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4.3 Sexueller Kindesmissbrauch

4.3.3 Statistische Angaben, medizinischer und sozialer Hintergrund

Nur 18,7% der untersuchten Geschädigten waren Jungen. In der Literatur (8, 27, 39, 88, 90-94) wird der Anteil männlicher Kinder bei klinisch-forensischen Untersuchungen mit Verdacht auf einen sexuellen Kindesmissbrauch mit 9% - 22% angegeben. Laut der polizeiliche Kriminalstatistik (10) lag der Anteil männlicher Geschädigter im Jahr 2007

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sogar bei 25,1%. Dabei muss jedoch bei Jungen eine hohe Dunkelziffer angenommen werden. So ist bekannt, dass diese ihren Missbrauch seltener berichten als Mädchen.

Gründe hierfür sind die Angst vor Vergeltung, das soziale Stigma gegenüber homosexuellem Verhalten und der Wunsch selbstsicher zu erscheinen (95, 96). Es ist letztlich wichtig, auch Jungen als potentielle Opfer sexueller Gewalt wahrzunehmen.

Das Alter der untersuchten Kinder reichte von einem Jahr bis zu 18 Jahren mit einem Mittelwert von 8,7 Jahren. Bei anderen Studien (39, 91, 92) lag das mittlere Alter mit neun bis 10,1 Jahren etwas höher, wobei in diesen Studien Geschädigte bis zu einem Alter von 16 bzw. 17 Jahren eingeschlossen worden sind. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass es sich hierbei um das Alter zum Untersuchungszeitpunkt gehandelt hat. Da die Zeitspanne bis zur Untersuchung z.T. Jahre betragen hat (s. 3.3.3, S. 47), muss das Alter zum Zeitpunkt des ersten Missbrauchs als jünger angenommen werden. In der Literatur (33) wird davon ausgegangen, dass der Missbrauch in 50% - 60% der Fälle im Vorschulalter beginnt. Im eigenen Untersuchungsgut wurden demgegenüber nur 25 Kinder (27,5%) im Alter von bis zu fünf Jahren untersucht. Ein Grund für diese Diskrepanz kann darin liegen, dass kleinere Kinder gerade bei innerfamiliärem Missbrauch aufgrund ihrer Abhängigkeit nicht in der Lage sind, einen Missbrauch zu offenbaren. Erst mit dem Eintritt in die Schule und zunehmenden außerfamiliären Kontakten bieten sich neue Möglichkeiten der Mitteilung an andere Personen (20).

Die sieben untersuchten Beschuldigten waren alle männlich. Dabei wird in der Literatur (33) ein Anteil von insgesamt ca. 6% - 10% weiblichen Tätern angegeben und bei Jungen als Opfer sollen bis zu 20% - 30% der Missbräuche durch weibliche Täter begangen werden. Die Tatverdächtigen zeigten eine Altersverteilung von 15 - 71 Jahren mit einem Mittelwert von 26,6 Jahren. In der Literatur (22, 27, 97) finden sich entsprechend mittlere Werte des Alters von 22 – 36 Jahren. Ein Viertel bis zu einem Drittel der männlichen Beschuldigten sollen Jugendliche sein (9). Entsprechend gab die polizeiliche Kriminalstatistik (10) im Jahr 2007 einen Anteil minderjähriger Täter von 25,5% an. Im eigenen Untersuchungsgut lag der Anteil Minderjähriger unter den Tatverdächtigen sogar bei 42,9%.

Es ist bekannt, dass die Inzidenz von sexuellem Missbrauch unter Personen mit Behinderungen signifikant höher ist als in der restlichen Bevölkerung (9), was

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vorliegend auch bei Sexualdelikten mit Geschädigten im Alter ab 14 Jahren gezeigt werden konnte (s. 4.2.2, S. 70). Bei Kindern haben Studien (9) ergeben, dass eine Behinderung das Risiko Opfer eines sexuellen Missbrauchs zu werden um das 1,8-fache erhöht. Im eigenen Untersuchungsgut fanden sich fünf Kinder (5,5%), die geistig behindert oder eingeschränkt waren. Edgardh et al. (98) berichteten bei einer Studie mit 94 Mädchen von vier Opfern mit Behinderungen. Die Problematik des gehäuften Missbrauchs dieser Kinder wird noch dadurch verstärkt, dass diese Geschädigten oftmals nicht in der Lage sind, den Missbrauch mitzuteilen, und dass somit nur Verhaltensauffälligkeiten oder körperliche Befunde zu dem Verdacht eines Missbrauchs führen können. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass den Erzählungen behinderter oder geistig eingeschränkter Kinder nicht geglaubt und dem Vorwurf des Missbrauchs nicht weiter nachgegangen wird (9).

Auch der soziale Hintergrund der Kinder scheint einen Einfluss auf die Prävalenz des sexuellen Missbrauchs zu haben. So lebten vier Kinder (4,4%) zum Untersuchungszeitpunkt in einer Pflegefamilie und drei (3,3%) in einem Heim bzw.

einer Wohngruppe. Bei zwei Kindern (2,2%) war die Herkunft aus einer strukturschwachen Familie bekannt. Bei Saint-Martin et al. (8) lebten sogar 10,5% der geschädigten Kinder in einer Pflegefamilie und 6% in einem Heim. Andere Studien (22, 95) ergaben, dass missbrauchte Kinder oftmals geschiedene oder getrennt lebende Eltern hatten, gehäuft elterlichen Konflikten und Wiederverheiratungen sowie gehäuftem Alkohol-Missbrauch und kriminellem Verhalten der Eltern ausgesetzt waren. Somit scheint auch die Herkunft aus einer strukturschwachen Familie einen Risikofaktor für einen sexuellen Kindesmissbrauch darzustellen. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese strukturschwachen Familien besonders im Blickpunkt der Gesellschaft stehen, was eine vermehrte Aufdeckung von Missbrauchsfällen in diesen sozialen Schichten bedingen kann. Der soziale Hintergrund der Fälle, die sich im Dunkelfeld ereignen, kann nur schwer eingeschätzt werden.

90 4 Diskussion 4.3.4 Zeitspanne bis zur Untersuchung

Die Notwendigkeit einer möglichst kurzen Zeitspanne zwischen dem Delikt und der Untersuchung wurde bereits im Hinblick auf Sexualdelikte mit jugendlichen bzw.

erwachsenen Opfern herausgearbeitet. Die Geschädigten eines sexuellen Kindesmissbrauchs wurden in 30,8% der Fälle innerhalb von 24 Stunden untersucht.

Insgesamt 40,7% der Begutachtungen konnten innerhalb von 72 Stunden durchgeführt werden. Bei Eisenmenger et al. (49) wurden nur 16% der Kinder innerhalb von 24 Stunden untersucht. Studien anderer Autoren (8, 91, 99) ergaben einen Anteil von 18%

- 74,6% der Geschädigten, die innerhalb von 72 Stunden begutachtet wurden. Die Mehrheit der Kinder im eigenen Untersuchungsgut (59,3%) stellten sich jedoch erst mehr als drei Tage bis zu acht Jahre nach dem letzten Missbrauch zu einer Untersuchung vor. Möglichkeiten zur Verkürzung des oftmals verlängerten Vorstellungszeitraumes bestehen in einer den Kindern und ihren Angehörigen einfach zugänglichen forensischen Untersuchung zur Abklärung der Diagnose ohne vorherige Einschaltung der Polizei. Eine solche Begutachtungsbeauftragung findet bereits in Form von Konsiliaruntersuchungen für andere Fachdisziplinen statt, ist jedoch weiter ausbaufähig und sollte auf jeden Fall auch den ambulant tätigen Kinderärzten zur Verfügung stehen.

Die Untersuchung der Beschuldigten erfolgte in 85,7% der Fälle innerhalb von 24 Stunden, was an dieser Stelle erneut die gute Zusammenarbeit mit den polizeilichen Ermittlungsbehörden verdeutlicht.