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Abbildung 1: Ein Modell zum Verständnis von (professioneller) Selbstreflexion

Selbstreflexion geschieht nicht automatisch, sondern sie benötigt einen fruchtbaren Bo-den.

Über Situationen in der Praxis wird erst dann nachgedacht, wenn die benötigte Zeit o-der genügend Abstand von dem auslösenden Ereignis vorhanden ist (Situationsbedin-gungen) oder eben, wenn die Person schon über Reflexionspraxis verfügt und motivati-onale und volitimotivati-onale Faktoren begünstigend wirken (intrapersmotivati-onale Bedingungen).207 Weiterhin spielen Personen aus dem Umfeld eine große Rolle, die als Vorbilder motivie-ren (soziale Umweltbedingungen).

207 Vgl. Müller/Gerber 2014, S. 36

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Treffen widersprüchliche Erfahrungen im Berufsalltag auf fruchtbaren Boden, kommt es zum bewussten Nachdenken über sich und das eigene Tun - die auslösenden Momente wirken wie ein Startknopf für intensive Denkprozesse. 208

Diese Denkprozesse erfolgen mithilfe von Fragen an sich selbst (Was habe ich rich-tig/falsch gemacht?), an die Situation (Welche Umstände haben dieses Ereignis beein-flusst?) und an die Rolle von anderen involvierten Personen (Warum stört mich das Verhalten dieser Person?). Hierbei geht es um eine eigen Analyse der Dynamik zwi-schen der eigenen Person und der Umwelt in bestimmten Situationen. 209

Um keine Negativspirale entstehen zu lassen, müssen Selbstreflexionen zu Ergebnis-sen führen, z.B. Abbau von Unsicherheit und belastenden Gefühlen oder was man beim nächsten Mal anders machen kann.

9.1 Hat Selbstreflexion einen Sinn?

Reflektieren bringt Selbstvertrauen.

Der Sinn der Selbstreflexion erschließt sich aus den Auslösern und den daraus folgen-den längerfristigen Konsequenzen. Reflexionsauslösende Widersprüche zeigen sich im Berufsalltag oft innerhalb sozialer Interaktionen und aufgrund von Feedbacks aus den unterschiedlichsten Positionen (neuralgische Punkte).

Anforderungen von außen (Erwartungen anderer, Rahmenbedingungen, etc.) und eige-ne Anforderungen (eigeeige-ne Werte, individuelle Möglichkeiten, etc.) müssen produktiv verarbeitet werden, denn damit können innere Spannungen abgebaut werden. Damit im Zusammenhang geht eine Entwicklung der eigenen Person. Um nicht planlos durch den Berufsalltag zu poltern, wird mithilfe von Selbstreflexion an sich als Person, am Wissen und Können und an den Wertvorstellungen gearbeitet. Selbstreflexion dient somit dem Aufbau einer Berufsidentität, der Persönlichkeitsbildung, der Optimierung von professi-onellem Handeln und von professionellen Beziehungen - also eine Entwicklung von Professionskompetenz (s. Abbildung 1).210

208 Vgl. Müller/Gerber 2014, S. 36

209 Ebd. S. 36

210 Ebd. S. 37

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9.2 Selbstreflexion in der Ausbildung der Sozialen Arbeit

Wie wir erfahren haben, ist die Selbstreflexion für die Berufsidentität und das professio-nelle Handeln ein zentrales Thema, damit sollte Selbstreflexion in der Ausbildung der Sozialen Arbeit unabdingbar sein. Dabei sollte das Ziel sein, den Studierenden beim Aufbau einer professionellen Selbstreflexion zu unterstützen.

Professionelle Selbstreflexion geschieht systematisch und unterscheidet sich vom plan-losen Grübeln. Die Selbstreflexion wird im Laufe der Zeit so verinnerlicht, dass sie sich im Handeln manifestiert. Das erfordert jedoch, dass man es immer wieder übt!

Nur allein vom Wissen, wie etwas geht, zeigt es sich noch lange nicht, dass man es auch umsetzen kann. Um diese professionelle Routine zu erlangen, benötigt es Übung, die unter Begleitung und Anleitung systematisch, also Kriterien geleitet, auf Erfahrungs- und Theoriewissen gestützt, analysiert und hinterfragt wird. Idealerweise sollten dabei die Erfahrungen der Studenten im Vordergrund stehen. 211

9.3 Die Herausforderungen

Um Krisen zu meistern, mit Hilfe intensiven Nachdenkens, bedarf es schon sehr viel Energie, um starke Emotionen in den Griff zu bekommen. Unangenehm wird es, wenn sich eigene Schwächen aufzeigen. Abwehr und Widerstand werden definitiv zum Vor-schein kommen, wenn es um Selbstreflexion geht. 212

Aber in einer Krise sind der Druck und der Ansporn zur Reflexion größer, da Stress und Unsicherheiten damit abgebaut werden können.

Anders ist es, wenn die Selbstreflexion als Bedingung innerhalb einer Ausbildung statt-findet, da der Anreiz seine Energie dafür zu verwenden, wenn alles in Ordnung scheint, eher geringer ist. Selbstreflexion geht einfach an den privaten Kern. Wird Selbstreflexi-on zur Pflicht in der Ausbildung, erhalten Mitstudierende und BegleitpersSelbstreflexi-onen einen Einblick in das Private. Hier gilt es zu regulieren, was vom privaten Selbst in der „Öffent-lichkeit“ gezeigt werden soll. 213 Das Selbstmanagement zwischen privat und öffentlich ist schon ein Aspekt der Selbstreflexionsfähigkeit, welches allerdings zu Beginn einer

211 Vgl. Müller/Gerber 2014, S. 37

212 Ebd. S. 37

213 Ebd. S. 37

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Ausbildung noch kaum vorhanden und oft nur eine Quelle der Unsicherheit ist. Allein durch den Aufbau von Vertrauen können diese Unsicherheiten abgeschwächt werden, womit die Selbstreflexion gestärkt wird.

Als Grundlage für eine gute Begleitung und Anleitung sind Vertrauensbildung, systema-tisches Vorgehen und die Zeit für wiederholende Übungen unumgänglich.214

9.4 Integrität und Identität nach Stierlin

Im Beruf zeigt sich soziale Kompetenz neben der Fähigkeit zu einer angemessenen Selbstbewertung und Vermittlung des eigenen beruflichen Könnens auch in der Bereit-schaft zur Kooperation (gemeinsame Ziele, gegenseitige Achtsamkeit, Austausch von Ideen, gegenseitige Unterstützung, gegenseitige Motivation und offene Reflexion des eigenen Handelns) und in der Konfliktfähigkeit. Im Kontext sozialer Kompetenz wird Konfliktfähigkeit nicht als rüde Durchsetzungskraft verstanden, sondern als Fähigkeit, auch bei Kontroversen verhandlungsfähig und überzeugend zu bleiben. In Berufen, die eine emotionale Zuwendung zu anderen Menschen erfordern, stellt Abgrenzungsfähig-keit eine wichtige soziale Kompetenz dar.215 Abgrenzungsfähigkeit als Handlung ist eine Form des Schutzes der eigenen Person insbesondere im Kontakt mit Menschen mit der Tendenz zur Symbiose und Distanzlosigkeit und im Kontakt mit Menschen, die gezielt persönliche Grenzen offen oder subtil verschleiert verletzen. Abgrenzungsfähigkeit weist auch eine mentale Komponente auf: ein in der eigenen Person verankertes Kon-zept einer liebevoll-realistischen Selbsteinschätzung und Selbstbewertung, aufgrund dessen externe Bewertungen und Handlungen kritisch überprüft, relativiert und einge-ordnet werden. 216

Soziale Kompetenz ist inhaltlich verbunden mit persönlicher und beruflicher Identität, Authentizität und persönlicher Integrität, der Reflexion der eigenen bewussten und un-bewussten Beziehungsmuster sowie der Pflege einer ethisch verantwortlichen Bezie-hungskultur. Die Verwendung sozial kompetenten Verhaltens stärkt die Würde aller Be-teiligten und lädt ein zu einer Begegnung.217 Soziale Kompetenz im Berufsleben stärkt die eigene Position, erhöht die Handlungsfreiheit und ermutigt, eigene Ideen und

214 Vgl. Müller/Gerber 2014, S. 37

215 Vgl. Smith 2003, S. 28

216 Vgl. Stierlin 1994, S. 59

217 Vgl. Ameln/Kramer 2005, S. 212

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danken ernst zu nehmen und umzusetzen. Sozial kompetentes Verhalten befähigt Menschen, bewusst auf narzisstische, ihren eigenen Selbstwert regulierende Macht-spiele zu verzichten, weil sie ihren Selbstwert in erster Linie aus dem Wissen um ihre eigene Person, aus ihren beruflichen Fähigkeiten und einem eigenen Wertsystem zie-hen.218

Die Entwicklung und Verwendung sozialer Kompetenz im Berufsleben zielt darauf ab, Menschen zu befähigen, ihre beruflichen Aufgaben im Einklang mit ihrem eigenen be-ruflichen Selbstverständnis, ihrer persönlichen und bebe-ruflichen Identität weitestgehend in Einklang zu bringen. Eine hohe soziale Kompetenz erweist sich insbesondere in so-zialen Berufen, deren Kernaufgabe in der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung von Menschen liegt, als unverzichtbar.219 Menschen wirken als soziale Modelle und vermitteln im Kontakt mit anderen Menschen ethische Werte, Grunderfahrungen menschlichen Lebens, Sinnhaftigkeit und Strukturelemente für die Lebensgestaltung (Bindungsfähigkeit, Beziehungsfähigkeit, Selbstwert, Wertsysteme).220

9.5 Selbstreflexion als Professionelles Handeln

Dem Professionellen wird das Können von Reflexivität situativ abverlangt; die berufliche Selbstreflexion ist ein wesentlicher Bestandteil professionellen Handelns.221 Von den Professionellen der Sozialen Arbeit wird erwartet, dass sie dieses Können einsetzen und ihr berufliches Handeln einer kontinuierlichen Reflexion hinsichtlich Ziele, Werte und Konsequenzen auf der Basis wissenschaftlichen Wissens, eigener Erfahrungen und kodifizierter beruflicher Standards durchführen.222

Es konnte aufgezeigt werden, wie sich die Professionstheorien einerseits in ihren An-sätzen unterscheiden und welche essentiellen Veränderungen andererseits eingetreten sind. Soziale Arbeit orientiert sich in ihrem Selbstverständnis von Professionalität nicht (mehr) an „stolzen“ Professionen und ihren Merkmalen, sondern hat aus ihrem eigenen Handlungsverständnis heraus besondere Merkmale aufgegriffen, die sie sich zur Orien-tierung nimmt und so ihre Einzigartigkeit definiert. Damit geht sie bewusst auf Distanz zu den klassischen Professionen und rekonstruiert das Besondere von ihren

218 Vgl. Stierlin 1994, S. 55

219 Ebd. S. 56

220 Ebd. S. 57

221 Vgl. Otto/Thiersch 2011, S. 1150

222 Vgl. Heiner 2007, S. 185

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dienstleistungen. 223

9.6 Selbstkonzepte

Der Prozess der Selbsterforschung generiert eine Vielzahl von Informationen (u. a. Ge-samtheit der subjektiven Sicht bzw. die Beurteilungen der eigenen Person).224 An Hand von Selbstkonzepten lassen sich diese Informationen nach Zeit- und Wahrscheinlich-keitsdimensionen und speziellen Inhalten ordnen:

Selbstbilder Vergangenes Selbst

Gegenwärtiges Selbst

Zukünftiges Selbst

Reales Selbst (tatsächliches Selbst)

Biografisches Selbst

So war ich früher.

Aktuelles Selbst So bin ich heute.

Erwartetes Selbst So werde ich Zukunft sein.

Mögliches Selbst (denkbare Alterna-tiven zum realen Selbst)

Kontrafaktisches Selbst Potentielles Selbst

Was wäre früher mögliche gewe-sen, wenn…

(entgangene Chancen, unge-nutzte Möglichkei-ten)

Was wäre heute möglich, wenn…

(andere Umstände, Verhältnisse, Ge-gebenheiten)

Was wäre zukünftig möglich, wenn…

Ideales Selbst (So möchte ich werden.) Normatives Selbst (So sollte ich wer-den.)

Gefürchtetes Selbst (So möchte/sollte ich nicht werden

(entnommen aus Schachinger, 2005: 109)

223 Vgl. Feikert 2014, S. 27

224 Vgl. Schönpflug1995, S. 306

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Diese Tabelle ließe sich noch durch weitere Ordnungsdimensionen zusätzlich ausdiffe-renzieren: Selbst- und Fremdbilder, Wichtigkeit, Komplexität, Zentralität, Stabilität und Bewertung.225

Selbsttäuschung und Selbstbetrug können das eigene Selbstbild beschönigen. Im Rahmen der Selbstreflexion können diese Elemente mitunter erkannt und aufgelöst werden. Eine Annäherung an ein „wahres Selbst“ lässt sich vermuten, wenn der Mensch zunehmend mit sich zufrieden und einverstanden ist (er kann mit seinen positi-ven und negatipositi-ven Seiten, seinen Stärken und Schwächen gut leben). 226

9.7 Selbstreflexionsmethoden

Zu den anerkanntesten Reflexionsmethoden in der Sozialen Arbeit, gehören die Intervi-sion, die Selbstevaluation und die Supervision. In diesen Reflexionsformen sieht Müller eine fortschrittliche Antwort, um auf die Herausforderungen der modernen Gesellschaft zu reagieren. 227

9.7.1 Intervision

Die Intervision ähnelt stark der Supervision und versucht „blinde Flecken“ sichtbar zu machen und forscht dabei nach Handlungsalternativen. Sie macht sich die Mehrper-spektiviät der arbeitsfeldnahen Professionellen zu nutze. Weiterhin ist sie eine zeitnahe und kostengünstige Alternative. Voraussetzung ist lediglich die Bereitschaft der Profes-sionellen, an der Intervision beratend und falleinbringend teilzunehmen.

9.7.2 Selbstevaluation

Unter Selbstevaluation wird ein Verfahren zur Kriterien geleiteten Bewertung der eige-nen Arbeit verstanden. 228

225 Vgl. Schachinger 2005, S. 109

226 Vgl. S. 117

227 Vgl. Müller 2001, S. 161 f

228 Vgl. von Spiegel 2006, S. 257

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Hier reflektieren die Professionellen ihr eigenes Handeln an Hand systematisch ge-sammelter und anschließend ausgewerteter Informationen. Konsequenzen, die sich daraus ergeben werden dokumentiert, analysiert und bewertet. Hiermit sind die Profes-sionellen in eigener Sache unterwegs und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur effi-zienten Arbeitsgestaltung.229

9.7.3 Supervision

Supervision im Sinne einer psychosozialen und pädagogischen Begriffsbestimmung wird im kontinentaleuropäischen Sprachraum als ein Weiterbildungs- Beratungs- und Reflexionsverfahren für berufliche Zusammenhänge definiert. Allgemeines Ziel ist die Verbesserung der Arbeitsergebnisse, der Arbeitsbeziehungen zu Kollegen und Kunden und die Verbesserung organisatorischer Zusammenhänge. Nicht gemeint ist dabei die schwerpunktmäßige Psychotherapie oder Beratung von persönlichen und/oder familiä-ren Problemen. Zudem spielen (im deutschen Sprachraum) Aufsicht, Kontrolle oder rein fachliche Fragen eine untergeordnete Rolle. Supervision kann auf drei Reflexionsebe-nen helfen: Klientenebene (Reflexion der Arbeitsbeziehung/Fallarbeit zu den Klienten), Mitarbeiterebene (Zusammenarbeit mit Kollegen, Untergebenen, Vorgesetzten; hierbei greift die Selbstthematisierung oder Selbstreflexion mit ein) und Organisationsebene.230

9.8 Zusammenfassung Selbstreflexion

Es konnte dargelegt werden, dass die Selbstreflexion viel Raum in Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit einnimmt. Selbstreflexion wird als das strukturierte Beobachten und Beurteilen von Gedanken definiert.231 Bei dieser Betrachtungsweise wird Selbstreflexion als ein Prozess verstanden, der einen gegenwärtigen Zustand analysiert und abschlie-ßend Handlungsziele definiert.

Desweiteren wird Selbstreflexion als das kontinuierliche Hinterfragen des eigenen

229 Vgl. Heiner 1996, S. 20 ff

230 Vgl. Belardi 2009, S. 15f

231 Vgl. Sulz 2007, S. 196

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ruflichen Handelns vor dem Hintergrund der methodischen und konzeptionellen Heran-gehensweise, der eigenen Lebens- und Berufsbiografie, der eigenen Werte- und Norm-vorstellungen und der eigenen mentalen und emotionalen Verfassung verstanden. Die-ses Hinterfragen kann der Professionelle für sich allein, mit Unterstützung einer oder mehrerer Personen im Rahmen von (Selbst-) Reflexionsmethoden durchführen (vgl.

Transaktionsanalyse). Somit geht die Selbstreflexion über ein einfaches Überdenken der eigenen Situation hinaus, indem sie systematisch und theoriegeleitet vorgeht.

Während der Selbstreflexion vollzieht sich ein Selbstreflexionsprozess, zu dessen Be-ginn die Erkenntnisgewinnung aus Selbstbeobachtung und Selbstwahrnehmung steht (Ist-Zustand). Daran anschließend wird ein Soll-Zustand (potentielles Selbst oder idea-les Selbst) allein oder mit Unterstützung Außenstehender (Kollegen, Supervisoren, etc.) definiert. Aus der festgestellten Differenz, zieht der Reflektierende Konsequenzen für das eigene Handeln und entdeckt für sich Handlungsalternativen, die ihn an seinen selbstdefinierten Soll-Zustand heranführen sollen.232

232 Vgl. Feikert 2014, S. 13

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