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JÜDISCHES LEBEN UND ANTISEMITISMUS HEUTE

Im Dokument zu politischer Bildung im Kontext von (Seite 57-60)

Inhaltlich-konzeptionelle Ausgangs- überlegungen

Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Pro- blem in Deutschland und quer durch alle Bevölke-rungsschichten verbreitet. Das bedeutet, er ist we- der ausschließlich noch überhaupt nicht bei musli- misch sozialisierten Menschen anzutreffen. Rele-vant für die kritische Auseinandersetzung mit Anti- semitismus (wie mit anderen Formen ausgrenzen-den Denkens und Handelns auch) ist immer die Frage nach der Funktion bzw. nach der Motivation, die der Nutzung dieser Deutungsmuster durch die Träger/-innen innewohnt. „Um Antisemitismus poli- tisch und pädagogisch bearbeiten zu können, sind die jeweiligen Bedingungen zu berücksichtigen, unter denen er auftritt. In der gegenwärtigen Ein- wanderungsgesellschaft gehören zu diesen Bedin-gungen neben den prekären rechtlichen und sozi-alen Verhältnissen, unter denen viele Migranten leben, antimuslimische Ressentiments und der Ein-fluss islamistischer und nationalistischer Gruppen.“

(Messerschmidt 2010: 95)

Sprechen wir im Kontext muslimischer Communities von Antisemitismus, rückt zumeist das Themenfeld Israel und Nahostkonflikt in den Mittel- punkt und damit die Frage danach, wo manichäi-sche, abwertende und kollektivierende Bezugnah-men auf Israel antisemitischen RessentiBezugnah-ments ent- springen. Damit einher geht aber immer auch die

thematische Auseinandersetzungen mit dem Nah-ostkonflikt gebunden. Der NahNah-ostkonflikt ist also

„einer der Hauptkatalysatoren für das Aufgreifen und die Artikulation antisemitischer Ressentiments“

(Müller 2012: 61). Kein Begründungsmuster, auch

Nicht selten herrschen im sozialen Umfeld musli-misch sozialisierter Jugendlicher zusätzlich antijüdi-sche Ressentiments vor, welche sich wechselseitig mit antiisraelischen Denkmustern bestärken (vgl.

ebd.: 62 f.). Diese Ansichten sind nicht auf

religiö-europäischen Vordenkern des Antisemitismus in die muslimische Welt getragenen Topoi, die dort in-zwischen einen zentralen Stellenwert einnehmen.“

(Wetzel 2012: 32)

Grundsätzlich verfügt die überwiegende Mehrzahl der muslimisch sozialisierten Jugendli-chen in Deutschland über kein geschlossenes anti- semtisches Weltbild, sondern nutzt und reprodu-ziert situationsbezogen und fragmentarisch antise- mitische Deutungen, Stereotype und Topoi. Beson- ders mit Blick auf das Leben in der deutschen Mi- grationsgesellschaft zeigt sich, dass diese Einstell-ungen nicht losgelöst von erfahrener Diskriminie-rung und Abwertung zu verstehen sind, mit denen muslimisch sozialisierte Jugendliche leben und umgehen müssen und in diesem Sinne unter an- derem Reaktionen auf daraus resultierende iden-titäre Beschädigungen darstellen können (vgl.

Mansel/Spaiser 2012: 220 ff.; Wetzel 2012: 31 ff.; Messerschmidt 2012: 46 ff. und 2010: 98 ff.;

Müller 2012: 65 f.).

Zugleich beobachten wir in unserer Ar- beit seit Jahren, dass viele Schüler/-innen zwar über viel emotionales, jedoch über wenig kogniti-ves Wissen zum Nahostkonflikt verfügen. Dies ist unter anderem auch dem Fakt geschuldet, dass im schulischen Kontext der Nahostkonflikt nur selten bearbeitet wird. Er gehört in vielen Bundesländern nicht zum Rahmenlehrplan. Darüber hinaus berich-ten Lehrkräfte von eigenen Ängsberich-ten, nicht angemes-sen mit stark emotionalen Reaktionen oder auch antisemitischen Äußerungen unter den Schülern/-innen umgehen zu können. Allerdings verfügen viele Schüler/-innen ebenfalls über erschreckend wenig Wissen über den Nationalsozialismus und den Holocaust.

Pädagogische Konzepte zum Thema „An-tisemitismus“ müssen also Raum für die Artikula-tion persönlicher oder berichteter Unrechtserfah-rungen im Kontext des Nahostkonfliktes bieten und Informationen über diesen sowie über die deutsche Geschichte und deren besondere Verantwortung im Kontext jüdischer Existenzen vermitteln. Wir versu-chen, diesem Bedürfnis nachzukommen und haben

Nahen Osten zu den Hauptträgern des militanten An- tisemitismus. So finden sich in den Ideologien der meisten islamistischen Gruppierungen weltweit an-tisemitische Elemente wie Verschwörungstheorien bis hin zu Aufrufen zum Kampf gegen‚ die Juden’, die etwa unter Bezug auf Koranverse diffamiert wer- den.“ (Müller 2012: 58) Islamistische Deutungs-muster bedienen sich des Konstruktes einer ewigen Feindschaft zwischen „den Juden“ und „den Mus-limen“ und stilisieren den Staat Israel, Israelis und Juden/Jüdinnen allgemein zu einem kollektiven Widerpart (vgl. Wetzel 2012: 36; Messerschmidt 2012: 46).

Deshalb ist eines der Anliegen dieses Mo- duls, die Idee einer ewigen Feindschaft zu destabili-sieren, indem explizit über religiöse Gemeinsamkei-ten zwischen Islam und Judentum gesprochen wird.

Grundsätzlich sind wir davon überzeugt, dass eine nicht negative bzw. anti-antisemitische Thematisie-rung jüdischen Lebens stets eine positive Wirkung auf Vorstellungen über Menschen jüdischen Glau-bens hat. Im Weiteren ist es uns wichtig aufzuzei-gen, dass es junge Erwachsene muslimischen Glau-bens gibt, die sich explizit gegen antisemitische Tendenzen in der deutschen Migrationsgesellschaft einsetzen. Hierzu gehört auch, den pauschalen An- tisemitismusvorwurf an muslimisch sozialisierte Ju- gendliche zu relativieren und somit eine abwehren-de und verteidigenabwehren-de Haltung auf Seiten abwehren-der Schü-ler/-innen im Sinne einer produktiven Auseinander-setzung mit der Materie zu überwinden.

Methodisch-didaktische Umsetzung

Das Modul beginnt mit den Zugängen, Vorstellungen und Bezügen der Jugendlichen zum Thema in Form einer Assoziationsübung. In der zweiten Sitzung steht ein Besuch im Jüdischen Museum Berlin an.

Die Führung dort fokussiert auf eine Einführung in jüdische Religion, Kultur und Tradition sowie auf die Gemeinsamkeiten zwischen Judentum und Is- lam. Erst danach widmen wir uns dem Phänomen des Antisemitismus. Hierzu thematisieren wir an-

mitische Denkfigur, wonach Jüdinnen und Juden in Deutschland für die Politik und das Handeln Israels in Verantwortung genommen werden. Zum ander- en wird ein Vorfall aus Berlin-Friedenau als Fallbei-spiel behandelt, in dem die Wohnungstür einer An-wohnerin mit den Worten „Vorsicht Juden-Freundin“

beschmiert wurde, weil diese sich in Projekten zur Erinnerung an die Judenverfolgung in Deutschland engagiert. In diesem Zusammenhang werden den Schülern/-innen zentrale Aspekte des so genannten sekundären Antisemitismus verdeutlicht, also Erin-nerungsverweigerung, Schuldabwehr und Schluss-strichforderungen.

Im abschließenden vierten Seminar er-möglichen wir den Schülern/-innen Einblicke in das Engagement von in etwa Gleichaltrigen, die sich ge- gen Antisemitismus und gegen das Vergessen ein- setzen. Dazu laden wir muslimisch sozialisierte Ju- gendliche aus dem Projekt JUMA und der KIgA ein, die über ihre Projekte, Maßnahmen und Erfahrun-gen berichten und diese zur Diskussion stellen. Da- bei geht es um historisch-politische Projekte im Sinne einer Erinnerung an das Judentum in Deut-schland und die nationalsozialistische Judenverfol-gung (etwa lokalräumliche Stadtspaziergänge, Ar- beit mit Biographien), um interreligiöse Projekte und um solche, die sich kritisch mit den aktuellen Er- scheinungsformen des Antisemitismus beschäftigen.

Im Dokument zu politischer Bildung im Kontext von (Seite 57-60)