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2   Literaturübersicht

2.1   Toxinologie

Eines der bekanntesten Beispiele für die Entwicklung eines therapeutisch hochwirksamen Pharmakons aus tierischen Giften ist Captopril (Mebs, 2002). Dies ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der ACE (angiotensin converting enzyme)-Hemmer, das in der Humanmedizin insbesondere zur Behandlung der arteriellen Hypertonie und im tiermedizinischen Sektor vorwiegend bei Patienten mit Herzinsuffizienz eingesetzt wird. Captopril verursacht als Inhibitor des Angiotensin-konvertierenden Enzyms eine verminderte Bildung von Angiotensin II aus Angiotensin I, was durch die nachlassende Konzentration des potenten Vasokonstriktors Angiotensin II zu einer Abnahme des Gefäßtonus und dadurch zu einer Senkung des Blutdrucks führt. Die zu Grunde liegende Wirksubstanz mit dem Namen Teprotid stammte ursprünglich aus dem Gift von Bothrops jararaca, der brasilianischen Lanzenotter (Ondetti et al., 1971). SAR (structure-activity relationship)-Studien von Teprotid gaben damals Hinweise darauf, dass möglicherweise schon allein die Aminosäure-Sequenz Phenylalanin-Alanin-Prolin in Teprotid an die Substrat-Bindungsstelle des Angiotensin-konvertierenden Enzyms andocken kann (Cushman und Ondetti, 1980, 1999). Weitere Studien und die Integration einer Sulphhydryl-Gruppe führten schließlich zu dem jetzt auch oral bioverfügbaren Präparat Captopril (Cushman und Ondetti, 1999). Captopril stellt formal ein Kondensationsprodukt aus der Aminosäure Prolin und 3-Mercapto-2-methylpropionsäure dar (Abb. 1).

Abb. 1: Strukturformel von Captopril

Nicht nur Captopril, sondern auch eine Vielzahl weiterer Wirkstoffe konnten nur durch die intensive Erforschung von aus der Natur stammenden Substanzen für die Medizin nutzbar gemacht werden. Diese waren sowohl mikrobiellen, z.B. Penicillin aus Penicillium chrysogenum (Fleming, 1929), botanischen, z.B. Atropin aus Atropa belladonna [Phillip Lorenz Geiger, geb. 1785] oder zoologischen Ursprungs, z.B.

Tirofiban aus Echis carinatus (Hartman et al., 1992). Durch die Vielfalt und das unterschiedliche Zusammenwirken der einzelnen Komponenten stellen Zootoxine ein reiches Reservoir für die Forschung dar. „Der hohe Selektionswert der Gifte hat im Verlauf der Evolution zu zahlreichen Wirkstoffen geführt, die chemisch originell, pharmakologisch überaus spezifisch und toxikologisch hoch wirksam sind“

(Habermann, 2001). Besonders die hochpotenten Gifte bestimmter Schlangenarten stehen hierbei im Vordergrund. Bereits im Jahre 1972 wurde von Lee das ansteigende Interesse an der Chemie und Pharmakologie der Schlangengifte thematisiert:

„Increasing interest in animal toxins, especially those from snake venoms, has generated many significant contributions to the literature on this field” (Lee, 1972). In diesem Sinne stellt Lee seine Erkenntnisse über die Aminosäurestruktur und die biochemischen Grundlagen einiger Polypeptidtoxine von Schlangen vor. Die klinische Relevanz der genauen biochemischen Aufklärung wird von Dokmetjian und Mitarbeitern folgendermaßen ausgedrückt: „Snake venom toxicity is the consequence of a combination of peptides and proteins whose identification and characterization are of great importance to understand envenomation and develop new clinical treatments”

(Dokmetjian et al., 2009). Im Jahre 2003 erschien in der renommierten Fachzeitschrift Nature ein Review von Lewis und Garcia mit dem Titel „Therapeutic potential of venom peptides“. Hierin wurden alle Ergebnisse der toxinologischen Forschung bis zu diesem Zeitpunkt vorgestellt. In dieser Arbeit wurden Vorteile und Chancen, aber auch Risiken und Probleme bei der späteren Verabreichung von Formulierungen aus Zootoxinen dargestellt. Nicht nur mögliche neurologische Nebenwirkungen, sondern auch die geringe orale Bioverfügbarkeit der Substanzen stellen die Forschung vor einige Probleme, die es in Zukunft noch zu lösen gilt (Lewis und Garcia, 2003).

Auch Toxine von Spinnen, bestimmten marinen Schnecken (z.B. Kegelschnecken der Gattung Conus spp.) und Skorpionen, erweckten schon früh das Interesse

verschiedener interdisziplinärer Forschungsgruppen (Livett et al., 2004).

Bekanntermaßen sind Zootoxine reich an Protein- und Peptid-Verbindungen, die zum Beispiel auch das Potential besitzen, analgetische Wirkungen zu entfalten. So haben die Toxine der Tiere in der Schmerzforschung Einzug gehalten. Im Bereich der Erforschung von Zootoxinen der Meeresschnecken der Gattung Conus gelang erst vor Kurzem der wissenschaftliche Durchbruch. Wie Livett und Mitarbeiter 2006 zeigten, stellen diese Komponenten einen völlig neuen Ansatz in der neurologischen Schmerztherapie dar: „The high specificity exhibited by these novel compounds for neuronal receptors and ion channels in the brain and nervous system indicates the high degree of selectivity that this class of neuropeptides can be expected to show when used therapeutically in humans” (Livett et al., 2006). Mit Ziconotid (Handelsname:

Prialt®) wurde Ende 2006 dann erstmals ein Zootoxin aus der marinen Kegelschnecke Conus magus als Arzneimittel für die intrathekale Schmerztherapie zugelassen.

2.1.1 Crotoxin

In der vorliegenden Studie wurde Crotoxin als Beispiel für eine pharmakologisch bereits gut charakterisierte Substanz verwendet. Crotoxin ist ein Protein, das aus dem Gift der Südamerikanischen Klapperschlange Crotalus durissus terrificus stammt (Slotta und Fraenkel-Conrat, 1938a). Crotalus durissus terrificus gehört zur Familie der Viperidae, nimmt aber toxinologisch eine Sonderstellung unter den Vipern ein.

Obwohl die Zootoxine der Familie Viperidae im Allgemeinen wenig neurotoxisch, dafür aber stark zyto- und hämotoxisch sind, ist das bei dieser Unterart von Crotalus durissus nicht der Fall. Hier herrscht eindeutig die neurotoxische Komponente vor (Mackessy, 2010). Crotoxin besteht aus zwei Untereinheiten. Diese sind eine schwach toxische und basische Phospholipase A2 (PLA2) (Komponente B oder Crotoxin B, CB) in Kombination mit einem nicht toxischen, sauren und nicht enzymatischen Polypeptid genannt Crotapotin (Komponente A oder Crotoxin A, CA) (Aird et al., 1985, 1986;

Aird et al., 1990). Nachdem die kristalline Struktur von Crotoxin bereits 1938 durch Slotta und Fraenkel-Conrat aufgeklärt wurde (Slotta und Fraenkel-Conrat, 1938a), widmete man sich in den folgenden Jahren den verschiedenen Wirkungen dieses Proteins. Klassische Wirkungen von Crotoxin sind seine Neurotoxizität (Brazil, 1966), Myotoxizität (Breithaupt, 1976; Gopalakrishnakone et al., 1984; Gutierrez et al.,

2008a), Nephrotoxizität (Amora et al., 2006; Hadler und Brazil, 1966) und Kardiotoxizität (Hernandez et al., 2007; Santos et al., 1990). Des Weiteren konnten verschiedene Studien zeigen, dass Crotoxin auch analgetische (Nogueira-Neto Fde et al., 2008; Zhang et al., 2006; Zhu et al., 2008), immunmodulatorische (Cardoso und Mota, 1997; Zambelli et al., 2008), antiinflammatorische (Nunes et al., 2010; Sampaio et al., 2006; Sampaio et al., 2003; Sampaio et al., 2005), antimikrobielle (Diz Filho et al., 2009; Soares et al., 2001) und antikanzerogene (Baldi et al., 1988; Cura et al., 2002; Yan et al., 2006) Effekte aufweist. Die analgetische Wirksamkeit von Crotoxin ist sowohl im Tiermodell (Nogueira-Neto Fde et al., 2008; Zhang et al., 2006; Zhu et al., 2008), als auch am Patienten (Cura et al., 2002) bereits gut erforscht, wobei sich der Wirkstoff als sehr ergiebig erwiesen hat (Dr. Paul Reid, Celtic Biotech Ltd., Dublin, Ireland, mündliche Mitteilung). Eine Studie von Cura hat gezeigt, dass Crotoxin einen völlig neuen Ansatz in der Tumortherapie darstellt und die Möglichkeit bietet, die Anwendung und damit die Nebenwirkungen von Opioiden bei tumorbedingten Schmerzen zu reduzieren (Cura et al., 2002). Auch die neurotoxischen Nebenwirkungen bei den Patienten ließen sich zufriedenstellend bekämpfen, wie in dieser Studie gezeigt werden konnte. Für die vielfältigen oben genannten Wirkungen von Crotoxin ist der Aufbau aus zwei Untereinheiten essentiell. Weder die basische noch die saure Proteinkomponente des Zootoxins von Crotalus durissus terrificus entfaltet für sich genommen das volle Potential des Giftcocktails (Lee, 1972).

Zusammen aber, in Form einer Protein-Komplementation, kann die volle Stärke der Neuromodulation erreicht werden (Hendon und Fraenkel-Conrat, 1971). Dies zeigt deutlich, dass erst die Zusammensetzung vieler Zootoxine ihre biologische Funktionalität ausmacht.

In diesem Wissen wurden in der vorliegenden Arbeit auch Rohgifte verschiedener Schlangenarten untersucht, deren Wirkkomponenten zukünftig noch auf der molekularen Ebene zu identifizieren sind. Um Probleme wie Zyto- oder Hämotoxizität möglichst zu minimieren, wurden nur Schlangenarten aus der Familie Elapidae ausgewählt, da in deren Gift im Allgemeinen die neurotoxischen Komponenten überwiegen (Mackessy, 2010).

2.1.2 Naja haje

Das Rohgift der Ägyptischen Kobra (Naja haje; drei bekannte Unterarten: N. h. haje, N. h. arabica und N. h. legionis) wurde für die vorliegende Studie ausgewählt, da aktuell aus dem Gift einer nahe verwandten Art (Naja naja atra) analgetische Komponenten isoliert werden konnten. Es gelang der Forschergruppe um Wei-jian Jiang (Pharmakologische Abteilung, Guangzhou General Hospital in Guangdong, China) im Jahr 2008, ein neues antinozizeptives Toxin aus dem Gift dieser Kobra-Art zu isolieren, es zu charakterisieren und seine analgetische Potenz zu zeigen (Jiang et al., 2008). Aktuell konnte von derselben Arbeitsgruppe in ihrer Arbeit „Peripheral and spinal antihyperalgesic activity of najanalgesin isolated from Naja naja atra in a rat experimental model of neuropathic pain“ (Liang et al., 2009) neben der analgetischen auch eine antihyperalgetische Wirksamkeit nachgewiesen werden. Dies lässt vermuten, dass auch Bestandteile aus dem Gift der Ägyptischen Kobra (Naja haje) das Potential besitzen, analgetisch zu wirken und damit neue Möglichkeiten zur Schmerzbekämpfung zu eröffnen.

2.1.3 Walterinnesia aegyptia, Notechis ater niger und Pseudonaja affinis

Über die Rohgifte der Schwarzen Wüstenkobra (Walterinnesia aegyptia), der Schwarzen Tigerotter (Notechis ater niger) und der Braunschlange (Pseudonaja affinis) ist noch wenig bekannt. Das Gift der Schwarzen Wüstenkobra verursacht Lähmungen und den raschen Tod des Beutetieres. Bisher stellt nur eine Studie Daten zur Struktur der Proteine zur Verfügung, die in diesem Gift enthalten sind (Tsai et al., 2008). Das Gift der Schwarzen Tigerotter ist dem der Östlichen Tigerotter (Notechis scutatus) sehr ähnlich und enthält sowohl potente Neurotoxine als auch Prokoagulantien (Rao et al., 2003; Williams und White, 1989; Williams et al., 1988).

Das Gift der Braunschlange hat ebenfalls neurotoxische (PLA2, α-Neurotoxine) und prokoagulative Inhaltsstoffe (Judge et al., 2002). Bisher gibt es keine Hinweise auf antinozizeptive Effekte dieser drei Zootoxine. Alle drei Schlangenarten gehören, wie auch Naja haje, der Familie Elapidae an, in deren Giften neuromodulatorische Komponenten überwiegen (Mackessy, 2010), was schmerzhemmende Wirkungen grundsätzlich möglich erscheinen lässt.

Durch das Screening von Zootoxinen aus den Giften verschiedener Schlangenarten lassen sich möglicherweise noch weitere interessante Stoffe für die Forschung finden.

Das Hauptaugenmerk der vorliegenden Studie lag hierbei auf der Suche nach neuen Analgetika. Außerdem sollte es erstmals gelingen, durch die funktionelle Magnetresonanztechnik auch die mögliche zentralnervöse Wirkweise der Testsubstanzen zu charakterisieren.