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Aus ethischen Gründen, aus Mangel an geeigneten Kontrollgruppen oder aufgrund einer zu großen Varianz innerhalb der Testgruppe sind viele Untersuchungen zu humanen Erkrankungen nicht am Menschen möglich. Dieses macht die Verwendung geeigneter Tiermodelle unabdingbar. An ein Tiermodell humaner Erkrankungen werden drei grundlegende Ansprüche gestellt: Zum einen sollte es die Symptomatik widerspiegeln, zum anderen sollten Modell und Erkrankung in ihrer Ätiologie

koinzidieren; des Weiteren sollte das Modell eine Prädiktivität für die klinische Wirksamkeit von Arzneimitteln aufweisen. Häufig kann ein Tiermodell nicht allen Ansprüchen gleichzeitig gerecht werden, was in der ergänzenden Verwendung verschiedener Modelle resultiert.

Zur Untersuchung verschiedenster Aspekte der Epilepsien werden zwei Modelltypen eingesetzt: Anfallsmodelle und Epilepsie-Modelle. Bei ersteren wird durch elektrische oder chemische Induktion ein epileptischer Anfall ausgelöst. Bei letzteren entwickeln die Tiere als Folge eines primären Insults (bei post-SE-Modellen ein chemisch- oder elektrisch-induzierter SE) nach einer Latenzzeit spontan auftretende epileptische Anfälle. Die Tiere in einem Epilepsie-Modell sind demzufolge chronisch epileptisch.

Epilepsie-Modelle simulieren somit die klinische Situation symptomatischer Epilepsien, bei denen Patienten infolge eines initialen Insults, wie einem Schädel-Hirn-Trauma oder einem SE, an Epilepsie erkranken. Diese Modelle bieten demnach die Möglichkeit, den Entstehungsprozess einer Epilepsie, die sogenannte Epileptogenese, zu untersuchen. Die Untersuchungen im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden ausschließlich in Epilepsie-Modellen (post-SE-Modellen) durchgeführt.

Die verwendeten Modelle werden im Folgenden vorgestellt.

2.1.5.1 Das Lithium-Pilocarpin-Modell

Pilocarpin ist ein Agonist des M1(Muscarin)-Acetylcholinrezeptors (Hamilton et al.

1997). Die Beteiligung cholinerger Bahnen im zentralen Nervensystem an der Ausbreitung der Krampfaktivität, wurde von Olney et al. (1983) sowie von Wasterlain und Jonec (1983) gezeigt. Daraufhin etablierten Turski et al. (1983) das Pilocarpin-Modell bei der Ratte. Hamilton et al. (1997) konnten in einer Studie an M1-Rezeptor-knock-out-Mäusen zeigen, dass dieser Rezeptorsubtyp maßgeblich an der Anfallsentstehung beteiligt ist. Die Entstehung eines SE nach Pilocarpin-Applikation wird durch die Gabe von Atropin, einem Muscarinantagonisten, gehemmt, während ein einmal ausgelöster SE nicht mehr durch Atropin beeinflusst werden kann (Clifford et al. 1987). Die Aufrechterhaltung einer Pilocarpin-induzierten Krampfaktivität unterliegt demnach anderen Mechanismen. Nagao et al. (1996) und Smolders et al.

(1997) postulieren, dass nach der M1-Rezeptorvermittelten Initiierung die

Krampfaktivität über NMDA(N-Methyl-D-Aspartat)-Rezeptorvermittelte Vorgänge aufrechterhalten wird.

Das Pilocarpin-Modell simuliert viele Charakteristika der humanen Temporallappenepilepsie. Curia et al. (2008) fassen die wesentlichen Eigenschaften dieses Modells wie folgt zusammen: Mittels intraperitonealer oder subkutaner Applikation von Pilocarpin wird innerhalb kurzer Zeit ein akuter SE induziert. Dieser SE wird nach einer Versuchs-individuellen Dauer pharmakologisch (oftmals mittels Diazepam) abgebrochen. Nach einer Latenzzeit (von mehreren Tagen bis mehreren Wochen) treten spontan wiederkehrende Anfälle auf, welche die chronische Phase der Epilepsie kennzeichnen (Leite et al. 1990; Cavalheiro et al. 1991). Es treten weitläufige Läsionen im Gehirn auf, teils in Gehirnregionen, welche auch bei humanen Epilepsie-Patienten geschädigt sind. Diese Läsionen sind verbunden mit einer Reorganisation des neuronalen Netzwerks in hippocampalen und parahippocampalen Regionen, wie beispielsweise Mossy-Fiber-Sprouting, Verlust an Interneuronen und ektopische Zellproliferation des Gyrus dentatus; diese Veränderungen sind beim Temporallappenepilepsie-Patienten ebenfalls ausgeprägt (Wieser 2004). Des Weiteren entwickeln die Tiere nach Pilocarpin-induziertem SE Verhaltensänderungen wie beispielsweise Veränderungen des exzitablen und sensorischen Verhalten, des Angst-assoziierten Verhaltens sowie Gedächtnisdefizite (Rice et al. 1998; Detour et al. 2005; Cardoso et al. 2009).

Hohe Dosen an Pilocarpin erhöhen die Wahrscheinlichkeit das vollständige Syndrom (Entwicklung motorischer- und elektroenzephalographischer spontaner Anfälle, neuopathologische sowie verhaltensbiologische Veränderungen) zu erzeugen und verkürzen die Zeit bis zum Eintritt des SE, jedoch führen sie zu einer erhöhten akuten Mortalität (Exitus während des SE bzw. innerhalb von 48 Stunden nach SE) (Clifford et al. 1987; Curia et al. 2008). Jope et al. (1986) zeigten an Sprague-Dawley-Ratten, dass die Applikation von 400 mg/kg Pilocarpin bei 83% der Tiere einen SE induzierte, die akute Mortalität aber 100% betrug. Die Applikation von Lithiumchlorid (3 mEq/kg) bis 24 Stunden vor der Pilocarpin-Injektion, ermöglicht eine Verringerung der erforderlichen Pilocarpin-Dosis; dieses senkt die akute Mortalität und bedingt eine zuverlässigere Induktion des vollständigen Syndroms (Honchar et

al. 1983; Clifford et al. 1987). Das Lithium-Pilocarpin-Modell unterscheidet sich in metabolischer, elektroenzephalographischer, neuropathologischer und verhaltensbiologischer Sicht nicht von dem hochdosierten Pilocarpin-Modell (Clifford et al. 1987).

Glien et al. (2001) etablierten in der Arbeitsgruppe von Herrn Prof. Löscher (im Folgenden als AG Löscher bezeichnet) das fraktionierte Lithium-Pilocarpin-Modell.

Bei diesem erfolgt die Applikation von Pilocarpin (10 mg/kg) in 30-minütigen Intervallen bis zum Eintritt eines SE. Der Vorteil des fraktionierten Modells gegenüber dem Bolus-Modell (einmalige Applikation von Pilocarpin) ist eine deutliche Verringerung der akuten Mortalität bis auf 10%. Nach der Bolus-Applikation wurden im Lithium-Pilocarpin-Modell eine akute Mortalitätsrate bis über 95% beschrieben (Jope et al. 1986; Morrisett et al. 1987). Die SE-Induktionsrate, die Zeit bis zum Auftreten des ersten spontanen Anfalls und die Frequenz der spontanen Anfälle unterscheiden sich im fraktionierten Lithium-Pilocarpin-Modell nicht vom Bolus-Modell (Glien et al. 2001).

Marchi et al. (2009) zeigten, dass es nach Lithium-Gabe im Bolus-Modell vor der Applikation von Pilocarpin und somit vor dem SE zu akuten entzündlichen peripheren Veränderungen und zu einer Schädigung der Blut-Hirn-Schranke kommt.

Entzündliche Veränderungen des zentralen Nervensystems oder systemische Entzündungen sowie die Schädigung der Blut-Hirn-Schranke werden als Initiatoren einer humanen Epilepsie vermutet. Das Lithium-Pilocarpin-Modell simuliert somit die prodromalen inflammatorischen Veränderungen und ermöglicht die Untersuchung von Anfallsgeschehen, die mit entzündlichen Prozessen assoziiert sind (Vezzani 2009).

In den meisten Epilepsie-Modellen wird ein SE in gesunden Tieren induziert (Löscher u. Brandt 2010). Im Gegensatz dazu tritt in der Humanmedizin ein SE oftmals bei nicht-epileptischen Patienten mit einer Vorerkrankung wie Anoxie, zerebraler Hämorrhagie, Schlaganfall, Tumoren oder Infektionen auf (Neligan u. Shorvon 2008).

Das Lithium-Pilocarpin-Modell simuliert mit der Lithiumchlorid-bedingten Aktivierung des erworbenen Immunsystems vor SE (Marchi et al. 2009) die humanmedizinische

Situation einer Vorerkrankung. Ob eine periphere Entzündung in anderen Epilepsie-Modellen die SE-Induktion triggert, ist noch nicht bekannt (Pitkänen 2010).

2.1.5.2 Elektrische Modelle

Neben chemischen Modellen der Temporallappenepilepsie werden auch elektrische Modelle verwendet, welche ebenfalls zu einem SE mit nachfolgender Entwicklung spontaner Anfälle führen (Löscher 2002). Im Unterschied zu den chemischen Modellen erfordern elektrische Modelle die Implantation von intrazerebralen Elektroden, dafür ist die Verwendung von Toxinen nicht notwendig (Stables et al.

2003). Vielmals wird die elektrische Stimulation limbischer Strukturen wie der Amygdala oder des Hippocampus genutzt. Die elektrische Stimulation erfolgt über einen längeren Zeitraum (oftmals 60-90 Minuten), womit ein sich selbsterhaltender SE erzeugt wird, und sich nach einer Latenzzeit spontane Anfälle entwickeln (Handforth u. Ackermann 1988; Lothman et al. 1989; Nissinen et al. 2000). Der mittels elektrischer Stimulation erzeugte SE ist weniger schwer ausgeprägt als ein Pilocarpin-induzierter SE und leichter zu unterbrechen (Bankstahl u. Löscher 2008).

Oftmals wird auf eine Termination des elektrisch-induzierten SE verzichtet; was zu einer SE-Dauer von vielen Stunden führt (Löscher 2002).