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Sialinsäuren als Rezeptordeterminanten für Viren

Viren sind auf Wirtszellen zur eigenen Reproduktion angewiesen. Der Rezeptor stellt die essentielle Eintrittspforte für den viralen Lebenszyklus dar. Viren haben sich im Laufe der Evolution sehr unterschiedliche Zelloberflächen-Moleküle, unabhängig von deren Struktur oder Funktion, als Rezeptoren ausgesucht. Das Vorkommen von Rezeptoren auf der Oberfläche von Zellen ist mitentscheidend für den Wirts- und Gewebstropismus, sowie für die Pathogenität.

Die erste Virus-Rezeptor-Determinante, die entdeckt wurde, ist die N-Acetylneuraminsäure (Neu5Ac). Sie dient u.a. Influenza-A und –B-Viren als Erkennungsstruktur (GOTTSCHALK, 1958). Die verschiedenen Derivate der

Neuraminsäure, die in ihrer Gesamtheit Sialinsäuren genannt werden, sind saure Zuckermoleküle mit negativer Ladung, die an terminaler Position auf Zuckerketten von Glykoproteinen und Glykolipiden sitzen. Es gibt über 40 Neuraminsäurederivate.

Sie unterscheiden sich durch verschiedene Acetylierungen und andere Modifikationen. Sie können durch verschiedene Bindungstypen mit dem nachfolgenden Zuckermolekül verknüpft sein.

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Abbildung 2: Strukturformeln der N-Acetylneuraminsäure, die in verschiedenen Bindungsarten mit Galactose bzw. Neu5Ac verbunden sind

Sialinsäuren erfüllen mehrere Funktionen. Einerseits stellen sie lebenswichtige Moleküle für den Organismus dar, in dem sie eine wichtige Rolle im Zellreifungs- und Alterungsprozess spielen. Alternde Zellen verlieren mit der Zeit ihre Sialinsäuren auf der Oberfläche. Diese Veränderung wird von Rezeptoren z.B. auf Phagozyten erkannt, die diese Zellen dann „entsorgen“. Andererseits werden Sialinsäuren von Patho-Organismen „missbraucht“, die diese Zucker als Rezeptoren erkennen, was lebensbedrohliche Infektionen zur Folge haben kann (Übersicht siehe SCHAUER, 2000). Die Bindung von Influenzaviren über ihr Hämagglutinin an Sialinsäure ist mittlerweile sehr gut charakterisiert. Hinweise auf die Lokalisation der Bindungsstelle auf dem HA-Molekül wurden durch Kristallisationsstudien gefunden. Hier zeigt sich, dass die Sialinsäure in einer „Tasche“ des Moleküls binden kann (SAUTER et al., 1992; WEIS et al., 1988). Influenza-C-Viren erkennen eine andere Sialinsäure, die N-Acetyl-9-O-Acetylneuraminsäure (Neu5,9Ac2) (ROGERS et al., 1986). Auch für viele weitere Viren und Bakterien sind Sialinsäuren als Rezeptordeterminante beschrieben. Das Sendai-Virus, ein Mitglied der Familie der Paramyxoviridae, bindet an ein Sialoglykoprotein (SUZUKI et al., 1985) und einige Mitglieder der Familien Reoviridae, Rotaviridae und Polyomaviridae verfügen über eine Sialinsäure-Bindungsaktivität. (FERNANDES et al., 1994; ROLSMA et al., 1994). Auch für einige Coronaviren wurden Sialinsäure-bindende Eigenschaften beschrieben. Hier sind vor allem Vertreter der Gruppe 2 zu nennen, das bovine Coronavirus und das humane Coronavirus OC-43. Sie erkennnen Neu5,9Ac2 als Rezeptor (SCHULTZE et al., 1990; SCHULTZE und HERRLER, 1992; VLASAK et al., 1988b). Auch für TGEV, ein Vertreter der Gruppe 1, ist zusätzlich zur Bindung an den Rezeptor Aminopeptidase N noch eine Sialinsäurebindungseigenschaft beschrieben, die vor allem für die Enteropathogenität von TGEV von Bedeutung zu sein scheint (KREMPL et al., 1997;

SCHWEGMANN-WESSELS et al., 2003). Auch für IBV ist bekannt, dass es über das Spike-Protein an Sialinsäuren auf der Oberfläche von Erythrozyten binden und dadurch Hämagglutination auslösen kann (BINGHAM et al., 1975; SCHULTZE et al., 1992). Bemerkenswert ist, dass behüllte Viren, die ausschließlich über Sialinsäuren an die Zelle binden, ein zusätzliches Glykoprotein in ihrer Membran tragen, das rezeptorzerstörende Eigenschaften besitzt. Bei den Influenza-A- und –B-Viren und den Paramyxoviren sind dies Neuraminidasen, die Sialinsäuren von den

Zuckerketten abspalten. Viren, die Neu5,9Ac2 erkennen, besitzen eine 9-O-Acetylesterase, die eine Hydrolyse der Acetylgruppe am C9-Atom der Sialinsäure bewirkt. Man nimmt an, dass durch die rezeptorzerstörenden Enzyme ein

„Klebenbleiben“ der Viren an der Zelloberfläche nach dem Freisetzen und die Aggregat-Bildung der Viruspartikel vermieden wird.

2 Zielsetzung

Das Spike-Protein von IBV ist als Hauptantigen bereits gut charakterisiert. Von vielen verschiedenen Serotypen sind die Aminosäure-Sequenzen der Spike-Proteine bestimmt worden, deren Unterschiede vor allem in Bezug auf serologische Eigenschaften wurden beschrieben. Dies ist durch die enorme wirtschaftliche Bedeutung der Erkrankung Infektiöse Bronchitis in der Geflügelindustrie und die durch Massentierhaltung notwendig gewordenen Impfmaßnahmen zu erklären. Die Funktionen des Spike-Proteins von IBV aus viraler Sicht sind bisher jedoch noch ungenügend beschrieben.

Während für zahlreiche Coronaviren bekannt ist, welche zellulären Moleküle als Rezeptor dienen und eine Bindung an die Zelle und schließlich den Eintritt in diese ermöglichen, ist für IBV noch kein Oberflächenmolekül bekannt, das als Bindungspartner fungiert. Die Bindung der Coronaviren an den zellulären Rezeptor wird bei allen Vertretern über das Spike-Protein vermittelt. Diese Protein-Rezeptor-Interaktion stellt den ersten und essentiellen Schritt zur Einleitung des viralen Reproduktionszyklus dar.

Die Reifung der Coronaviruspartikel findet nicht wie bei anderen Viren an der Plasmamembran infizierter Zellen, sondern an inneren Membranen statt. Vieles spricht dafür, dass das intermediäre Kompartiment zwischen Endoplasmatischem Retikulum und Golgi-Apparat Ort der Virusknospung ist. Von anderen Coronaviren wie z.B.: TGEV ist bekannt, dass das S-Protein in der Zelle zurückgehalten und nicht an die Zelloberfläche transportiert wird. Um eine genauere Untersuchung der Rezeptor-Bindungstelle des IBV-S-Proteins zu ermöglichen, ist es notwendig, dass dieses an der Zelloberfläche exprimiert wird. Dadurch wird ein Einbau in virale Vektoren, die an der Oberfläche der Zelle knospen, möglich. So kann ein IBV-Spike-Protein beispielsweise in VSV Pseudotypen eingebaut werden.

Ziel dieser Arbeit war es, Eigenschaften des IBV-Spike-Proteins näher zu untersuchen, die für den viralen Lebenszyklus von wichtiger Bedeutung sind. Dies erfolgte in zwei Bereichen:

• Die erste Bindung an zelluläre Oberflächenstrukturen sollte untersucht werden. Als Ansatz diente die mit Erythrozyten gezeigte Sialinsäurebindungseigenschaft des S-Proteins. Es sollte untersucht werden, ob Sialoglykokonjugate auch auf Zellkulturen als Rezeptordeterminante eine Rolle spielen und ob die Bindung an diese Zucker eine Infektion vermitteln kann.

• Eine Einzelexpression des Spike-Proteins sollte zeigen wie es in der Zelle transportiert bzw. lokalisiert wird, und welche Sequenzbereiche und gegebenenfalls Aminosäuren des S-Proteins dabei eine Rolle spielen. Die in dieser Arbeit gezeigten Transportuntersuchungen stellen die Vorraussetzung für eine spätere Charakterisierung der Bindungstelle des S-Proteins mittels Pseudotypen. Diese Pseudotypen können dann genauer untersucht werden, z.B. durch den Einbau von mutierten Proteinen.

3 Material