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2. Vernetzungstendenzen in ausgewählten Problemfeldern

2.2 Sondermüllentsorgungssysteme

Auch bei den Sondermüllentsorgungssystemen handelt es sich um ein junge Erscheinung in den Industrieländern. Anders jedoch als die mittlerweile wohletablierten und bereits einem internen Funktionswandel unterworfenen Transplantationssysteme befinden sich die Sondermüllentsorgungssysteme noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium, wenn man so will, noch im

"Rohbau". Denn bis in die 80er Jahre hinein glich die Sondermüllentsorgung allenthalben einem abfallwirtschaftlichen Wildwest, in dem halbseidene Müllschieber mit ausgeprägten Sinn für grenzüberschreitende Geschäfte den Ton angaben.

Der Aufbau eines gesonderten Entsorgungssystems für problematische Abfälle wurde im wesentlichen durch die Umweltschutzbewegung und die in allen Industrieländern in den 70er Jahren einsetzende behördliche Regulie­

rung des Sondermüllproblems vorangetrieben. Die Sondermüllregulierung in der Bundesrepublik basiert auf dem Abfallgesetz von 1972.21 Spezifische Anforderungen für die Sondermüllentsorgung enthielt erstmals die Gesetzes­

novelle aus dem Jahr 1977, das man deshalb auch als das Geburtsjahr des bundesdeutschen Sondermüllentsorgungssystems betrachten kann (Kloepfer 1989: 682).22 Weitere Marksteine bildeten die parallel zur Abfallgesetzge­

bung entstandenen Luftreinhaltungsgesetze, die einschlägigen Vorschriften

21 Siehe Bundesminister der Justiz 1990, Bundesminister des Innern 1990, sowie die Kom­

mentare hierzu in Bender/Sparwasser 1988 und im Müllmagazin 2/1989.

22 Allerdings gehen in der Bundesrepublik die gesetzlichen Regelungen der Altölentsorgung bereits auf das Jahr 1968 zurück.

32

-zum Transport gefährlicher Güter und die Ende der 80er Jahre erstellten technischen Anleitungen Luft und Abfall.

Aufgaben und Probleme der Sondermüllentsorgung

Wie im Fall der Organtransplantationssysteme sollen zunächst die zentralen Funktionen und der Problemhintergrund der Sondermüllentsorgungssyste­

me näher charakterisiert werden. Gemeinhin wird die Aufgabe der Sonder­

müllentsorgung darin gesehen, gesundheitsgefährdende Abfälle aus dem Le­

bensraum der Menschen (und der erstreckt sich mittlerweile auf nahezu die gesamte Biosphäre der Erde) fernzuhalten. Man kann dann diese übergrei­

fende Aufgabe in zwei Funktionsbereiche unterteilen, und zwar in die Erfas­

sung und die Behandlung von Sondermüllabfällen. Zur Sondermüllerfassung gehören im wesentlichen das Identifizieren anfallenden Sondermülls und die Kontrolle seiner weiteren Behandlung. Die Müllsonderbehandlung, wie man korrekterweise sagen sollte, umfaßt dann das Transportieren des Sonder­

mülls, das Herausfiltern der in ihm enthaltenen Giftstoffe und das Unschäd­

lichmachen dieser Stoffe.23

Von dem Abfallberg, den Industrie und Haushalte jährlich produzieren (in der alten Bundesrepublik ca. 220 Millionen t/a), entfällt auf den als Son­

dermüll eingestuften Abfall nur ein kleiner Teil (ca. 5 Millionen t/a; Wittchow 1986: 43). Die Gründe für eine Sondermülleinstufung sind in der Regel ge­

ringe Beimengungen hochtoxischer Stoffe. Eine der zentralen Aufgaben der

23 Die gesetzlichen Vorschriften regeln den spezifischen Umgang (Sonderbehandlung) mit gefährlichen Abfallstoffen (vgl. Schedler 19991:3401). Ihnen ist immer die stoflbezogene Be­

wertung des Abfalls mit Blick auf den "Normalentsorgungsfall" (Hausmülldeponierung) durch autorisierte Instanzen (Humanmedizin, Ökologie, Umweltanalytik, "Deponiefor­

schung") vorausgesetzt. Damit ist nicht gesagt, daß in den Ausführungsbestimmungen des Gesetzes nicht auch auf stoffliche Kriterien zurückgegriffen wird. Wie eng der Sonderbe­

handlungszwang an bestimmte Substanzen sinnvoller Weise gekoppelt werden sollte, ist j e ­ doch umstritten. Die bundesdeutschen Behörden versuchen hierfür umfassende Schadstoff­

kataloge zu erstellen. In der Anlage zur Abfallbestimmungsverordnung sind zur Zeit etwa 400 solcher Stoffe aufgelistet (siehe Abb. 18). Alle Stoffe, die nicht in dieser Liste enthalten sind, gelten auch nicht als Sondermüll. Da solche Kataloge der chemischen Entwicklung meist hinterherhinken, sie zudem leicht zu umgehen sind, wird auf EG-Ebene eine Kopp­

lung an gefährliche Produktionsprozesse diskutiert. Alle Abfälle gefährlicher Produktions­

prozesse (z.B. die Lackherstellung) wären demnach gesondert zu entsorgen - auch wenn es sich dabei mitunter um ungefährliche Substanzen handeln sollte.

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-Öffentlich zugängliche Sonderabfallverbrennungsanlagen 1 A achen

2 E b en h a u sen 3 B ergkam en 4 Berglsch-G ladbach 5 Biebesheim 6 Bram sehe 7 B ru n sb ü ttel 8 B u rg h au sen 9 F ra n k fu rt 10 H am burg 11 H erten 12 Ibben b ü ren 13 Köln 14 Krefeld 15 Leverkusen 16 Ludwigshafen 17 M arburg 18 Marl 19 W esseling

Öffentlich zugängliche Sonderm ülldeponien 1 Billigheim

2 Breitscheid 3 G allenbach 4 Gerolsheim

5 G revenbroich-N euenhausen 6 Hoheneggelsen

7 H ünxe-Scherm beck 8 Kirchhaln-Klelnseelhelm 9 O chtrup

10 R aindorf 11 R ondeshagen 12 Schw abach

U ntertagedeponien Herfa-Neurode

Salzbergwerk H ellbronn Zeche Zollverein

Abbildung 13: Standorte zentraler Sondermüllanlagen in der Bundesrepublik

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-Sondermüllentsorgung besteht entsprechend darin, diese Giftstoffe heraus­

zufiltern, um die gezielte Behandlung der Giftstoffe (das Filtrat) und die Rückführung dabei anfallender Rohstoffe (im Filtrat oder im Gefilterten) zu vereinfachen, vor allem aber um angesichts der knappen Deponiekapazitäten das Volumen des Sondermülls zu reduzieren.

Das Unschädlichmachen der toxischen Beimengungen des Sondermülls sei am Beispiel der Nichteisenmetalle (Blei, Quecksilber, Cadmium) und der hochchlorierten Kohlenwasserstoffe (FCKW, Dioxine, PCB) erläutert. Beide Stoffgruppen gelten als die "Problemkinder" der Sondermüllentsorgung, sowohl wegen ihrer Gefährlichkeit, als auch der technischen Schwierigkei­

ten, die ihre Entsorgung bereitet. Innerhalb der Biosphäre sind beide Stoff­

gruppen hochstabil, was eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, daß sie sich in Organismen, in der Ozonschicht und in Recyclingprodukten an­

reichern können.24 Insofern gilt es, alle Einträge dieser Stoffe in die Bio­

sphäre zu vermeiden, wie gering auch immer sie sein mögen. Die Zerstörung der angefallenen Giftstoffe, das heißt ihre Umwandlung in ungefährliche Substanzen, ist jedoch nur für die chlorierten Kohlenwasserstoffe machbar und zwar gegenwärtig allein durch Verbrennen, in Zukunft vielleicht einmal durch chemisch-biologische Umwandlung.25 Bei den Nichteisenmetallen be­

steht im Prinzip nur die Möglichkeit, sie in Glasblöcke einzugießen (oder an­

derweitig zu inaktivieren) und sie dann zu deponieren, also ihren Eintrag in die Biosphäre möglichst lange hinauszuzögern (Landschaftsdeponierung) oder möglichst unwahrscheinlich zu machen (Bergwerkdeponierung).

Der Sondermüllnotstand, den seit Mitte der 80er Jahre zahlreiche Kom­

munen ausrufen oder androhen, bezieht sich in erster Linie auf die Kapazi­

24 Zu den Hintergründen des Sondermüllproblems zählt auch folgende kleine und sicher nicht zufällig in Deutschland spielende Geschichte. Nahezu die gesamte moderne Chlor­

chemie geht auf ein Recycling-Großprojekt der chemischen Industrie zu Anfang dieses Jahr hunderts zurück. Bei der Suche nach industriellen Weiterverwertungsmöglichkeiten von Chlorabfällen stieß man auf die Chlorkohlenwasserstoffverbindungen. Wegen ihrer extre­

men Stabilität betrachtete man sie u.a. als eine gesundheitsfreundliche Alternative zu den Amoniaksubstanzen, die damals vor allem als Kühlmittel in Kühlschränken eingesetzt wur­

den. Der Verdacht, daß die vermeintlich gesundheitsfreundlichen Kühlmittel die Ozon­

schicht der Erde schädigen, hat vor kurzem wiederum dazu geführt, ausgedienten Kühl­

schränken den Sondermüllstatus zu verleihen ... (Fortsetzung folgt).

25 Bei hohen Verbrennungstemperaturen zerfallen chlorierte Kohlenwasserstoffe. Ihre 100%ige Zerstörung ist jedoch auch mit Spezialverbrennungsanlagen immer nur annähe­

rungsweise möglich, kleine Mengen bleiben in der Abluft und in den Verbrennungs­

schlacken erhalten. Der Streit um Sondermüllverbrennungsanlagen geht im wesentlichen um die Größe dieser Schadstotfreste.

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-tätsengpässe in der Sondermüllbehandlung. Ein ganzes Bündel von Ursa­

chen ist hierfür verantwortlich zu machen. Die bereits vorhandenen Depo­

nien sind voll oder entsprechen nicht mehr den Sicherheitsrichtlinien. Eine Reihe von Entsorgungspraktiken, wie etwa die Verklappung auf See, wurde verboten (Lange 1990). Für die Errichtung neuer Deponien werden die geolo­

gisch günstigen Standorte knapp, sie stößt wie die Errichtung von Verbren­

nungsanlagen zunehmend auf Proteste der Anwohner und dauert - bedingt durch verschärfte sicherheits- und genehmigungstechnische Vorschriften - immer länger. Internationale Abkommen machen zudem den Export von Sondermüll schwieriger. In Deutschland, das als weltweit größter Abfallex­

porteur galt, fällt dies besonders ins Gewicht.26 Auch scheint es sich bei vie­

len der mit der Sondermüllentsorgung verbundenen Recyclingsystemen, von denen man sich eine Mengenreduzierung verspricht, um regelrechte Anrei­

cherungskreisläufe für Giftstoffe zu handeln (Lahl/Zeschmar-Lahl 1991).

Schließlich findet sich unter den bereits angefallenen, registrierten und zur Sonderbehandlung vorgesehenen Abfällen vieles, für das es bislang über­

haupt noch keine angemessenen Entsorgungstechniken gibt.27

Den knappen Entsorgungskapazitäten steht ein anschwellender Son­

dermüllberg gegenüber. Der größte Anteil des Sondermülls (ca. zwei Drittel) fällt nach wie vor in der chemischen Industrie an.28 Da sich die vorsorgliche Entgiftung der industriellen Stoffkreisläufe noch in den Anfängen befindet (Asbestverbot, bleifreies Benzin, Reduktion der FCKW-Produktion), gleichzei­

tig die industrielle Güterproduktion mengenmäßig und von ihrer Stoffvielfalt her wächst, wird man mit einem weiter Wachstum der jährlich produzierten Sondermüllmengen rechnen können. Kaum überblicken lassen sich bislang

26 Da die ehemalige DDR ein Großabnehmer von bundesdeutschem Müll, insbesondere von Sondermüll war, wird sich dies - ohne daß die Probleme dadurch gelöst wären, mittlerweile geändert haben (siehe Breuninger 1990). Dem grenzüberschreitenden Müllexport der dicht­

besiedelten Länder entspricht bei Flächenstaaten der Müllexport von Ballungszentren in ländliche Regionen. Der grenzüberschreitende Abfallexport durch die Luft, die Flüsse oder Meeresströmungen - letzteres ist vor allem für dichtbesiedelte Inselstaaten wie England und Japan ein beliebtes Entsorgungsverfahren - werden von den schlagbaumorientierten Ex­

portkriterien ohnehin nicht erfaßt.

27 Dies betrifft vor allem unzugänglichen Sondermüll und Stoffgemische, bei denen die chemische oder physikalische Konsistenz der ungefährlichen Stoffanteile die Zerstörung des Gemisches und zugleich die Separierung der Schadstoffe verhindert.

28 Zur Aufteilung der anfallenden Sondermüllmengen auf verschiedene Produzenten und zur Aufteilung der Entsorgung auf betriebseigene und öffentliche Anlagen siehe UBA 1989:

420-468.

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-der Umfang und die Entsorgungsanfor-derungen, die für die Son-dermüllent­

sorgungssysteme aus den Endmoränen ihrer Vorgänger, das heißt aus den sogenannten "Altlasten" erwachsen (vgl. Schneider 1989, Schreiber/Hessle- fors 1986). Schätzungen besagen, daß ca. 50 000 bis 70 000 sanierungsbe­

dürftige Altareale (alte Industrie- und Deponiestandorte) Abfälle mit Sonder­

müllqualitäten verbergen (Der Spiegel 14/1991). Ein weiteres Anwachsen des Sondermüllberges könnte schließlich die sogenannte "Altstoffbewertung"

nach sich ziehen, das heißt die nachträgliche Klassifizierung von Stoffen als Sondermüll, die vor Inkrafttreten des Chemikaliengesetzes im Jahre 1982 vermarktet wurden (Heimann 1991, Lahl/Zeschmar-Lahl 1991: 161, Köhler

/Zwingmann 1988: 59).

Anlagentechnische Strukturen

Betrachtet man nun näher die technischen Einrichtungen der Sondermüll­

entsorgung, fallen natürlich zunächst die "großtechnischen" Anlagen zur Sondermüllbehandlung ins Auge, also Sondermülldeponien, Sondermüllver­

brennungsanlagen zu Wasser und zu Lande (siehe Abb. 14) sowie spezielle Aufbereitungsanlagen, die in der einen oder anderen Weise die oben ange­

sprochene Filterfunktion erfüllen (Anlagen zur Volumenverringerung, spe­

zielle Recyclingsysteme, Bodenwaschanlagen und anderes).

In den alten Bundesländern laufen zur Zeit 34 allgemein zugängliche zentrale Sondermüllverbrennungsanlagen (Umweltbundesamt Informations­

blatt Abfall Nr. III. 1.3, Stand 1989). Davon werden sechs von der öffentli­

chen Hand betrieben. In 13 Sondermülldeponien werden noch Abfälle einge­

lagert (siehe Abb. 13; vgl. Sutter 1990: 40).29 Insgesamt dürfte es sich aller­

dings bei den gegenwärtig in den alten Bundesländern betriebenen Sonder­

mülldeponien um mehrere hundert handeln. Denn Deponien, die bereits voll sind und daraufhin verkapselt werden, sind im Prinzip so lange "in Betrieb", bis sie lecken und größere Umweltschäden verursachen. Reparaturen und

29 Zu den öffentlich zugänglichen und für verschiedene Abfallarten tauglichen Anlagen zäh­

len auch 73 teilweise unmittelbar an sie angegliederte Sondermüllbehandlungs- und Aufbe­

reitungsanlagen. Daneben gibt es jedoch noch ca. 2 500 kleinere, häufig industriellen Pro­

duktionsprozessen nachgeschaltete und meist sehr spezielle Sondermüllentsorgungsanlagen (Stand 1986; vgl. Sutter 1990: 40fl).

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-sicherheitstechnische Nachrüstungen solcher außer Kontrolle geratener Alt­

deponien stellen lediglich den Uhrzeiger des Zeitzünders - so ließe sich mit Bezug auf die Zeitbombenmetapher für Deponietechnik sagen - ein Stück zurück. Diesen spezifischen Zeitzwängen ist es deshalb auch zu verdanken, daß die Rückholbarkeit des deponierten Sondermülls zu einem zunehmend wichtigen Kriterium für den Betrieb und den Neubau von Sondermülldepo­

nien wird.

Abbildung 14: Zusammensetzung und Entsorgungsart des Sondermülls (Stand 1986)

Schwefel haltige Abfälle Ölhaltige Abfälle Lacke, Farben Lösemittel

Verbrennungsrückst.

Galvanikabfälle Verunreinigte Böden

Verbrennung Behandlung Zwischenlager

Bei neuen Sondermüllentsorgungseinrichtungen kann es sich um durchaus komplexe, mit industriellen Produktionsanlagen vergleichbare technische Systeme handeln (vgl. Sutter 1990: 215-220). Beispielsweise ge­

hören zu einer modernen Landschaftsdeponie:

- eine mehrschichtige Bitumen- und Plastikabdichtung, die zusammen mit ihrer natürlichen Abdichtung (Tonschichten) das Eindringen von Schad­

stoffen in den Untergrund für mehrere Jahrzehnte verhindern soll,

- ein Drainagesystem für die Deponiewässer mit einem eigens für sie errich­

teten Klärwerk,

- eine Abdeckung, die das Eindringen von Regenwasser verhindert,

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-- meß-- und labortechnische Einrichtungen zur Kontrolle des angelieferten Mülls, aber auch zur Überwachung der Deponiegase, des Deponiewassers, des Langzeitverhaltens der eingelagerten Abfälle und möglicher Lärm-, Bo­

den- und Grundwasserbelastungen in der weiteren Deponieumgebung sowie

- computergestützte Informationssysteme zur Erfassung betriebsrelevanter Mülldaten (Umfang, Qualität, Absender, Lage in der Deponie) und zur Do­

kumentation der meßtechnisch erhobenen ''Selbstbeobachtungsdaten" der jeweiligen Deponiebetreiber (Hulpe/Bornemann 1990, Kaworsky 1989, Treibert 1990).

Neben den ortsfesten Großanlagen werden - ähnlich wie bei den zu­

meist außerhalb der Transplantationszentren durchgeführten Organentnah­

men - zunehmend auch kleiner dimensionierte und mobile Sondermüllentsor­

gungsanlagen einschließlich dazugehöriger Bedienungsmannschaften einge­

setzt. Sie wurden insbesondere vor dem Hintergrund der rapide zunehmen­

den Artenvielfalt des Sondermülls und der Altlastproblematik entwickelt.

Hierzu gehören unter anderem tragbare Laboratorien zur chemischen Ana­

lyse des Sondermülls, mobile Anlagen zur Vorsortierung kontaminierter Bö­

den und zur Volumenverringerung von Asbestschutt und ausgedienten Kühlflüssigkeiten oder die in-situ-Bodenwaschtechniken (siehe Abb. 15), bei denen z.B. altölverseuchte Böden, die sich nicht abtragen lassen, mit speziell hierfür adaptierten Mikroorganismen geimpft werden. Weitergehende Stand­

ortungebundenheit verspricht ein vor kurzem vorgestellter Entsorgungs­

transporter für klinischen Sondermüll. Mit ihm sollen die Abfälle während der Fahrt behandelt werden können.30

Modelldeponien, moderne, als umfassende "Schadstoffsenken" ausge­

legte Verbrennungsanlagen und mobiler Entsorgungs-Hightech können je­

doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß das technische Niveau der Entsor­

gungsanlagen in den meisten Industrieländern noch relativ niedrig ist. Auch in der Entsorgungstechnik spielt das Altlastenproblem, das heißt alte und dennoch weitergenutzte Deponien, Verbrennungs- und Aufbereitungsanla­

gen eine große Rolle. Anspruchsvollere Entsorgungstechniken sind allesamt jüngeren Datums. Noch in den 70er Jahren (und vielerorts ist das heute

30 Einen Eindruck von der Fülle neuer Entsorgungstechniken vermittelt das Jahrbuch

"Technik für Umweltschutz".

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-noch der Fall) handelte es sich bei der "Deponietechnik" häufig schlicht um Löcher in der Landschaft und bei den Anlagen zur "thermischen Mineralisie­

rung" von Sondermüll um Öfen zur Verbrennung von Altölen, die trotz ihrer Größe den Ölöfen aus unseren Wohnstuben an Raffinesse in nichts nach­

standen.

Biozwei-Reaktor

tnfittrationsbnjnnen Schutz nfiltration

Grobkies/Sand

Grundwasserstauer (Sohlschicht)

Deckschicht Feinkies/Sand

*GW ’*

Grundwasserspiegel

Abbildung 15: Schematische Darstellung einer Bodenimpfanlage

In der Bundesrepublik kam, wie gesagt, die entsorgungstechnologische Entwicklung erst durch Bürgerproteste und die Verschärfung der entsor­

gungsrechtlichen Rahmenbedingungen in Gang. Der behördliche Blick auf die Sondermüllproblematik, auch der der Protestbewegungen, war und ist dabei nach wie vor stark "anlagenfixiert".31 Das, was in den Zwischenräu­

men von "Sondermüllproduktionsanlagen" der Industrie und den Sonder­

müllentsorgungsanlagen mit den Abfällen passiert, und damit auch die Ver­

netzungsaspekte der Sondermüllentsorgung, wird dabei kaum erfaßt. Auf die Vernetzungsaspekte soll nun näher eingegangen werden.

31 Dies gilt nicht für die Umweltschutzverbände. Sie unterstützen zwar durchweg den lo­

kalen Bürgerunmut gegenüber bestimmten Entsorgungsanlagen und nutzen dabei das vor allem bei Deponieanwohnern wirksame Sankt-Florian-Prinzip aus. Jedoch haben die Umweltverbände mit als erste auf die behördliche Anlagenfixierung aufmerksam gemacht und ihr "integrierte Entsorgungskonzepte" überregionalen Zuschnitts entgegengehalten.

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-Netztechnische Strukturen

Zu den noch recht offensichtlichen Vernetzungsphänomenen gehören der Aufbau integrierter Anlagenverbunde und die Errichtung zentraler Entsor- gungsparks (siehe Abb. 16) - eine Entwicklung, die durchaus im Einklang mit dem altlastorientierten Trend zu mobilen Kleinanlagen gegenwärtig vor allem von großen kommunalen Zweckverbänden in Nordrhein-Westfalen vorangetrieben wird. Im Idealfall sollen mit ihnen Müllaufbereitungs-, Recyc­

ling-, Verbrennungsanlagen sowie Zwischen- oder sogar Endlagerungsmög­

lichkeiten gemeinsam betrieben (Anlagenverbund) bzw. auch räumlich zu­

sammengefaßt werden (Entsorgungspark). Über solche Einrichtungen könnten insbesondere (ländliche) Regionen, die sich bislang keine speziellen Sondermülleinrichtungen leisten konnten oder solche nicht für notwendig hielten, in übergreifende Entsorgungssysteme eingebunden werden (Fonteyn 1991). Anlagenverbunde und Entsorgungsparks basieren ganz wesentlich darauf, die Entsorgungssysteme für Normalmüll und Sondermüll, die ja erst seit ein paar Jahren getrennte Wege gehen, teilweise wieder zu reintegrieren.

Speziell die zentralen Entsorgungsparks versprechen für die Sonder­

müllentsorgung, aber auch für eine auf Recycling bedachte Hausmüllentsor­

gung die Transportwege zu verkürzen, die der Abfall zwischen seinen jeweili­

gen Behandlungsstufen zurücklegt.32 Die räumliche Nähe bietet zudem die Chance, die verschiedenen Müllbehandlungsanlagen, dort wo es sich anbie­

tet, energetisch oder verfahrenstechnisch miteinander zu verkoppeln (vgl.

ITU 1990). Auch könnten sie die Kontrolle der in zunehmendem Maße durch Recyclingeinrichtungen miteinander verflochtenen Sonder- und Hausmüll­

ströme erleichtern. Wichtigstes Motiv für die Errichtung zentraler Entsor­

gungsparks dürfte jedoch wiederum die Standortknappheit sein. Durch die Ausweitung eines schon vorhandenen Standorts zu einem umfassenden Ent­

sorgungspark läßt sich die schwierige Suche nach neuen Standorten vermei­

den. Für die Sondermüllentsorger bietet letztlich die Standortkopplung von Sondermüll- und Hausmüllentsorgung viele legitimatorische Vorteile.33

32 Allerdings dürften sich hierdurch speziell die Transportwege des noch unbehandelten Sondermülls verlängern.

33 Obwohl die Haushalte gleichermaßen Verantwortung für den Sonder- und Hausmüll tragen, ist es dennoch im Fall von Hausmülldeponien einfacher, möglichen Protesten von Deponieanwohnern ihre Mitverantwortung für das Müllproblem entgegenzuhalten.

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-Verbrennung 5-10% Chem.-physik.-Behandlung 20-30% Deponie 60-70% Zwischenlager 1 %

brennbar nicht brennbar nicht brennbar, chemisch oder physikalisch zu behandeln nicht brennbar, ablagerbar

Anteilen. Wiedarvoiweri bares.

Ionische Gemische

f'uss.g piXSlOt lesl flüssig flüssig pastös suchtest bla fest

filioi iosong. leer«

Putzwolle. Medütamenlc sonst testes Brenn­

bares. Brtumen. Teer- W alle. Kunstharze

phenolhallige Abwasser

Bohrblemuslonen. Inhalle aus Beminabscbeidern.

5äur«n und Laugen, sonstige enlgiflungslaliige und neulralisierbar» Flüssigkeiten

giftige Filterschtämme, Schlamme nichl slichlesl (Fesislollgehall unter 30

Feste Melallhydtoxldschlamme. ölwerumelnlglos Erdreich, sonstig« deponieibara Sonrierablalle

Verbtennungsruck

Abbildung 16: Integrierte Sondermüllentsorgungsanlagen

Betrachtet man nun die technischen Vernetzungen, die zwischen der Sondermüllentsorgung und den Energieversorgung s- und Abwasserentsor­

gungssystemen bestehen, kommt eine Reihe von Kopplungen ins Spiel, wie man sie von industriellen Produktionsanlagen her kennt. Bei Großdeponien werden beispielsweise die in der eigenen Anlage vorgeklärten Deponiewässer den jeweiligen kommunalen Abwassersystemen zugeführt. Die meisten Müll­

aufbereitungssysteme, insbesondere die Anlagen zum Einschmelzen von Ab­

fällen, und Sondermüllverbrennungsanlagen für kalorienarme Abfälle sind auf Energieversorgungssysteme angewiesen. Umgekehrt werden auch die Sondermüllanlagen für den Betrieb der Abwasser- und Energieversorgungs­

systeme genutzt, insofern zum Beispiel Verbrennungsöfen ihre überschüs­

sige Energie in die Elektrizitäts- oder Fernwärmenetze einspeisen. Durch die

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-verschärften Umweltschutzbestimmungen wird zudem der Betrieb speziell der Stromversorgungs- und Abwasserentsorgungssysteme zunehmend vom Sondermüllentsorgungssystem abhängig. Ein großer Teil der Filterstäube und Verbrennungsschlaeken aus Kraftwerken, des Klärschlamms aus Klär­

werken oder etwa des PCB aus Umspannwerken kann nämlich nicht mehr im Straßenbau, der Landwirtschaft und der chemischen Industrie weiterver­

wertet, sondern muß als Sondermüll entsorgt werden (vgl. Gelfort 1989).

Einschlägiger für die Sondermüllentsorgung und vergleichbarer mit ent­

sprechenden Einrichtungen im Transplantationswesen sind jedoch die trans­

portlogistischen Vernetzungen, die die Sondermüllentsorger zu und zwischen verschiedenen Verkehrsinfrastrukturen herstellen. Je nach Art, Umfang, Ge­

fährlichkeit und Kosten wird Sondermüll per LKW, Bahn oder Schiff (Bin­

nen- und Seeschiffahrt), zu großen Teilen auch im sogenannten Kombiver­

kehr transportiert.34 Die Infrastrukturen des Güterverkehrs sind hierfür wiederum in unterschiedlicher Weise an die spezifischen Erfordernisse der Sondermüllentsorgung angepaßt, etwa über besondere Bahnanschlüsse für die Sondermüllproduktions- und Entsorgungsanlagen oder durch das mitt­

lerweile breite Spektrum von Sondermüllcontainern, Spezialtankschiffen und Lastkraftwagen.

Bei einem Teil der Sonderabfälle werden derartige Adaptionen der Ver­

kehrsinfrastruktur sehr detailliert durch die Verordnungen zum "Transport gefährlicher Güter" vorgeschrieben. Transporte des als "gefährliches" Gut eingestuften Sondermülls bedürfen der behördlichen Genehmigung und sind dann nur auf bestimmten Strecken des Straßennetzes und mitunter nur zu verkehrsarmen Zeiten erlaubt. Aus Sicherheitsgründen müssen besonders gefährliche Abfallarten, soweit möglich, per Bahn transportiert werden. Bei dem Transportgerät, das dabei zum Einsatz kommt, sind spezielle Sicher­

heitsvorkehrungen einzuhalten (etwa doppelwandige Tanks, Gefahrenkenn­

zeichnung am Transporter, besondere Qualifikationsnachweise für die LKW- Fahrer; siehe Abb. 17).

Abgewickelt werden die Sondermülltransporte vorwiegend durch die Speditionsabteilungen der Chemiekonzerne und durch international operie­

rende Spezialspeditionen. Die verschärften behördlichen Auflagen und die

34 Im Raum Köln zum Beispiel, in dem sich Standorte der chemischen Industrie konzentrie­

ren, machen gefährliche Güter nahezu 20 % des Schienengüterverkehrs aus (Kreitz 1990).