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Sapere aude 164 – Das Buch als Eckpfeiler der aufgeklärten Erziehung und seine mediale Rezeption

Die im Zuge der Aufklärung erfolgte theoretische und praktische Auseinan-dersetzung mit pädagogischen Inhalten und Methoden stellt einen grundle-genden Aspekt im gesellschaftspolitischen Denken der Zeit dar.165 Das Thema der Erziehung war Gegenstand zahlreicher Traktate, welche durch Lockes 1693 erschienene „Some Thoughts Concerning Education“ eingeleitet wur-den. Dabei war die Gratwanderung der Aufklärungspädagogik zwischen Rousseaus Vision einer dem individuellen Charakter angepassten Erziehung zum Staatsbürger im Gegensatz zu der Forderung nach einer Erziehung als Berufs- bzw. Standesbildung bestimmend. Diese heterogenen und gleichzei-tig kontroversen Ansprüche konnte auch der pietistische Philanthropismus um Johann Bernhard Basedow nicht lösen. Im Zeitalter der Aufklärung er-starkte das Bürgertum als neue Trägerschicht der pädagogischen Revolution.

Jedoch blieben Formen und Inhalte der Prinzenerziehung, für die sich bereits

162 Cfr. ASF, DG App.106, Rechnung vom 31.12.1778.

163 In der Abrechnung der Privatkasse aus dem Jahr 1792 scheint am 2. März, also einen Tag nach dem Tod von Leopold II., folgender Rechnungsvermerk auf: „An Francesco Favi auf allerhöchsten Befehl weiland Seiner Kaiserlichen Mayestät Leopold II. an die Banquieurs Brentoni e Cimaroli für einen Wechselbrief nach Paris a favore Franz. Favi 755 fl. 29 kr.

Vgl. ÖStA, HHStA, GDPFF ÄR 59, Rechnung der Privatkasse 01.01.1792–31.12.1793.

164 Horaz, Episteln 1,2,40, wieder aufgenommen in Kant, Aufklärung, 481.

165 Luciani/Volpilhac-Auger, Institution; Keller, Standesbildung; Walther, Pädagogik.

durch die Fürstenspiegel eine eigene Literaturgattung entfaltet hatte,166 eine Konstante, deren Bedeutung in der Aufklärungspädagogik167 nicht verkannt wurde: „Si en général l’éducation des hommes est une chose très importante, combien doit le paroître davantage l’éducation d’un prince, dont les moeurs donneront leur empreinte à celles de toute une nation, & dont le mérite ou les défauts feront le bonheur ou le malheur d’une infinité d’hommes?“168

Heterogene Bildungsinhalte sind auch anhand der normativen Quellen für die Erzherzoge in Florenz ablesbar. Erziehungsprogramme und Studien-pläne am florentinischen Hof zeigen eine Verquickung der höfisch-adeligen Erziehung mit dem neuen Herrscherideal als höchstem Diener des Staates auf. Die Weiterbildung in den unterschiedlichen Wissensgebieten ging ein-her mit den höfischen Traditionen – das Exerzieren, Tanz- oder Reitstunden und der Klavierunterricht wurden gepflegt, aber auch Audienzen dienten der schrittweisen Annäherung an die zukünftige Herrscherrolle.

Der hohe Stellenwert der Erziehung und (Aus-)Bildung des habsburgi-schen Thronfolgers in Florenz lässt sich bereits daran ablesen, dass Ent-scheidungen über seinen künftigen Werdegang in einem Kräftemessen zwischen Maria Theresia, Joseph II. und Pietro Leopoldo bzw. ab 1780 in einem Bruderzwist endeten, der zwar niemals offen ausgetragen wurde, aber kontinuierlich aufflammte.169 Pietro Leopoldo war als Großherzog von Toskana ein unabhängiger Herrscher, doch die Machtverhältnisse zwischen Wien und Florenz waren klar verteilt und grundlegende Entscheidungen, wie beispielsweise die spätere Vermählung von Erzherzog Franz mit seiner ersten Frau Elisabeth Wilhelmina von Württemberg, welche Joseph für ihre weitere Erziehung bereits 1782 nach Wien kommen ließ, „was quite beyond Leopold’s power and resources as grand duke.“170

Für die Prinzenerziehung171 hatte sich an vielen deutschen Fürstenhöfen der Frühen Neuzeit ein weitgehend ähnliches, mehrstufiges

Erziehungsmo-166 Als berühmteste Vertreter sind zu nennen: Machiavellis Il principe (1513), Erasmus von Rotterdams Institutio principis Christiani (1515), welche Kaiser Karl V. gewidmet war.

Erasmus schlug jedoch das Angebot aus, die Erziehung der Enkel Maximilians I. zu über-nehmen. Weiters zu erwähnen ist der bereits genannte Télémaque von Fénelon, aber auch Muratoris Trattato della pubblica felicità oggeto dei buoni principi. Vgl. Weber, Fürsten-spiegel. Auch Baldassare Castigliones Il libro del cortegiano übte Einfluss auf die höfische Erziehung und wirkte bis weit in das 18. Jahrhundert nach. Vgl. Vocelka/Heller, Habs-burg, 64; Gruenter, Hofmeister-Literatur, 365.

167 Klueting, Fürst, 150–154.

168 André Lefèvre, Gouverneur. In: Encyclopédie VII, 797.

169 Wandruszka, Leopold II., Bd. 1, 304f.

170 Beales, Joseph II., Bd. 2, 358.

171 Auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Prinzenerziehung kann im Folgenden nicht eingegangen werden. Vgl. dazu Kollbach, Aufwachsen, 140–222.

dell herausgebildet. Bereits für die ersten Lebensjahre wurde ihnen ein ei-gener Hofstaat zugewiesen, welcher unter der Oberaufsicht einer Aja stand.

Ungefähr ab dem sechsten Lebensjahr erfolgte die Erziehung und der Pri-vatunterricht der Lehrmeister unter der Leitung des Ajo, danach begann die abschließende Phase der Vorbereitung auf das später auszuübende Amt.172 Die Prinzenerziehung ist besonders im Laufe des 18. Jahrhunderts von ei-ner Ausdifferenzierung der Erziehungskonzepte geprägt. Am florentini-schen Hof ist dies durch die Ausarbeitung eines Generalstudienplans nach Altersstufen von der Hand Pietro Leopoldos aus dem Jahr 1774 belegt.173 Die Prinzenerziehung zeichnete sich durch klar definierte Strukturen und eine Verschulung des Privatunterrichts aus. Dies betraf sowohl die Erziehungs-phasen und ihr Programm als auch die Zusammenstellung des Lehrperso-nals, an dessen Spitze der Ajo stand.

An den frühneuzeitlichen Fürstenhöfen innerhalb des deutschen Kultur-raums war die adelige Herkunft und hohe Stellung innerhalb der Ständeord-nung eine Voraussetzung für die Position des Ajos, da dieser im Sozialisati-onsprozess der Zöglinge eine Vorbildrolle in der höfisch-adeligen Standeshierarchie ausübte: Das zumeist aus Vertretern des Bürgertums bestehende Lehrpersonal war ihm untergeordnet. Für den Lehrkörper in Florenz, aber auch später in Wien ist allerdings festzuhalten, dass sich selbst dieser erwartungsgemäß aus einem hohen Anteil an Adeligen zusam-mensetzte. Ludwig Fertig hält in seiner Monografie über Hofmeister an deutschen Fürstenhöfen fest, dass das Lehrpersonal je nach Verfügbarkeit aus Rektoren, Hofpredigern, Leibärzten oder Verwaltungsbeamten bestehen konnte.174 Für die Erziehung des Thronfolgers in Florenz, viel mehr aber noch jener in Wien, stellte jedoch die militärische Laufbahn bzw. der militä-rische Rang des Anwärters oftmals ein wesentliches Auswahlkriterium dar.

Die ersten sechs Lebensjahre standen die Erzherzoge nun unter der Ober-aufsicht einer Aja. Die zunächst dafür zugewiesene Italienerin Marchesa Gio vanna degli Albizi wurde jedoch 1770 auf Wunsch von Maria Theresia gegen Innocenza von Starhemberg ausgetauscht. Nicht nur die Aja selbst, sondern auch der überwiegende Anteil des Hofpersonals der „Real Camera

172 Vocelka/Heller, Habsburger, 53.

173 Der Generalstudienplan sah eine Erziehung vor, die in drei Phasen unterteilt wurde: ab dem fünften bzw. sechsten Lebensjahr beginnt die Erziehung mit den Ajos und Lehrern.

Vom 12. bis zum 16. oder 17. Lebensjahr „La Seconda Epoca […] abbraccia i studj princi-pali” und vom 16. bis zum 20. Lebensjahr „abbracciare le Scienze più sublimi nelle matte-matiche e fisiche. Letture e studj più relativi à quella vocazione che devono abbracciare.“

Vgl. ÖStA, HHStA, HausA, Familienakten 56, Konv. 9, Points Généraux de Son Altesse Royale sur l’Education des archiducs considerée dans ses differentes Epoques, fol.1f.

174 Fertig, Hofmeister, 38.

dell’aja della Real Prole“ wurden von Wien aus nach Florenz entsandt. Ales-sandra Contini spricht gar von einer „dépendance della Hofburg“.175

Pietro Leopoldos Wahl für den Ajo, der die Erziehung ab dem sechsten Le-bensjahr übernehmen sollte, wäre auf den Provveditore der Universität Pisa, Angelo Fabroni,176 gefallen, welcher dem Großherzog bereits einen Lehrplan unterbreitet hatte. Maria Theresia entschied sich jedoch für den aus der alt-eingesessenen Adelsfamilie stammenden Franz Graf von Colloredo-Wallsee, der zuvor das Amt eines Nö. Regierungsrates bekleidet hatte. Er wurde 1774 an den florentinischen Hof gerufen und war bis 1784 für die Erziehung der Erzherzoge Franz und Ferdinand zuständig, bevor er mit dem Umzug von Erzherzog Franz in seiner Funktion als Ajo auch in Wien bestätigt wurde.

Die Lehrerschaft der Erzherzoge kann durchaus als politisch gespalten be-zeichnet werden, denn hier trafen aufgeklärte und konservative Erziehungs-ideale und -inhalte aufeinander.

1776 wurde Colloredo auf Wunsch von Joseph II. Marchese Federico Ferdinando Manfredini177 als Sotto-Ajo zur Seite gestellt, der in den Wis-senschaften gebildet war, gleichzeitig aber über Erfahrung in der öster-reichischen Armee verfügte und den Rang eines Majors vorweisen konnte.

Manfredinis Erziehungsstil war im Gegensatz zu Colloredo wesentlich an den Ideen der Aufklärung und deren Vermittlung orientiert. 1788 schrieb Manfredini dem bereits in Wien lebenden Erzherzog: „[…] nous avons trouvé que le Monde est une République“.178 Für Manfredini standen Werke von Autoren wie Locke, Montesquieu, Rousseau oder Voltaire im Vordergrund, welche Colloredo zufolge nicht für die Erziehung der Kinder des Großherzogs geeignet waren.179

175 Contini, Educazione, 395.

176 Wandruszka, Leopold II., Bd.1, 305 bzw. die von Ugo Baldini verfasste Biografie im DBI vgl. http://www.treccani.it/enciclopedia/angelo-fabroni_(Dizionario-Biografico)/ (abger. am 01.02.2015). Fabroni entstammte einem Adelsgeschlecht aus Pistoia. Er legte 1775/1776 einen Erziehungsplan vor, der auch konkrete Angaben zu Werken enthielt, die für die Erziehung notwenig seien, wie Condillacs Essai sur l’origine des connaissances humaines oder dessen Cours d’études, den er nach seinen Erfahrungen als Erzieher des Erbprinzen von Parma verfasst hatte: vgl. ÖStA, HHStA, HausA, Familienakten 56, Konv. 1, Piano di educazione per i R.R. Arciduchi fatto e presentato dal Priore Angelo Fabroni (1776). Vgl.

Contini, Educazione, 413f.

177 Manfredini wurde in der Regierungszeit Ferdinands als Großherzog von Toskana sein Obersthofmeister. Vgl. Funaro, Federico Manfredini.

178 Padua, Biblioteca del Seminario Vescovile, MS. 933, b.III Appendice, 4, Federico Manfre-dini an Erzherzog Franz vom 11.07.1788, zitiert nach Furnaro, ManfreManfre-dini, 92.

179 „Er [Manfredini] glaubt, die Kinder gleich mit hohen Sachen und Gedanken zu unterhalten und selben die Sentiments der alten Philosophen und großen Männer beizubringen und solche nach selben zu bilden.“ Darüber hinaus habe er Gedanken „so der jetzigen freien

1. Filippo Ricci, Jugendbildnis Erzherzog Franz’

Das Hauptaugenmerk der Erziehung des Erzherzogs Franz180 soll nun spe-ziell im Hinblick auf den Stellenwert des Buches als Unterrichts- und Studi-enobjekt untersucht werden. Einen ersten Einblick in die Verwendung auf-geklärter Literatur, welche für die Erziehung der Kinder des Großherzogs herangezogen wurde, geben die Reisebeschreibungen von Dupaty.181 Wäh-rend einer Italienreise erhielt er bei seinem Aufenthalt in Florenz auch eine Audienz bei Erzherzog Franz:

Denkungsart ganz ähnlich“, […] „Er preist in Allem Rousseau, Voltaire, Montesquieu sehr an und glaubt, bloß die Herren gut zu erziehen“. Vgl. Wolfsgruber, Franz I., Bd. 1, 79 [Ende des Jahres 1776].

180 Die Darstellung der ersten 16 Lebensjahre des Erzherzogs Franz und seine Erziehung in Florenz waren Gegenstand mehrerer wissenschaftlicher Arbeiten, denen ein reiches Quel-lenstudium zugrunde lag. Über die Erziehung von Erzherzog Franz geben sowohl Ales-sandra Contini, Johanna Monschein und Adam Wandruszka einen Überblick als auch die zwar romantisierenden, aber dennoch quellennahen Biografien Franz’ II./I. von Wolfsgru-ber und Langsam.

181 [Charles Dupaty], Lettres sur l’Italie en 1785 (Rom 1788).

dell’aja della Real Prole“ wurden von Wien aus nach Florenz entsandt. Ales-sandra Contini spricht gar von einer „dépendance della Hofburg“.175

Pietro Leopoldos Wahl für den Ajo, der die Erziehung ab dem sechsten Le-bensjahr übernehmen sollte, wäre auf den Provveditore der Universität Pisa, Angelo Fabroni,176 gefallen, welcher dem Großherzog bereits einen Lehrplan unterbreitet hatte. Maria Theresia entschied sich jedoch für den aus der alt-eingesessenen Adelsfamilie stammenden Franz Graf von Colloredo-Wallsee, der zuvor das Amt eines Nö. Regierungsrates bekleidet hatte. Er wurde 1774 an den florentinischen Hof gerufen und war bis 1784 für die Erziehung der Erzherzoge Franz und Ferdinand zuständig, bevor er mit dem Umzug von Erzherzog Franz in seiner Funktion als Ajo auch in Wien bestätigt wurde.

Die Lehrerschaft der Erzherzoge kann durchaus als politisch gespalten be-zeichnet werden, denn hier trafen aufgeklärte und konservative Erziehungs-ideale und -inhalte aufeinander.

1776 wurde Colloredo auf Wunsch von Joseph II. Marchese Federico Ferdinando Manfredini177 als Sotto-Ajo zur Seite gestellt, der in den Wis-senschaften gebildet war, gleichzeitig aber über Erfahrung in der öster-reichischen Armee verfügte und den Rang eines Majors vorweisen konnte.

Manfredinis Erziehungsstil war im Gegensatz zu Colloredo wesentlich an den Ideen der Aufklärung und deren Vermittlung orientiert. 1788 schrieb Manfredini dem bereits in Wien lebenden Erzherzog: „[…] nous avons trouvé que le Monde est une République“.178 Für Manfredini standen Werke von Autoren wie Locke, Montesquieu, Rousseau oder Voltaire im Vordergrund, welche Colloredo zufolge nicht für die Erziehung der Kinder des Großherzogs geeignet waren.179

175 Contini, Educazione, 395.

176 Wandruszka, Leopold II., Bd.1, 305 bzw. die von Ugo Baldini verfasste Biografie im DBI vgl. http://www.treccani.it/enciclopedia/angelo-fabroni_(Dizionario-Biografico)/ (abger. am 01.02.2015). Fabroni entstammte einem Adelsgeschlecht aus Pistoia. Er legte 1775/1776 einen Erziehungsplan vor, der auch konkrete Angaben zu Werken enthielt, die für die Erziehung notwenig seien, wie Condillacs Essai sur l’origine des connaissances humaines oder dessen Cours d’études, den er nach seinen Erfahrungen als Erzieher des Erbprinzen von Parma verfasst hatte: vgl. ÖStA, HHStA, HausA, Familienakten 56, Konv. 1, Piano di educazione per i R.R. Arciduchi fatto e presentato dal Priore Angelo Fabroni (1776). Vgl.

Contini, Educazione, 413f.

177 Manfredini wurde in der Regierungszeit Ferdinands als Großherzog von Toskana sein Obersthofmeister. Vgl. Funaro, Federico Manfredini.

178 Padua, Biblioteca del Seminario Vescovile, MS. 933, b.III Appendice, 4, Federico Manfre-dini an Erzherzog Franz vom 11.07.1788, zitiert nach Furnaro, ManfreManfre-dini, 92.

179 „Er [Manfredini] glaubt, die Kinder gleich mit hohen Sachen und Gedanken zu unterhalten und selben die Sentiments der alten Philosophen und großen Männer beizubringen und solche nach selben zu bilden.“ Darüber hinaus habe er Gedanken „so der jetzigen freien

1. Filippo Ricci, Jugendbildnis Erzherzog Franz’

„J’ai trouvé l’aîné lisant le livre de la grandeur et de la décadence des Ro-mains182 – Monseigneur, vous apprenez-donc l’histoire? – Qui, monsieur, c’est ma principale étude, avec l’essai de Locke sur l’entendement humain. – Mon-seigneur, vous étudiez Locke! Il vous sera bien utile, lorsqu’un jour il vous fau-dra régler des cerveaux humains dans vos états, d’avoir décomposé le cerveau humain dans votre cabinet.“183

Pietro Leopoldo hatte trotz der personellen Vorgaben von Maria Theresia und Joseph II. starken Einfluss auf die Erziehung seiner Kinder mit Schwer-punkt auf den unmittelbaren Unterrichtsinhalten. Die Vorgaben für die Erziehung wurden von Pietro Leopoldo äußerst penibel strukturiert. Das Leben der Erzherzoge war straff organisiert und ließ wenig Freiraum. In-dem Unterrichtsstunden und Aktivitäten für jeden einzelnen Tag der Woche genau festgelegt wurden, versuchte man die Kinder von klein auf an einen geregelten Tagesablauf und die Disziplin in der Einhaltung des Stunden-plans zu gewöhnen. Dies belegen die für Colloredo jährlich ausgegebenen Erziehungsprogramme,184 also Punktationen mit den Vereinbarungen für das laufende „Schuljahr“. Auch während der häufigen Aufenthalte der Herr-scherfamilie in der unweit von Florenz liegenden Residenz Poggio Imperiale wurde der Lehrbetrieb nicht unterbrochen.185

In Hinblick auf die Auswahl der Lektüre der jungen Erzherzoge zeigen mehrere Quellen, dass Pietro Leopoldo klare Vorgaben traf. Dies streicht die Bedeutung des Mediums Buch für den Wissenserwerb im Gegensatz zum mündlichen Vortrag der Lehrer hervor. Als fester Bestandteil des Unter-richts wird darin die Bedeutung des Lesens im Alltag der Erzherzoge vermit-telt. Bei den Ausarbeitungen und Vorgaben Pietro Leopoldos, im Speziellen zur Erziehung des Thronfolgers, handelt es sich also in jeglicher Hinsicht um ein „theoretisch fundiertes, planmäßiges Vorgehen im Hinblick auf einen erklärten Endzweck“186 der Erziehung, nämlich die Vorbereitung auf die

zu-182 Montequieus Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur déca-dence, auch bekannt unter dem Titel Grandeur et décadence des Romains aus dem Jahr 1734.

183 Dupaty, Lettres, 128.

184 Für das Jahr 1774 waren dies die Fächer Religion, Sprachen, Schreiben, Geschichte, Geo-graphie, Rechnen, Tanzen und Exerzieren. Mit dem Heranwachsen der Erzherzoge ergab sich eine Differenzierung und Ausweitung der Unterrichtsgegenstände. Vgl. ÖStA, HHStA, HausA, Familienakten 56, Konv. 5, Points pour l’Education des Archiducs et distribution des heures donnés au Comte Colloredo au mois de novembre 1774.

185 Vgl. exemplarisch ÖStA, HHStA, HausA, Familienakten 56, Konv. 5, Distribution des heu-res de leçons pour les Archiducs durant la Villeggiature de Poggio Imperiale en l’Eté de 1782.

186 Walther, Pädagogik, 748.

künftige Rolle des Monarchen. Bereits im Alter von drei Jahren begann man mit dem spielerischen Erlernen des Buchstabierens und Lesens:

„Dès l’âge de 3. ans on commence en jouant à leur apprendre à connoitre les Lettres et lire, on tache de mettre à l’éntour d’Eux des femmes de differentes nations, dont les unes ne leur parlent qu’allemand, et leur nomment les choses qu’ils voyent dans cette Langue, d’autres en françois, d’autres en Italien, pour les accomoder peû à peû tout en jouant à comprendre ces differentes langues, et à les parler.“187

Nachdem Colloredo 1774 die Erziehung übertragen wurde, war das Lesen fester Bestandteil des von Pietro Leopoldo zusammengestellten Stunden-plans.188 Die mit zunehmendem Alter anspruchsvolleren Fächer wurden je-des Jahr aufs Neue festgelegt. In den Unterrichtsstunden nahmen nicht nur das selbstständige Lesen und Ausarbeiten von Exzerpten und Aufsätzen,189 sondern auch das Vorlesen durch die Ajos bzw. Lehrer einen festen Platz ein.190 Das erworbene Wissen wurde anschließend wiederholt und abgeprüft bzw. schriftliche Ausarbeitungen korrigiert.

Das Lesen und Vorlesen war auch an anderen Fürstenhöfen ein fester Bestandteil der Prinzenerziehung. Claudia Kollbach bemerkt, dass den Kindern des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel bereits während des Ankleidens aus „wissenschaftlichen Werken, dem italienischen Télémaque, Zeitungen und Abhandlungen vorgelesen wurde.“191

Einen wichtigen Bereich des Studiums nahm der Spracherwerb ein.

Der Kanon des Sprachunterrichts am florentinischen Hof setzte sich aus Deutsch, Französisch, Italienisch und Latein zusammen und beinhaltete so-wohl das schriftliche Übersetzen von lateinischen Klassikern als auch das Übersetzen von Werken aus und in die drei anderen Sprachen. Trotz der umfassenden Erziehung in drei lebenden Sprachen dürfte Erzherzog Franz

187 ÖStA, HHStA, HausA, Familienakten 56, Konv. 6, Points d’Education 1782, fol. 4r. 188 ÖStA, HHStA, HausA, Familienakten 56, Konv. 5, Points pour l’Education des Archiducs et

distribution des heures donnés au Comte Colloredo au mois de novembre 1774.

189 ÖStA, HHStA, HausA, Nachlass Colloredo 1, 25 Stück Aufsätze und Übersetzungen der Ehz. Franz und Ferdinand aus den Jahren 1777 und 1778.

190 ÖStA, HHStA, HausA, Familienakten 56, Konv. 5, Distribution d’heures Monseigneur l’ar-chiduc François pour cet hyvér [1781]. Colloredo vermerkt für 9 Uhr die gemeinsam mit Manfredini oder ihm selbst vorgesehene gemeinsame Lektüre von moralischen Werken

„Duguet, Bossuet, Théophraste par La Bruyère, Contes Moraux d’Oxenstirn, Sermon par Massillon […] Zach, qui lira avec Lui quelque Auteur latin et Lui en faira faire l’explica-tion“ [fol. 148r].

191 Kollbach, Aufwachsen, 177f.

die besten Kenntnisse dennoch in der deutschen Sprache erworben haben.

Vermutlich während des Aufenthalts von Großherzog Pietro Leopoldo in Wien schrieb ihm sein Sohn Franz aus Florenz: „Eure Majestät müßen mir verzeihen, daß ich mich unterfange mit deutscher sprach zu schreiben, allein weil diese die sprach ist, wo ich mich am besten ausdrücken kann, so habe ich mich unterfangen den Brief mit deutscher sprach zu schreiben“.192

Mit dem intensiven Bücherstudium folgte man in der Prinzenerziehung einem Credo der Aufklärung, welches die gedruckten Werke als Refugium der Wissenschaft und Wahrheit der gesprochenen Sprache vorzog und die erstarkende Schrift- und Druckkultur als „qualitativ höherstehende Formen gesellschaftlicher Kommunikation“193 postulierte. In seinem 1759 erschiene-nen, öffentlichkeitswirksamen Werk Le véritable mentor weist Louis-An toine de Caraccioli194 darauf hin, dass die Anlage einer kleinen Bibliothek eine Vo-raussetzung für die Erziehung von Adeligen sei, „qui ne sont faits ni pour être des Bibliothécaires, ni des Savans d’une érudition consommée. Il suffit qu’ils sachent parler de tout à propos, & qu’ils ne paroissent pas étrangers au langage des hommes érudits, ainsi qu’à leurs Ouvrages.“195

Die Zusammenstellung einer Studienbibliothek und die Heranführung junger Adeliger an einen Wissenskanon, für den Caraccioli konkrete The-menbereiche vorschlägt und Beispiele gibt, sieht er als Teil der höfisch-ade-ligen Sozialisation. Dabei treten nicht nur Bücher, sondern alle Formen

Die Zusammenstellung einer Studienbibliothek und die Heranführung junger Adeliger an einen Wissenskanon, für den Caraccioli konkrete The-menbereiche vorschlägt und Beispiele gibt, sieht er als Teil der höfisch-ade-ligen Sozialisation. Dabei treten nicht nur Bücher, sondern alle Formen