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Die soziokulturelle Theorie ist ein relativ neues Forschungsgebiet in der Psychologie. Diese Theorie betont die Interaktion zwischen Menschen und die Entwicklung der Kultur, in der sie leben. Soziokulturelle Theorie entwickelte sich aus den Arbeiten bzw. Forschungen des Psychologen Vygotsky, der der Ansicht war, dass Eltern, Betreuer, Gesellschaft und die Kultur im Allgemeinen für die Entwicklung von Funktionen höherer Ordnung bei Menschen verantwortlich sind.

8.1 Das vermitteln der Gedanken

Das elementare bzw. grundlegende Konzept der soziokulturellen Theorie ist, dass das menschliche Gehirn in der Lage ist, Gedanken und Konzepte zu vermitteln. Der Psychologe Vygotsky argumentierte gegen die orthodoxe Sicht des Verstandes bzw. Geistes mit dem Beispiel, dass genauso wie die Menschen nicht direkt auf die physische Welt und Umstände reagieren, sondern sie mit Hilfe von Mittel und Tätigkeiten verändern, genauso verwenden wir symbolische Mittel bzw. Zeichen um unsere Beziehungen, mit anderen und mit uns selbst, zu regulieren. Physische sowie symbolische Mittel sind Artefakte, die im Laufe der Zeit durch die menschliche Kultur erschaffen und als Erbe für nachfolgende Generationen hinterlassen wurde.

Diese Artefakte werden in jeder Generation, bevor sie an zukünftigen Generationen weitergegeben werden, verändert und der jeweiligen Zeitvorstellungen angepasst. Zu diesen symbolischen Mitteln zählen Zahl-und Rechensysteme, Musik, Kunst und vor allem die Sprache. Wie mit physischen Werkzeugen bzw. Mitteln, gebraucht der Mensch symbolische

33 Dietrich Reiner: Psycholinguistik, 2002, S. 242-243

Artefakte um indirekte Beziehungen bzw. Verbindungen zwischen uns und der Welt zu etablieren. Vygotsky konzipiert, dass der menschliche Verstand ein Funktionssystem ist, in dem die Eigenschaften, die natürlich oder biologisch festgelegt werden können, des Verstandes durch die Integration von symbolischen Artefakten in ein höheres oder kulturell Bedingtes denken organisiert werden. Ob physikalische oder symbolische Artefakte, alle werden in der Regel modifiziert, bevor sie an die nächste Generation weitergegeben werden. In jeder Generation wird dieses kulturelle Erbe überarbeitet, um den Bedürfnissen der Gesellschaft oder der der Einzelpersonen anzupassen. Genauso werden Sprachen kontinuierlich von ihren Benutzern umgeformt, um ihren kommunikativen und psychologischen Bedürfnissen gerecht zu werden. Ein Beispiel dafür ist der Einfluss von neuen Metaphern auf die Art und Weise wie die Menschen denken und handeln.

Zum Beispiel, seit fast vier Jahrzehnten haben Forscher den menschlichen Verstand bzw. Geist aus der Sicht einer Maschine untersucht, eine Perspektive, die ohne die Entwicklung von Computern in den mittleren Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts nicht möglich gewesen wäre.

Wie so oft in der Geschichte passiert, wird eine Entwicklung, die in einem spezifischen Bereich passierte bzw. durchgeführt wurde mit einer anderen Entwicklung in einem anderen Bereich ausgeglichen. Olson, ein Psychologe und Professor an der Universität von Toronto, zeigt, wie unsere allgemein akzeptierte Ansicht, dass das Überschreiben bereits existierende Modelle der Sprache irreführend ist, denn die Beziehungen zwischen Schreiben und Sprachmodelle sind genau umgekehrt. Das heißt, die Kategorien und Strukturen, die im Mittelpunkt der linguistischen Theoriebildung stehen, sind im Wahrheit Nebenprodukte von alphabetischen Schriftsystemen. Zum Beispiel, während frühe Bildschriftsysteme Bedeutungen in das Bewusstsein gebracht haben, brachten die graphemischen bzw. alphabetischen Systeme verbale Formen in dem Vordergrund. Graphemisches Schreiben hatte schon immer Schwierigkeiten sprachliche Angaben und Eigenschaften wie Intonation, Betonung, Lautstärke, Länge und andere Marker der illokutionären Aspekte der Äußerungen zu verschriftlichen. Ist es dann nur ein Zufall, dass diese Eigenschaften bis vor kurzem nicht in der zentralen linguistischen Theoriebildung vorkamen? Es ist interessant zu bemerken, dass, während Syntax und Phonologie weiterhin als Kernbereiche der Sprache und der Sprachanalyse angesehen werden, wird die Pragmatik oft, wenn nicht vollständig in andere Disziplinen wie Kommunikationstheorie, Philosophie, oder Soziologie geschoben.

8.2 Aktivitätstheorie

Aktivitätstheorie ist eine von Vygotskys ursprünglichen Vorschlägen über die Art und Entwicklung des menschlichen Verhaltens. Die Theorie befasst sich mit den Annahmen bzw.

Behauptungen, dass das menschliche Verhalten sich aus der Integration von sozial und kulturell konstruiert Formen der Vermittlungen ergibt. Der sowjetische Neuropsychologe Alexander Luria bezeichnete dieses System, das aus der Integration von Artefakten in die menschliche Aktivität führt, als ein Funktionssystem. Verstand, nach Luria, bedeutet nicht die biologische Aktivität des Gehirns richtig zu sprechen, sondern ist ein funktionsfähiges System, das entsteht, wenn die elektro-chemischen Prozesse im Gehirn unter die Kontrolle der kulturellen Artefakte kommen. Vygotsky argumentiert, dass, wenn die Psychologie diese Funktionssysteme verstehen will, muss sie in erster Linie Bildung und Aktivität der Sprache und nicht ihre Struktur untersuchen. Diese Theorie wurde schließlich von Leontiev, einen sowjetischen Psychologen, in seiner eigenen Theorie der Aktivität verdeutlich und weitergeführt. Aktivität, in Leontievs Theorie, ist nicht nur etwas zu tun, sondern es ist etwas das entweder durch eine biologische Notwendigkeit, wie Hunger, oder eine kulturell konstruierte Notwendigkeit, wie die Belesenheit in bestimmten Kulturen, bedingt ist.

Bedürfnisse werden zu Motiven, wenn sie auf ein bestimmtes Objekt gerichtet werden und Motive sind nur in bestimmten Aktionen, die zielgerichtet und unter bestimmten räumlichen und zeitlichen Bedingungen und durch geeignete Mittel, durchgeführt und realisiert werden.

Somit umfasst eine Tätigkeit drei Ebenen: die Ebene der Motivation, die Handlungsebene und die Ebene von Bedingungen.

8.3 Internalisierung und die innere Sprache

Die Konvergenz des Denkens ist mit kulturell bedingten Artefakten verbunden, vor allem solchen, die sprachlich organisiert werden. Hier tritt dann der Prozess der Internalisierung bzw.

der Rekonstruktion der inneren, psychologischen Ebene ein. Internalisierung stellt voraus, dass die Quelle des Bewusstseins sich außerhalb des Kopfes befindet, und ist in sozialen Aktivitäten verankert. Die Tätigkeiten von Individuen (Kindern) werden am Anfang von anderen Personen (Eltern) organisiert und geregelt, aber im Laufe der normalen Entwicklung, beginnt die Person eigene geistige und körperliche Aktivitäten zu entwickeln und regulieren. An diesem Punkt kommen alle psychologischen Funktionen unter die mentale Kontrolle der Person. Die Internalisierung ist nicht eine Übertragung von allen externen Vermittlungen zu einer bereits vorhandenen internen Ebene. Im Gegenteil, soziokulturelle Theorie argumentiert, dass

psychische Prozesse nicht im Kopf eines Menschen bereits vorhanden sind und nur darauf warten, um im richtigen Reifungsmoment aufzutauchen. Der Psychologe und Professor Kozulin stellte fest, dass, soweit wir wissen, alle Menschen in der Lage sind Objekte zu klassifizieren. Allerdings klassifizieren nicht alle Menschen Objekte nach dem gleichen Schema. In einigen Kulturen basiert die Klassifizierung von Objekten, in erster Linie, auf der funktionellen Rolle des Objekts im täglichen Leben, und in anderen Fällen werden Objekte nach einem formalen Schema in der Schule verinnerlicht. Internalisierung ist ein Prozess, dass durch geistige Handlungen von externen, sozialen Handlungen basiert und gebildet wird.

Einer Rede, bei der wir uns selbst Fragen stellen, diese Fragen beantworten zu versuchen, oder mit ihnen eine bestimmte Tätigkeit zu unterbrechen versuchen, usw. wird allgemein als eine private Rede bezeichnet; das heißt, eine Rede, dass ihre Herkunft in der Kommunikation mit anderen Individuen hat, aber auf privaten bzw. kognitiven Funktionen basiert. Als die kognitive Entwicklung fortschreitet, entwickeln sich private Gespräche in eine innere Rede bzw. Sprache.

Nach Vygotsky, ist das ein Prozess, dass höhere Bewusstseinsformen auf der inneren Ebene des Geistes entstehen lässt und auf diese Weise unsere biologische Kapazitäten im Gehirn neu definiert bzw. organisiert.