• Keine Ergebnisse gefunden

Welche Themen sind in den GAV enthalten, welche sollten darin enthalten sein?

D. Rolle der Sozialpartner

VI. Zusammenfassung: Auswirkungen der Digitalisierung auf die Sozialpartnerschaft

1. Welche Themen sind in den GAV enthalten, welche sollten darin enthalten sein?

Jedoch ist heute in der Schweiz nur ein Teil der Arbeitnehmenden von einem GAV gedeckt.

Ausserdem hat die obige Analyse gezeigt, dass es zwei Strukturelemente gibt, die das Hand-lungsfeld der Sozialpartner in Zukunft einschränken könnten, nämlich:

405 Näheres zu diesen Fragen siehe Ordolli, S. 262 ff.

336

337

338

339

340

341

− Erstens herrscht eine grosse Unsicherheit hinsichtlich der Qualifizierung der Vertrags-verhältnisse, die von gewissen Akteuren der digitalen Wirtschaft eingegangen werden.

Diese Unsicherheit betrifft natürlich die Person, welche die Arbeit erbringt. Sie er-streckt sich jedoch auch auf die Identität des Arbeitgebers selbst, dessen Funktionen entmaterialisiert oder fragmentiert sein können406. In diesem Zusammenhang muss da-ran erinnert werden, dass der Schutz des Arbeitnehmenden eine der Hauptfunktionen des Arbeitsrechts darstellt. Gibt es einen Schutzbedarf, so müssen die Gerichte diesen bei der Qualifizierung von Vertragsverhältnissen berücksichtigen. Den Sozialpartnern steht es nicht frei, eine autonome Definition des Arbeitsvertrags vorzunehmen, da die Qualifizierung des Arbeitsvertrags gemäss Art. 319 ff. OR zwingenden Charakter hat407. Je weniger Arbeitgeber und Arbeitnehmende es also geben wird, desto geringer wird die Reichweite der Sozialpartner sein.

− Zweitens bringt die Digitalisierung eine gewisse Entmaterialisierung des Unterneh-mens und/oder der Aufgaben mit sich. Die technologischen Fortschritte erlauben es den Unternehmen, punktuell besondere Aufgaben an Personen zu delegieren (oder outzusourcen), die nicht im Unternehmen angesiedelt sind. Diese „digitale Auslage-rung“ findet ohne die Entsendung von Arbeitnehmenden von der Schweiz ins Aus-land, aber auch aus dem Ausland in die Schweiz statt. Schliesslich ist es möglich, dass eine für den Schweizer Markt bestimmte Arbeit vollständig im Ausland durchgeführt wird408.

Es dürfte schwierig sein, diese beiden strukturellen Aspekte der Digitalisierung der Arbeit nur auf der Ebene der nationalen Sozialpartner zu behandeln409. Dagegen hat es sich gezeigt, dass die Sozialpartner bei den folgenden Themen über ein weites Handlungsfeld verfügen:

− Mitwirkung der Arbeitnehmenden: Das Mitwirkungsgesetz legt einen Mindeststandard fest, der natürlich überschritten werden darf. Das Werkzeug GAV scheint ideal zu sein, um diese Punkte zu erfassen, einschliesslich des Zutritts der Gewerkschaften zum Un-ternehmen. Es wird daran erinnert, dass die Mitwirkung der Mitarbeitenden bei der Im-plementierung neuer Technologien am Arbeitsplatz und den dazu gehörenden bewähr-ten Praktiken, wichtig ist 410.

− Gesundheit und Arbeitssicherheit: Da die Arbeitnehmenden in diesem Punkt ein Mit-wirkungsrecht haben, kann das Thema Gesundheitsschutz und Sicherheit des Arbeit-nehmenden im Kontext der Digitalisierung von den Sozialpartnern effizient behandelt werden. Die GAV können weiter gehen als die gesetzlich vorgeschriebenen Mindest-standards; sie können konkrete und an die operativen Aspekte des Unternehmens ange-passte Lösungen bieten. Zu beachten sind insbesondere Bereiche wie Empfehlungen und Anweisungen für die Telearbeit und das mobile Arbeiten. Der GAV könnte auch eine Verpflichtung enthalten, die Arbeitnehmenden auf die mit diesen Arbeitsformen verbundenen psychosozialen Risiken aufmerksam zu machen und zu instruieren411.

− Im Rahmen der Digitalisierung stellt sich die Arbeitszeit als zentrales Thema heraus.

Hier würden die Bereiche der Internetverbindung und des Rechts auf Abmeldung, die Limitierung der Verbindungen eines Arbeitnehmenden, dessen Verantwortung und die des Arbeitgebers sowie der (in)direkte Zwang, der auf den Arbeitnehmenden ausgeübt

406 Siehe oben, Rz. 118 ff.

407 Siehe oben, Rz. 125.

408 Siehe oben, Rz. 151 ff.

409 Zum Anwendungsbereich der GAV: siehe oben, Rz. 358 ff.; zu den transnationalen Aspekten (einschliesslich der Schiedsklauseln): siehe unten, Rz. 372 f.

410 Siehe oben, Rz. 177.

411 Siehe oben, Rz. 183 f.

342

wird, ausserhalb der gewöhnlichen Arbeitszeiten (ja sogar jederzeit) zu arbeiten, ein ausgezeichnetes Betätigungsfeld für die Sozialpartner darstellen. Es ist auch vorstellbar, dass die GAV mehrere Systeme implementieren, wie z. B. die digitale Bildung der ver-schiedenen Akteure, Nutzungsvereinbarungen, Vorschriften, Module zur Verbindungs-unterbrechung oder auch das Abschalten der Server oder der Online-Zugänge während der Wochenenden oder der Ferien412.

− Auch auf dem Gebiet der Arbeitszeiterfassung besitzen die Sozialpartner besonders gute Voraussetzungen, um die Umsetzung der Arbeitszeiterfassung und die Implementierung moderner und genau passender Methoden zur Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts zwischen der tatsächlichen Arbeitszeit, dem dafür geltenden Recht und der konkreten Erfassung der tatsächlich geleisteten Stunden zu verhandeln413.

− Was den Arbeitsort betrifft, so eröffnet das weitgehende Fehlen von Regeln auf dem Gebiet der Telearbeit und des Desk-Sharing im Gesetz ein mögliches Betätigungsfeld, dessen sich die Sozialpartner annehmen können und müssen. Es ist ihre Aufgabe, präzi-se festzulegen, unter welchen Vorauspräzi-setzungen (hinsichtlich des Ortes) die Arbeitneh-menden zu Hause oder an anderen Orten arbeiten können, in welchem Masse die Tele-arbeit freiwillig ist und welche Grundsätze hinsichtlich des Arbeitsortes gelten. Die So-zialpartner werden daher auch versuchen, die folgenden Fragen zu beantworten: Kann dem Arbeitnehmenden die Telearbeit aufgezwungen werden? Wie kann man diese or-ganisieren und anlegen, um sicherzustellen, dass der Arbeitnehmende über einen geeig-neten Ort verfügt, an dem er sich konzentrieren kann? Wie kann man sich vergewissern, dass der Arbeitnehmende über ein helles, ergonomisches Büro, über moderne und be-nutzerfreundliche EDV verfügt? Wer stellt die Tools und das Mobiliar zur Verfügung?414

− Im Bereich der Aus- und Weiterbildung können die Sozialpartner künftig im GAV die folgenden Aspekte regeln: Welche Art einer Fort- oder Weiterbildung ist wünschens-wert? Gibt es ein Recht des Arbeitnehmenden, Fort- oder Weiterbildungen zu nutzen?

Wenn ja, in welchem Ausmass (z. B. wie viele Tage pro Jahr?)? Wie wird die für die Weiterbildung aufgewendete Zeit qualifiziert? Wird sie entlöhnt?

− Auf dem Gebiet des Datenschutzes zeigt sich, dass gewisse Lücken in den derzeitigen gesetzlichen Vorschriften über die spezifischen Risiken bei der Überwachung des Ar-beitnehmenden und der Verarbeitung der ihn betreffenden Daten durch den Arbeitgeber ein Handlungsfeld eröffnen, das für eine kollektive Regelung durchaus geeignet ist. Die GAV können Lösungen für eine gesamte Branche oder für ein Unternehmen finden und umsetzen, die einen Ausgleich zwischen den Interessen des Arbeitgebers und des Ar-beitnehmenden schaffen. Es wird nicht mehr ausreichen, im GAV einfach auf das DSG zu verweisen, wie es heute fast immer der Fall ist. Die Sozialpartner müssten insbeson-dere die folgenden Fragen regeln: Die Pflicht des Arbeitgebers, die Arbeitnehmenden bei der Einführung einer neuen Technologie für die Arbeitsausführung zu informieren und/oder ihnen das Mitspracherecht zu gewähren; das Ausmass des Schutzes der Pri-vatsphäre des Arbeitnehmenden, einschliesslich des Telearbeiters, insbesondere im Fal-le der Verwendung persönlicher eFal-lektronischer Geräte für die Verrichtung der Arbeit415. Schliesslich sind die Modalitäten der Kontrolle der Arbeitsbedingungen sehr gut geeignet, um in den GAV im Detail aufgeführt zu werden, da diese den Eigenheiten und der

Gliede-rungstiefe jeder Branche wesentlich näher sind als das Gesetz. Die Sozialpartner haben die

412 Siehe oben, Rz.272.

413 Siehe oben, Rz. 269 ff.

414 Siehe oben, Rz. 290 ff.

415 Siehe oben, Rz. 320.

Möglichkeit zu verhandeln, welche Werkzeuge für eine wirksame Kontrolle mithilfe der heu-tigen Technologien eingesetzt werden können. Da deren Verwendung besondere Fragen im Zusammenhang mit dem Persönlichkeitsschutz und dem Schutz der persönlichen Daten der Arbeitnehmenden aufwerfen kann (wenn man sich beispielsweise eine Software zur automati-schen Erfassung jedes Verbindungsaufbaus des Arbeitnehmenden vorstellt), haben die Sozi-alpartner hier die Möglichkeit und die Aufgabe, den Umfang und die Grenzen festzulegen.

Darüber hinaus wird es auch wichtig sein, in den GAV vorzusehen, welche Ausrüstungen und Ressourcen den Inspektoren zur Verfügung stehen müssen und welchen Aus- und Weiterbil-dungsgrad sie haben müssen, damit sie die für die Kontrolle notwendigen technischen Mittel beherrschen416.