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In 24 Fällen (26,4%) ist der erste Verdacht auf einen sexuellen Missbrauch dadurch aufgekommen, dass Familienmitglieder des Opfers Verletzungen oder ein auffälliges Verhalten bemerkt hatten. In 19 Fällen (20,9%) entstand der Verdacht auf einen sexuellen Missbrauch, da sich die betroffenen Kinder Familienmitgliedern oder Bekannten anvertraut hatten. Fünf Kinder (5,5%) sind in der Schule oder im Kindergarten durch Verletzungen oder ein sonderbares Verhalten aufgefallen. In weiteren fünf Fällen (5,5%) hat sich die geschädigte Person selbst bei der Polizei gemeldet und Anzeige erstattet, wobei die Betroffenen in diesen Fällen nie jünger als zwölf Jahre waren mit einem Mittelwert des Alters von 14,4 Jahren zum Zeitpunkt der Anzeigenerstattung. Insgesamt war in zehn Fällen (11,0%) eine Institution (Jugendamt, Kindergarten, Schule, Polizei) Initiator einer weiteren Verfolgung des Falles. In jeweils drei Fällen (3,3%) wurde die Tat beobachtet bzw. auffällige Verletzungen des Kindes wurden von Fremden bemerkt und gemeldet. In einem Fall war der Verdacht in einem Krankenhaus aufgekommen.

51 3 Ergebnisteil

3.3.4.3.2 Tageszeitliche Verteilung

Nachts im Zeitraum von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr ereigneten sich elf Missbrauchsfälle (12,1%). Tagsüber im Zeitraum von 8:00 Uhr bis 16:00 Uhr fanden ebenfalls elf Delikte statt (12,1%). Eine leichte Häufung von Fällen lag in den sieben Stunden vom späten Nachmittag um 16:00 Uhr, über den Abend bis in die frühe Nacht um 23:00 Uhr vor mit 15 Fällen (16,5%). In 61 Fällen (67,0%) war die Tageszeit des Deliktes unklar.

3.3.4.4 Wiederholungsdelikte

Laut Angaben der Geschädigten oder sonstiger Personen handelte es sich in 30 Fällen (33,0%) um eine Wiederholungstat. In 61 Fällen (67,0%) war es einmalig zu einem sexuellen Kindesmissbrauch gekommen.

In den 30 Fällen, bei denen eine Wiederholungstat vorlag, wurde in 22 Fällen (75,9%) ein Familienmitglied und in fünf Fällen (17,2%) eine andere nähere Bekanntschaft beschuldigt.

Tabelle 25: Täter-Opfer-Beziehung bei Wiederholungsdelikten und Erstdelikten eines sexuellen Kindesmissbrauchs (n=91)

ja nein

Familienmitglied 22 20 42

Andere nähere Bekanntschaft 5 17 22

Flüchtige Bekanntschaft 2 12 14

Fremdtäter 4 4

Partnerbeziehung 3 3

Beziehungsstatus unbekannt 1 5 6

Gesamtzahl 30 61 91

Wiederholungsdelikt

Täter-Opfer-Beziehung Gesamtzahl

53 3 Ergebnisteil

3.3.4.5 Art der Gewaltanwendung

In Tabelle 27 ist die Art der sexuellen Gewaltanwendung dargestellt, die von den untersuchten Geschädigten angegeben wurde.

Tabelle 27: Missbrauchsformen bei sexuellem Kindesmissbrauch; Mehrfachnennungen (n=91)

In der Vorgeschichte wurde von 26 Mädchen (35,1%) ein penil-vaginaler Missbrauch beschrieben. Dabei berichteten 18 Geschädigte (24,3%) eine penil-vagile Penetration und zwei Kinder (2,7%) eine versuchte Penetration. In sechs Fällen (8,1%) war unklar, ob es zu einem Eindringen gekommen war. Zusätzlich wurde in zehn Fällen (13,5%) ein teils fraglicher ungeschützter vaginaler Samenerguss angegeben. 19 Kinder (20,9%) beschrieben einen penil-analen Missbrauch und zwei (2,2%) einen analen Missbrauch mit einem Gegenstand. Dabei gaben 14 Kinder (15,4%) eine anale Penetration durch einen Penis oder Gegenstand an und in sieben Fällen (7,7%) bestand der Verdacht auf ein peniles oder mittels Gegenstand verübtes anales Eindringen. Zusätzlich wurde von zwei Kindern (2,2%) ein fraglicher analer Samenerguss berichtet. Die Geschädigten, die einen möglichen Samenerguss angaben, hatten ein Alter von sieben bis 15 Jahren mit einem Mittelwert von 12,2 Jahren.

Bei drei Kindern (3,3%) wurde ein orales Einführen eines Penis dokumentiert, wobei in allen drei Fällen unklar war, ob ein Samenerguss stattgefunden hatte. Eine digitale vaginale Manipulation wurde von 17 Mädchen (23,0%) beschrieben, wobei es in 14 Fällen (18,9%) laut Angaben der Geschädigten zu einem Eindringen mit dem Finger gekommen war. In drei Fällen (4,1%) war eine digitale Penetration unklar. Anal gaben acht Kinder (8,8%) eine digitale Berührung an, wobei in sieben Fällen (7,7%) ein

54 3 Ergebnisteil

von Küssen oder Berührung berichtet. Bei 27 Kindern (29,7%) war die Art des sexuellen Missbrauchs zum Untersuchungszeitpunkt unklar.

Zusätzlich zur sexuellen Gewaltanwendung soll es in drei Fällen (3,3%) zur Anwendung stumpfer Gewalt gekommen sein. In einem einzigen Fall (1,1%) wurde auch scharfe Gewalt mit Hilfe eines Messers angewandt. Es handelte sich dabei um ein zwölf-jähriges Mädchen, das wiederholt von ihrem Onkel missbraucht worden war. Bei diesem Mädchen war es im Rahmen des Missbrauchs zusätzlich auch noch zu einer Beibringung von Brandverletzungen durch eine Zigarette gekommen. Jeweils ein Opfer gab an im Rahmen der Tat gebissen worden zu sein bzw. Tabletten vom Täter eingeflößt bekommen zu haben. Darüber hinaus hat sich ein Mädchen nach der Tat selbst mit dem Tragegurt einer Handtasche gedrosselt, wobei unklar ist, ob dies mutwillig oder durch einen Unfall geschah.

55 3 Ergebnisteil 3.3.5 Untersuchungsergebnisse der Geschädigten

3.3.5.1. Extragenitale Befunde

Bei elf der 91 untersuchten Geschädigten (12,1%) ließen sich zum Zeitpunkt der klinisch-forensischen Untersuchung extragenitale Verletzungen feststellen. Bei 80 Geschädigten (87,9%) konnten derartige Befunde nicht erhoben werden.

Es handelte sich bei den Befunden in der Mehrzahl der Fälle um Hämatome, Hautläsionen und Hautrötungen. Die meisten derartigen Verletzungen fanden sich am Oberschenkel, gefolgt von Rücken, Gesicht und Unterarmen.

Tabelle 28: Lokalisation der Hämatome, Hautläsionen und Hautrötungen bei Geschädigten eines sexuellen Kindesmissbrauchs; Mehrfachnennungen (n=10)

Lokalisation Verletzung Anzahl

Oberschenkel 13

Rücken 12

Gesicht 7

Unterarm 7

Gesäß 5

Oberarm 4

Bauch 4

Kopf oben/ hinten/ seitlich 2

Becken 2

Fuß 2

Brust 1

Schulter 1

Hand 1

Knie 1

Hals 1

Gesamtzahl 63

56 3 Ergebnisteil

Verbrennungen ließen sich bei einer 12-jährigen Geschädigten feststellen, die seit acht Jahren von ihrem Onkel missbraucht wurde. Dieses Mädchen zeigte am Bauch vier runde Narben nach Verbrennungen durch eine Zigarette und darüber hinaus eine Narbe nach einer Schnittverletzung im Bereich der rechten Ellenbeuge bzw. des rechten Oberarmes innen. Der Tatverdächtige soll das Kind hier im Rahmen einer Tat mit einem Messer verletzt haben.

Bei dem Mädchen, das sich nach der Tat selbst gedrosselt hat, ließen sich Petechien an den seitlichen Wangen, hinter den Ohren, an der Stirn sowie im Bereich der Augenlider und Augenbindehäute finden.

Sechs (54,5%) der elf Opfer, bei denen körperliche Befunde erhoben werden konnten, sind innerhalb von 24 Stunden nach dem Missbrauch untersucht worden. Ab einer Zeitspanne von vier Tagen nach dem Vorfall konnte in keinem einzigen Fall ein extragenitaler Befund erhoben werden. Die längste Zeitspanne, nach der Hautrötungen nachgewiesen werden konnten, lag bei drei Tagen.

Tabelle 29: Extragenitale Befunde bei Geschädigten eines sexuellen Kindesmissbrauchs in Abhängigkeit von der Zeit bis zur Vorstellung (n=91)

ja nein

≤ 24 Std. 6 22 28

≤ 48 Std. 5 5

≤ 72 Std. 2 2 4

≤ 4 Tage 1 3 4

≤ 5 Tage 1 1

≤ 1 Monat 6 6

≤ 6 Monate 5 5

≤ 1 Jahr 2 2

> 1 Jahr 7 7

unklar 2 27 29

Gesamtergebnis 11 80 91

Extragenitale Befunde

Gesamtergebnis Zeit bis zur Vorstellung

57 3 Ergebnisteil

3.3.5.2 Anogenitale Befunde

Bei 89 der 91 begutachteten Kinder (97,8%) wurde im Rahmen der klinisch-forensischen Untersuchung die Anogenitalregion inspiziert. Zwei Geschädigte (2,2%) lehnten diese Untersuchung ab.

Insgesamt zeigte die Untersuchung in 65 Fällen (73,0%) ein unauffälliges Genitale und eine unauffällige Afterregion. In den restlichen 24 Fällen (27,0%) ließ sich ein anogenitaler Befund erheben, wobei 18 Kinder Genitalverletzungen zeigten, drei kombinierte Genital- und Analverletzungen und drei Kinder Analverletzungen. Für einen sexuellen Missbrauch diagnostische Befunde zeigten sich bei acht Kindern (9,0%).

Bei 21 Geschädigten ließen sich Befunde im Genitalbereich erheben, wobei 13 dieser Personen (61,9%) innerhalb von 24 Stunden nach dem Missbrauch untersucht worden sind. In zwei Fällen konnten noch nach sechs bzw. neun Monaten im Genitalbereich Befunde dokumentiert werden. Frische diagnostische Einrisse und Deflorationsverletzungen fanden sich jedoch nur bei Kindern, die innerhalb von 24 Stunden körperlich untersucht worden sind. Insgesamt konnten bei sieben Kindern (7,9%) für einen sexuellen Missbrauch diagnostische genitale Befunde erhoben werden.

Tabelle 30: Genitalbefunde bei Geschädigten eines sexuellen Kindesmissbrauchs (n=89)

Genitalbefund Anzahl

Unauffällig 68

Erythem 8

Oberflächliche Schleimhautläsion 3

Kerbe unvollständig bzw. außerhalb posteriorer Hälfte 3 Diagnostisch bei sexuellem Missbrauch

Defloration/ kompletter Einriss in posteriorer Hälfte 2

Fehlender Hymenalsaum in posteriorer Hälfte 1

Geheilte Durchtrennung des Hymens in posteriorer Hälfte 1

Hymenales Hämatom 1

Einriss hintere Kommissur 1

Hämatom große Schamlippe und Einriss hintere Kommissur zur Schamlippe 1

Gesamtergebnis 89

58 3 Ergebnisteil

Bei sechs Geschädigten (6,7%) konnten Analbefunde dokumentiert werden. Eine für einen Missbrauch diagnostische anale Verletzung konnte nur bei einem Kind in Form einer Narbe außerhalb der Mittellinie festgestellt werden.

Tabelle 31: Afterbefund bei Geschädigten eines sexuellen Kindesmissbrauchs (n=89)

14 (58,3%) der 24 Geschädigten, bei denen anogenitale Befunde erhoben werden konnten, sind innerhalb von 24 Stunden untersucht worden.

Tabelle 32: Anogenitale Befunde bei Geschädigten eines sexuellen Kindesmissbrauchs in Abhängigkeit von der Zeitspanne bis zur Vorstellung (n=89)

Afterbefund Anzahl

Unauffällig 83

Oberflächliche Schleimhautläsion 2

Riss 1

Erythem 1

Narben in der Mittellinie 1

Diagnostisch bei sexuellem Missbrauch

Narbe außerhalb der Mittellinie 1

Gesamtergebnis 89

ja nein

≤ 24 Std. 14 14 28

≤ 48 Std. 2 3 5

≤ 72 Std. 2 2 4

≤ 4 Tage 2 1 3

≤ 5 Tage 1 1

≤ 1 Monat 6 6

≤ 2 Monate 3 3

≤ 6 Monate 1 1 2

≤ 1 Jahr 1 1 2

> 1 Jahr 7 7

unklar 2 26 28

Gesamtergebnis 24 65 89

Genitalbefund

Zeit bis zur Vorstellung Gesamtergebnis

59 3 Ergebnisteil

3.3.5.3 Spermiennachweis

Bei 18 Untersuchungen (20,2%) wurden Abstriche von einer oder mehreren Körperregionen entnommen und anschließend auf Spermien überprüft. Dabei wurde der Auftrag zur Überprüfung auf das Vorhandensein von Spermien bei 17 vaginalen, vier analen und zwei oralen sowie einem Hautabstrich vom Oberschenkel erteilt.

Vaginal konnten bei drei der 17 Mädchen (17,6%) Spermien nachgewiesen werden, wobei die Geschädigten viereinhalb, 16 bzw. 21 Stunden nach dem Vorfall untersucht worden sind. Bei einem dieser Mädchen (13 Jahre alt) zeigte sich zusätzlich eine diagnostische Hymenalverletzung. Die beiden anderen (elf und 13 Jahre alten) Mädchen wiesen lediglich Schleimhautrötungen, teilweise mit oberflächlichen Schleimhautläsionen, jedoch ohne begleitende Hymenalverletzungen auf.

Tabelle 33: Nachweis von Spermien in Vaginalabstrichen in Abhängigkeit von der Zeit bis zur Vorstellung bei Geschädigten eines sexuellen Kindesmissbrauchs (n=17)

Zwei (50,0%) der vier analen Abstriche wurden innerhalb von sechs Stunden nach der Tat entnommen und jeweils ein Abstrich (25,0%) innerhalb von 24 bzw. 36 Stunden.

Die oralen Abstriche konnten sechs bzw. zwölf Stunden nach dem Vorfall gewonnen werden. Der Abstrich von der Haut ist 2,5 Stunden nach dem Missbrauch entnommen worden. In keinem dieser Abstriche gelang ein Nachweis von Spermien.

negativ positiv

≤ 6 Std. 4 1 5

≤ 12 Std. 2 2

≤ 18 Std. 1 1 2

≤ 24 Std. 2 1 3

≤ 48 Std. 3 3

unklar 2 2

Gesamtergebnis 14 3 17

Spermiennachweis

Gesamtergebnis Zeit bis zur Vorstellung

60 3 Ergebnisteil

Vor der mikroskopischen Beurteilung wurde bei 17 Abstrichen ein Phosphatase-Test angewandt. Bei zwei Abstrichen, bei denen der Phosphatase-Test positiv war, konnten mikroskopisch keine Spermien nachgewiesen werden. Letztlich stimmte das Ergebnis des Phosphatase-Tests in elf von 17 Fällen (64,7%) mit dem Ergebnis der mikroskopischen Analyse überein.

Tabelle 34: Ergebnis der mikroskopischen Beurteilung von Abstrichen auf Spermien in Abhängigkeit von dem Ergebnis des Phosphatase-Schnelltests bei sexuellem Kindesmissbrauch (n=17)

Vagina After Haut positiv

negativ 2 2

positiv 2 2

negativ 7 3 1 11

positiv 1 1

negativ 1 1

Gesamtergebnis 13 3 1 17

positiv negativ fraglich positiv

Lokalisation der Abstriche

Phosphatasetest Spermien Gesamtergebnis

61 3 Ergebnisteil 3.3.6 Untersuchungsergebnisse der Beschuldigten

3.3.6.1 Extragenitale Befunde

Im Rahmen der klinisch-forensischen Untersuchung der sieben Beschuldigten, ließen sich in fünf Fällen (71,4%) keine extragenitalen Befunde erheben. Ein Beschuldigter zeigte eine Hautläsion am rechten Oberarm außen. Bei einem 17-jährigen Tatverdächtigen fanden sich am Hals zwei sogenannte „Knutschflecke“. Es war unklar, ob diese in einem Zusammenhang mit einem angeblichen Missbrauch einer 13-Jährigen standen.

3.3.6.2 Genitale Befunde

Bei sechs Tatverdächtigen erfolgte ein Auftrag zur Inspektion der Genitalregion. Bei dem siebten Beschuldigten wurde auf eine Genitaluntersuchung verzichtet, da es im Rahmen der Tat nur zu einer manuellen Manipulation gekommen war. Es zeigte sich in allen sechs Fällen ein unauffälliges Genitale.

3.3.6.3 Nachweis von Spermien und Vaginalepithelzellen

Ein Auftrag zur mikroskopischen Beurteilung wurde bei drei penilen Abstrichen erteilt.

Bei einem Mann, der nach 5,5 Stunden untersucht wurde, konnten Spermienköpfe mikroskopisch nachgewiesen werden, Bei einem anderen Mann, der neun Stunden nach dem Vorfall untersucht wurde, fanden sich Vaginalepithelzellen, die dem Opfer mittels DNA-Abgleich im Institut für Rechtsmedizin zugeordnet werden konnten. Bei dem dritten Mann wurden die Abstriche 3,5 Stunden nach dem Vorfall entnommen.

Hier konnten weder Spermien noch Vaginalepithelien nachgewiesen werden.

63 3 Ergebnisteil 3.3.9 Forensische Beurteilung

Insgesamt konnten bei zehn Kindern (11,2%) aufgrund von Anogenitalverletzungen bzw. Spermanachweis forensisch diagnostische Befunde erhoben werden. 17 Kinder (18,7%) ließen unspezifische anogenitale und/ oder extragenitale Verletzungen erkennen. Bei 64 Geschädigten (70,3%) konnten weder anogenitale Befunde noch extragenitale Verletzungen festgestellt oder Spermien nachgewiesen werden. Zwei (28,6%) der sieben untersuchten Beschuldigten ließen Befunde in Form von Spermien bzw. Vaginalepithelzellen erkennen. Bei weiteren zwei Tatverdächtigen (28,6%) fanden sich unspezifische extragenitale Verletzungen.

64 4 Diskussion

4 Diskussion

4.1 Gesamtübersicht

4.1.1 Untersuchungsgut

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hat sich eine Zunahme der klinisch-forensischen Tätigkeit vieler rechtsmedizinischer Institute gezeigt. So wurden vorliegend in den Jahren 2005 – 2007 im Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover 1.285 klinisch-forensische Untersuchungen durchgeführt. Eine Studie von Roelfs (34) hatte in den Jahren von 1978 bis 1987 eine Anzahl von 585 derartigen Untersuchungen in Hannover ergeben, wobei eine ansteigende Zahl von Begutachtungen festgestellt werden konnte. Etwas mehr als 20 Jahre später konnten Gahr et al. (2) eine weitere Zunahme der Inanspruchnahme des rechtsmedizinischen Dienstes in Hannover beobachten, mit einem Anstieg von 187 Begutachtungen im Jahr 1999 auf 296 Untersuchungen im Jahr 2003. Diese Zunahme der klinisch-forensischen Tätigkeit konnten die Autoren auch in den Instituten in Köln und Leipzig beobachten.

Der Anstieg der Untersuchungszahlen in den letzten Jahren hängt vermutlich mit dem zum 01.01.2002 in Kraft getretenen Gewaltschutzgesetz (GewSchG) und dem damit verbundenen verstärkten Bemühen um eine objektive Dokumentation des Sachverhaltes sowie mit entsprechenden Schulungen der betroffenen Berufsgruppen zusammen. Rechtsmedizinische Begutachtungen und Interpretationen von Befunden können in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen (2, 35). Darüber hinaus kommt das steigende Interesse an der klinischen Rechtsmedizin auch darin zum Ausdruck, dass Themen der klinischen Rechtsmedizin in aktuellen Lehrbüchern umfangreicher als früher behandelt werden (2).

Die meisten Untersuchungen fanden vorliegend – in Übereinstimmung mit den früheren Studien von Gahr et al. (2) sowie Naeve und Lohmann (3) – im Zusammenhang mit Körperverletzungen und Sexualdelikten statt, gefolgt von Begutachtungen bei Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung. Neben diesen „klassischen“ Tätigkeitsgebieten der klinischen

65 4 Diskussion

Rechtsmedizin zeigten sich jedoch vorliegend auch vermehrt Untersuchungen im Zusammenhang mit Verkehrsdelikten, Spurensicherungen, Body-Packing sowie eine konsiliarische, unterstützende Tätigkeit im Rahmen der medizinischen Diagnostik.

4.1.2 Auftraggeber

Die weitaus meisten Untersuchungen wurden im Auftrag der Polizei durchgeführt (94,0%). Nur 3,6% der Begutachtungen fanden konsiliarisch und 0,5% in privatem Auftrag statt. Hierbei müssen jedoch regionale Strukturen und die Problematik der Kostenübernahme berücksichtigt werden. Eine klare Kostenregelung bei konsiliarischen und privaten Aufträgen fehlt derzeit und muss individuell geklärt werden. In der Regel müssen die Kosten für konsiliarische Begutachtungen jedoch von den Krankenhäusern getragen werden und Privatpersonen müssen selbst für eine klinisch-forensische Untersuchung aufkommen. Dies kann in der Region Hannover die geringe Anzahl konsiliarischer und privater Aufträge bedingen. Hinsichtlich der Untersuchungsaufträge durch klinisch-tätige Kollegen zeigte sich jedoch eine besondere Nachfrage nach Unterstützung im Zusammenhang mit Kindesmisshandlungen und sexuellem Kindesmissbrauch. Für Ärzte, die den Verdacht auf einen Missbrauch oder eine Misshandlung von Kindern erlangen, besteht in Deutschland keine Meldepflicht. Die Meldungsmöglichkeit ist jedoch gegeben (20). In der häufig schwierigen Diagnostik dieser Fälle ist eine konsiliarische Untersuchung und Beratung durch einen Rechtsmediziner oft gewünscht. Dieses Angebot sollte von den Kliniken und auch von ambulant tätigen Ärzten in noch stärkerem Umfang als bisher genutzt werden, da insbesondere bei Kindern ein Nicht-Aufdecken, aber auch eine nicht-berechtigte Anschuldigung Angehöriger schwerwiegende Folgen für das betroffene Kind und dessen Umfeld haben kann.

Der geringe Anteil privater Aufträge lässt sich neben der Problematik der Kostenübernahme auch dadurch erklären, dass den Betroffenen die Möglichkeit einer privaten Beauftragung nur selten bekannt ist (2). Initiativen wie z.B. in Hamburg und Köln (35-37) haben jedoch gezeigt, dass die Möglichkeit einer privaten Beauftragung, insbesondere bei kostenfreiem Angebot, von Betroffenen mit viel Interesse aufgenommen und mit steigender Tendenz in Anspruch genommen wird. So stieg in

66 4 Diskussion

Hamburg nach der Einrichtung eines Zentrums für Gewaltopfer die Zahl der Begutachtungen von 46 im Jahr 1999 auf 1.071 im Jahr 2003 an (37). Geschädigte körperlicher und/ oder sexueller Gewalt können so niederschwellig, unabhängig von einer Anzeige bei der Polizei, erreicht werden. Jedoch ist eine Abrechnung solcher Untersuchungen, z.B. über die Krankenkassen, unter den bisherigen Abrechnungsvoraussetzungen nicht möglich (2).

Die regionale Betrachtung der Untersuchungsaufträge ergab, dass die polizeilichen Aufträge in den meisten Fällen (63,6%) durch eine Polizeistation der PD Hannover gestellt wurden. Entsprechend zeigte sich in der polizeilichen Kriminalstatistik 2007 (10) eine vermehrte Kriminalität in Großstädten wie Hannover, im Vergleich zu kleineren Gemeinden. Der Anteil der Untersuchungsaufträge aus dem Umland erscheint dennoch als verhältnismäßig gering, wobei berücksichtigt werden muss, dass Polizeistationen des Umlandes vermehrt Aktengutachten in Auftrag geben, die in der vorliegenden Arbeit nicht eingeschlossen wurden. Insgesamt sollte eine zunehmende Integration klinisch-forensischer Angebote der rechtsmedizinischen Institute bei den polizeilichen Ermittlungsbehörden, insbesondere auch im Umland, durch Informationsangebote angestrebt werden.

Auch die konsiliarischen Aufträge erfolgten in 89,1% der Fälle durch ein Krankenhaus aus der Region Hannover. Kliniken und Ärzte aus dem Umland haben den konsiliarischen Dienst kaum genutzt. Allerdings werden aus dem Umland gehäuft Anfragen per Telefon oder Internet gestellt. Da ein Ausbau des Konsildienstes über die Grenzen Hannovers hinaus aufgrund weniger rechtsmedizinischer Institute und nur wenigen Mitarbeitern, die auf eine klinisch-forensische Tätigkeit spezialisiert sind, nur begrenzt möglich ist, ist die Zunahme von Anfragen per Telefon oder Internet als positiv und dessen Ausbau als erstrebenswert anzusehen. Die Angebote der klinischen Rechtmedizin und die Möglichkeit der Hilfestellung und Beratung bei Verdachtsfällen einer Gewalttat sollten Ärztinnen und Ärzten in Kliniken und Praxen im Rahmen der Aus- und Weiterbildung verstärkt bekannt gemacht werden. Denn wie bereits von Graß und Rothschild (36) beschrieben, ist bei Verdacht auf eine Gewalttat eine optimale Betreuung von Gewaltopfern nur durch eine Integration auch der rechtsmedizinischen Kompetenz möglich. Derzeit werden klinisch-forensische Aspekte bei der universitären Ausbildung von Studierenden der Medizin bereits vermehrt in das

67 4 Diskussion

Curriculum integriert. Auf diese Weise können zukünftige Mediziner für das Thema Gewalt sensibilisiert werden und konsiliarische Beziehungen oder eine Inanspruchnahme rechtsmedizinischer Kompetenz im Sinne einer Beratung kann zunehmend im Bewusstsein der Ärzte verankert werden.

Letztlich können regionale Netzwerke mit einer Integration rechtsmedizinischer Angebote in die Strukturen der Ermittlungsbehörden und in den medizinischen Versorgungsbereich sowie zentrale rechtsmedizinische Kompetenzzentren – wie sie bereits von anderen Autoren (2, 35-37) beschrieben wurden – dazu beitragen, die Betreuung von Gewaltopfern zu verbessern.

4.1.3 Gerichtsladungen

Einen Bestandteil des klinisch-forensischen Tätigkeitsgebietes stellt die mündliche Gutachtenerstattung in den Gerichtsverhandlungen dar. Im Zeitraum von 2005 – 2007 erhielten die Mitarbeiter des Institutes für Rechtsmedizin in nur 23,5% der Untersuchungsfälle eine Gerichtsladung zum Zweck einer mündlichen Erläuterung der Untersuchungsergebnisse und Beantwortung konkreter Fragestellungen. Auch White und McLean (38) dokumentierten 2006 in Manchester in nur ungefähr 25% der Fälle eine Gerichtsladung. Vorliegend fanden im Zusammenhang mit Sexualdelikten mündliche Gutachtenerstattungen in 16,9% und bei Verdacht auf einen sexuellen Kindesmissbrauch in nur 7,7% der Fälle statt. De Jong und Rose (39) beschrieben 1991 in Philadelphia eine Gerichtsladung eines Experten in 43% der Fälle eines sexuellen Kindesmissbrauchs. Dabei kommt der Erläuterung forensischer Befunde wie auch oftmals nicht-vorhandener Befunde bei Gerichtsverhandlungen eine besondere Bedeutung zugute. Gerade bei Verhandlungen im Zusammenhang mit sexuellem Kindesmissbrauch ist eine Erläuterung der häufigen Normalbefunde (s. 4.3.6, S. 93 ff.) wichtig und sollte von den Gerichten verstärkt in Anspruch genommen werden.