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Vor diesem Hintergrund stellen sich verschiedene Fragen:

− Welche Wirkung haben in der Schweiz abgeschlossene GAV, wenn der Arbeitgeber im Ausland ist und die Arbeitsleistung in der Schweiz erbracht wird?

− Welche Wirkung haben in der Schweiz abgeschlossene GAV, wenn die Arbeit phy-sisch im Ausland ausgeführt wird, der Arbeitgeber aber schweizerisch ist?

− Gelten GAV auch, wenn weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer in der Schweiz sind, die Leistung aber einen engen Bezug zur Schweiz hat?

Grundsätzlich wird der Geltungsbereich von Gesamtarbeitsverträgen in den Verträgen selbst festgelegt. Firmen-Gesamtarbeitsverträge gelten nur für das unterzeichnende Unternehmen, wobei sich die Frage stellt, wie es bei Konzernen um Tochter- und Schwestergesellschaften bestellt ist220.

Bei Branchen-GAV werden in der Regel ein räumlicher Geltungsbereich, ein betrieblicher Geltungsbereich und ein personeller Geltungsbereich (betroffene Arbeitnehmende) festgelegt.

Räumlich hat ein solcher GAV für die jeweilige Branche in einer Region, einem Kanton, mehreren Kantonen oder der gesamten Schweiz Gültigkeit. Grundsätzlich beschränken sich schweizerische GAV weitgehend auf das Gebiet der Schweiz221.

218 BGE 139 III 411, E. 2; Aubry Girardin, Liber amicorum, S. 29.

219 Siehe unten, Rz. 73 ff.

220 Siehe dazu Geiser/Uhlig, GAV im Konzern, S. 1 ff.

221 Geiser/Uhlig, GAV im Konzern, S. 44 f.

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a. Welche Wirkung haben in der Schweiz abgeschlossene GAV, wenn die Arbeit im Aus-land für einen in der Schweiz ansässigen Arbeitgeber ausgeführt wird?

Können in der Schweiz abgeschlossene Gesamtarbeitsverträge wirksam sein, wenn die Arbeit im Ausland ausgeführt wird? Hierbei ist von der Annahme auszugehen, dass ein Unterneh-men mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz bestimmte Arbeiten von Personen im Aus-land durchführen lässt. Wie im vorherigen Beispiel werden auch hier keine Arbeitnehmenden (aus der Schweiz ins Ausland) entsandt, da die Arbeiten vollständig digital übertragen, durch-geführt und kontrolliert werden: Eine räumliche Bewegung gibt es weder auf Arbeitgeber- noch auf Arbeitnehmerseite.

Inwiefern ein GAV transnational gültig ist wird in der Regel unter Anwendung des Internati-onalen Privatrechts bestimmt. Dabei sollte festgehalten werden, dass die Anwendung der normativen Bestimmungen eines GAV grundsätzlich der Anwendung des Einzelarbeitsver-trags folgt.222. In der Schweiz abgeschlossene GAV sind jedoch grundsätzlich nicht dazu be-stimmt, ausserhalb der Schweiz angewendet zu werden, es sei denn auf freiwilliger Basis.

Arbeitgeber und im Dienst beteiligter Arbeitgeber stehende Arbeitnehmer können sich einzeln und freiwillig einem Gesamtarbeitsvertrag anschliessen, so dass dieser verbindlich wird (Art.

556B Abs. 1 OR).

Zur Erinnerung: Bei Fehlen einer Rechtswahl untersteht der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er am engsten zusammenhängt, also mit dem Staat, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung erbringen soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder, wenn sie den Vertrag aufgrund einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit geschlossen hat, in dem sich ihre Niederlassung befindet (Art. 117 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über das internationale Privatrecht – IPRG223). Arbeitsverträge unterstehen dem Recht des Staates, in dem der Ar-beitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet (Art. 121 Abs. 1 IPRG). Verrichtet der Arbeit-nehmer seine Arbeit gewöhnlich in mehreren Staaten, so untersteht der Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung oder, wenn eine solche fehlt, der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt des Arbeitgebers befindet (Art. 121 Abs. 2 IPRG). Die Par-teien können den Arbeitsvertrag dem Recht des Staates unterstellen, in dem der Arbeitnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in dem der Arbeitgeber seine Niederlassung, seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 121 Abs. 3 IPRG).

Ein in der Schweiz abgeschlossener GAV mit auf das Gebiet der Schweiz beschränkter Gül-tigkeit hat in der Regel aufgrund dieser Tatsache keine bindende Wirkung für den Arbeitsver-trag der angestellten Person, die sich im Ausland befindet.

Man kann sich jedoch fragen, ob diese Person nicht im Sinne der Gleichbehandlung Rechte aus dem GAV geltend machen könnte, auf die Arbeitnehmende in der Schweiz mit identi-schen Arbeitsverträgen Anspruch haben. Würde sich eine etwaige Allgemeinverbindlichkeits-erklärung des GAV auf die Rechte der arbeitnehmenden Person auswirken?

Dies sind heikle und sensible Fragen, die zweifellos Unternehmen und gewisse Branchen be-treffen werden, wenn auch in verschiedener Weise und in unterschiedlichem Ausmass. Da die Thematik sowohl rechtlich als auch auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene sehr komplex ist, dürfte der künftige Inhalt der GAV bei den Sozialpartnern bald zur Debatte stehen. Aufgrund der Natur der Problematik ist davon auszugehen, dass auch ein Dialog mit dem Staat im Sinne des Tripartismus notwendig sein wird.

222 Geiser/Uhlig, GAV im Konzern, S. 45.

223 SR 291.

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b. Wirkung von in der Schweiz abgeschlossenen GAV mit Arbeitgeber im Ausland Es sollte zwischen einem Arbeitgeber im Ausland mit einem dauerhaft beschäftigtem Arbeit-nehmer in der Schweiz und einem Arbeitgeber im Ausland, der einen ArbeitArbeit-nehmer für einen befristeten Zeitraum entsendet unterschieden werden.

Das EntsG greift nicht, wenn der Arbeitgeber im Ausland ist und in der Schweiz Arbeiten von Personen ausführen lässt, die sich bereits in der Schweiz befinden oder dort dauerhaft verblei-ben dürften. Gemäss Art. 1 gilt dieses Gesetz nämlich nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer, die ein Arbeitgeber mit Wohnsitz oder Sitz im Ausland in die Schweiz entsendet, damit sie hier für einen bestimmten Zeitraum:

a. auf seine Rechnung und unter seiner Leitung im Rahmen eines Vertragsverhältnis-ses zwischen ihm und dem Leistungsempfänger eine Arbeitsleistung erbringen;

b. in einer Niederlassung oder einem Betrieb arbeiten, der zur Unternehmensgruppe des Arbeitgebers gehört.

Wenn der Arbeitgeber keinem GAV angeschlossen ist, beispielsweise weil er nicht in der Schweiz tätig ist, kann der Arbeitnehmer weder durch das Gesetz einem GAV unterstellt wer-den noch sich im Sinne von Art. 356b Abs. 1 OR freiwillig einem GAV anschliessen. Logi-scherweise sollte er jedoch einem allgemeinverbindlich erklärtem GAV unterstellt sein, so-fern dieser für seine Tätigkeit Gültigkeit hat; solche Situationen erfordern allerdings vertiefte Überlegungen.

Die Frage der zeitweiligen Entsendung von Arbeitnehmern in die Schweiz durch einen im Ausland befindlichen Arbeitgeber ist indessen geklärt. Bekanntermassen gelten die Bestim-mungen eines allgemeinverbindlich erklärten GAV gemäss Art. 2 EntsG auch für ausländi-sche Unternehmen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Schweiz entsenden224.

c. Welche Wirkung haben in der Schweiz abgeschlossene GAV, wenn die Arbeit im Aus-land für einen in der Schweiz ansässigen Arbeitgeber ausgeführt wird, die Leistung aber eng mit der Schweiz verbunden ist?

Ein weiterer Fall soll hier betrachtet werden. Dabei geht es um einen Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, der keine Arbeitnehmer in die Schweiz zu entsenden braucht und auch keine Nieder-lassung in der Schweiz benötigt, weil er die Arbeit digital überträgt, seine Anweisungen digi-tal erteilt und die Durchführung der Arbeit digidigi-tal kontrolliert, wobei auch der Arbeitnehmer physisch nicht in der Schweiz sein muss. Bei den durchgeführten Arbeiten kann es sich ebenso gut um hoch spezialisierte Dienstleistungen (wissenschaftliche Analysen, Berichte, juristische Arbeiten usw.) handeln wie um Dienstleistungen, die keine besondere Qualifikation erfordern (pro Klick abgerechnete Arbeit, Sortieren von Rohdaten usw.).

In diesem Fall gib es keine Möglichkeit, einen physischen Zusammenhang zwischen der durchgeführten Arbeit und der Schweiz nachzuweisen, obwohl die Arbeit lediglich aufgrund technologischer Möglichkeiten ausserhalb der Schweiz erbracht werden kann. Wenn man diese Situation als rechtlich relevant betrachtet, stellt sich in besonderem Masse die Frage der physischen Anwesenheit des Arbeitnehmers in dem Gebiet, in dem seine Arbeitsleistung di-rekt in Empfang genommen wird. Gerade das Kriterium der physischen Anwesenheit der ar-beitnehmenden Person in der Schweiz, das dem EntsG zugrunde liegt, kann hier hinterfragt werden. Wie bereits erwähnt, will dieses Gesetz dem Dumping einen Riegel vorschieben.

Allerdings werden dabei nur Situationen erfasst, in denen der aus dem Ausland entsandte Ar-beitnehmer in der Schweiz physisch anwesend ist.

224 Siehe oben, Rz. 81 ff.

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Man kann sich daher fragen, ob es sinnvoll wäre, das Kriterium zu lockern und die Anwend-barkeit des EntsG auf Arbeitnehmer auszuweiten, die sich ausserhalb der Schweiz befinden und mit digitalen Hilfsmitteln eine Arbeit ausführen, die im Prinzip in der Schweiz verrichtet werden sollte und für den schweizerischen Markt bestimmt ist.