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Sprechwissenschaftliche Analyse der Moderation des Gottesdienstes an hand von Videoaufzeichnungen

Im folgenden Teil der Arbeit möchte ich die Moderation an konkreten Beispielen untersuchen.

Der Untersuchung liegen 5 Videoaufnahmen unterschiedlicher Gottesdienste zugrunde.1 Gemeinsam ist allen Gottesdiensten, dass im Gottesdienst eine besondere Handlung gefeiert wird, in vier Fällen wird im Gottesdienst getauft, einmal das Abendmahl und die Goldene Konfirmation gefeiert, ein Gottesdienst ist ein Familiengottesdienst

(Erntedankfest), in einem Fall ist eine holländische Reisegruppe und in allen Gottesdiensten sind die Angehörigen verstorbener Gemeindemitglieder anwesend.

Durch diese zusätzlichen, aber durchaus häufig vorkommenden Sonderfälle, besteht in allen Gottesdiensten die Notwendigkeit, mit einer bzw. mehreren zusätzlichen

Gottesdienstgemeinden innerhalb der großen Gottesdienstgemeinde umzugehen. Das heißt, es besteht die offenkundige Notwendigkeit, verschiedene Teilgruppen zu einer

Gottesdienstgemeinde werden zu lassen. Die Konstitution der gottesdienstlichen Gemeinschaft ist damit eine vorgegebene Aufgabe für den Liturgen. Ich möchte untersuchen, wie die Pfarrerin und die Pfarrer sich dieser Aufgabe stellen.2

1 Die Gottesdienste sind zum Teil in Landgemeinden, zum Teil in Stadtgemeinden, zum Teil in Gemeindezentren, zum Teil in Kirchen von vier Pfarrern und einer Pfarrerin gehalten worden.

2 Dabei sollte klar sein, dass Videoaufnahmen nur eine Behelfsmethode sein können. Sie geben nur einen Ausschnitt des Ganzen wieder, insbesondere fehlt das Raumerleben. Die Beobachterrolle eines Außenstehenden wird zu sehr betont. Daher sind als Ergänzung und Korrektiv des Videobandes meine eigenen Eindrücke und Beobachtungen, die ich als Gottesdienstteilnehmerin gemacht habe, in die Analyse einbezogen.

Durch das Bandmaterial können jedoch subjektive Eindrücke auf konkrete Verhaltensweise zurückgeführt werden. Beispiel: subjektiver Eindruck: es dauert zu lang, mir wird langweilig. Beobachtung anhand der Bandaufnahme: es gibt viele Pausen, sie sind sehr lang und oft an Stellen, die im Sinnzusammenhang unangemessen sind.

Es wäre sicher wünschenswert, wenn nicht nur meine, sondern mehrere Teilnehmeraussagen, so wie bei der Analyse durch van der Geest, ergänzt durch Videobandaufnahmen zu einer umfassenderen

6.1. Die Grundlagen der in dieser Arbeit verwendeten Analysemethoden

6.1.1. Die vier Seiten einer Nachricht

Kommunikation im Allgemeinen wird von mir als ein Austausch von Botschaften3 verstanden. Damit Kommunikation zu Stande kommt, müssen mindestens zwei Kommunikanten eine Botschaft oder Nachricht4 austauschen, sonst kann nicht von

Kommunikation gesprochen werden. Eine Botschaft, Nachricht oder auch ein Zeichen5 ist in diesem Zusammenhang jedes Element, dem Bedeutung entnommen werden kann:

Worte, Tonfall (Körperspannung, Atemdruck, Register), Körperhaltung (Mimik, Gestik), Stellung im Raum (Proxemik), also alle verbalen und nonverbalen Äußerungen. Damit Bedeutung zustande kommt, ist ein Kommunikant nötig, der absichtlich oder unabsichtlich etwas ausdrückt, was ein zweiter bewusst oder unbewusst entschlüsselt.6

Durch alle diese Äußerungen kommt nach Watzlawicks Grundsatz: „Man kann nicht nicht Kommunizieren.“7 beim Zusammentreffen mit anderen Bedeutung zustande.8

Wahrnehmung der Situation und einer differenzierteren Analyse herangezogen werden könnten. Hier wären Aufgaben für weitere Untersuchungen.

3 In den Begriff ‚Botschaft’ möchte ich auch ausdrücklich das nonverbale Kommunikationsgeschehen

miteinbeziehen. Der Begriff ist nicht im Sinne einer umfassenden Rede gemeint. Eine Botschaft kann auch aus einem Blick bestehen.

4 Der Begriff ‚Nachricht’ wird von Schulz von Thun verwendet. Er erscheit mir jedoch eine zu starke Konnotation in Richtung auf Inhalt, Sachwissen zu enthalten, deshalb ziehe ich den Begriff ‚Botschaft’

vor.

5 Der Begriff ‚Zeichen’ kann auch relativ eng gefasst sein. Dann versteht man unter Zeichen ein definiertes, fest vereinbartes Gebilde wie beispielsweise ein Verkehrszeichen. In diesem Fall ist das Zeichen eindeutig, die Verwendung beabsichtigt. Wenn im Folgenden von Zeichen gesprochen wird, geht es nicht nur um Zeichen in diesem engen Sinn, sondern um „Zeichen im weiteren Sinne“.

6 Trojan 10

7 Watzlawick 50f

8 Geißner versucht zwar den verhaltenspsychologischen Ansatz von dem der Sprechwissenschaft

abzugrenzen, für den Gottesdienst scheint mir aber ein weiterer Kommunikationsbegriff als der Geißners hilfreich zu sein. So basiert die Einführung in den Gottesdienst von Manfred Josuttis: Der Weg in das Leben, 1991 ebenfalls auf verhaltenswissenschaftlicher Grundlage. Geißner selbst nennt den Gottesdienst eine Semiose (Geißner 51), was in den Bereich der linguistischen Semiotik verweisen würde, auch hier

Auch die Kommunikation im Gottesdienst kann mit wissenschaftlichen Methoden untersucht werden insofern es sich immer um menschliches Sprechen handelt. „Die Sprache verliert ihren Zeichencharakter auch dann nicht, wenn mit ihr über das Unsagbare geredet wird oder wenn sie Bestandteil einer sakramentalen Handlung ist.“9 Es kann also untersucht werden, welche Vorstellung und Einstellung die den Gottesdienst Gestaltenden und in geringerem Umfang welche Vorstellung die am Gottesdienst Teilnehmenden haben, insofern am Verhalten der Gemeinde ablesbar ist, wie sie sich Gott und den Gottesdienst denkt. Der sprechwissenschaftliche Ansatz, den ich verfolgen möchte, geht vom

Kommunikationsgeschehen zwischen den beteiligten Personen aus.

Bühler verwendet in seiner Sprachtheorie10 ebenfalls den Begriff ‘Zeichen’. Er stellt fest, dass jedes Zeichen eine Ausdrucks-, eine Darstellungs- und eine Appellfunktion hat.11

Auf der Darstellungsebene enthält ein Zeichen Informationen über einen Sachverhalt, auf der Appellebene enthält ein Zeichen Informationen darüber, was der Sender beim

Empfänger erreichen will und auf der Ausdrucksebene enthält ein Zeichen Informationen über die Person des Senders selbst.

kann die Vielfalt der Zeichen nicht nur auf die Sprache, bzw. das Sprechen reduziert werden. Siehe auch 3.2.2.

9 Paul 28

10 Bühler: Sprachtheorie, Stuttgart 1965 (2. Aufl.)

11 Ebd. 28

Z

S

G

E Darstellungs-funktion

Ausdrucks-funktion

Appell-funktion

Z = Zeichen G = Gegenstand S = Sender E = Empfänger

Friedemann Schulz von Thun12 fand in Anlehnung an Watzlawick13 noch einen weiteren Aspekt, der in jedem Zeichen enthalten ist und nennt dies ‘den Beziehungshinweis’. Er verwendet außerdem statt des Begriffs ‘Zeichen’ den Begriff ‘Nachricht’. Jedes Zeichen bzw. jede Nachricht enthält also auch Informationen darüber, wie der Sender die

Beziehung zum Empfänger definiert. Jedes Zeichen oder jede Nachricht kann also hinsichtlich dieser vier Faktoren untersucht werden. Schulz von Thun hat zur Veranschaulichung das Kommunikations-Quadrat14 entwickelt:

Zur Verdeutlichung beschreibe ich noch einmal die vier Seiten einer Nachricht, wie Schulz von Thun sie erklärt15, an einem Beispielsatz, der in einem Gottesdienst vorkommen könnte.

Der Satz lautet:

Wir wollen Fürbitte halten;

ich möchte Sie bitten, dazu aufzustehen.