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Stationen im Leben eines Kaisers als Bibliothekar

3.1.1 Die Prinzenerziehung in Wien und der prägende Einfluss von Erziehern und Lehrern (NK)

Nachdem der Erzherzog am 3. Juli 1784 in Wien eingetroffen war, bezog er seine Appartements in der Hofburg, die sich im zweiten Stock im Nord-westflügel des Schweizerhofs befanden und auch in den Jahren seiner Re-gierungszeit den Mittelpunkt des höfischen Haushalts bildeten. Nicht mehr Pietro Leopoldo, sondern Joseph II. legte nun die Handlungsmaxime der

252 FKBA02011, fol. 5r.

weiteren Erziehung fest. Anhand der Erziehungsprogramme Josephs II. ist eine Auseinandersetzung mit den pädagogischen Theorien oder der prakti-schen Vermittlung von Wissensinhalten nicht zu erkennen. Der Kaiser traf zwar auch für die Erziehung in Wien die Auswahl des Lehrpersonals, die Aufstellung von Richtlinien für den weiteren Wissenserwerb und die Zusam-menstellung des dafür nötigen Bücherkanons wurden ab diesem Zeitpunkt gänzlich an das Lehrpersonal übertragen. Als Bedingung legte der Kaiser jedoch fest, dass die Erziehung und der Unterricht des Erzherzogs rasche Fortschritte zeigen sollten. Ein Ausbleiben dieser Fortschritte zog erneute Kritik nach sich.253 Hier handelte es sich in erster Linie um eine Kritik an der Bildung von Charakter und Physis. Dennoch hatte man Erzherzog Franz in den Augen Josephs mit „Kenntnissen haufenweise angestopft, [er war aber] zu keiner nutzbaren Anwendung derselben angeleitet worden.“254 Das gespannte Verhältnis zwischen Kaiser und Thronfolger soll nur insoweit von Interesse sein, um den konträren Zugang von Pietro Leopoldo und Joseph II.

in ihrer Vorbildrolle für den Wissenserwerb und die divergierenden Vorga-ben in den jeweiligen Erziehungsprogrammen herauszuarbeiten, die letz-ten Endes auch Einfluss auf die Bucherwerbungsstrategien des Erzherzogs hatten. Im Übrigen enthalten die Erziehungsprogramme Josephs II. bemer-kenswerte Angaben über die finanzielle Ausstattung des Erzherzogs und die personelle Zusammensetzung seines Hofstaats, durch die auch die Rahmen-bedingungen für die spätere Privatbibliothek geschaffen wurden.

Die zentrale Figur der Erziehung verkörperte weiterhin Ajo Colloredo.

Ihm wurden die beiden neu eingesetzten Generaladjutanten Camille Joseph Graf Lamberti und Franz Xaver Rollin zur Seite gestellt,255 welche die mili-tärische Ausbildung überwachen sollten. An diese drei Personen waren die

„Beobachtungs-Punkte[n]“ Josephs II. vom Juni 1784 gerichtet, in denen er zunächst administrative Gesichtspunkte abhandelte, bevor das Regulativ der weiteren Erziehung festgelegt wurde. Joseph II. stellte dem Erzherzog jährlich 18.000 fl. für seine gesamten Ausgaben zur Verfügung. Bei dieser Apanage handelt es sich ausschließlich um staatliche Gelder.256 Dies sollte

253 „Daß ich mit dem Erzherzog Frantz angenohmene Erziehungsart in Florenz keineswegs, weder seiner bestimmung noch seiner persona angemessen gefunden habe […].“ vgl. ÖNB, BAG, A/30 Autographen, Betrachtungen über des Erzherzogs Frantz weitere Erziehung, 18.08.1784, fol. 1r.

254 ÖNB, BAG, A/30 Autographen, Belehrungspuncten seiner k. k. Majestät über die Erziehung des Ertzherzogs Franz, 04.02.1785, Abschrift

255 Rauchensteiner, Berater, 6–12. Für weitere biografische Angaben zu Lamberti vgl. ÖBL, Bd. 4, 412f.

256 ÖNB, BAG, A/30 Autographen, Beobachtungs-Punkte[n] für den Grafen Colloredo und die zween General-Adjutanten die Erziehung des Ertzherzogs Franz betreffend 21.06.1784,

sich für den gesamten Zeitraum bis 1792 nicht ändern. Nach der Heirat mit seiner ersten Frau Elisabeth Wilhelmina von Württemberg im Jänner 1788 erfolgte eine Aufstockung der Jahresapanage auf 27.000 fl., und zwar für jeweils beide Ehepartner.257 In weiterer Folge erhielt der Erzherzog ab 1788 insgesamt 27.000 fl. pro Jahr258 bzw. 1792 – noch als Erzherzog – hoch-gerechnet 30.000 fl. pro Jahr. Zudem gab Joseph II. Anweisungen für die Einrichtung des Hofstaats.259 Nachdem Erzherzog Max Franz im April 1784 zum Kurfürsten und Erzbischof von Köln ernannt wurde und anschließend von Wien nach Bonn übersiedelt war, wurde ein Teil seines Wiener Hofper-sonals auf den neuen Hofstaat Erzherzog Franz’ übertragen.260 Bereits hier wird die Kontinuität in den Personalstrukturen am Wiener Hof ersichtlich, die – wie später zu sehen sein wird – in der Regierungszeit bestehen blieb.

Außer Ajo Colloredo wurden ohne Ausnahme neue Lehrmeister für die Erziehung ausgewählt. Auch wenn der Thronfolger bereits das Alter von 16 Jahren erreicht hatte, ließ ihm Joseph II. im Gegensatz zu Pietro Leopoldo dennoch eine erstaunliche Freiheit bei der Einteilung seiner Stunden: „Ing-leichen hat Er stunden zu bestimmen, wann Er diejenige Meister haben will, die für Ihn höchst nothwendig sind.“261 Schlussendlich war es jedoch Collo-redo, der den Stundenplan fixierte.

Auch der konträre Zugang zum Wissenserwerb durch das Medium Buch ist bereits anhand von Josephs „Beobachtungs-Punkten“ ersichtlich. Prinzi-piell befürwortet er die Anschaffung von Büchern – die thematische

Schwer-ediert bei Schimmer, Josef II., 287–297. „Der Erzherzog hat des Jahres m/18 fl [18.000 Gul-den], die Er quartalweise bei der Kassa des Deldono empfangen wird; von diesen bestreitet Er seine garderobe, unterhaltungen, allmosen und überhaupts alles, was Er ausgibt. Diese quartalige Gelder verwahrt er in seiner Kassa und führt darüber seine Rechnungen, die Mir alle halbe Jahr durch den Grafen Colloredo vorzulegen sind.“ Vgl. ÖNB, BAG, A/30 Autographen, Beobachtungs-Punkte[n] fol. 1v. Zur Herkunft der Gelder für die Apanage vgl.

Turba, Privateigentum, 87–88.

257 Turba, Privateigentum, 88.

258 Einen Überblick über das komplexe Kassensystem gibt Turba, Privateigentum, 88.

259 „Der Dienst des Kammerdieners und Leiblaquayen ist bei dem Erzherzog so wie bey Mir zu beobachten und einzurichten. Alles, was die Garderobbe betrifft, soll vom Kammerdiener Florian Schmid besorgt und von ihm alle Auszügl bezahlet werden, diese hat er alsdann dem Erzherzog zu übergeben, weil Er selbst seine Rechnung zu führen hat.“ Vgl. ÖNB, BAG, A/30 Autographen, Beobachtungs-Punkte[n], fol. 1v.

260 Für die Zusammensetzung des Hofstaats und die Karrieren der Hofangestellten beziehe ich mich auf die Recherchen von Irene Kubiska, welche mir freundlicherweise bereits vorab biografische Angaben aus der Projektdatenbank „Personal und Organisation des Wiener Hofes im 18. Jahrhundert“ zur Verfügung stellte, für deren Aufbau die Angaben des Hofka-lenders und der Hofparteienprotokolle herangezogen wurden. Vgl. http://www.univie.ac.at/

hofpersonal/ (abger. am 27.01.2015).

261 ÖNB, BAG, A/30 Autographen, Beobachtungs-Punkte[n], fol. 2r.

punktsetzung und gleichzeitige Einschränkung auf das Militärwesen ist mehr als deutlich. Er setzte folgendes fest:

Die „Lesung der Bücher und Zeitungen, wenn erstere gut gewählt sind und besonders, wenn Sie von Militär-Geschichten handeln und das Geblüt des jun-gen Menschen ein wenig in Wallung brinjun-gen können, ist ihm zu gestatten und sind ihm solche Bücher zu verschaffen. Alles aber was Kindereyen, unnütze Wortgepränge, Poesien und bloße gewitzelte Werke sind, mit diesen hat er seine Zeit nicht unnütz zu verlieren, weil sie zu nichts dienen, als die Seele schlapp zu machen.“262

Aus dem Wortlaut geht hervor, dass Joseph II. sowohl Druckschriften als auch explizit Zeitungen in den Bildungskanon miteinbezog. Den Fokus legte er auf militärische Schriften und nennt als einzige Literaturempfehlung bezeichnenderweise an späterer Stelle die „Regulamente der Armee“.263 In den folgenden Jahren ist erkennbar, dass die militärische Sozialisation des Erzherzogs einen, wenn nicht den zentralen Bereich der weiteren Er-ziehung ausmachte. Dies drängte andere Bereiche der adeligen Standesbil-dung in den Hintergrund. Die Tradition der besonders im 18. Jahrhundert stark ausgeprägten Kavalierstour264 war von Joseph II. nicht vorgesehen.

Zwar hatte er gefordert, dass der Thronfolger sein Land bereisen sollte, doch diese Reisen dienten in erster Linie der militärischen Ausbildung des Erzherzogs und dem praktischen Studium beispielsweise des Festungsbaus oder der Abhaltung von militärischen Übungen und Manövern. In den Jah-ren 1788 und 1789 erfolgte die Teilnahme am Russisch-Österreichischen Türkenkrieg.

Obwohl die adelige Prinzenerziehung auch ein Studium an einer Univer-sität vorsah, war dies für die Familienmitglieder des Hauses Habsburg bis in das 18. Jahrhundert eher die Ausnahme. Der Besuch der Universität ist nur für Philipp II. aus der spanischen Linie der Habsburger bezeugt, und zwar in Salamanca.265 Das Curriculum von Erzherzog Franz sah jedenfalls kein Stu-dium an der Universität vor. Eine Reihe von Mitgliedern des Kaiserhauses wurde jedoch ehrenhalber immatrikuliert, so haben sich gleich zwei Ehrenim-matrikulation von Joseph II. als Erzherzog in der Hauptmatrikel der Univer-sität Wien erhalten, während Leopold II. sich eigenhändig in die Ungarische

262 ÖNB, BAG, A/30 Autographen, Beobachtungs-Punkte[n], fol. 5v. 263 ÖNB, BAG, A/30 Autographen, Beobachtungs-Punkte[n], fol. 3v. 264 Cerman, Kavalierstour, 49–78.

265 Vocelka/Heller, Habsburger, 54.

Nationsmatrikel eintrug.266 Eine Ehrenimmatrikulation für Franz II. ist we-der in we-der Hauptmatrikel noch in we-der Nationsmatrikel nachweisbar.267

Zur kritischen Haltung von Joseph II. in Bezug auf die Erziehung des Erzherzogs kann festgehalten werden, dass dieser vermutlich auch die bald entstehende Sammelleidenschaft des Erzherzogs eher duldete als – im Ge-gensatz zu Pietro Leopoldo – förderte. Josephs Einstellung zu Bibliotheks-gut wird umso deutlicher, wenn man einen Blick auf den Umgang mit den Bibliotheken aufgelassener Klöster wirft, bei deren Auflösung und Über-nahme es zu umfangreichen Veräußerungen der Bibliotheksbestände kam.

So wurden die Universitäts- und Lyzeenbibliotheken 1786 in einem Hofde-kret aufgefordert, folgendermaßen mit den aus Klöstern übernommenen Buchbeständen umzugehen: „Der ganze Wust unbrauchbarer Gebet- und Andachtsbücher, Legenden und übrigen theologischen Ungereimtheiten ist ohne Weiteres in die Stampfe zu geben.“268 Die Hochschulen hatten darüber hinaus Ausgaben des 15. Jahrhunderts oder seltene Werke zu veräußern,269 da diese für sie „von einem sehr zweifelhaften Werthe“ seien; Dubletten wa-ren zu tauschen oder ebenfalls zu veräußern.

Aufgrund der erhaltenen Kammerrechnungen für die Anschaffungen des Erzherzogs Franz im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv lässt sich bele-gen, welche Werke dieser seit seiner Übersiedelung bis zur Bildung eines ei-genen Bibliotheksarchivs angeschafft hatte.270 Joseph II. als Erzieher spielt für die Bucherwerbungen Erzherzog Franz’ keine Rolle, einzig die Lehrer nahmen Einfluss auf die Auswahl der Werke. Für den nun in der Hofburg beginnenden Privatunterricht sind besonders der Geschichtslehrer und Lei-ter des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Michael Ignaz Schmidt271 zu nennen, aber auch der Lehrer für Staatsrecht Johann Baptist von Schloissnig.272 Die ersten, mit dem Unterricht verbundenen Buchankäufe wurden bereits bald nach der Ankunft des Erzherzogs im Jahr 1784 für ihn getätigt. Auch in Wien zeichnet sich die Lektüre als fester Bestandteil des „Schulalltags“ aus.

266 Die Hauptmatrikel wurde ediert bei: Mühlberger, Matrikel. Die Ehrenimmatrikulationen von Joseph sind im Kodex auf pp. 1 und 39 enthalten. Vgl. UAW, Cod. M 10; zur Ehrenim-matrikulation von Leopold II. vgl. UAW, Cod. NH2, fol. 9a. Zu den Ehrenimmatrikulationen im Allgemeinen vgl. Gall, Matrikel.

267 In einer Liste der Ehrenimmatrikulationen von Mitgliedern des Kaiserhauses fehlt Franz II. Vgl. UAW, Cod. NA3, p. 321–329, 383, 587, 775–779, 781, 856–858. Ich danke Kurt Mühlberger für den Hinweis.

268 Ediert bei Grassauer, Universitäts- und Studien-Bibliotheken, 182.

269 Wenn diese nicht bereits zuvor an die Hofbibliothek abgegeben worden waren.

270 ÖStA, HHStA, HausA, Handarchiv 1–5. Die erste Abrechnung beginnt mit Mai 1784.

271 Zu Schmidt vgl. Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 9 (1995) 471–473.

272 Conrad, Prinzenerziehung, 591.

Dies wird bereits durch den 1784 festgesetzten Stundenplan deutlich, wel-cher an zwei Tagen der Woche eine Stunde für die Lektüre vorsah.273

Die Kammerrechnungen geben sehr genau Aufschluss über die Bucher-werbungen. Die erste größere Rechnung wurde im August 1784 auf Gene-raladjutant Rollin ausgestellt und beinhaltet Druckschriften mit Geset-zestexten und Exerzierregeln,274 die von den beiden Generaladjutanten durchgenommen wurden und für die der Erzherzog schriftliche Ausarbei-tungen verfasste.275 Bei zwei weitaus umfangreicheren Rechnungen trat Ajo Colloredo als Empfänger auf den Plan. Die offensichtlich für den Geschichts-unterricht bestimmten Werke wurden in der Buchhandlung von Rudolph Gräffer erworben. Ein Großteil davon war bereits für den Geschichtsun-terricht von Hohenwart am florentinischen Hof zur Verfügung gestanden, musste nun aber in Wien neuerlich angeschafft werden. Dazu zählen Hüb-ners „Genealogische Tabellen“, Millots „Elemens d’histoire ancienne“, oder der „Discours sur l’histoire ecclésiastique“ des Abbé Fleury.276 Unter den neuangekauften Werken befanden sich einerseits österreichische Verfasser wie Franz Ferdinand Schrötter mit seiner Österreichischen Staatsgeschichte und deren Fortsetzung von Adrian Rauch. Johann Matthias Schröckhs eben erst vollständig erschienene „Allgemeine Weltgeschichte für Kinder“ ist ein Beleg für die neu entstehende Kinder- und Jugendbuchliteratur in der zwei-ten Hälfte des 18. Jahrhunderts. An internationalen Autoren sind die „Ge-schichte Kaiser Carls V.“ von William Robertson hervorzuheben, von dem auch die „Geschichte von Amerika“ erworben wurde, oder David Humes

„Histoire de la maison de Stuart“.

Neben Colloredo, Lamberti und Rollin schaffen auch der Sprachmeis-ter der böhmischen Sprache Johann Wenzel Pohl bzw. Johann Baptist von Schloissnig Werke für den Erzherzog an. Erste Impulse für Bucherwerbun-gen setzt also in Wien erneut das Erziehungsumfeld des Erzherzogs. Doch der Impetus für den Aufbau einer Bibliothek geht 1785 vom Thronfolger selbst aus, da Colloredo in seinem Tagebuch vermerkt: „den 19. [02.1785:] Er [Franz] hat den Gedanken gefasset, sich eine Bibliothek zusamenzusezen, ging mit den gedanken, wie Er solche rangiren, wie planen wolte. Er war mehr beschäftiget mit dem äusserlichen, als aus was bücher Er solche zusa-mensezen wolte.“277

273 Wolfsgruber, Franz I., Bd. 2, 10.

274 ÖStA, HHStA, HausA, Handarchiv Kaiser Franz 1, Rechnung s.d., Bei undatierten Rech-nungen wird im Folgenden der Monat angegeben, in dem die Rechnung abgelegt wurde, in diesem Fall der August 1784.

275 Wolfsgruber, Franz I., Bd. 2, 24.

276 ÖStA, HHStA, HausA, Handarchiv Kaiser Franz 1, Rechnung vom 04.09. und 02.12.1784.

277 ÖStA, HHStA, HausA, SB 74, alt 40/2, Tagebuch von Franz Graf von Colloredo-Wallsee,

Es ist festzustellen, dass der Eintrag aus einer Zeit stammt, in der sich Erzherzog Franz bereits ein knappes Jahr in Wien befand. Gerade die An-spielung auf die äußere Beschaffenheit der Bücher deutet zunächst auf ein bibliophiles Interesse hin. Der Tagebucheintrag verweist letztendlich auf eine Phase des systematischen Aufbaus und eine räumliche Verankerung der Werke in einer Bibliothek, welche bald über die bloße Aufstellung eines Handapparats für den Unterricht hinausging.

3.1.2 Franz II. als letzter Kaiser des Heiligen Römischen Reichs (NK) Nach dem Tod Kaiser Leopolds II. am 1. März 1792 folgte ihm sein ältester Sohn als Franz II. nach. Seine Regierungszeit wurde außenpolitisch durch die Koalitionskriege gegen Frankreich bestimmt, während das Heilige Rö-mische Reich in einer strukturellen Krise verharrte. Seine Innenpolitik war darauf ausgerichtet, die – realiter nicht ernstlich bestandene – Gefahr einer zweiten Französischen Revolution im Keim zu ersticken. Als Herrscher wur-den Franz II. genuin konservative Züge zugeschrieben, „als geistige Persön-lichkeit hatte er […] weit geringeres Format als Onkel und Vater, auch die jüngeren Brüder Karl und Johann waren Franz an Talent, Phantasie und Aufgeschlossenheit für das Neue entschieden überlegen.“278 Der Kaiser ver-körperte einen „gegenaufklärerischen Absolutismus“,279 der die Ausbreitung der Ideen der Französischen Revolution zu unterbinden suchte, um gleich-zeitig eine Kontinuität der Josephinischen Ära fortzuführen.280 „Die Wider-standsfähigkeit aufklärerischer Denkfiguren und Semantiken über 1800 hinaus bestimmte zu einem Gutteil den Verlauf der Auseinandersetzungen um die josephinischen Reformen und präfigurierte auch im 19. Jahrhun-dert einnehmbare Positionen zum Säkulum der Aufklärung.“281 Die rigorose Eindämmung jeglicher freien Meinungsäußerung und der sich formierende Überwachungsstaat bilden weitere Eckpfeiler der franziszeischen Regie-rungszeit.

Die mangelnde Entschlusskraft des Kaisers und das dadurch bedingte reaktionäre Handeln, aber auch das zögerliche Agieren der politischen Be-rater bescherte seiner Regierung eine äußerst schwache Stellung im

europä-fol. 70r. Für diese Zeit hat sich auch eine Abschrift erhalten. Vgl. ÖStA, HHStA, HausA, Familienakten 57, Konv. 2, Abschrift von 01.01.–26.02., 04.–06.03., und 24.08.–31.12.1785.

278 Zöllner, Geschichte Österreichs, 330.

279 Albrecht, Absolutismus, 299.

280 Plattner, Bürokratie.

281 Fillafer, Gespenstergeschichte, 34.

ischen Gefüge, welches von den Einzelinteressen der Großmächte geprägt war. Bei den politischen und militärischen Beratern des Kaisers kann keine Kontinuität zum Stab Leopolds II. festgestellt werden. Jedoch ermöglichte Franz II. einigen Hofmännern, die bereits in der Zeit vor 1792 das Vertrauen des nunmehrigen Kaisers gewonnen hatten, die Karriereleiter emporzustei-gen. So wurde für den vormaligen Ajo Colloredo nun eigens der Posten des Kabinettsministers eingeführt, bis er nach der Schlacht von Austerlitz als

„persona non grata“ seines Amtes enthoben wurde und 1806 verstarb. Die Kontinuität höfischer Personalstrukturen im Umfeld von Franz II. ist auch an den Karrieren der Generaladjutanten Rollin und Lamberti zu erkennen, die über die Erziehungszeit hinaus in wechselnden Funktionen Einfluss auf den Kaiser ausübten, indem sie immer wieder Schlüsselfunktionen als mili-tärische Berater des Kaisers einnehmen konnten.282

3.1.3 Franz I. als Kaiser von Österreich (TH-F)

Das Jahr 1806, das einen Meilenstein in der Geschichte der Privatbiblio-thek darstellt, weil es den Übergang von einer überwiegend selbstverwalte-ten Sammlung hin zur „Institution Bibliothek“ markiert, fällt politisch be-trachtet in die Zeit nach dem Dritten Koalitionskrieg gegen Napoleon. Der unmittelbare Auslöser zur Berufung Peter Thomas Youngs zum Vorsteher der Privatbibliothek hat vermutlich seinen Ursprung in den Ereignissen während dieser Kriegsphase, im Zuge derer auch die Residenzstadt Wien von französischen Truppen besetzt wurde. Ein Großteil der Bestände der Privatbibliothek war zuvor in Sicherheit gebracht worden. Die damit ein-hergehende Zerstörung der systematischen Aufstellung, mithilfe derer sich Franz I. bis dahin in seiner Bibliothek auch ohne Hilfsmittel zurechtgefun-den hatte, erforderten nach dem Rücktransport der Bücher nun bibliothe-karische Maßnahmen, deren Durchführung der Kaiser in die Hände seines Kabinettssekretärs legte. Die Vergabe von Signaturen sowie die vollständige Katalogisierung des Buchbestandes waren die Folge davon. Bereits 1809, im Fünften Koalitionskrieg, bedingte die politisch-militärische Situation eine neuerliche Evakuierung der Privatbibliothek, 1813 blieb es bei Vorkehrun-gen dazu.

Betrachtet man die Person „Franz I.“ durch die Quellen seiner Privatbib-liothek, macht es den Anschein, als wäre der Kaiser und sein Sammelinte-resse erst durch das glanzvolle Abschlussereignis dieser langwierigen Kon-fliktphase, den Wiener Kongress, ins Bewußtsein europäischer, vorwiegend

282 Rauchensteiner, Berater, 12–21.

jedoch deutschsprachiger Autoren, Künstler und Verleger gerückt. Unauf-geforderte Überreichungen und Sendungen von Druckwerken, Manuskrip-ten, Grafikblättern etc. nehmen ab diesem Zeitpunkt beständig zu. Abseits von Gelegenheitsschriften zu diversen Anlässen wie den Geburts- oder Na-menstagen des Kaiserpaares, des Kronprinzen oder wichtiger politischer wie privater Ereignisse sind es meist Monografien breitgefächerten Inhalts oder grafische Darstellungen von Meilensteinen der österreichischen Geschichte oder jener befreundeter Monarchien, die als „Gabe des Untertanen an den Kaiser“ oftmals scheinbar ohne explizite Intention „zu Füßen gelegt“ wur-den. Die Bearbeitung dieser zahlreichen Eingaben durch den von Franz eingesetzten Vorsteher der Privatbibliothek und erforderlichenfalls durch andere Hofstäbe und -stellen entwickelte sich nicht nur zu einem bürokra-tischen Problem, sondern hatte auch finanzielle Konsequenzen. Der Kaiser sah sich nämlich genötigt, die allermeisten dieser Ehrerweisungen aus sei-ner Privatkasse heraus belohnen zu lassen.

Die Menge an Überreichungen ist nicht zuletzt auch der regen Reisetä-tigkeit des Kaisers nach 1815 geschuldet. Alleine im Zuge der Nachfolge- oder Monarchenkongresse, die Franz I. 1818 nach Aachen, 1820 nach Trop-pau, 1821 nach Laibach und 1822 schließlich nach Verona führten, fanden zahlreiche unaufgeforderte Übergaben im Zuge der vor Ort stattgefundenen Audienzen statt, die im Bibliotheksarchiv belegt sind. Darüber hinaus un-ternahm Franz Verwaltungs- und Inspektionsreisen nach Galizien, Sie-benbürgen und ins Banat (1817), nach Dalmatien (1818) und zweimal nach Italien (1819 und 1825). Besonders jene in sein Geburtsland veranlassten zahlreiche Autoren und Künstler, den Kaiser mit Produkten ihrer Schaf-fenskraft zu beglücken. Hatte Franz die aus vermeintlich purer Untertanen-liebe dargebrachten Gaben angenommen und durch ein Geschenk erwidert, so wurde dieser Akt von Seiten der Geber gerne zum Präzedenzfall hoch-stilisiert, auf den man sich bei ähnlichen Gelegenheiten – meist anlässlich der Übergabe eines neuen Werkes oder eines weiteren Bandes – berief. Das einmal in Gang gesetzte Prozedere führte damit zu einem unweigerlichen

Die Menge an Überreichungen ist nicht zuletzt auch der regen Reisetä-tigkeit des Kaisers nach 1815 geschuldet. Alleine im Zuge der Nachfolge- oder Monarchenkongresse, die Franz I. 1818 nach Aachen, 1820 nach Trop-pau, 1821 nach Laibach und 1822 schließlich nach Verona führten, fanden zahlreiche unaufgeforderte Übergaben im Zuge der vor Ort stattgefundenen Audienzen statt, die im Bibliotheksarchiv belegt sind. Darüber hinaus un-ternahm Franz Verwaltungs- und Inspektionsreisen nach Galizien, Sie-benbürgen und ins Banat (1817), nach Dalmatien (1818) und zweimal nach Italien (1819 und 1825). Besonders jene in sein Geburtsland veranlassten zahlreiche Autoren und Künstler, den Kaiser mit Produkten ihrer Schaf-fenskraft zu beglücken. Hatte Franz die aus vermeintlich purer Untertanen-liebe dargebrachten Gaben angenommen und durch ein Geschenk erwidert, so wurde dieser Akt von Seiten der Geber gerne zum Präzedenzfall hoch-stilisiert, auf den man sich bei ähnlichen Gelegenheiten – meist anlässlich der Übergabe eines neuen Werkes oder eines weiteren Bandes – berief. Das einmal in Gang gesetzte Prozedere führte damit zu einem unweigerlichen