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Zwischen den Stühlen – oder einfach

Im Dokument zu politischer Bildung im Kontext von (Seite 28-32)

den Stühlen“, das den Alltag dieser Jugendlichen präge. Vergessen wurde dabei die Selbstverständ-lichkeit, mit der auch viele junge Minderheitsange-hörige ihr Leben zwischen den Erwartungen des El- ternhauses und der Mehrheitsgesellschaft gestalten.

Erfolgsgeschichten wie jene des Fußballers Mesut Özil, der Schauspielerin Sibel Kekilli oder der Poli- tikwissenschaftlerin Kübra Gümüsay, die sich aus-drücklich als Teil der Gesellschaft sehen, erscheinen dabei als Ausnahmen, die mit der Realität der meis-ten als „migrantisch“ oder muslimisch markiermeis-ten Menschen in Deutschland nichts zu tun haben.

Dabei drängen immer mehr Muslime/-innen in die Öffentlichkeit, um eine aktive Rolle in der Gesell-schaft einzufordern. Dies kommt in diversen Initia- tiven zum Ausdruck, in denen sich vor allem Ju-gendliche, die sich als Muslime/-innen verstehen, darum bemühen, als Bürger/-innen wahrgenommen zu werden. So beteiligten sich innerhalb weniger Wochen hunderte Menschen mit Migrations- und/

oder muslimischem Hintergrund an der Facebook-Initiative „Weltoffenes Deutschland – wir zeigen Rea- lität“, um sich mit Fotos und kurzen Statements als Teil der deutschen Gesellschaft erkennen zu geben.

Eine ganz ähnliche Botschaft vertritt die Mus- limische Jugend in Deutschland, die mit dem Motto „jung, muslimisch, deutsch“ für sich wirbt. Für die Mitglieder des Vereins ist Deut-schland der Bezugspunkt – ganz unabhängig von der Herkunft der Eltern. So betont Hischam Abul Ola, der ehemalige Vorsitzende der MJD, die Zugehörigkeit der MJD zur deutschen Ge-sellschaft: „Der Islam ist unsere Religion, Deut- schland unsere Heimat, der wir uns verbunden und verpflichtet fühlen. Wir machen deutlich, dass es für uns keine Alternative hierzu gibt, weil wir genau das sind: Deutsche Muslime.

Das ist das Land, in dem wir geboren sind, dessen Werte, Bräuche und Sprache wir ken- nen wie keine anderen. Mit unserem Bewusst-sein einer deutsch-muslimischen Identität sind wir hier den meisten Moscheevereinen ein paar Schritte voraus.“3

Das Selbstbewusstsein der Jugendli-chen, die in Organisationen wie der MJD aktiv sind, spiegelt sich auch in der Bildungsorientie-rung und dem Wunsch nach beruflichem Erfolg, der für viele von ihnen charakteristisch ist. Dies gilt vor allem auch für Mädchen und jungen Frauen, die die Ausrichtung dieser Initiativen maßgeblich prägen. Mit ihrem demonstrativen Bekenntnis zum Islam, das zum Beispiel im Tragen des Kopftuches deutlich wird, fordern sie eine Anerkennung als deutsche Muslimin-nen. Der Wunsch nach Sichtbarkeit und Parti- zipation ist insofern keineswegs gleichbedeu-tend mit einer Abkehr von der Religion. Im Ge- genteil: Viele Aktive beschreiben ihr Engage-ment gerade auch als Versuch, religiöse Werte wiederzubeleben, die von ihren Eltern zuneh-mend vernachlässigt würden.

Auch für den deutschtürkischen Mo-dedesigner Melih Kesmen war dieser Wunsch nach Religiosität ein Grund, das Modelabel Style-Islam zu gründen. Die Marke ist in den vergangenen Jahren mit islamischer Streetwear und Accessoires wie Mousepads und Schlüs- selanhängern unter deutschen Muslimen/-innen

auch Glaubenspraktiken meiner Eltern. Da fin-det eine solche Vermischung mit Tradition und Volkskultur statt, dass es nichts mehr mit der islamischen Kernbotschaft zu tun hat. Und da sind wir quasi ‚Punks’: Wir sagen, die Art und Weise, wie der Islam in einem Großteil gewis-ser Volksgruppen praktiziert wird, ist nicht in Ordnung, das ist Mist.“4

Der Wunsch nach Partizipation und Empowerment richtet sich insofern nicht nur an die Mehrheitsgesellschaft, sondern auch an die Generation der Eltern, deren Traditionen und Orientierungen vielen Jugendlichen über-holt erscheinen. Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung von Angeboten deutlich, die Jugendlichen, die sich selbst als muslimisch begreifen, eine Teilhabe ermöglichen. Für das Gefühl von Selbstwirksamkeit, also der Gewiss-heit, das eigene Leben selbstbestimmt gestal-ten zu können, spielen sie gerade bei Jugend-lichen am Übergang zum Erwachsenenleben eine zentrale Rolle.

literatUr

Brettfeld, Katrin / Wetzels, Peter (2007): Muslime in Deutschland – Integration, Integrationsbarrieren, Religion und Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstaat und politisch-religiös motivierte Gewalt – Ergebnisse von Befragungen im Rahmen einer multizentrischen Studie in städtischen Lebensräumen, Hamburg. Bun- deszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Sexu- alität und Migration (2010): Milieuspezifische Zu- gangswege für die Sexualaufklärung Jugendlicher, Köln.

Frindte, Wolfgang/Boehnke, Klaus / Kreikenbom, Henry / Wagner, Wolfgang (2011): Lebenswelten jun- ger Muslime, Berlin. Nordbruch, Götz (2012): „Die beste der Gemeinschaften“ – Ethnozentrische Gemein- schaftsvorstellungen bei Jugendlichen mit Migrations-hintergrund, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 16–17/

2012, 16. April 2012. Open Society Institute (2010):

Muslims in Berlin. At home in Europe, Budapest.

The Pew Global Attitudes Project (2006): Muslims in Europe. Economic Worries Top Concerns About

in Deutschland, Gütersloh. Tucci, Ingrid / Groh- Samberg, Olaf (2008): Das enttäuschte Versprechen der Integration: Migrantennachkommen in Frankreich und Deutschland (=DIW-Berlin Discussion Papers 835), Berlin. Uslucan, Haci-Halil / Yalcin, Cem Serkan (2011): Wechselwirkung zwischen Diskriminierung und Integration – Analyse bestehender Forschungs-stände. Expertise des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) im Auftrag der Antidis-kriminierungsstelle des Bundes, Essen.

interviews

Interview mit ufuq.de, 29. Mai 2010. (http://ufuq.

de/newsblog/1076-hischam-abul-ola-von-der-mjd- qder-islam-ist-unsere-religion-deutschland-unsere-heimatq) Interview mit Melih Kesmen, labkultur.

tv, 18. Juli 2011 (http://www.labkultur.tv/blog/punk-trifft-prophet)

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