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Projekte kommunaler Kriminalprävention werden in einer großen Anzahl von Gemeinden durchgeführt; in Nordrhein-Westfalen finden in jeder dritten Kommune solche Maßnahmen statt (vgl. Brand et al. 2003: 3; Braun 2003: 35). Die Themenbereiche sind dabei hauptsächlich auf Kinder und Jugendliche fixiert.

In den meisten Fällen ist – neben Bürgermeisterin beziehungsweise Bürger-meister, Bürger- und Ordnungsamt sowie Polizei – insbesondere das Jugendamt engagiert. Andere Bevölkerungsgruppen fallen in der Regel aus dem Raster der kriminalpräventiven Perspektive heraus. So vorteilhaft die Vernetzung ver-schiedener kommunaler Fachbereiche für die interdisziplinäre Durchführung der Maßnahmen sein mag, so nachteilig ist die Herauslösung aus dem Alltagsge-schäft der Fachbereiche. Kommunale kriminalpräventive Räte koordinieren die Aktivitäten der verschiedenen öffentlichen Instanzen, nutzen Synergieeffekte und verhindern paralleles Arbeiten. Aber oftmals – so lautet die Kritik – sei die kommunale Kriminalprävention zu polizei-, behörden- und institutionenzent-riert und somit weit entfernt von Partizipation und Teilhabe der Menschen in den kommunalen Sozialräumen (vgl. Heinz 2004: 17).

Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, mit Maßnahmen der Kriminalpräven-tion in die kommunalen Sozialräume zu gehen, um den „Gemeinsinn“ der Bür-gerinnen und Bürger zu fördern (ebd.) und insbesondere weitere Zielgruppen

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wie die älteren Menschen anzusprechen, die in der Wahrnehmung von Risiko-zeichen besonders sensibel sind und als Reaktion ihre Teilhabe am öffentlichen Leben einschränken können. Durch den stärkeren Einbezug von Einrichtungen in den Quartieren und Stadtteilen können vor Ort auch die Fachkräfte der Sozi-alen Arbeit für die kommunale Kriminalprävention im Gemeinwesen gewonnen werden. Im Vordergrund steht dabei nicht die Verringerung von Kriminalität, sondern die Stärkung der lokalen Gemeinschaft. In den Worten von Wolfgang Heinz: „Kommunale Kriminalprävention sollte (...) heißen: Hinsehen und selbst Verantwortung übernehmen“ (ebd.: 15).

Um die Partizipation älterer Menschen in ihrem Umfeld stärken sowie sie betreffende Fragen der Kriminalprävention in Einrichtungen des Sozialraums aufgreifen zu können, folgt das Modell der Seniorensicherheitskoordination den beiden Prinzipien der Lebenswelt- und Bedarfsorientierung.

Den Begriff der Lebensweltorientierung entwickelte Hans Thiersch im Kon-zept der „lebensweltorientierten Sozialen Arbeit“ am Ende der 1970er Jahre (vgl. Thiersch 2014). Mit dem Begriff der Lebenswelt werden besonders die Eigenschaften des sozialen Raumes beleuchtet, die nur existent sind, wenn sie von Menschen wahrgenommen werden. Thematisiert wird dabei die Konstitu-tion subjektiver Sinnzusammenhänge im Bewusstsein handelnder Menschen;

das heißt die Bedeutung sozialräumlicher Phänomene wird aus den subjek-tiven Sinnzusammenhängen der sie konstituierenden Handelnden erklärt (vgl. Riege & Schubert 2016: 12). Im Gegensatz zu einer objektivierenden Logik verfolgt der Begriff der Lebenswelt einen Rückbezug auf die Phänomene der alltäglichen Erfahrung (Intentionalität und Sinn) von Menschen in ihrem sozi-okulturellen Wohn- und Lebensumfeld. Es handelt sich um den Raum, wie er individuell oder gruppenspezifisch als je eigener gegeben ist.

Das Konzept der Lebensweltorientierung stellt vor diesem Hintergrund einen sozialpädagogischen Ansatz dar, der nicht auf institutionalisierte Hilfe und Unterstützung fokussiert ist, sondern unmittelbar an den individuellen Pro-blemen im Alltag und im Sozialraum ansetzt (vgl. Thiersch 2014). Im Achten

3.1.1 LEBENSWELTORIENTIERUNG

Jugendbericht (1990) wurde die „Lebensweltorientierung“ zum zentralen Paradigma der Kinder- und Jugendhilfe erhoben und später in alle Felder der Sozialen Arbeit transferiert. Die grundlegenden Komponenten des Konzepts sind erstens die Prävention, um Konflikten und Krisen im Alltag der Menschen vorzubeugen, zweitens die dezentrale Verankerung im Sozialraum, damit die Angebote wohnungsnah in den Einrichtungen vor Ort erbracht werden können, drittens die niedrigschwellige Anknüpfung am Alltagsleben der Men-schen und viertens die ganzheitliche Perspektive auf die Lebensumstände statt sich auf Symptome zu beschränken. Weitere Leitideen sind die Integra-tion in die Stadtgesellschaft und die Ermöglichung der Teilhabe an kommu-nalen Entscheidungen.

Im Konzept der Seniorensicherheitskoordination wird die Lebensweltorientie-rung aufgegriffen, um mit niederschwelligen Maßnahmen der kommunalen Kriminalitätsprävention dezentral im Sozialraum an den Konflikten und Lebensumständen im Alltag von älteren Menschen gezielt ansetzen zu können.

Dadurch soll ihre Integration in die Stadtgesellschaft und die Teilhabe am kommunalen Leben gesichert werden.

Das Prinzip der Bedarfsorientierung ist ein Element der Sozialplanung, das aus dem Sozialstaatsprinzip in § 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) abge-leitet werden kann. Darin wird betont, dass diejenigen Dienste und Einrich-tungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung gestellt werden sollen, die zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit erfor-derlich sind. Grundlegend dafür sind die Bedarfserhebung, der Vergleich mit dem Bestand und die abgeleitete Maßnahmenplanung zur Deckung des Bedarfs, der nicht durch den Bestand erfüllt werden kann (vgl. exemplarisch

§ 80 Abs. 2 SGB VIII). Nur im Rahmen dieses Dreischritts kann ein wirksam aufeinander abgestimmtes (Leistungs-)Angebot gewährleistet werden. Mit diesem Vorgehen können soziale Entwicklungen sowie sich abzeichnende Problemlagen frühzeitig erkannt und darauf mit der Planung angemessener Angebote reagiert werden.

3.1.2 BEDARFSORIENTIERUNG

D A S K O N Z E P T D E R S E N I O R E N S I C H E R H E I T K O O R D I N AT I O N

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Dieses Sozialplanungsverständnis wurde im Handbuch Moderne Sozialpla-nung des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nord-rhein-Westfalen folgendermaßen beschrieben:

Sozialplanung „analysiert die soziale Lage und Entwicklung im Sozi-alraum, in der Kommune und in ihrem Umfeld. (...) Sie entwickelt innovative Produkte und Prozesse mit Blick auf deren Wirkung und den Ressourceneinsatz. (...) Sie ist Grundlage einer ziel- und wir-kungsorientierten Sozialpolitik sowie einer bedarfsgerechten sozialen Infrastruktur.“ (MAIS 2011: 38) In der Definition des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (2011) wird sie als „politisch legitimierte, zielgerichtete Planung zur Beeinflus-sung der Lebenslagen von Menschen, der Verbesserung ihrer Teilhabechancen sowie zur Entwicklung adressaten- und sozialraumbezogener Dienste, Einrich-tungen und SozialleisEinrich-tungen in definierten geografischen Räumen“ dargestellt.

In der sozialen Daseinsvorsorge der Kommunen gibt die Altenhilfeplanung (als operative Fachplanung) im Rahmen der örtlichen Sozialplanung traditionell Impulse für die Seniorenarbeit sowie die Altenhilfe. Die Altenhilfeplanung erkundet die Lebenslagen der älteren Generationen im Sozialraum – zum Bei-spiel im Rahmen der Sozialberichterstattung – und leitet im Planungsprozess aus den empirisch ermittelten Bedarfen konkrete, umsetzbare Maßnahmen ab, die den älteren Menschen eine lange eigenständige Lebensführung ermögli-chen sollen. Da sich die Bedürfnisse in der Generationenabfolge von Kohorte zu Kohorte sukzessiv verändern, besteht die Aufgabe der Altenhilfeplanung auch darin, die soziale Infrastruktur in den verschiedenen fachlichen Feldern gene-rationenspezifisch weiterzuentwickeln (vgl. Dahme & Wohlfahrt 2011: 9ff.) und die Leistungserbringer daran zu beteiligen (vgl. Schubert 2014).

Infolge des generationenbedingten Wandels der Bedarfsstrukturen sind auch die Konzepte der Sozialplanung selbst fortzuschreiben und die Chancen neuer Ansätze zu überprüfen. So wurde Kritik daran geäußert, dass die traditionelle Sozialplanung für ältere Menschen nicht ihre gesamte Lebenssituation berück-sichtigt, sondern auf das sozialpolitische Feld der Altenhilfe enggeführt wird.

Durch diesen eingeschränkten Blickwinkel werden die örtlichen Lebensräume und die Lebenswelten älterer Menschen institutionell zergliedert.

Dem Konzept der Seniorensicherheitskoordination wird die Bedarfsorientie-rung zugrunde gelegt, um die DurchfühBedarfsorientie-rung von Maßnahmen der Kriminal-prävention am Bedarf der älteren Menschen vor Ort auszurichten und in das sozialpolitische Feld der Altenhilfe beziehungsweise Seniorenarbeit mitauf-zunehmen. Dazu ist erstens die Entwicklung der objektiven und subjektiven

Sicherheit in den Sozialräumen der Kommune im Rahmen einer kontinu-ierlichen Sozialberichterstattung abzubilden und es müssen die Folgen für die Teilhabechancen älterer Menschen analysiert werden. Auf dieser Grundlage und im Vergleich mit dem Bestand kriminalpräventiver Maßnahmen ist zwei-tens der Bedarf von sicherheitsfördernden Maßnahmen unter der Perspektive der Adressatinnen und Adressaten in den Sozialräume zu bestimmen. Schließ-lich sollen drittens die lokalen Einrichtungen der Sozialen Arbeit den Bedarf aufgreifen und in Angeboten der Seniorensicherheitskoordination decken.

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