinauszusteigen und ist als Symbol für die Fähigkeit der Menschen, die Schrecken des Krieges zu überwinden, zu werten. Die Steigbewegung kann ebenso als eine direkte Umsetzung der Parole Weiter im Neuaufbau! gelesen werden. Gleich-zeitig bildet sie ein überzeugendes Bild, das es mit Dresden wieder aufwärts geht. Mit

338 Vgl. Löffler: Das alte Dresden, 1982, S. 437 oder Hanisch: Das neue Rathaus zu Dresden, 1999.

339 Der Text des Spruchbandes lautet: Gruß den Kindern der Welt zum ersten Internationalen Kindertag.

diesem Blick nach oben hat Richard Peter ein Pendant zum Blick vom Rathausturm geschaffen.

Eine Aufnahme eines untersichtig fotografierten Arbeiters benutzte auch Hermann Claasen in der Broschüre Verbrannte Erde. Unter dem Titel Alle Hände schaffen emsig visualisierte er einen Mann mit Presslufthammer (Abb. 99). Der Arbeiter nimmt die gesamte Fotografie ein. Dadurch, dass er sich auf den Presslufthammer stützt und eine leicht gebückte Haltung innehat, wird eine Diagonale im Bild erzeugt. Der Hammer und die Stromversorgung geben dem Bild eine feste, kraftvolle Bewegung nach unten. Im Hintergrund werden unscharf Gebäude sichtbar. Dieser Aufnahme sind im Buch auf der linken Bildseite drei Fotografien gegenüber gestellt: Fröhliche Mädchen mit der Bildunterschrift Die Jugend glaubt an die Zukunft; eine Frau mit drei Broten und das Schaufenster eines in den Ruinen wieder eingerichteten Ladens mit der Beschriftung: Vieles ist besser geworden / Vieles bleibt noch zu tun. Auf dem Abschlussbild, mit der Bildunterschrift Helft mit am Wiederaufbau!, sieht man Bau-arbeiter, die eine Mauer hochziehen. Claasen wollte ebenso wie Peter einen opti-mistischen Ausblick und einen Ansporn für eine neue Zukunft geben. In dieser Zeit stellte offensichtlich deutschlandweit ein tätiger Arbeiter als Bildformel ein Bekennt-nis zum Aufbau dar. Bei Claasen wie bei Peter wird durch mehrere Bilder neben dem Destruktiven das Konstruktive betont.

Kurt Schaarschuch verwendete für seine Publikation Bilddokument Dresden 1933–1945 ebenfalls eine untersichtige Aufnahme (Abb. 100). „Er zeigt einen vor dem Elb-panorama positionierten Arbeiter mit Presslufthammer, der, von einem niedrigen Blickpunkt aus aufgenommen und dadurch heroisiert, den ‚Trotzdem-Optimismus‘

angesichts des Chaos visualisiert, welcher zudem durch die in das Foto hineinge-setzten Worte ‚…dennoch Wiederaufbau 1945‘ expliziert wird.“340 Trotz der Bildunterschrift, die ein Aufbaumotiv suggeriert, wird bei Schaarschuch keine Tätigkeit des Aufbaus sondern der Destruktion als Abschlussbild gezeigt.

Bemerkenswert ist, dass in Schaarschuchs Buch, d. h. im Dezember 1945, von Wie-deraufbau gesprochen wird, bei Peter dann 1950 von Neuaufbau. Vergegenwärtigt man sich die städtebaulichen Planungen der ersten fünf Nachkriegsjahre, stellt man fest, dass die als kulturell wertvoll eingestuften Bauten, wie zum Beispiel der

340 Glasenapp: Nach dem Brand. In: Fotogeschichte 24 (2004) H. 91, S. 47–64, hier S. 60.

Zwinger, wieder aufgebaut, während die Innenstadt neu aufgebaut werden sollte. Der Begriff Neuaufbau wurde am Ende des Bildbandes bewusst gewählt, denn zum fünften Jahrestag der Stadtverwaltung von Dresden betonte das SED-Politbüromitglied Hermann Matern in einem Rückblick: „Wir haben den größten Zusammenbruch in der Geschichte des deutschen Volkes überwunden, weil wir nicht wiederaufbauten, sondern neu bauten.“341 Damit ist die Verwendung des Begriffes Neuaufbau mit der staatsrechtlichen Spaltung Deutschlands im Jahr 1949 vor allem ideologisch zu sehen, und zwar hinsichtlich des sich neu konstituierenden sozialistischen Staates DDR. Betrachtet man das letzte Drittel des Buches genauer, stellt man fest, dass der Neubau in den Abbildungen keineswegs dominiert, sondern der Wiederaufbau historischer Gebäude, von Fabriken oder Brücken, was auch den tatsächlichen Gegebenheiten in der Stadt entsprach. Der Neubau spielte in den ersten fünf Nachkriegsjahren zwar auch eine Rolle, aber keine übergeordnete, wie es die Parole Weiter im Neuaufbau! oder Materns Behauptung vermitteln. Mit dem Abschlussbild visualisiert Peter gleichzeitig, dass der Aufbau noch nicht abgeschlossen ist.

341 Zitiert nach Seydewitz: Die unbesiegbare Stadt, 1956, S. 288–289.