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7. Ziele, Methoden und Ergebnisse der Einzelstudien

7.1 Methodisches Vorgehen der Einzelstudien

7.1.1 Stichprobe

Insgesamt nahmen an der DELKO-Studie 479 Jugendliche (44.9% weiblich) der 9. Klassen-stufe aus 20 Schulen in verschiedenen Bundesländern teil. Das mittlere Alter lag bei 16;1

Jah-ren (s = 0.77 Jahre). Aufgrund des Fokus der DELKO-Studie auf Schülerinnen und Schüler mit schwach ausgeprägten Lesekompetenzen wurden für die Teilnahme staatliche Haupt-, Real- oder Gesamtschulen in Ballungsgebieten ausgewählt, bei denen ein hoher Anteil an Jugendlichen mit schwachen Lesekompetenzen zu erwarten war. Zudem wurden vorrangig Schulen mit einem hohen Anteil (> 40%) von Schülerinnen und Schülern mit Zu-wanderungshintergrund sowie einem Anteil von mind. 15% an Schülerinnen und Schülern mit türkischer Herkunftssprache in die Stichprobe aufgenommen. Um abschätzen zu können, in-wiefern eventuelle Unterschiede in der Ausprägung und dem Zusammenspiel von Prädiktoren des Hörverstehens zwischen türkisch-deutschsprachigen und deutschsprachigen Schülerinnen und Schülern auf die spezifische Herkunftssprache zurückzuführen sind, wurde zusätzlich zur Gruppe von L2-Jugendlichen mit türkischer Herkunftssprache (L2Türk) eine weitere L2-Gruppe mit einer anderen Herkunftssprache als Türkisch untersucht (L2Andere). Die Herkunfts-sprache wurde dabei anhand eines Items im Schülerfragebogen erfasst („Welche Sprache hast du in deiner Familie zuerst gelernt?“). Auf Basis dieses Vorgehens wurden 179 (37,4%) der Jugendlichen als L1-Schülerinnen und -Schüler identifiziert, 186 (38,8%) Schülerinnen und Schüler als L2-Jugendliche mit türkischer Herkunftssprache (L2Türk) und 114 (23,8%) der Schülerinnen und Schüler als L2-Jugendliche mit einer anderen Herkunftssprache als Tür-kisch (L2Andere). Innerhalb der L2Andere-Gruppe waren die häufigsten von den Jugendlichen genannten Erstsprachen Italienisch (11,4%), Arabisch (11,4%) und Polnisch (9,6%).

In beiden L2-Gruppen gab die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler an, in Deutsch-land geboren worden zu sein, aber im AusDeutsch-land geborene Eltern zu haben (86% für L2Türk und 61% für L2Andere) und somit zur zweiten Zuwanderergeneration zu gehören (vgl. OECD, 2010). Der entsprechende Prozentsatz war in der Gruppe der L2Andere-Jugendlichen geringer ausgeprägt als in der Gruppe der L2Türk-Jugendlichen (χ2(1) = 20.73, p = <.01; ϕ = .29), d. h.

bei den L2Andere-Jugendlichen gaben mehr Schülerinnen und Schüler an, selbst nach Deutsch-land zugewandert zu sein und somit der ersten Zuwanderergeneration anzugehören als in der Gruppe der L2Türk-Jugendlichen. Der Anteil von Schülerinnen und Schülern, die die deutsche Sprache vor dem Schuleintritt (mit 6 Jahren) erworben hatten, unterschied sich zwischen den beiden L2-Gruppen allerdings nicht: Sowohl L2Türk-Jugendliche als auch L2Andere-Jugendliche gaben zum überwiegenden Teil an, bereits vor der Einschulung die deutsche Sprache erlernt zu haben (93% bzw. 87 %; χ2(1) = 3.39, p = .34, ϕ = .14). Hinsichtlich der Unterstützung der L2-Schülerinnen und -Schüler beim Erwerb schulischer Kompetenzen berichteten 51% der teilnehmenden Schulen, Förderunterricht für alle L1- und L2-Schülerinnen und -Schüler mit entsprechendem Bedarf anzubieten. 41% der Schulen boten Vorbereitungsklassen für

L2-Ziele, Methoden und Ergebnisse der Einzelstudien 50 Schülerinnen und -Schüler an, aber nur eine der zwanzig teilnehmenden Schulen bot muttersprachlichen Unterricht an. Insgesamt 35% der Schulen berichteten, L2Schülerinnen und -Schüler in Klassen mit einer geringeren Klassenstärke zu beschulen als L1--Schülerinnen und Schüler.

Tabelle 1.

Mittleres Alter und mittlere kognitive Grundfähigkeiten für die in der DELKO-Studie betrachteten Sprachgruppen

L1Deutsch

(n=179) M (SD)

L2Türk

(n=186) M (SD)

L2Andere

(n=114) M (SD)

F p η2

Alter in Jahren 16.01(0.75) 16.04 (0.77) 16.14 (0.81) 0.98 .38 .00 kognitive Grundfähigkeiten

(z-Werte) 0.11 (0.98) -0.13 (1.01) 0.07 (0.99) 2.49 .09 .01 Die drei in den vorliegenden Studien betrachteten Schülergruppen unterschieden sich in ihrer Geschlechterzusammensetzung nicht voneinander (χ2= 1.13; p = .57). Auch in Bezug auf das mittlere Alter fanden sich keine Sprachgruppenunterschiede (vgl. Tabelle 1). Zur Er-fassung der kognitiven Grundfähigkeiten der Schülerinnen und Schüler wurde in der DELKO-Studie der Subtest N2 der revidierten Fassung des Kognitiven Fähigkeitstest für 4. bis 12.

Klassen (KFT 4-12+R; Heller & Perleth, 2000) eingesetzt, der das Erkennen figuraler Analo-gien erfordert. Für die kognitiven Grundfähigkeiten ergab sich zwar ein kleiner Effekt des Sprachhintergrunds, allerdings ist die entsprechende Differenz in den kognitiven Grund-fähigkeiten der Sprachgruppen nicht signifikant (vgl. Tabelle 1).

Der sozioökonomische Hintergrund der Schülerinnen und Schüler wurde mittels des auch in den PISA-Studien verwendeten Index des ökonomischen, sozialen und kulturellen Status (ESCS; vgl. OECD, 2006) erfasst. Für die DELKO-Studie wurde der ESCS anhand des Mittelwerts der OECD-Population zentriert und an deren Standardabweichung standardisiert.

Es zeigte sich, dass alle Schülerinnen und Schüler der Stichprobe aus Familien mit einem ge-ringen sozioökonomischen Status stammten. Der Mittelwert des ESCS lag mit M = -0.63 (s = 0.92) mehr als eine halbe Standardabweichung unter dem deutschen Durchschnitt in der PISA 2009-Studie (OECD, 2010). Zwischen den Sprachgruppen fanden sich dabei signifikante Un-terschiede in der Ausprägung des ESCS (F(2; 363) = 12.09; p < .01; η2 = .06): L2Türk -Schülerinnen und -Schüler (M = -0.86; s = 0.92)kamen aus Familien mit einem geringeren sozioökonomischen Status als L1-Schülerinnen und -Schüler (M = -0.43; s = 0.79) und

L2Andere-Jugendliche (M = -0.62; s = 0.85). Der ESCS unterschied sich zwischen L1- und L2Andere-Jugendlichen nicht (F(1; 218) = 3.27; p = .07; η2 = .01.)

7.1.2 Teilstudie 1: Prädiktoren des Hörverstehens bei Jugendlichen deut-scher und Jugendlichen nichtdeutdeut-scher Herkunftssprache (Marx &

Roick, 2012)

Das Ziel von Teilstudie 1 bestand in einer Überprüfung der Effekte sprachlicher Prädiktoren auf die Hörverstehensleistung bei Jugendlichen unterschiedlicher Herkunftssprache. Ausge-hend von der Annahme, dass Hörende in einer Zweitsprache im Vergleich zu L1-Hörenden in verstärktem Maße auf bottom-up basierte Verarbeitungsstrategien zurückgreifen, sollten Ef-fekte basaler sprachlicher Prädiktoren auf das Hörverstehen in einer Erst- bzw. Zweitsprache vertiefend untersucht werden. In das Modell des Hörverstehens aufgenommen wurden dabei einerseits auf Ebene der wahrnehmungsbasierten Verarbeitung die phonologische Bewusst-heit, sowie andererseits die morpho-syntaktischen Kenntnisse auf der Ebene des Parsings.

Weiterhin gingen das Arbeitsgedächtnis und der Wortschatz ein, die den Hörverstehenspro-zess sowohl auf der wahrnehmungsbasierten Ebene als auch auf der Ebene des Parsing beein-flussen (vgl. Abbildung 4).

Abbildung 4. Modell des Hörverstehens und seiner Prädiktoren, angelehnt an Anderson (1995) bzw. Kintsch und van Dijk (1978)

Ziele, Methoden und Ergebnisse der Einzelstudien 52 In Teilstudie 1 wurden folgende Forschungsfragen untersucht:

1.1 Unterscheidet sich die Ausprägung linguistischer Prädiktoren des Hörverstehens zwi-schen L1- und L2-Schülerinnen und -Schülern?

Ausgehend von der time-on-task-Hypothese ist zu vermuten, dass L2-Schülerinnen und -Schüler aufgrund des häufig geringeren Sprachkontakts zur Zweitsprache über geringe-re sprachliche Fähigkeiten verfügen als L1-Jugendliche (vgl. Gathercole, 2002). Auf Basis dieser Hypothese sowie bisheriger empirischer Befunde aus Studien mit jüngeren Schülerinnen und Schülern (z. B. Bruck & Genesee, 1995; Haag et al., 2012; Kieffer &

Vukovic, 2013; Verhoeven, 1990) wurde angenommen, dass L2-Jugendliche auch ge-gen Ende ihrer schulischen Ausbildung schwächere Leistunge-gen im Hörverstehen, dem Wortschatz sowie den morpho-syntaktischen Fähigkeiten aufweisen als L1-Jugendliche.

Für die phonologische Bewusstheit wurden keine Gruppenunterschiede angenommen, da diese als Aspekt metasprachlicher Bewusstheit durch den Kontakt zu mehreren Spra-chen nicht beeinträchtigt werden sollte (Bialystok, 2009; Bruck & Genesee, 1995).

Ausgehend von Befunden, die darauf hindeuten, dass die Arbeitsgedächtniskapazität in einer Erst- bzw. Zweitsprache ähnlich ausgeprägt ist, sofern sprachfreies Material zur Erfassung der Arbeitsgedächtniskapazität verwendet wird (vgl. z. B. Olsthoorn et al., 2012), wurden für diesen Prädiktor des Hörverstehens ebenfalls keine differenziellen Leistungen der L1- bzw. L2-Schülerinnen und -Schüler erwartet.

1.2 Unterscheiden sich die Effekte linguistischer Prädiktoren des Hörverstehens auf die Hörverstehensleistung in einer Erst- bzw. Zweitsprache?

Da die Identifizierung von einzelnen Wörtern im Sprachfluss für L2-Lernende eine grö-ßere Hürde darstellen sollte als in einer Erstsprache (vgl. z. B. Stæhr, 2009), wurden be-sonders starke Effekte des Wortschatzes und der phonologischen Bewusstheit auf das Hörverstehen in einer Zweitsprache erwartet. Für das Arbeitsgedächtnis wurde für die L2-Jugendlichen ebenfalls ein im Vergleich zu den L1-Jugendlichen stärkerer Effekt auf die Hörverstehensleistung angenommen, der sich daraus ergibt, dass L2-Lernende auf-grund ihrer schwächeren sprachlichen Fähigkeiten dem linguistischen Gehalt einer Hör-botschaft verstärkt Aufmerksamkeit widmen müssen (Anderson, & Lynch, 1988; Færch

& Kasper, 1986; Rost, 2011; Voss, 1984). Aus theoretischer Sicht besteht keine Veran-lassung zur Annahme differenzieller Effekte der morpho-syntaktischen Kenntnisse auf das Hörverstehen in einer Erst- bzw. Zweitsprache. Ausgehend von Befunden, die für Grundschülerinnen und -schüler bzw. Lernende in den frühen Phasen des L2-Erwerbs darauf hindeuten, dass den morpho-syntaktischen Kenntnissen in einer Zweitsprache

keine besonders ausgeprägte Rolle für die Hörverstehensleistung zukommt (z. B. Droop

& Verhoeven, 2003; Felser & Clahsen, 2009), wird allerdings angenommen, dass der entsprechende Zusammenhang bei L2-Jugendlichen geringer ausfällt als bei L1-Jugendlichen.

An Teilstudie 1 nahmen alle 479 Schülerinnen und Schüler der DELKO-Stichprobe teil (vgl. Kapitel 7.1.1). Die Überprüfung der Hörverstehenskompetenzen erfolgte mittels eines computerbasierteren Tests zur Erfassung basaler Hörverstehensfähigkeiten bei Jugendlichen, der im Rahmen der DELKO-Studie entwickelt worden war (α = .78). Die phonologische Be-wusstheit der Schülerinnen und Schüler wurde anhand computerbasierter Skalen zur Erfassung der Fähigkeit zur Lautkategorisierung (11 Items,  =.71) bzw. der Vokallängen-bestimmung (15 Items,  =.77) operationalisiert. Für die Überprüfung der morpho-syntaktischen Kenntnisse wurde ein computergestütztes Verfahren mit Unterskalen zur Erfas-sung der syntaktischen Bewusstheit (22 Items,  = .68) sowie der morphologischen Bewusst-heit (25 Items;  = .83.) entwickelt. Die Arbeitsgedächtniskapazität wurde anhand von visuel-len Ziffernspannen überprüft, die als sprachfreies Maß kulturell fair sind (Olsthoorn, Andringa, & Hulstijn, 2012). Die Leistung der phonologischen Schleife wurde mittels Ziffern-spannen vorwärts erfasst, zur Erhebung der zentral-exekutiven Funktion des Arbeitsgedächt-nisses wurden Ziffernspannen rückwärts eingesetzt. Die interne Konsistenz der Ziffernspan-nen lag bei α = .66 für die VorwärtsspanZiffernspan-nen und α = .84 für die Rückwärts-spanZiffernspan-nen. Die bei-den Spannenmaße korrelierten mit r = .44 (p < .01). Die Überprüfung der Wortschatzkennt-nisse erfolgte anhand der Wortschatzerweiterung des Grundintelligenztests Skala 2 (CFT 20 R-WS; Weiß, 2006). Der anhand des ESCS operationalisierte sozio-ökonomische Status der Schülerinnen und Schüler ging als manifeste Kovariate in die Analysen ein.

Die Überprüfung der Fragestellungen erfolgte anhand eines strukturanalytischen Mehr-gruppenmodells, in dem die Variablen auf latenter Ebene modelliert wurden. Zur Schätzung der latenten Variablen wurden je Konstrukt zwei Indikatoren über eine odd-even Item-Parcelung gebildet und auf Gleichheit der Residualvarianz restringiert. Für die Schätzung der Modellparameter wurde ein Maximum Likelihood-Schätzer verwendet.

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