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3.3 Entstehungsbedingungen und Entstehungsgeschichte

3.3.3 Die Motivation Richard Peters

Peter der Sichtweise der Dresdner – Dresden als Opfer des Krieges, nämlich der sinnlosen Zerstörung einer einzigartigen und unschuldigen Stadt – stärker entgegen als eine reine Vorher-Nachher-Gegenüberstellung. Der Bildband stellte für die Ver-antwortlichen nicht nur das dokumentarische Abbild einer umfassenden Zerstörung dar, das alle Bereiche abdeckt, sondern bewies durch die Darstellung des Ausmaßes der Zerstörung auch die alliierte Politik, die durch die Bombardierungen den Neu-aufbau in der SBZ zu erschweren gesucht habe, und macht dies einem großen Publi-kum zugänglich. Richard Peter, aus der Arbeiterfotografenbewegung kommend, be-legte zudem die Kontinuität der kommunistischen Bewegung. Er war zwar, wie sich an dem Parteiverfahren196 gegen ihn erkennen lässt, ein unbequemer Mensch, das Erscheinen des Buches war jedoch politisch erwünscht. Dresden – eine Kamera klagt an passte mit Beginn des Kalten Krieges und der Propaganda gegen die ‚Imperialisten‘

hervorragend in die ideologische Linie der Staatsführung. Schlussfolgernd ist festzu-stellen, dass Richard Peters Fotografien im Rahmen des neuen Staatsgebildes DDR im Kalten Krieg besser ideologisierbar waren als die von Kurt Schaarschuch.

damit ebenso die Verbrechen der Deutschen einzuschließen. Gestützt wird diese Vermutung durch Peters weitere Ausführungen in den Lebenserinnerungen, in denen er eindeutig die Nationalsozialisten anklagt. Bei den Abbildungen des Bildbandes steht dagegen die Anklage gegen die Alliierten im Vordergrund, während die gegen die Deutschen nur in einem einzigen Bild – der Leiche mit der Hakenkreuzbinde – visualisiert wird. Auch die Intention der ‚Mahnung‘ gilt wohl übergreifend. Allen Menschen sollten die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges eine Lehre sein, be-sonders in Zeiten des Kalten Krieges. Es ging Peter wahrscheinlich nicht allein darum, die Zerstörung seiner Heimatstadt anzuprangern und zu betrauern, sondern er wollte eine allgemeingültige Anklage formulieren. Viele Fotoarbeiten, die er für seine Publikation Dresden – eine Kamera klagt an ausgewählt hat, besonders die An-sichten der Vorstädte oder Industriegebiete Dresdens sowie seine bekannteste Auf-nahme vom Rathausturm nach Süden, lassen sich nicht oder nur schwer lokalisieren und sind in diesem Sinne austauschbar. Offenbar wollte er damit auf vom Krieg zer-störte Städte im Allgemeinen verweisen.

Allerdings erwuchsen Richard Peter während der Auswahl der Abbildungen für den Bildband Zweifel. Im dem von ihm ursprünglich vorgesehenen Vorwort fragte er im Juni 1950,

ob es angebracht sei, der leidgesättigten Menschheit, nach allem was sie durchlebt hatte, dieses furchtbare Bild noch einmal in Erinnerung zu bringen? […] Bis mich die Drohung mit der Atombombe zu einer Revision meines Standpunktes zwang. Die Entwicklung in den westlich orientierten Ländern zeigt, daß die Menschheit nicht ge-neigt ist, die Nutzanwendung zu ziehen aus der ungeheuren Tragödie, die mit Stahl und Feuer geschrieben wurde und deren grauenhafteste Seite – Dresden heißt. – […]

Fünf Jahre danach. Und die Menschheit hat vergessen.198

Diese propagandistisch gefärbten Überlegungen lassen darauf schließen, dass es für Richard Peter mehrere Gründe gab, der Landesregierung einen Teil der Positive als Archivmaterial anzubieten. Auslöser waren für ihn sowohl das einsetzende Vergessen in der BRD als auch die weltpolitische Entwicklung und die Sorge um einen neuen Krieg. Dies schloss für Peter neben der Anbindung der Bundesrepublik an die Westmächte, die militärische Aufrüstung sowie den politischen und wirtschaftlichen

198 SHSTA, 11827, VEB Verlag der Kunst Dresden, Nr. 1493. Siehe auch Anhang der Dissertation, Kapitel 6.4.2.

Druck der kapitalistischen Staaten ein. Ob die Fotografien zum Zeitpunkt des Ange-botes, also im Frühjahr 1950, nur für Archivzwecke bestimmt waren, oder ob Peter schon eine Buchproduktion in Erwägung zog, kann nicht rekonstruiert werden. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass seinerseits der Wunsch nach einer eigenen Publika-tion bestand.

In den Jahren nach dem Krieg fotografierte Peter mit einer geschenkten Leica bzw.

geliehenen Kameras die zerstörte Stadt. Die Berechtigung zum Fotografieren erhielt er von der KPD-Bezirksleitung Sachsen.199 Woher das Filmmaterial stammte, ist nicht bekannt.200 Vermutlich erhielt er es durch seine Tätigkeit bei der Landesbild-stelle Sachsen der KPD201, bei den Redaktionen Zeit im Bild und Der freie Bauer. Er beschrieb seine fotografische Arbeit in seinen Lebenserinnerungen unter der Über-schrift Eine Kamera klagt an… folgendermaßen:

In diesen Jahren schuf ich das Buch von der Dresdner Tragödie. In freien Nach-mittagsstunden, an Sonnabenden und Sonntagen. Über Trümmerberge und ver-schüttete Treppen trieb mich die Besessenheit, die mir die ‚Tote Stadt‘ abforderte. – In einsturzbedrohten Ruinen, zwischen brandgeschwärzten Strassenfluchten und aus-geglühten Maschinenwracks, aus unerforschten Kellerlöchern, in denen die Schreie und das Röcheln der Erstickten gleichsam noch an den Wänden klebte, holte ich mir die Bilder zusammen. Durch die Bergungskommandos wurde ich immer auf dem Laufenden gehalten, stand jederzeit auf dem Sprunge, und so entging mir kaum eine Gelegenheit, die Unbeschreiblichkeit des Grauens in freigelegten Luftschutzräumen von der Kamera auf Celluloid schreiben zu lassen – erschütternder und über-zeugender als die beste Feder es könnte. […] Vier Jahre lang durchmaß ich die Trümmerwüste mit einer Länge von acht und einer durchschnittlichen Breite von dreieinhalb Kilometer.202

In diesem Text ist sowohl von ‚Besessenheit‘ als auch von beharrlicher Arbeit die Rede, um die Beweggründe hinter der Aufgabe zu beschreiben. Die insgesamt sogar

199 Vgl. SLUB, Nachlass Richard Peter, Mscr.Dresd.App. 2511, 2 (Ausweis).

200 Vgl. Bude und Wieland: Bilder für später. In: Honnef und Breymayer (Hrsg.): Ende und Anfang, 1995, S. 213–221: „Die Alliierten hatten von den Deutschen verlangt, ihre Photoapparate abzuliefern. […] Aber natürlich wurde diese Bestimmung mit allerlei Tricks umgangen. […]

Photomaterial war schwierig zu beschaffen.“ S. 213. Erich Höhne berichtete in einem Interview, dass er seinen Fotoapparat versteckt hatte, Fotopapier und Filme getauscht wurden, die

Chemikalien organisiert und der Entwickler selbst zusammengemischt. Vgl. Schmidt: Damals glaubte ich, es sei aus mit Dresden. In: Honnef und Breymayer: Ende und Anfang, 1995, S. 188–

191, hier S. 190.

201 Ab 1946 der SED.

202 SLUB, Nachlass Richard Peter, Mscr.Dresd.App. 2511, 39, Lebenserinnerungen, S. 145.

fünfjährige dokumentarische Arbeit beweist, wie sehr ihn das Ereignis der Zerstörung entsetzt, ja verfolgt und umgetrieben haben muss. Auf diese Weise wollte er eine bildnerische Antwort auf die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und die Zerstörung Dresdens finden. Peter selbst führte dazu weiter aus:

Tausende von Bildern entstanden so in zielstrebiger, unermüdlicher Arbeit. Noch wußte ich nicht, was einmal daraus werden würde. Ich wußte nur, daß sie in abseh-barer Zeit historisch sein – und gebraucht würden. Als Dokumentation einer Zeit in der das Absolut-Böse seine infernalischen Triumphe feierte, als Beweismittel für die letztwilligen Verfügungen eines größenwahnsinnigen Herostraten und der von ihm infizierten Jüngerschar, die ihren Lehrmeister auch dann noch heilig sprach, als sein Wahnsinn längst offenkundig war.203

Richard Peter wollte mit seinen Aufnahmen die schrecklichen Auswirkungen des Krieges festhalten und ein Dokument der Erinnerung für spätere Generationen schaffen. In seinen Ausführungen klagt er die Nationalsozialisten sowie ihre Politik an, die Krieg, Vernichtung, Vertreibung und menschliches Elend einschloss. Dem den kommunistischen Idealen verhafteten Peter war es wichtig, nicht nur Zer-störung, Vernichtung und Vertreibung, sondern auch den Wiederaufbau der Stadt und den Überlebenswillen der Bevölkerung zu zeigen, wie er in seinen Lebenser-innerungen weiter formulierte:

Das aber allein genügte mir nicht. Neben dem Destruktiven mußte das Konstruktive derer sichtbar gemacht werden, die sich mit aller Kraft für die Beseitigung der materiellen und geistigen Trümmer einsetzten, die mit leeren Händen und leerem Magen sich in die Trümmerberge bohrten, und planvoll sortierend bargen, was aus der unseligen Hinterlassenschaft noch verwertbar erschien.204

Hier kann ein Bogen zurück zur Arbeiterbewegung, aus der Peter kam, gespannt werden. In der Arbeiterfotografie war es wichtig, durch kritische soziale Reportagen und aktuelle Berichterstattung die Menschen positiv zu beeinflussen, denn die Über-zeugungskraft von Bildern war für sie von großer Bedeutung. Die Arbeiter Illustrierte Zeitung versuchte in den zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre durch ver-schiedene Mittel wie Bildberichte, Fotomontagen oder Satire Leben und Kampf der Arbeiter überzeugend darzustellen, auf die sich jeweils ergebenden politischen

203 Ebd.

204 Ebd., S. 145–145a.

Aufgaben hinzuweisen und die Gemeinsamkeiten aller Werktätigen zu betonen. Das Foto wurde wichtigstes Agitationsmittel im Klassenkampf.205 Davon inspiriert wollte Peter in seinem Fotoband auch die Anstrengungen zum Wiederaufbau im Bild deut-lich machen. Die offiziellen Forderungen entsprachen also seiner Einstellung, die gemeinsame Aufbauarbeit der Dresdner Bevölkerung zu zeigen und nicht zuletzt als gemeinschaftsstiftende Aufgabe darzustellen.

Eine Reihe von Aufnahmen entstanden gemeinsam mit dem Fotografen Willi Roßner. Nach Aussagen der ehemaligen Lektorin Werner des Fotokinoverlages gab es ursprünglich den Plan, eine Auswahl dieser Fotografien gemeinsam in einem Buch zu veröffentlichen.206 Durch die Übergabe einiger seiner eignen Bilder an die Landes-regierung für ein Archiv und die daraus resultierenden Gespräche mit der Dresdener Verlagsgesellschaft sah Peter offensichtlich eine Chance für die alleinige Gestaltung einer Publikation. Das Ergebnis ist das Buch von der Dresdner Tragödie: Dresden – eine Kamera klagt an.