Fast jede Nachricht versucht auch Einfluss auf andere zu nehmen, indem der Empfänger dazu gebracht werden soll, bestimmte Dinge so und nicht anders zu sehen, etwas zu denken oder zu fühlen, etwas zu tun oder zu lassen. Der Appell, des Beispielsatzes lautet:
‘Steht auf und betet mit mir!’
Derselbe Appell könnte auch anders ausgedrückt werden, indem zum Beispiel der Pfarrer sich nur in Position begibt und nonverbal, etwa durch Gestik, zu verstehen gibt, dass die Gemeinde sich erheben möge. Die Beziehungsdefinition sähe dann anders aus.
Auch hier kommt es wieder entscheidend auf den Tonfall an, wird der Satz mit
besonderem Nachdruck gesprochen, wäre beispielsweise der Appell zu entnehmen: Nehmt die Sache ernst!
Durch diese Art der Analyse sprecherischer Äußerungen kann also die Kommunikation im Gottesdienst beschrieben und untersucht werden. Es kann auf die Vorstellung der
Kommunikationsteilnehmer über ihre Rolle und ihre Einstellung zum Geschehen (Beziehungshinweis) aber auch auf ihre Befindlichkeit (Selbstkundgabe) und ihre
Erwartungen (Appellseite) geschlossen werden und natürlich kann die sachliche Aussage erhoben werden (Sachinhalt).
Nicht immer werden bei der Analyse alle Aspekte berücksichtigt, weil nicht immer alle zur Klärung des Kommunikationsgeschehens in gleicher Weise beitragen. Letztlich geht es um die Bewertung der verschiedenen Aspekte in ihrer Angemessenheit für die
Kommunikationssituation Gottesdienst.
Hinzu kommt der Aspekt der vertikalen Kommunikationsebene:
Der Beispielsatz: ‘Wir wollen Fürbitte halten; ich möchte Sie bitten, dazu aufzustehen’, enthält also neben den oben genannten Informationsaspekten, wenn er im Gottesdienst ausgesprochen wird, auch auf der vertikalen Ebene ‘Sachinhalt’, ‘Selbstkundgabe’,
‘Beziehungshinweis’ und ‘Appell’. Er ist transparent für die Botschaft auf der vertikalen Ebene.
Zwar ist aufgrund der prinzipiellen Unverfügbarkeit des Wort Gottes die
Ausdifferenzierung in Einzelbotschaften, wie für die horizontale Ebene geschehen, nicht angebracht. Dennoch sind zumindest die Selbstkundgabe Gottes und der
Beziehungshinweis wichtig und in seiner Wirkung beschreibbar. Der Pfarrer oder die Liturgin repräsentieren für die Gottesdienstteilnehmer, ob sie wollen oder nicht, die Kirche und indem sie die Kirche repräsentieren, repräsentieren sie zugleich Gott, und Gott (was uns unbedingt angeht) spricht eine existentielle Schicht des Bewusstseins oder
Unterbewusstseins der Zuhörer an.16
16 Van der Geest 68:
Gott
Was uns unbedingt angeht
Kir-che Prediger Zuhörer
Existentielle Schicht
„Für das Erleben der Gemeinde geschieht das eigentliche Geheimnis der Begegnung in der Beziehung zwischen Prediger und Zuhörer. Die
Kommunikation von Pfarrer und Gemeinde ist der Ort, wo <<es>> stattfindet, wenn es stattfindet. <<Es>> ist: die Gemeinschaft von Herr und Gemeinde im Glauben“17
Die Gottesdienstteilnehmer sind deshalb empfindlich für diese beiden Aspekte der
vertikalen Kommunikation. Selbstkundgabe Gottes wäre zum, Beispiel: ich rede mit Euch durch Menschen. Durch den Tonfall ernst, streng, distanziert oder freundlich, wird auch auf das Wesen Gottes geschlossen, besonders aber auf die Art von Beziehung, die
zwischen Gott und Menschen besteht: Lässt er mit sich reden, fordert er Respekt, ist er wie ein Herr oder Herrscher oder wie ein liebender Vater oder wie eine Freundin. Diese Fragen werden durch die Art wie die Pfarrerin bzw. der Pfarrer spricht und sich gibt
mitbeantwortet. Was nicht heißt, dass die Gottesdienstteilnehmerinnen und -teilnehmer diese Beziehungsdefinition jeweils akzeptieren.
Wichtig ist nur zu beachten, dass auch bei einer primär in horizontaler
Kommunikationsrichtung geäußerten Botschaft die Gottesdienstteilnehmer auf der vertikalen Ebene Zeichen und Botschaften entschlüsseln können, und dass besonders die Aspekte Selbstkundgabe und Beziehungshinweis hiervon betroffen sind.
6.1.2. Die vier Merkmale der Verständlichkeit
Durch die Analyse der Kommunikationssituation Gottesdienst hat sich gezeigt, dass es in mehreren Hinsichten darauf ankommt, dass die Gemeinde versteht, was geschieht oder geschehen soll. Daher möchte ich zur genaueren Analyse des Sachinhalts der einzelnen Moderationen die vier Merkmale der Verständlichkeit, die von Langer, Schulz von Thun und Tausch18 gefunden wurden, mitheranziehen.
Nach diesen Autoren zeichnen sich optimal verständliche Texte durch vier Kriterien aus.
Sie sollten möglichst eine große Einfachheit aufweisen, in der Gliederung und Ordnung
17 Van der Geest 78
18 Langer, Schulz von Thun, Tausch: Sich verständlich ausdrücken, München 1987 (3. Aufl.), auch in: Schulz von Thun 140-155
sehr klar sein, weder zu knapp noch zu weitschweifig formuliert sein und bei klarer Ordnung einige anredende Zusätze enthalten.19
Die vier Kriterien der Verständlichkeit werden in 5 Abstufungen gemessen: ++ + 0 -
--Einfachheit ++ + 0 - -- Kompliziertheit
Gliederung-Ordnung ++ + 0 - -- Unübersichtlichkeit
Kürze-Prägnanz ++ + 0 - -- Weitschweifigkeit
Zusätzliche Anregung ++ + 0 - -- keine zusätzliche Anregung
Die unterstrichenen Bereiche kennzeichnen die für das jeweilige Kriterium günstigsten Werte. Die Beurteilung der Verständlichkeit kann in einem ‘Verständlichkeitsfenster’
wiedergegeben und festgehalten werden. Rechts die Werte eines gut verständlichen Textes:
Einfachheit Gliederung-Ordnung Einfachheit +
Gliederung-Ordnung ++
Kürze-Prägnanz Anregende Zusätze
0
Kürze-Prägnanz
+
Anregende Zusätze
Diese Kriterien für eine verständliche Redeweise dürften auch für die Liturgen eine hilfreiche Orientierung bieten. Sie werden hier noch einmal auch speziell für gesprochene Texte dargestellt20:
1. Einfachheit
Ein Text ist dann einfach zu verstehen, wenn die Wörter geläufig und die Sätze kurz sind.
Ein Text ist auch dann noch einfach zu verstehen, wenn die auftauchenden Fremdwörter erklärt werden und die Darstellungsform im Konkreten und Anschaulichen bleibt.
Eine angemessene Lautstärke und gute Aussprache tragen ebenfalls zum einfachen Verständnis bei, da die Zuhörerinnen und Zuhörer sich nicht anstrengen müssen, um die Worte zu verstehen.
19 Langer u. a. 24
20 Vgl. Langer u. a. 14ff