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2 Die Agenda der Agrarverhandlungen in der Doha- Doha-Runde

2.5 Sonderregeln für Entwicklungsländer

Sonderregeln für Länder mit geringem Lebensstandard und niedriger Entwicklungsstufe (vgl. Kasten 5) gab es schon im GATT. Dazu gehören insbesondere:

Die Möglichkeit, aufgrund von Zahlungsbilanz-Schwierigkeiten vorübergehend Importrestriktionen zu verhängen.

Der Schutz von infant industries.

Die enabling clause von 1979. Sie erlaubt es Industrieländern, ohne eine Sonder-erlaubnis anderer Länder (waiver) einseitige, nichtreziproke Handelsabkommen mit allen Entwicklungsländern zu schließen (Allgemeine Präferenzsysteme, APS).

Außerdem können sich Entwicklungsländer untereinander Präferenzen gewähren.

Für Abkommen mit anderen, selektiven Gruppen von Entwicklungsländern ist da-gegen weiterhin ein – zeitlich begrenzter – waiver nötig (vgl. Kap. 5.2, insbeson-dere Kasten 12). Für LDC gilt seit 1999 ein genereller waiver bis 2009 (WTO 1999).

Mit der Sonderbehandlung innerhalb der WTO wird eingeräumt, dass Entwicklungs-länder unter Umständen einen anderen Politikbedarf haben als IndustrieEntwicklungs-länder. Auch im WTO-Gründungsabkommen wird ausdrücklich festgehalten, dass Entwicklungsländer commensurate with the needs of their economic development am internationalen Handel teilhaben sollen. Im Rahmen der WTO finden sich rund 100 Sonderregeln (Special and Differential Treatment, SDT) (WTO 2000; Mangeni 2003; Stevens 2003). Viele dieser SDT sind Ausdruck des merkantilistischen Verständnisses in der WTO, d.h. sie redu-zieren vor allem die Reziprozitätsverpflichtungen (vgl. Kasten 1).

Kasten 5: Länderkategorien im GATT und in der WTO

GATT und WTO kennen im Grunde nur drei rechtsverbindliche Kategorien von Ländern:

Entwickelte Länder, Entwicklungsländer und Least Developed Countries. Je nach Kategorie werden im Rahmen des Special and Differential Treatment (SDT) unterschiedliche Verpflich-tungen und Rechte zugebilligt. Da ein erheblicher Teil der WTO-Verhandlungsprobleme aus dieser groben Vereinfachung der ökonomischen Realitäten entsteht, lohnt es sich, die Kriterien der WTO-Mitgliederklassifizierung näher zu beleuchten:

Die Kategorisierung als Entwicklungsland findet durch Selbsteinstufung statt. So erklärt sich, dass zumindest zwei OECD-Länder in der WTO Entwicklungsländer-Status haben: Südkorea und Mexiko. Auch Singapur gilt als Entwicklungsland.

LDC ist eine Länderkategorie der Vereinten Nationen. Seit 1971 existiert eine Definition, die schon mehreren Änderungen unterworfen war. In der letzten, im dreijährigen Rhythmus statt-findenden Revision der LDC-Definition wurden drei Kriterien festgelegt: i) Einkommen unter 900 US $ BSP pro Kopf im dreijährigen Mittel für Aufnahme, über 1035 US $ für Graduierung, ii) Humankapital-Index (Augmented Physical Quality of Life Index) unter 59, mit Indikatoren aus den Bereichen Ernährung, Gesundheit, Bildung, Alphabetisierung, und iii) ökonomische Anfälligkeit (Economic Vulnerability Index) unter 36, mit Indikatoren aus den Bereichen Instabilität der landwirtschaftlichen Produktion, Instabilität der Exporte von Gütern und Dienst-leistungen, ökonomische Bedeutung nichttraditioneller Aktivitäten, Konzentration der Exporte und das handicap of economic smallness. Außerdem darf ein LDC nicht mehr als 70 Mio.

Einwohner zählen (Ausnahme: Bangladesch).

2001 wurde Senegal zum 49sten LDC erklärt. Ghana und die Volksrepublik Kongo hätten die Voraussetzungen erfüllt, widersetzten sich jedoch (bisher) einer Herabstufung. 16 weitere Länder (darunter große wie China, Indien, Indonesien, Nigeria und Pakistan) erfüllen einige Voraussetzungen. Als bisher einziges Land hat Botswana seinen LDC-Status abgelegt. Andere Länder, die im Zuge ihrer wirtschaftlichen Entwicklung die LDC-Kriterien nicht mehr erfüllten, aber um Privilegien fürchteten, wurden bisher nicht graduiert.

Es gibt einzelne Passagen in verschiedenen WTO-Regelungen, die auch andere Abgrenzungs-kriterien benutzen: Net Food Importing Developing Countries, Small Island Countries, Land-locked Developing Countries, Länder mit unter 1000 US $ BSP pro Kopf und Jahr (im Subven-tionsabkommen), Transitionsländer. Die vielen Verhandlungsgruppen, die sich zeitweilig oder permanent zusammenschließen (vgl. Kap. 2.6), haben dagegen keinen eigenen Status in den Abkommen.

Quellen: WTO 2001a; Page 2001; OHRLLS 2003

Die wichtigsten SDT für den Bereich Landwirtschaft sind bisher:

Für die Reduktion von Zöllen und handelsverzerrenden Subventionen im AoA gab es geringere quantitative Verpflichtungen (2/3 der Industrieländer) und länge-re Fristen (10 statt 6 Jahlänge-re).

Unterstützung für Vermarktung und inländische Transporte zu Exportzwecken fallen nicht unter die Regeln für Kürzungen der Exportsubventionen, generell gel-ten die Exportsubventionsbeschränkungen nur für Netto-Exporteure.

Die Subventionierung von Betriebsmitteln für ressourcenarme Landwirte ist er-laubt (Green Box), und die De-minimis-Pauschale ist doppelt so hoch (10 %) wie für Industrieländer, allerdings mit gewissen Einschränkungen.

LDC sind von Verpflichtungen zum Zoll- und Subventionsabbau bisher ausge-nommen.

In der Marrakesch-Erklärung wurde dazu aufgerufen, spezielle Maßnahmen für LDC und Netto-Nahrungsmittelimportierende-Länder (Net Food Importing Developing Countries, NFIDC)21 zu ergreifen, um mögliche negative Auswirkungen der Agrarlibe-ralisierungen auf die Ernährungssicherheit abzufedern. Besonders erwähnt werden die Verbesserung der Infrastruktur und Produktivität, verlässliche Nahrungsmittelhilfe, verbesserter Zugang zu Nahrungsmittel-Importkrediten, Sicherung günstiger Export-kredite und technische Hilfe.

Viele neue Forderungen von Entwicklungsländern nach SDT beziehen sich auf eine Fortsetzung bzw. konsequentere Umsetzung der Regeln der Uruguay-Runde. Einige Forderungen, wie special products, haben jedoch eine qualitativ neue Dimension (vgl. Kasten 6).22

21 Die Klassifizierung als NFIDC wird durch das Landwirtschaftskomitee der WTO durchge-führt und ist nicht zu verwechseln mit den low-income food deficit countries der FAO;

vgl. WTO 1995; FAO 2003c.

22 Gegner von SDT argumentieren, dass sich Entwicklungsländer mit SDT eher selbst schaden, vgl. Özden / Reinhardt 2002 oder den breiten Überblick in Stevens / Kennan 2003. Die De-batte um SDT wird zumindest im Agrarsektor dadurch politisch brisant, dass es meistens die wirtschaftlich dominanten Länder (z.B. Großbritannien, USA) waren und sind, die nach Li-beralisierung des Welthandels verlangen, die aber ihre Agrarsektoren massiv stützen. Der zentrale Vorwurf ist, dass sie sich für ihre fortgeschrittenen Industrien Märkte eröffnen und den wirtschaftlichen Verfolgern die Aufholjagd in den alten, arbeitsintensiven Sektoren er-schweren; vgl. Khor 2001; Chang 2002; Zongo 2003.

Kasten 6: Vorschläge für neue SDT bei Importbarrieren in Entwicklungsländern Viele Ideen für einen speziellen Importschutz von Agrarmärkten in Entwicklungsländern wurden zunächst im Rahmen des Vorschlags einer sogenannten Development Box gemacht, die 2000 von einer Gruppe von Entwicklungsländern in die Agrarverhandlungen eingeführt wurde.

Mittlerweile wird der Begriff nicht mehr häufig verwandt, vielmehr laufen diese und ähnliche Vorschläge als SDT zur Förderung der Ernährungssicherung und Agrarproduktion von Klein-bauern. Die Forderungen beruhen vor allem auf drei Argumenten:

Der Schutz von infant industries wird durch Artikel XVIII GATT erlaubt und kann z.B. den Aufbau von Agrarindustrien unterstützen, bis sie eine gewisse Größe und Wettbewerbsfähigkeit erlangen.

Der Schutz von Produzenten vor unfairer Konkurrenz (Subventionen oder Dumping) wird allgemein als legitim erachtet und ist im allgemeinen GATT-Recht durch verschiedene Ab-kommen geregelt (vgl. Anhang 2). Speziell Exportsubventionen stellen unfaire Wettbewerbs-vorteile dar und erzeugen Instabilitäten, da sie hauptsächlich bei interner Überversorgung zum Zuge kommen und damit keine zuverlässige Importquelle für Verbraucher sind. Dumping ist speziell für Entwicklungsländer ebenfalls eine reale Gefahr – es sei daran erinnert, dass die internationalen Agrarmärkte höchst konzentriert sind, dass hohe Markteintrittsprobleme bei verarbeiteten Produkten bestehen und internationale Konzerne sowohl versucht als auch in der Lage sind, solche kleinen aber schnell wachsenden Märkte zu monopolisieren. Schließlich sind im Agrarsektor auch extreme Preisfluktuationen ohne direkte Handelsintervention häufig, gegen die ein gewisser Schutz gefordert wird. Diese Forderung ist umso gewichtiger, wenn es um die Produktion von Kleinbauern geht, die meistens zu den besonders armen Bevölkerungs-gruppen zählen (vgl. Kap. 4.1 und 6.3).

Der Schutz der nationalen Nahrungssouveränität, d.h. der Art, wie ein Land seine Ernährungs-sicherheit gewährleisten will, ist ein weiteres häufig angeführtes Argument für Importbarrieren.

Von einer importgestützten Ernährungssicherungsstrategie wird abgeraten, zumal wenn die zur Verfügung stehenden Devisen aus wenig diversifizierten Quellen stammen und die Nahrungs-mittelmärkte unbeständig sind, was für Agrarmärkte aus natürlichen und politischen Gründen meist der Fall ist.

Die bestehenden Schutzmechanismen sind allerdings sehr aufwändig zu begründen, langsam, z.T. mit Kompensationszahlungen verbunden, und damit für Entwicklungsländer kaum zu gebrauchen. Hinzu kommt, dass im Agrarsektor die generelle Duldung von gewissen Subventi-onen im Rahmen des AoA sowie (zumindest in der Vergangenheit) die Friedensklausel viele Interventionen schützt In den neuen Verhandlungen werden daher neue, einfacher zu handha-bende und vorhersagbare Schutzinstrumente gefordert, insbesondere: