• Keine Ergebnisse gefunden

Die derzeitigen Pflanzenschutzmittelentwicklungen gehen dahin, dass spezifische Stoffwechselwe-ge und SignalweStoffwechselwe-ge der Schadorganismen als Zielstruktur von PSM Stoffwechselwe-genutzt werden, die keine oder eine abgewandelte Entsprechung in Nichtzielorganismen haben. Diese Entwicklung führt dazu, dass weniger toxische PSM auf den Markt kommen. In der gärtnerischen Praxis kommen dadurch eine erhöhte Anzahl unterschiedlicher selektiver PSM zum Einsatz, was sich z.B. in der Zunahme von Mehrfachrückständen in und auf Lebensmitteln ausdrückt und zu einem erhöhten Risiko von Resis-tenzen der Zielorganismen gegen PSM führt, da die Wirkung oft nur auf einer Zielstruktur (Enzym, Rezeptor) beruht, die durch Mutationen oder adaptive Prozesse schneller überbrückt werden kann.

Weiterhin werden zunehmend PSM mit einer hohen akuten Toxizität gegen PSM mit geringerer akuter Toxizität abgelöst. Dies hat zu einer größeren Aufmerksamkeit gegenüber chronischen, un-spezifischen und endokrinen Effekten geführt.

Man unterscheidet reversible und irreversible Effekte. Irreversible Effekte basieren in der Regel auf kovalenten Bindungen eines Pflanzenschutzmittelinhaltsstoffes mit biologischen Strukturen

inner-halb und außerinner-halb der Zelle. Irreversible Effekte sind entwicklungstoxische Effekte und Genmuta-tionen als ein Ausgangspunkt der Krebsentstehung. Reversible Effekte sind z.B. die Induktion von fremdstoffmetabolisierenden Enzymen. Für die Reversibilität der Effekte sind der Fremdstoffmeta-bolismus und Reparatur- und Schutzmechanismen der Zelle und die Regenerationsfähigkeit der Zielorgane von entscheidender Bedeutung. So ist die Schädigung von Lebergewebe durch das hohe Regenerationsvermögen der Leber gut kompensierbar, eine Schädigung von nicht regenerationsfä-higen Nervenzellen jedoch vom Organismus nicht ausgleichbar. Auf der Ebene der Zelle kommen neben dem Fremdstoffmetabolismus, DNA-Reparatursystemen und Systemen zum Schutz vor frei-en Radikalfrei-en eine frei-entscheidfrei-ende Rolle für das Überlebfrei-en der Zelle zu.

Die Effekte von PSM auf Schadorganismen und die Auswirkungen auf Mensch, Tier und Pflanze beruhen auf molekularen und biochemischen Wirkungen innerhalb und außerhalb von Zellen. Die-se spiegeln sich auf den Ebenen der Organe, des Organismus, der Population und des Ökosystems wider.

Tab.3 Wirkung von Pflanzenschutzmitteln [31]

Zellorganellen / Zelle Organsysteme /

Regelmechanismen Organismus Population /

Gemeinschaft / Ökosystem Biochemische und

molekulare Prozesse Morphologische und physiologische Veränderungen

Verhaltensveränderungen,

Wachstum, Entwicklung Alters-und Größenstruktur, Spezieszusammensetzung Störung durch Reaktion mit biologischen Strukturen -

Durch die Kompartimentierung der Zelle sind die Reaktionsräume für die unterschiedlichen Stoff-wechselvorgänge innerhalb der Zelle getrennt. Die StoffStoff-wechselvorgänge werden durch Enzyme katalysiert, durch verschiedenste Rückkopplungsmechanismen und übergeordnete Signal- und In-formationssysteme gesteuert und der Stofffluss durch die Membranen geregelt. Alle diese Prozesse stehen miteinander in Zusammenhang und können durch PSM gewollt (Schadorganismus) oder un-gewollt gestört werden.

Enzyme katalysieren anabole und katabole Stoffwechselwege und Transportprozesse im Organis-mus. Durch die spezifische und unspezifische Hemmung von Enzymen kommt es zur Störung von Stoffwechselwegen und Transportprozessen. Bei der unspezifischen Hemmung sind die Zielstruktu-ren in der Regel die SH- und Fe-, Zn- und Cu-tragenden Gruppen in den katalytischen ZentZielstruktu-ren der Enzyme oder Disulfidbrückenbindungen. [31, 54] Beispiel dafür sind Multi-site-Fungizide wie Di-thiocarbamate oder Kupferpräparate. Spezifische Wirkungen von Enzymen beziehen sich selektiv auf ein Enzym und blockieren einen Stoffwechselprozess. Beispiel dafür ist die Hemmung des Ci-tronensäurezyklus durch Fluoroacetat.

Weiterhin können zelluläre Signaltransduktionswege gestört werden. Durch die Bindung von spezi-fischen Liganden an Rezeptoren der Zellmembranen werden Signalwege der Zelle aktiviert oder in-aktiviert, die Zellteilung, Genexpression, Differenzierung und Wachstumsvorgänge regulieren. Ein Beispiel dafür ist DDT, das durch die Bindung an den AH-Rezeptor die Genexpression und damit die Induktion von Cyp1A1 bewirkt. In der Ökotoxikologie kommt der Ca-Homöostase der Zelle als

Bioindikator eine große Bedeutung zu, da durch eine erhöhte Ca-Konzentration als einem zentralen Regulationsmechanismus, die Apoptose eingeleitet werden kann. Viele Enzymaktivitäten sind über die Ca-Konzentration gesteuert.[31]

PSM können die Funktion von Zellmembranen durch die Bildung von freien Radikalen stören. Ein Beispiel dafür ist Paraquat. Paraquat stört den Elektronentransport an den Mitochondrien- und Chloroplastenmembranen. Durch Übernahme von Elektronen aus der Elektronentransportkette der Atmungskette entstehen reaktive Sauerstoffspezies, die mit ungesättigten Fettsäuren der Mitochon-drien- und Chloroplastenmembranen reagieren und eine sich fortsetzende Lipidperoxidation in Gang setzen können.[67]

Schwache organische Säuren können als Entkoppler der oxidativen Phosphorylierung wirken indem Protonen unter Umgehung der energiegewinnenden ATPase von der inneren zur äußeren Mitochondrienmembran geschleust werden. Durch die Entkopplung läuft die Atmungskette im

„Leerlauf“ und es findet keine Produktion von ATP statt und energieabhängige Prozesse kommen zum Erliegen.[67]

Narkotische Wirkungen werden durch die Lösung lipophiler Substanzen in der Zellmembran hervorgerufen, die auf der Veränderung der Membraneigenschaften beruhen. Narkotische Wirkung spielen in der aquatischen Ökotoxikologie eine große Rolle. Die narkotische Wirkung ist eng mit dem Kow korreliert, der ein Ausdruck der Lipophilie ist. Narkotische Wirkungen werden durch verschiedenste Kohlenwasserstoffe ausgelöst. Neben der narkotischen Wirkung können spezifische Wirkungen, wie die Schädigung von Nerven durch z.B. Alkohol, hinzukommen.

Die DNA ist der Träger der genetischen Information. Für die erfolgreiche Reproduktion und das Aufrechterhalten der Lebensfunktionen ist die fehlerfreie/fehlerarme Weitergabe der genetischen Information wichtig. Elektrophile Substanzen können die DNA durch Reaktion mit derselben unter Bildung von Addukten schädigen. Durch freie Radikale können Einzel- oder Doppelstrangbrüche erzeugt werden. Bei vielen Substanzen tritt die schädigende Wirkung erst infolge der Aktivierung durch metabolisierende Enzyme, insbesondere CypP450-Enzyme auf. Durch die Schädigung der DNA kann es zu Punktmutationen (Fehlpaarungen der Nukleotide) kommen und und eine fehlerhafte Information kann an die Tochterzellen weitergegeben werden. Strangbrüche können zu Chromosomenaberrationen führen, die eine Fehlpaarung von Chromosomenabschnitten bedeuten.

Wenn durch Mutationen wichtige Regelmechanismen des Zellzyklus oder Mechanismen des programmierten Zelltodes gestört werden, können Tumoren entstehen. Neben den direkten Karzinogenen gibt es Tumorpromotoren, die keine genotoxische Wirkung besitzen, aber die Zellproliferation fördern. Da auch im „normalen“ Leben einer Zelle Mutationen oft auftreten, besitzt die Zelle Reparaturmechanismen. Nur bei Erschöpfung dieser Mechanismen und der Deregulation des programmieren Zelltodes bei irreversiblen Schäden ist eine Initiation der Kanzerogenese möglich. Die zukünftige EU-Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln schließt die Zulassung von krebserregenden Stoffen der Kategorie 1 und 2 als WS aus oder definiert sie als mögliche Substitutionskandidaten.

Auf Organ- und Organismusebene spielen die Störung von übergeordneten Prozessen wie die Signalübertragung durch Nervenzellen im sympathischen, parasympathischen und zentralen Nervensystem eine besondere Rolle. Informationen werden über Aktionspotentiale, die sich entlang von Nervenzellen fortsetzen, übertragen. Dazu werden Na-, K- und Cl-Kanäle zur Polarisierung und Depolarisierung der Nervenmembran geöffnet und geschlossen. Die Informationsübertragung am Ende der Nervenzelle erfolgt über Synapsen mit Hilfe von Neurotransmittern. Durch Antagonisten und Agonisten von Neurotransmittern, die Störung des Abbaus von Neurotransmittern oder die Hemmung der Freisetzung der Neurotransmitter aus den Speichervehikeln der präsynaptischen Membran sowie die Störung der Ionenkanäle kann die Informationsübertragung beeinträchtigt oder unterbrochen werden. Dies entspricht einer hohen akuten Toxizität. Beispiele dafür sind

Organophosphate und Carbamate, die die Acetylcholinesterase hemmen, die den Abbau von Acetylcholin im synaptischen Spalt katalysiert. Ein weiteres Beispiel für die Störung von übergeordneten Prozessen ist Hemmung der Blutgerinnung durch Vitamin K-Antagonisten, die als Rodendizide eingesetzt werden.

Hormone regeln Fortpflanzung, Wachstum und Stoffwechselprozesse in Organismen. Durch die Störung des endokrinen Systems können o.g. Prozessen beeinträchtigt werden. Ursache können die Störung der Biosynthese und des Abbaus von Hormonen, die Imitation von Hormonen und Bindung an Hormonrezeptoren sein. Fortpflanzungsstörungen können durch die Dysbalance von weiblichen und männlichen Hormonen oder die Aktivierung oder Blockierung von Androgen- oder Östrogenre-zeptoren entstehen. Dabei ist die Schädigung in der Embryonalphase als Periode der Geschlechts-ausprägung besonders kritisch. Als Effekte treten Verweiblichung, Vermännlichung, geringe Fertili-tät und erhöhte Sterblichkeit der Nachkommen auf. In der Ökotoxikologie sind viele Beispiele von hormonwirksamen Substanzen bekannt, so sind die Pyrethroide estrogen wirksame Substanzen.[31]

Immuntoxische Wirkungen zeigen sich in der Immunsuppression oder fehlgeleiteten Immunantwor-ten wie Allergien oder Autoimmunreaktionen. So führt Dieldrin (nicht mehr zugelassen) zu einer Autoimmunreaktion gegen Erythrozyten und somit zu Anämie.

Die bisher dargestellten Mechanismen auf Zell-, Organ- und Organismusebene gelten in unterschiedlichen Gewichtungen für die Human- und die Ökotoxikologie. Die Wirkungen auf Populations-, Gemeinschafts- und Ökosystemebene werden in der Ökotoxikologie untersucht.

4 Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln