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4. DISKUSSION UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

4.4 Strukturelle Bedingungen und Dynamik von Agrarsubventionen

Mit den vorangehenden Ausführungen wird nicht die hinreichende Erklärung des Umfangs und der Verteilung der Subventionen für die Landwirtschaft behauptet. Es gehört vielmehr zu den politikwissenschaftlich bislang nur unzulänglich behandelten Fragestellungen, wieso ein volkswirtschaftlich eher kleiner und an Bedeutung verlierender Produktionszweig wie die Land­

wirtschaft Ressourcentransfers zu seinen Gunsten organisieren, auf Dauer stellen und sogar ausweiten kann, die von ihrem Umfang her in interessen- und machttheoretischer Perspektive kaum mehr erklärbar sind; denn Subven­

tionen, die über die Bruttowertschöpfung hinausgehen, sollten gesell­

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-schaftspolitisch auf Dauer eigentlich nur geringe Chancen haben. Obwohl z.B. der Kollaps der EG-Agrarmarktordnungen infolge von Finanzierungs­

grenzen in der Vergangenheit bereits mehrfach postuliert wurde, haben sich die EG-Agrarausgaben kontinuierlich ausgeweitet, und es ist keines­

wegs sicher, ob für die gegenwärtige Krise sich nicht die gleiche "Lö­

sung" einstellt. Eine erneute Anhebung des Mehrwertsteueranteils von 1,4 % auf 1,6 % oder gar 1,8 % befindet sich immerhin bereits in der agrarpolitischen Diskussion.

Im folgenden werden auf Strukturebene einige Hinweise gegeben, die die auf Handlungsebene liegende einflußtheoretische Argumentation zur Erklä­

rung von Umfang und Kontinuität der Agrarsubventionen ergänzen und auf tieferliegende Ursachen für deren Stabilität verweisen.

Protektion und Subventionierung der Landwirtschaft sind kein Spezifikum der EG. Sie finden sich mit Ausnahme Neuseelands in mehr oder weniger großem Ausmaß in allen westlichen Industriestaaten. Dieses Faktum erklärt nicht die Agrarsubventionen in der EG, ist aber ein Indiz für die Stärke der strukturellen Verankerung agrarischer Interessen in den meisten Län­

dern. Darüber hinaus vermag es als Rechtfertigungsargument für jeweils eigene (nationale) Subventionen dienen.

Entscheidend für die Stabilisierung des Einflusses von (agrarischen) In­

teressen ist deren Institutionalisierung und damit ihre Verankerung auf Strukturebene. Institutionalisierung meint bekanntlich nicht allein das Auf-Dauer-Stellen durch Verankerung in Organisationen wie Verbände, Agrarbehörden, Landwirtschaftskammern etc., sondern auch durch rechtliche Regelungen und Normen sowie durch Verfestigung auf Bewußtseinsebene in Ideologien und Traditionen, die ihrerseits wiederum durch organisatori­

sche etc. Vorkehrungen abgesichert werden. Mit der Institutionalisierung von Interessenlagen wird diesen auch eine Eigendynamik eingeräumt, die nicht mehr einfach durch Blockierung von Einflüssen und durch gegenläufi­

ge Entscheidungen auf der Handlungsebene einfach aufzufangen ist. Diese

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-Eigendynamik von vested interests muß sich dabei nicht einmal mehr auf die (historisch) zugrundeliegenden Interessenlagen beziehen.

An strukturellen Faktoren, die die Stabilität, Kontinuität und Expansion eines relativ abgeschotteten, versäulten Agrar(politik)sektors stützen, lassen sich insbesondere nennen:

- auf ideologischer Ebene ist die Sonderstellung der Landwirtschaft ("agricultural exceptionalism") aufgrund eines Geflechts verschiedenar­

tiger Leitbilder (z B. Ernährung als Grundbedürfnis, Versorgungssicher­

heit, Naturverbundenheit der Landwirtschaft und Erhaltenswürdigkeit des Lebens auf dem Lande) in den Köpfen meist recht fest verankert. Zu die­

ser soziokulturellen Tradition mögen tiefenpsychologisch noch Schuldge­

fühle und daraus resultierende Kompensationsbedürfnisse hinzukommen, insofern industrielle und urbane Expansion in der Vergangenheit ja we­

nig Rücksicht auf die Landwirtschaft genommen haben.

- Auf politischer Ebene sind in einigen Ländern Traditionen des Exports landwirtschaftlicher Produkte (Niederlande, Frankreich) oder der wahl-entscheidenden Bedeutung der Bauern (BRD, Frankreich) von besonderer Bedeutung , auch wenn der reale Nutzen dieser Traditionen für die Ent­45 scheidungsträger - im Gegensatz zur Landwirtschaft - vielfach fragwür­

dig ist.

- Die vielfältigen Überlagerungen und wechselseitigen Abstimmungen un­

terschiedlicher landwirtschaftlicher Interessen auf Länder-, Produkt- und Einkommensebene haben gerade aufgrund des gemeinsamen

Agrarmark-zn----

---So lassen sich Aktivitäten des Landwirtschaftsministeriums oder Ent­

scheidungen der EG-Kommission nicht mehr ohne weiteres durch Rekurs auf Positionen der Landwirte erklären.

44 Diese Tatsache belegt auch, daß die gesellschaftliche Machtposition der Landwirtschaft keineswegs eine solche ist, die die Höhe der Agrar­

subventionen umstandslos plausibel machen kann.

45 Bekanntlich wird vor nationalen, ja auch regionalen Wahlen auf Ent­

scheidungen auf EG-Ebene verzichtet, die für die Landwirtschaft als nachteilig interpretiert werden.

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-tes zu einem komplexen System von in vielen Aushandelungsprozessen sorgfältig ausbalancierten, jeweils situativ ergänzten und historisch gewachsenen Kompromißlinien, Regelungen und Subventionsverteilungsmu­

stern geführt, das gegenüber externen Änderungsanforderungen empfind­

lich reagiert, die nicht in entsprechenden Bargainingprozessen und Pa­

ketvereinbarungen adaptiert werden. Die schwer abschätzbaren, aber po­

litisch voraussichtlich negativ bewerteten und zugerechneten sozialen Folgewirkungen und agrarpolitischen Konflikte eines durch singuläre (radikale) Eingriffe hervorgerufenen Zusammenbruchs dieses komplexen Systems ist wohl kein Agrarpolitiker bereit zu riskieren. So kann es etwa dazu kommen, daß aufgrund der Finanzierungs- und Distributionsmu­

ster des EG-Haushalts eine Reihe von Mitgliedstaaten auf EG-Ebene sich für eine verstärkte Exportförderung und -Subventionierung stark macht, obwohl diese auf nationaler Ebene volkswirtschaftlich unsinnig wäre, hätten sie diese Länder selbst allein zu finanzieren.

- Eine solche in einer Vielzahl von Verhandlungen und Verordnungen ver­

ankerte Struktur tendiert auch dazu, bei unter Gleichheitsgesichtspunk­

ten legitimen Anforderungen der verstärkten Berücksichtigung neuer Agrarprodukte (EG-Süderweiterung) diese gleichfalls höher zu subventio­

nieren als Subventionen für die bislang bevorzugten Nordprodukte abzu­

bauen.

- Durch die Zuständigkeit des EG-Agrarministerrates für Preisbeschlüsse auf EG-Ebene ohne die eingebaute Randbedingung, Budgetobergrenzen zwin­

gend beachten zu müssen, fehlt das Subventionen limitierende Korrektiv der üblichen Budgetverhandlungen in nationalen Haushaltsberatungen.47

- Da sich explizite Streichungen politisch meist schlechter verkaufen lassen, wird indirekt wirkenden Maßnahmen wie Mitverantwortungsabgaben, spätere Auszahlung von Subventionen, zeitliche oder mengenmäßige Be-75---

7---So sind die Interessen der kleinen italienischen Weinbauern explizit oder implizit - gegenüber denjenigen des ostenglischen Getreideprodu­

zenten oder des dänischen Milchviehbetriebes abzuwägen.

Deshalb sollen die Mitspracherechte der Finanzminister verstärkt wer­

den.

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-grenzung von Interventionen, nominale Preisfestschreibungen leicht der Vorzug gegeben, was wiederum in der Tendenz die Komplexität des Agrar­

systems erhöht und seine Reformierbarkeit reduziert.

- Aufgrund der Vielfalt und Komplexität interner Interdependenzen, die für den externen Betrachter kaum überschaubar sind, werden Mitwirkung und Änderungsvorschläge von von außen kommenden, nicht dem Agrarsektor zuzurechnenden Akteuren wie z.B. Umwelt- oder Verbraucherverbänden strukturell behindert.

Es bleibt angesichts der hier nur angerissenen vielfachen Sicherungsfak­

toren der strukturellen Verankerung einer Sonderstellung der Landwirt­

schaft zu fragen, ob es denn eine Obergrenze für Volumen und Wachstum von Agrarsubventionen gibt und wo diese denn liegen könnte. Sicherlich kann das Subventionsvolumen weder die Größenordnung des entsprechenden Brutto­

sozialprodukts erreichen noch darf es die Belastbarkeit von denjenigen Wirtschaftszweigen überdehnen, die aufgrund ihrer Preis-Kosten-Relationen erst den Ressourcentransfer zulassen, der Subventionen überhaupt ermög­

licht. (Einschränkend ist hier allerdings anzufügen, daß der jeweilige Netto-Ressourcentransfer zwischen Wirtschaftsbereichen davon abhängt, welche Preis-Kosten-Relationen im intersektoralen Vergleich sich ökono-misch herausgebildet haben oder politisch festgelegt wurden. AO Es er­

scheint fraglich, ob ein solcher Punkt bereits erreicht ist mit ca. 2 % Anteil der Agrarsubventionen am Bruttosozialprodukt. Es dürfte vielmehr von der Entwicklung der politischen Kräfteverhältnisse abhängen, ob die derzeitige politisch als Krise perzipierte Situation der "Gemeinsamen"

Agrarpolitik zumindest zu einem Einfrieren des bestehenden Subventionsni­

veaus führen wird.

Welche (Reform der) Agrarpolitik nach welchen agrarpolitischen Leitbil­

dern unter dem Einfluß anderer den Weltagrarmarkt maßgeblich mitbestim­

mender Länder und Faktoren sich zukünftig entwickeln wird, ist eine Fra-

---Eine entsprechend höhere monetäre Bewertung landwirtschaftlicher Pro­

dukte gegenüber z.B. Elektronikgütern könnte dazu führen, daß dem Agrarsektor keine Subventionen mehr zugerechnet werden, indem etwa die Leistung der Bauern als Landschaftspfleger zusätzlich hoch bewertet und abgegolten wird.

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ge, die sicherlich weit über die Analyse der Subventionen für die Land­

wirtschaft und ihrer Bestimmungsgründe hinausgeht. Diese Studie sollte jedoch deutlich machen, daß deren Kenntnis durchaus von zentraler agrar­

politischer Bedeutung ist.

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-5. LITERATUR

In dieser Studie wurde die zitierte Literatur bewußt auf ein Minimum be­

schränkt.

BML (Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten): Agrarbe­

richt der Bundesregierung, laufende Jahrgänge, Bonn.

Buckwell, A.E., et al., 1982: The Costs of the Common Agricultural Pol­

icy, London.

Castle, B., et al., 1985: Reform der gemeinsamen Agrarpolitik. Auswirkun­

gen der sozialistischen Vorschläge, Brüssel.

Conway, A.G., 1986: Prospects for the CAP and its Modification, in: Anfo- ras Taluntais, Agricultural Institute (ed.), The Changing CAP and its Implications, Dublin.

DVS (Deutscher Verbraucherschutzverband), 1983: Die grüne Verschwendung.

Eine agrarpolitische Streitschrift, Wiesbaden.

EG-Kommission, 1985: Perspektiven für die gemeinsame Agrarpolitik, Brüssel.

EG-Kommission: Die Lage der Landwirtschaft in der Gemeinschaft, laufende Jahrgänge, Brüssel.

EG-Kommission: EAGFL-Finanzbericht, laufende Jahrgänge, Brüssel.

Gerken, E., et al., 1985: Subventionsabbau in der Bundesrepublik Deutsch­

land, Düsseldorf.

Hampicke, U., 1987: Ökologische Vorgaben für die Agrarökonomie: Umrisse einer Landwirtschaft ohne Artenvernichtung, IIUG rep (in Vorberei­

tung), Berlin.

Koester, U., E.A. Nuppenau, 1987: Die Einkommenseffizienz staatlicher Ausgaben für die Landwirtschaft, Wirtschaftsdienst II: 68.

Leipert, Ch., 1986: Perspektiven einer ökonomisch-ökologischen Rechnungs­

legung, Ms. Berlin.

Manger, P., 1983: Die regionalen Milchpreisdifferenzen und ihre ökonomi­

sche Bedeutung, Diplomarbeit, TU München.

Münch, R., 1987: Die Kumulation offener und versteckter Verbindlichkeiten im EG-Haushalt, Wirtschaftsdienst II: 97.

Petersen, V., 1984: Die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik - Eine theoretische und empirische Analyse ihrer Grundlagen, Wirkungen und Alternativen, Agrarwirtschaft, Sonderheft 102, Frankfurt.

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-Schäfer, C., 1987: Subventionen - Rohrkrepierer oder Wunderwaffe der Wirtschaftspolitik?, WSI-Mitteilungen 3/87: 150.

Sohn, W., 1984: Versorgungssicherung als Argument in der Agrarpolitik.

BMELF-Schriftenreihe Angewandte Wissenschaft, Heft A 293, Münster- Hiltrup.

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Thoenes, P., 1985: Subventionsströme in der Landwirtschaft der Bundesre­

publik Deutschland, IIUG rep 85-6, Berlin.

Wicke, L., 1986: Die ökologischen Milliarden, München.