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Im Blickpunkt der ersten Isan-Handlungsebene „Infrastruktur und soziale Integration“ stehen (sozial-)pädagogische Präventionsansätze zur Stärkung sozialer Schutzfaktoren und zur Verminderung sozialer Risikofaktoren im Gemeinwesen. Neben der Präventionslogik stärkt die soziale Infrastruktur die lokale Lebensqualität und fördert die Integration der Bewohnerinnen und Bewohner. Da im positivistischen Erklärungsansatz die Delinquenz auf die Lebensumstände wie beispielsweise Armut oder Benachteiligung zurückge-führt wird, setzt Kriminalprävention traditionell an sozialen Verhältnissen als Wurzeln des Problems an. Diese sozialpolitische Herangehensweise rückt gegenüber repressiven und kontrollierenden Maßnahmen das wohlfahrts-staatliche Ziel gesellschaftlicher Integration in den Vordergrund. Um stig-matisierende Effekte zu vermeiden, wird Kriminalprävention als Teilaspekt des fachlichen Handelns in den Bereichen der Sozialen Arbeit, Bildung und Beschäftigung interpretiert. So können die Erneuerung benachteiligter Wohn-quartiere, die Bekämpfung der Obdachlosigkeit, der soziale Wohnungsbau, die Bereitstellung von Grünflächen und die Schaffung soziokultureller Infrastruk-tureinrichtungen zu einer sozialen Prävention im umfassenden Sinn gerechnet werden. Die Kommune – vertreten durch die Fachbereiche ihrer Verwaltung – und zivilgesellschaftliche Akteure – wie Träger der Freien Wohlfahrtspflege und bürgerschaftliche Vereine – repräsentieren dabei die handelnden Akteure.

Auf der zweiten iSan-Handlungsebene „Sozialmanagement“ sind vor allem woh-nungswirtschaftliche Akteure die Handelnden. Sie ergänzen die Wohnfunktion mit wohnbegleitenden Maßnahmen zur Erhöhung der lokalen Sicherheit – bei-spielsweise etablieren sie Hausmeisterdienste und Concierge oder aktivieren die Bewohnerschaft, um die soziale Kontrolle in der Siedlung zu fördern.

Es handelt sich hierbei vor allem um situative Kontrollstrategien der Präven-tion. Wenn die Wohnbevölkerung auf diesem Wege beteiligt wird, stabilisieren sich sicherheitsfördernde Kräfte im Wohnumfeld. Das Sozialmanagement der privaten Wohnungswirtschaft wird ergänzt durch soziale Kontrolle der Polizei

2.5.1 INFRASTRUKTUR UND SOZIALE INTEGRATION

2.5.2 SOZIALMANAGEMENT

G R U N D L A G E N

im öffentlichen Raum, sodass die Zusammenarbeit privater und öffentlicher Akteure ebenfalls einen Aspekt des Sozialmanagements darstellt. Durch die Unterhaltung und Bewirtschaftung, Reinigungs- und Instandsetzungsmaß-nahmen sowie Sanierung und Modernisierung signalisieren Vermieterinnen und Vermieter sowie Wohnungseigentümerinnen und Wohnungseigentümer, dass sie sich um den Raum kümmern (vgl. Atlas et al. 2008: 74ff.).

Bauliche und materielle Aspekte erfüllen auf der dritten isAn-Ebene von

„Architektur und Städtebau“ Präventionsfunktionen im Siedlungsraum. Hier sind Akteure aus den Fachbereichen Design, Architektur, Freiraumplanung und anderen gestaltenden Professionen die handelnden Akteure, die im Auf-trag kommunaler und privatwirtschaftlicher Akteure ihre Dienstleistungen erbringen. Nach dem situativen Präventionsansatz kommt es auf dieser Ebene darauf an, den städtischen Raum so zu gestalten, dass Tatgelegenheiten mini-miert und Angst erzeugende Bereiche planerisch ausgeschlossen werden (vgl.

Lukas 2010; Schubert 2005; 2008). Die Ursprünge dieses Ansatzpunktes rei-chen bis in die 1970er Jahre zurück: Es wurde damals angeregt, nicht nur auf die sozialen Ursachen von Kriminalität – wie Benachteiligung und subkultu-reller Kontext – zu schauen, sondern auch an den Gelegenheiten im Stadtraum anzusetzen (vgl. Jeffery 1971). Den Impuls gaben die hohen Kriminalitäts-raten in Großwohnsiedlungen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus (vgl.

Newman 1972): Es wurde festgestellt, dass die Verantwortungsübernahme von Bewohnerinnen und Bewohnern durch den überdimensionierten Maßstab der Gebäude, wegen der anonymen Unübersichtlichkeit der Bewohnerschaft und wegen der fehlenden räumlichen Gestaltung behindert wird. Auf dieser Grundlage wurden zahlreiche Designempfehlungen für eine kriminalpräven-tive Gestaltung der Stadt abgeleitet (vgl. Alexander et al. 1995; Crowe 2013;

Laboratorio Qualità Urbana e Sicurezza 2007). Zugrunde liegt die Anforderung der Situationskontrolle, die David Garland mit den Worten zusammenfasst:

„Der Präventionssektor befasst sich nicht mit individuellen Tätern, sondern mit kriminogenen Situationen, die so verändert werden sollen, dass sie weniger anfällig für Straftaten und weniger einladend für potenzielle Täter werden“ (Garland 2008: 308).

2.5.3 ARCHITEKTUR UND STÄDTEBAU

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Das Augenmerk wird dabei weniger auf die Integration abweichender Per-sonen (Social Engineering) sondern stärker auf die Umgestaltung städtischer Situationen (Situational Engineering) gerichtet (vgl. Garland 2008: 326). Um die mit einer kriminellen Handlung verbundene Belohnung zu verhindern, verfolgen die Gestaltungsvorschläge das Ziel, den Aufwand für potenzielle Täterinnen und Täter beträchtlich zu erhöhen (vgl. Clarke & Eck 2007). Kern-dimensionen der Gestaltung sind:

eine Robustheit der physischen Barrieren potenzieller Ziele (Tar-get Hardening: zum Beispiel Sicherheitsschloss, Mehrfachverriege-lung der Wohnungstür, widerstandsfähiges Türblatt, vandalismus-resistente Möblierung, Panzerglas),

die Kontrolle des Zugangs zum Objekt (Access Control: zum Beispiel Zaun, Eingangscode, Sprechanlage am Eingang, Beschränkung der Zahl der Eingänge), und

die Ablenkung potenzieller Täter durch städtebauliche oder Be-wirtschaftungsstrategien (Removing or Deflecting Offenders: zum Beispiel Einbahnstraße, eingeschränkte Parkmöglichkeiten, ge-nehmigte Bereiche für Graffiti) (vgl. Atlas et al. 2008).

Weitere Aspekte sind die Erhöhung des Entdeckungsrisikos von potenziellen Täterinnen und Täter durch die formelle Überwachung (zum Beispiel Video-kameras, Polizeistreifen), die Überprüfung von Besucherinnen und Besu-chern (zum Beispiel Personenkontrollen durch Concierge) und die Förderung der informellen Überwachung (zum Beispiel bessere Ausleuchtung am Abend, Ausrichtung der Fenster zum öffentlichen Raum, Belebung des Freiraumes um das Haus herum durch Nutzungsmischung und Standorte von Haltestellen des ÖPNV). Die Tatgelegenheit wird zum Schlüsselbegriff, um Kriminalitäts-risiken im städtischen Kontext zu bewerten. Das Design von Architektur, Wohngebiet und Stadtraum – insgesamt die räumliche Gestaltung – soll das Risiko, durch Kontrollmaßnahmen entdeckt zu werden, steigern und damit die Kosten beziehungsweise den Aufwand einer Straftat erhöhen.

Auf der vierten isaN-Ebene der „Nachbarlichkeit und sozialen Kohäsion“

repräsentieren die Bewohnerinnen und Bewohner selbst die handelnden Akteure. Es ist die Handlungsebene der lokalen Selbstorganisation, Sicher-heit im informellen Zusammenspiel zu erwirken. Die Gemeinwesenarbeit ist bereits in den 1920er bis 1940er Jahren von den Humanökologen der Chi-cago School in den USA als Ansatzpunkt der Kriminalprävention entwickelt worden. Nach kommunitaristischen Prinzipien wird in ausgewählten Gebiet-seinheiten die Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen angeregt, damit die lokale Bewohnerschaft bei der Bestimmung und Umsetzung von Aktivitäten aktiv mitwirken kann. Die Selbstorganisation fördert im Gemein-wesen die informelle soziale Kontrolle; sie kann daher als kriminalpräven-tives Instrument betrachtet werden. Die Stärkung des sozialen Zusammen-halts wird vielfach als Schlüsselstrategie der Kriminalprävention angesehen, wobei an die Collective Efficacy Theorie angeknüpft wird (vgl. Saville &

Cleveland 2003; Sampson 2012). Zugrunde liegt die Rückbesinnung auf Jane Jacobs (vgl. 1961) Anregung, neben der Eyes-on-the-Street-Forderung die Nach-barlichkeit als Kern sicherer Wohnquartiere zu begreifen (vgl. Schubert & Veil 2011b). In den Blickpunkt rücken die Facetten der Nachbarschaftsförderung (Community Building), der nachhaltigen Stadt(teil-) Entwicklung (Sustainable Urban Development), der Partizipation und des Empowerments (vgl. Col-quhoun 2004: 61ff.). Die Förderung des Nachbarschaftszusammenhangs im Quartier soll auf der Grundlage geteilter Wertorientierungen erfolgen, damit Verantwortung für die informelle soziale Kontrolle des öffentlichen Raumes übernommen wird (vgl. Saville & Cleveland 2008: 95ff.). Darüber hinaus soll auch die „Nachbarschafts- und Quartierskultur“ (Community Culture) geför-dert werden, die einerseits die kulturelle Diversität pflegt und andererseits von früheren Generationen gelebte Traditionen wiederbelebt. Dabei sollen die kulturellen Werthaltungen adressiert werden, die den Incivilities und der Kriminalität im Sozialraum zugrunde liegen. Die lokale Kultur wird als Impulsgeber aufgefasst, dass Bewohnerinnen und Bewohner Verantwortung im öffentlichen Raum des Wohnquartiers übernehmen und zur informellen Kontrolle beitragen.

2.5.4 NACHBARLICHKEIT

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Das Konzept der Seniorensicherheitskoordination findet vor allem auf der ersten Isan-Handlungsebene „Infrastruktur und soziale Integration“ statt, soll aber auch einen Beitrag für die vierte isaN-Ebene der „Nachbarlichkeit und sozialen Kohäsion“ leisten. Denn der Fokus liegt auf der (sozial-)pädago-gisch ausgerichteten Prävention, indem Einrichtungen der Sozialen Arbeit und Gemeinwesenarbeit im Wohnquartier kriminalpräventive Maßnahmen für ältere Menschen durchführen. Die sozialen Schutzfaktoren der älteren Bevölkerung werden dadurch gestärkt, sodass Risikozeichen im Gemeinwesen weniger verunsichernd wirken und die Teilhabe der älteren Bewohnerinnen und Bewohner am Alltagsleben im Wohnquartier gefördert wird.

Der Ansatz knüpft an das Konzept der kommunalen Kriminalprävention an, das im angelsächsischen Raum als Community Crime Prevention entwickelt wurde. Es ist nicht nur das Ziel, die Kriminalität zu verringern, sondern auch die Kriminalitätsfurcht – das subjektive Unsicherheitsgefühl – zu redu-zieren. In der kommunalen Kriminalprävention wird eine ressortübergrei-fende Zusammenarbeit und Vernetzung von Polizei, Ordnungsamt, Jugendamt, Sozialamt, Wohnungsunternehmen und anderen Akteuren in der Kommune angestrebt. Aber diese geforderte Kooperation steht teilweise vor Schwierig-keiten. Hemmend wirken die über lange Zeiträume verhärteten Vorbehalte zwischen spezifischen Professionen im kommunalen Raum. Eine dieser kri-tischen Beziehungsachsen betrifft das Verhältnis zwischen Fachkräften der Sozialen Arbeit und der örtlichen Polizei.

GEMEINWESENARBEIT