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Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme baut auf der allgemeinen Systemtheorie auf, entwickelt diese jedoch spezifisch zu einer Theorie der Gesellschaft weiter. Er greift vielfach auf interdisziplinäre Theorieangebote zurück (die allgemeine Systemtheorie ist selbst eine interdisziplinäre Theorie), dadurch ist er für uns besonders anschlussfähig. Ich übernehme von Luhmann insbesondere sein Konzept sozialer Systeme, sein Modell der internen Differenzierung moderner Gesellschaften in operativ geschlossene Funktionssysteme, sowie seine Vorstellung, dass soziale Systeme sich in einem Prozess entwickeln, der Mechanismen einer kulturellen Evolution, im Sinne der theoretischen-abstrakten Prämissen der biologischen Evolutionstheorie, aufweist.

System, wie Luhmann den Begriff verwendet, bezieht sich auf die Definitionen der allgemeinen Systemtheorie, die er zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen macht. Die Allgemeine Systemtheorie entsteht in der ersten Hälfte des 20sten Jahrhunderts, und wird populär in den 60er Jahren. Sie ist ein interdisziplinäres Theorievorhaben. Ausgangspunkt sind Phänomene, die nur durch ein spezifisches Zusammenwirken von Teilen entstehen, und die an den Einzelteilen nicht mehr beobachtet werden können also emergente Eigenschaften von Systemen. (Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile). Solche Erkenntnisse wurden in vielen Disziplinen gewonnen (Biologie, Physik, Chemie, Technik, Ökonomie), sodass die These aufgestellt wurde, es handle sich um allgemeine Phänomene. Auf dieser These gründet das Forschungsvorhaben, das sich allgemeine Systemtheorie nennt, und das verallgemeinerbare Mechanismen und Bedingungen der Systembildung verstehen will [Bertalanffy, 1998]. Entsprechend dieser Konzentration auf den Aspekt der Interaktion zwischen Teilen und der Differenz Teil/Ganzes sind frühe Systemdefinitionen sehr weit gefasst: „ein Set von Elementen, die miteinander interagieren“. Es geht um die Verallgemeinerung von Systemeigenschaften und Funktionsweisen inklusive dem Versuch der mathematischen Formalisierung und die Anwendung dieser Konzepte auf konkrete Fragestellungen in Ökologie, Ökonomie, Technik oder Biologie.

In der neueren Systemtheorie, die vor allem durch die „Kybernetik 2. Ordnung“ genannte Richtung (Foerster, Bateson) und durch die Autopoiesis Theorie (Maturana und Varela) bestimmt ist, wird die Grunddefinition in subtiler aber folgenschwerer Weise geändert. Ein System wird nun definiert als ein Set von interagierenden Elementen, die eine dauerhafte Grenze zwischen sich selbst und der Umwelt aufrechterhalten können (das ist ein Wechsel von der Teil/Ganzes Differenz zu einer System/Umwelt Differenz). Ein System wird, metaphorisch gesprochen, als eine „Ausstülpung in der Welt“ aufgefasst. Wichtig ist, dass man sich diese Grenze nicht räumlich vorstellen darf,

42 Für eine Verortung der Sozial-Ökologie in den materialistischen Traditionen von Marx und

sondern funktional, und auch nicht als fix, sondern als etwas, das fortwährend reproduziert werden muss. Bei autopoietischen Systemen gilt, dass diese Grenze vom System selbst reproduziert wird.

Das System generiert also seine eigenen Grenzen, und wenn es das nicht mehr kann, hört es auf, als System zu existieren (bei Organismen sagt man, sie sterben).

Die Betonung der Differenz System/Umwelt ist zentral in Luhmanns Werk, sie ist die Leitdifferenz seiner ganzen Theorie. Luhmann greift nun diese Systemdefinition43 auf und formuliert seinen Anspruch, Gesellschaft als System (soziales System) zu beschreiben. Die erste Frage ist dann, was ist System und was ist Umwelt in bezug auf ein soziales System.

Luhmanns frühe Arbeiten beschäftigen sich immer wieder mit der Frage, woraus soziale Systeme bestehen, was ihre Elemente sind und wo die System-Umwelt Grenze ist. Er stellt sich damit die Grundfrage der Soziologie neu, nämlich „wie soziale Ordnung bei differenter Individualität der beteiligten Personen überhaupt möglich ist“ [Luhmann, 1978, 213] und versucht sie aus einer allgemeineren Theorie heraus, eben der Systemtheorie, zu beantworten. Ein zentraler Paradigmenwechsel, den Luhmann vollzieht, ist derjenige von Handlungen zu Kommunikation als Elemente sozialer Systeme. (zur Diskussion Handlung oder Kommunikation als Elemente sozialer Systeme siehe u.a. Luhmann 1978, Luhmann 1984, Luhmann 1997 S. 16-35).

Der zweite entscheidende Schritt ist die Anwendung des Konzepts der Autopoiesis [Maturana, 1975] auf soziale Systeme. Autopoiesis bedeutet Selbstreproduktion. Soziale Systeme erzeugen Kommunikation, indem sie an vorangegangene Kommunikation anschließen. Das heißt, für Luhmann bestehen soziale Systeme aus Kommunikation und nur aus Kommunikation, die sie selbst erzeugen (Autopoiesis), mit der sie sich auf sich selbst beziehen. Kommunikation bezieht sich immer auf vorangegangene Kommunikation und ist damit auch selbstreferenziell, und es gibt keine Kommunikation außerhalb sozialer Systeme, d.h. auch keine Kommunikation mit der Umwelt. Dadurch wird das System operativ geschlossen.

Eine weitreichende Konsequenz ist, dass Menschen als Umwelt sozialer Systeme verstanden werden. Menschen sind Umwelt des sozialen Systems, aber sie sind nicht irgendeine, sondern eine ganz besondere Umwelt [Willke spricht von ‚innerer Umwelt’ bzw. Innenwelt, Willke, 1993, 60].

Menschen sind selbst wieder Systeme, nämlich Bewusstseinssysteme (und natürlich auch körperliche Systeme, also Organismen), die Ähnlichkeit mit den Kommunikationssystemen haben.

Beide, soziale Systeme und Bewusstseinssysteme, operieren im allgemeinen Medium Sinn.

Bewusstseinssysteme operieren mittels Gedanken, soziale Systeme mittels Kommunikation. Als Operation wird der Prozess verstanden, durch den eine System seine eigenen Elemente laufend reproduziert, bei Organismen ist das zum Beispiel Metabolismus. Sowohl Bewusstseinssysteme als auch Kommunikationssysteme werden als operativ geschlossen betrachtet. So hat zum Beispiel kein Mensch direkten Zugriff auf die Gedanken eines anderen, niemand kann von außen Engels siehe Schandl [2001a].

43 “Systeme können demnach begriffen werden als Einheiten, die sich durch Ausdifferenzierung aus der Umwelt konstituieren und in sich selbst eine Beschreibung der Differenz von System und Umwelt enthalten” (Luhmann 1984, S. 64).

direkt Gedanken beobachten oder auf sie zugreifen. Man kann nicht in ein anderes Bewusstseinssystem hinüberdenken. Operative Geschlossenheit ist nicht das gleiche wie Isoliertheit oder Abgeschlossenheit, sondern die operative Geschlossenheit bezieht sich ausschließlich auf die das System konstituierende Operation (den das System konstituierenden Prozess). Operativ geschlossen heißt auch, dass diese Operationen selbstbezüglich (selbstreferenziell) sind. Selbstbezüglichkeit wiederum führt zu ganz bestimmten Systemeigenschaften, unter anderem zu Paradoxien, wie zum Beispiel in der Geschichte vom Dorfbarbier, der alle rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Soll der Dorfbarbier sich nun selbst rasieren? Natürlich nicht: er rasiert ja nur die, die sich nicht selbst rasieren. Andererseits, wenn er sich nicht selbst rasiert, müsste er sich doch rasieren, usw. [zitiert nach Foerster, 1993].44

Weiters limitiert die operative Geschlossenheit die Möglichkeiten der System/Umwelt Interaktion und somit auch die Möglichkeiten von Steuerung.

An dieser Theorie von sozialen Systemen interessiert besonders, wie Interaktionen zwischen Systemen bzw. System/Umwelt Interaktionen konzipiert werden. Luhmann unterscheidet hier zwischen operativ und kausal (autopoietische Systeme sind operativ geschlossen aber kausal offen, Luhmann 1997 64f), bzw. zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz (Luhmann 1997, 77).

Daraus ergibt sich eine Systemkonzeption, die Systeme als zugleich von der Umwelt unabhängig und abhängig begreift. Ein Theorie, die das verständlich machen kann, erscheint mir für die vorliegende Fragestellung, wie Gesellschaft und Natur miteinander interagieren, in hohem Maße relevant.

Die zweite zentrale These der soziologischen Systemtheorie [Luhmann, 1984,Luhmann, 1997,Parsons, 1951], von der ich ausgehe, bezieht sich auf die interne Differenzierung moderner Gesellschaften.

Moderne Gesellschaften werden im Rahmen der Systemtheorie als funktional differenziert beschrieben, das heißt, sie bilden Teilsysteme aus, die eine bestimmte Funktion in der Gesellschaft erfüllen (Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Politik, Religion etc.).

Es gibt nicht ein soziales System, sondern viele verschiedene. Luhmann unterscheidet Typen:

Interaktionssystem (Anwesenheit), Organisationen (Mitgliedschaft) und Gesellschaft als das alle Kommunikation umfassende System. Problematisch ist diese Typisierung in bezug auf den Gesellschaftsbegriff, und zwar sowohl aus systemtheoretischer Sicht [Firsching, 1998], als auch aus sozial-ökologischer Sicht, darauf komme ich weiter unten genauer zurück.

Innerhalb der Gesellschaft identifiziert Luhmann Teilsysteme (Funktionssysteme), die sich auf bestimmte Aufgaben spezialisiert haben, so wie zum Beispiel Wirtschaft, Wissenschaft, Recht, Politik. Systembildung hat etwas mit Komplexitätsreduktion zu tun, sie geschieht, damit nicht alles möglich ist und das heißt auch, dass erst jetzt etwas ganz Bestimmtes zuvor Unwahrscheinliches wahrscheinlich wird („Der Sinn von Grenzen ist die Begrenzung von Sinn“). Ein Funktionssystem

44 D. h. also: Paradoxe Aussagen sind Aussagen, die nicht auf wahr/falsch hin überprüft werden

ist ein Subsystem der Gesellschaft, es schließt sich innerhalb eines schon operativ geschlossenen Kommunikationssystems erneut operativ ab, indem es ein spezialisiertes Medium der Kommunikation ausbildet. So kommuniziert die moderne Wirtschaft zum Beispiel über Geld; Geld ist ihr spezifisches Kommunikationsmedium, oder anders ausgedrückt, ihre typische Operation.

Luhmann nennt das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien. Für das Wissenschaftssystem ist das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium Wahrheit, für Politik ist es Macht, usf. Diese „Spezialisierung“ dient zunächst der Komplexitätsreduktion, über Geld kann leicht auch über Sprachgrenzen hinweg kommuniziert werden. Die operativer Schließung der Funktionssysteme bewirkt, dass in der Folge aber Komplexitätssteigerung möglich wird (Dialektik von Komplexitätsreduktion und Erhöhung). Dies erhöht die Komplexität der operativen Leistungen des Funktionssystems und erschwert gleichzeitig Interaktionen zwischen den verschiedenen Funktionssystemen.