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4.3 Regelung von Mehrgrößensystemen im Zustandsraum

4.3.1 Struktureigenschaften

4.3.1.1 Minimalrealisierung

Schon im vorangegangenen Kapitel 4.2 wurde bei den Differentialgleichungen 2. Ord-nung auf die Bedeutung einer Übertragungsfunktion G(s) eingegangen. Bei MIMO-Systemen wird das Übertragungsverhalten durch eine Matrix von Übertragungsfunk-tionen G(s) beschrieben. Möchte man diese Übertragungsmatrix für ein System, wel-ches in der Zustandsraumdarstellung vorliegt, angeben, so kann diese berechnet werden mittels:

G(s) = D+C(sI−A)−1B (4.28) Y(s) = G(s)U(s) (4.29) Umgekehrt ist es auch möglich eine im Laplacebereich vorliegende Übertragungsfunk-tion einer Differentialgleichung 2. Ordnung G(s)in den Zustandsraum zu überführen.

Allerdings muss dann darauf geachtet werden, dass das ermittelte Zustandsraumsys-tem in der Minimalrealisierung vorliegt, d.h. es dürfen durch den Transformations-Algorithmus keine Pole oder Nullstellen „künstlich“ eingeführt worden sein, die sich gegeneinander kürzen, da dieser Pol dann nicht mehr als solcher erkennbar ist und beeinflusst werden kann. Man sagt dann auch, dass solch ein Pol nichtbeobachtbar und nicht steuerbar ist [23].

4.3.1.2 Steuerbarkeit

Die sogenannte „Steuerbarkeit“ einer Strecke gibt Auskunft darüber, ob durch die vorgenommene Platzierung der Aktorik die Strecke überhaupt beeinflusst werden kann.

Im Fall eines unwuchterregten elastischen Rotors macht es z.B. wenig Sinn, genau im Schwingungsknoten einer Eigenform den Aktor anzubringen, da dort angreifende Kräfte ohne Wirkung bleiben.

In der Regelungstechnik ist die „Steuerbarkeit“ folgendermaßen definiert: Mithil-fe des Reglers soll ein Steuervektor u(t) generiert werden, der das System aus dem Anfangszustand x0 in endlicher Zeit in den gewünschten Endzustand xend bringt. Ist dies technisch möglich, so ist das System steuerbar. Zur Überprüfung der Steuerbarkeit wird i.d.R. das Kalman’sche Kriterium der Steuerbarkeit herangezogen. Dieses besagt, dass das System x˙ = Ax+Bu mit konstanten Einträgen in A und B genau dann steuerbar ist, wenn B, AB, . . ., An−1B linear unabhängig sind. Dazu wird die (n, n×p)-Steuerbarkeitsmatrix

QS = B AB A2B . . . An−1B

(4.30) gebildet. Beträgt deren Rang n, so ist das System steuerbar. Die Steuerbarkeit ist eine notwendige Bedingung um das Regelziel zu erreichen[27],[11],[26]. Ein Nachweis für die notwendige Bedingung der Steuerbarkeit und der daraus resultierenden Gleichung (4.30) erfolgt u.a. in [26].

Die Überprüfung der Steuerbarkeit des untersuchten Systems mithilfe dieser

4.3 Regelung von Mehrgrößensystemen im Zustandsraum 42 Steuerbarkeitsbedingung ergab, dass das System steuerbar ist.

Möchte man auch die Frage beantworten, wie gut ein System steuerbar ist, so muss die Gram’sche Steuerbarkeitsmatrix P aufgestellt werden, welche eine Aussage über die Energie der modalen Zustände innerhalb des Systems liefert [30]. Sie ergibt sich aus der Impulsantwort des Systems

x(t) =eAtB (4.31) zu

P= Z

0

eAtBBTeATtdt. (4.32) Die Lösung dieses Integrals ergibt sich aus der sogenannten Ljapunov-Gleichung (siehe auch [26]):

AP+PAT +BBT =0 (4.33)

Eine Singulärwertzerlegung der Gram’schen Steuerbarkeitsmatrix P liefert eine Aussage über die Steuerbarkeit.

Die Gram’sche Steuerbarkeitsmatrix wird im nächsten Unterkapitel für das un-tersuchte System nochmals aufgegriffen.

4.3.1.3 Beobachtbarkeit

Auch die Beobachtbarkeit stellt eine notwendige Bedingung zum Erreichen des Regelziels dar. Zur Veranschaulichung der „Beobachtbarkeit“ dient wiederum ein unwuchterregter elastischer Rotor. Wird der Sensor genau im Bereich des Schwin-gungsknotens einer Eigenfom platziert, dann lässt sich die Rotorschwingung nicht messen, also nicht „beobachten“. Infolgedessen wird auch kein Stellsignal generiert, weil ja als Regelgröße der Weg y(t)=0 gemessen wird und somit das Regelziel scheinbar erreicht wurde.

Die regelungstechnische Definition für „Beobachtbarkeit“ lautet: Ein System ist genau dann beobachtbar, wenn man aus einer Messung y(t) und dem Verlauf einer Stellgröße u(t) in einem endlichen Zeitintervall den gesamten Systemzustand x(t)und somit auch den Anfangszustand x0 rekonstruieren kann [26]. Zur Überprüfung der Be-obachtbarkeit eines Systems nach Kalman muss die (r×n, n)-Beobachtbarkeitsmatrix

QB = C CA CA2 . . . CAn−1

(4.34) auf ihren Rang untersucht werden, welcher ebenfalls den Wert n betragen muss.

Die untersuchte Strecke ist nach dem angegebenen Beobachtbarkeitskriterium beobachtbar.

Auch die Güte der Beobachtbarkeit kann mithilfe der Gram’schen Beobachtbar-keitsmatrix näher untersucht werden. Durch sie wird der Kehrwert der Minimalenergie der modalen Zustandsgrößen beschrieben, welche benötigt wird, um an den

System-4.3 Regelung von Mehrgrößensystemen im Zustandsraum 43 ausgängen Impulse der Größe 1 zu erzeugen [30]. Sie ist analog definiert als:

Q= Z

0

eATtCTCeAtdt. (4.35) Q ergibt sich in dem Fall aus der Ljapunov-Gleichung (Herleitung siehe [26]):

ATQ+QA+CTC=0. (4.36)

Auch hier wird zur Beurteilung der Beobachtbarkeit eine Singulärwertzerlegung durchgeführt.

Zur Beurteilung der Steuer- und Beobachtbarkeit der i-ten Eigenform geben die Hankel-Singulärwerte hi Auskunft, welche aus den Diagonalelementen pii von der Gram’schen SteuerbarkeitsmatrixP und qii von der Gram’schen Beobachtbarkeitsma-trix Q folgendermaßen gebildet werden [30]:

hi =√

piiqii. (4.37)

Die Hankel-Singulärwerte sind ein Maß für den Einfluss eines Zustands auf das Systemverhalten.

Die untersuchte Strecke wurde durch die modale Reduktion auf die ersten bei-den Biegeeigenmobei-den in horizontaler und vertikaler Richtung reduziert und besitzt nur sehr kleine Hankel-Singulärwerte:

Zustand Nr. 1 2 3 4

Singulärwert 0.3993·10−11 0.3686·10−11 0.0034·10−11 0.0032·10−11 Tabelle 4.1: Hankel-Singulärwerte

Das lässt darauf schließen, dass die vorliegende Strecke nur schlecht steuerbar und beobachtbar ist und somit die Regelziele nur schwer realisierbar sind. Sie zeigen jedoch auch, dass der erste Zustand (in der 1. Eigenfrequenz horizontal) noch besser zu regeln ist als der zweite (in der 1. Eigenfrequenz vertikal), da der erste beiden der angegebenen Hankelsingulärwerte für den ersten Mode größer ist als für den zweiten. Auf die weitere Bedeutung der Hankel-Singulärwerte in der verwendeten Regelung wird später noch eingegangen.

4.3.1.4 Spillover

Als „Spillover“ wird die Zunahme der Schwingungsamplituden in den höheren Frequen-zen, welche nicht mehr durch den Regler beeinflusst werden sollen, bezeichnet [36]. So kann unterschieden werden zwischen dem „Control Spillover“, bei dem es zum Spillover kommt, weil durch die Aktorkraft Moden angeregt werden, die bei der Reglersynthese nicht berücksichtigt wurden. Beim „observation spillover“ werden dagegen im geregelten Frequenzbereich auch höherfrequente Schwingungen von den Sensoren gemessen. Die Auswirkungen des Spillovers können fatal sein, wenn durch die Schwingungen gewisse

4.3 Regelung von Mehrgrößensystemen im Zustandsraum 44 Grenzwerte im Bauteil überschritten werden. Als Maßnahme gegen das Auftreten von Spillover schlägt Preumont [36] deshalb u.a. vor, eine sogenannte robuste Regelung, auf welche später noch genauer eingegangen wird, zu verwenden. Weitere mögliche, aber am vorliegenden System nicht umsetzbare oder garantiert erfolreiche Maßnahmen zur Vermeidung des Spillovers sind [36]:

· Verwendung modaler Filter (entfällt da Anzahl der Aktoren gleich der Anzahl der Sensoren entsprechen muss)

· direktes Feedback mittels Kollokation (entfällt wegen fehlender Kollokation)

· Verwendung von Tiefpassfiltern (führt nicht immer zum gewünschten Regelerfolg) Die robuste Regelung wird zur Vermeidung des Spillovers im Rahmen dieser Arbeit untersucht. Vergleichsweise wird aber auch der später eingeführte und näher erläuterte optimale Regler auf seine Robustheitseigenschaften untersucht, da diese meist auch sehr gut sind [26].

4.3.1.5 Stabilität

Der Begriff „Stabilität“ ist bereits mehrfach im Rahmen dieser Arbeit gefallen. Grund-sätzlich müssen dazu die Eigenwerte eines Systems betrachtet werden. Auch bei Syste-men im Zustandsraum müssen zur Untersuchung der Zustandsstabilität die Eigenwerte der SystemmatrixAbetrachtet werden. In der untersuchten Strecke lautet die System-matrix:

A=

0 0

−ω02 2ξω0

(4.38) Besitzt das System

˙

x=Ax (4.39)

Eigenwerte in der linken Halbebene des Pol-Nullstellen-Diagramms, also Eigenwerte mit negativem Realteil, so ist dieses stabil. Verschwindet der Realteil bei mehrfachen Eigenwerten und liegen alle anderen Eigenwerte in der linken Halbebene oder existieren einfache Eigenwerte auf der imaginären Achse, so ist das System (grenz-)stabil, wenn zu den mehrfachen Eigenwerten ihrer Vielfachheit entsprechend linear unabhängige Eigenwerte angegeben werden können [26]. Die Berechnung der Eigenwerte λ erfolgt mithilfe der charakteristischen Gleichung

det(λI−A) = 0. (4.40)

Die Eigenwerte der untersuchten reduzierten Strecke liegen im Pol-Nullstellen-Diagramm in der linken Halbebene, also ist sie stabil.

Es gibt neben der Bestimmung von Pol- und Nullstellen auch zahlreiche andere Möglichkeiten, die Stabilität von Regelkreisen zu bestimmen. Es soll an dieser Stelle noch die Überprüfung des vereinfachten Nyquistkriteriums erwähnt werden, da dieses auch bei der robusten Regelung wieder aufgegriffen wird. Dieses geht von der Ortskurvendarstellung des offenen Regelkreises im Pol-Nullstellen-Diagramm aus und

4.3 Regelung von Mehrgrößensystemen im Zustandsraum 45 besagt, dass der geschlossene Regelkreis eines SISO-Systems nur dann stabil ist, wenn der kritische Punkt Pkrit = (−1,0)beim Durchlaufen der Ortskurve mit wachsendem ω links von der Ortskurve liegt [27]:

Abbildung 4.7: Ortskurven des offenen Regelkreises [27]

Bei MIMO-Systemen gilt enstprechend: wenn der offene Regelkreis eines Mehrgrö-ßensystems mit der Übertragungsmatrix L = GK mit der Übertragungsfunktion der Strecke G und des Reglers K m Pole auf oder rechts der imaginären Achse besitzt, so ist der geschlossene Regelkreis genau dann asymptotisch stabil, wenn die Nyquist-Ortskurve von det(I+L(jω)) = |I+L(jω)| bei ω = 0...∞ nicht durch den Ursprung läuft und die Phasendrehung der Nyquist-Ortskurve mπ beträgt [43].

Auch bei der Überprüfung der robusten Stabilität, welche für geschlossene Re-gelkreise mit unsicheren Strecken durchzuführen ist, wird auf die Überprüfung mithilfe des vereinfachten Nyqusitkriteriums zurückgegriffen. Auf sie wird später noch näher eingegangen.