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Achtsamkeit in der Sozialen Arbeit

10 Achtsamkeit

10.4 Achtsamkeit in der Sozialen Arbeit

Es wird untersucht, wie die besondere, innere Haltung, die in der buddhistischen Philo-sophie gelehrt wird, in der Sozialen Arbeit gewinnbringend eingesetzt werden kann.

10.4.1 Die Person des Lehrers

Es gibt eine schöne alte Geschichte, die überall auf der Welt erzählt wird.

" Ein Fremder kommt in ein Dorf, das unter großer Belastung und starkem Stress leidet:

es gibt nicht genug zu essen und die Menschen haben sich voneinander entfernt und kümmerten sich nur noch um sich selbst. Der Fremde schafft es, sich einen Kochtopf zu borgen und beginnt eine Suppe zu kochen. Er beginnt mit einer „magischen“ Zutat, ei-nem Stein, einer Axt oder gar eiei-nem Nagel. Die Leute im Dorf beginnen sich dafür zu interessieren, was er da macht und jeder kommt zu ihm, um einen heimlichen Blick zu erhaschen. Der Fremde rührt um und schmeckt die Suppe ab. „Ah die Suppe wird gut“, sagt er. „Aber es wäre wunderbar, wenn ich noch eine besondere Zutat hätte, vielleicht eine Kartoffel…“ Das sagt er zu einer Besucherin so, dass es bei ihr auf offene Ohren stößt. Inspiriert geht sie nach Hause, um etwas zu finden, was sie dem Fremden brin-gen kann. „…eine Karotte“, sagt er zu jemand anderem. Später noch „… einen Kohl-kopf“ und dann „…ein paar Bohnen“. Und schon bald bringen die schüchternen Leute des Dorfes die Zutaten und stehen um den Topf herum, in dem nun lauter gute Zutaten schwimmen - genug für alle. Sie essen zusammen. Es wird sogar ein wenig musiziert.

Jemand singt, ein anderer holt seine Geige, und sie tanzen bis in die Nacht. Aber der Fremde ist schon fort und mit einer neuen „magischen“ Zutat auf dem Weg ins nächste Dorf.“

Diese Geschichte wird oft „Steinsuppe“, „Axtsuppe“ oder auch „Knopfsuppe“ genannt, aber in der Geschichte passiert nichts aufgrund der „magischen“ Zutat, sondern es ge-schieht allein durch Gegenwart das Fremden, alleine durch seine Fähigkeit gegenwärtig zu sein. Das ist das Geheimnis der Ko-Kreation.

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Der Fremde benötigt nicht viel, um seine Arbeit zu tun: einen Topf, ein Feuer, einen Stein, Vertrauen, Wissen und Fürsorge: Vertrauen - dass die Menschen immer das ha-ben, was sie brauchen; Wissen - wie die Menschen anzusprechen sind; und Fürsorge - die andere unterstützt und inspiriert.

Als Lehrender der Achtsamkeit tritt man also als Fremder in die Gemeinschaft des „Dor-fes“ und das mit leeren Händen. So wie man ist, begegnet man auch den Kursteilneh-mern - das Vertrauen wird sichtbar, genauso wie das Wissen und die Fürsorge. Acht-samkeit zu lehren bedeutet, sie eben auch zu praktizieren und dem Gegenwärtigen so zu begegnen, wie man ist und was man ist.

Jon Kaba-Zinn(1999) charakterisiert die Verbindlichkeit des Lehrers folgendermaßen:

„Die Haltung mit der der Lehrer den Raum betritt … beeinflusst letztendlich alles, was in der Welt geschieht. Wenn Sie sich entschieden, wie Kabir (Bly, 1971) es ausdrückt,

„fest in dem zu stehen, was sie sind“, um in der zentralen Achse Ihres Menschseins zu sehen, dann verändert sich das ganze Universum.“ 236

10.4.2 Die spirituelle Reife ist entscheidend

Die Haltung des Lehrers als Fremder, das Erkennen der eigenen Authentizität, Autorität und der Freundschaft - so kann man einen Achtsamkeitslehrer beschreiben. Der Schlüssel liegt in der Entwicklung der eigenen spirituellen Reife - kein idealisier-ter/erleuchteter Standpunkt - sondern vielmehr eine reale Möglichkeit.237

Fowlers (1981) definierte es in Charakterisierung der "Sechs Stufen des Glaubens" so:

Die fünfte der sechs Stufen wird als dialogisches Wissen bezeichnet, in dem der Wis-sende und das Gewusste eine Ich-Du-Beziehung eingehen.238

Es ist hiermit nicht die Dissoziation oder Distanz gemeint, sondern vielmehr die Klarheit und Perspektive. Nach Fowlers „… diese Stufe ist bereit zu geben oder in Anspruch genommen zu werden, damit in anderen Menschen die Möglichkeit für das Schaffen einer neuen Identität und einer neuen Bedeutung lebendig bleibt und kultiviert wird.“ 239

236 Vgl. Mccown/Reibel/Micozzi 2011, S. 194

237 Ebd. S. 211

238 Ebd. S. 211

239 Ebd. S. 211

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10.4.3 Die Kompetenzen des Lehrers

In der professionellen Achtsamkeitspädagogik arbeitet jeder Lehrer aus seiner einzigar-tigen Authentizität, Autorität und Freundschaft. Das heißt aber auch, dass jeder Lehrer anders ist, mit seinem eigenen Weg, um Achtsamkeit zu integrieren und zu verkörpern.

Der Lehrer weiß aufgrund seiner Praxis und der Kompetenzen, die er auf dem Weg sei-ner persönlichen und professionellen Entwicklung kultiviert hat, um sein Wissen und sein Können. Diese Kompetenzen, die ein Lehrer besitzt, sind eine Mélange an Ideen, die im Körper des Lehrenden integriert sind. Das Center for Mindfullness an der Univer-sity of Massachusetts enthält in ihrem Trainingsprogramm für Achtsamkeitslehrer solch eine Mélange. Dieses Programm benutzt eine große Breite von Einsichten und Prakti-ken aus der Medizin, Psychotherapie, Pädagogik, Anthropologie, Soziologie und den Weisheitstraditionen der Welt. Die Integration all dieser Ansätze vollzieht sich nicht an-hand der Theorie, sondern im Körper des Lehrenden. Dennoch gibt es allgemeine Kompetenzen, welche die Lehrenden teilen sollten. Hierzu wurden vier Kompetenz-gruppen identifiziert, die von den Lehrern geteilt werden.240

1. Begleitung der Gruppe

2. Homiletik oder die Bereitstellung von didaktischen Materialien

3. Anleitung bei formalen Praktiken und informellen Erfahrungen in der Gruppe 4. Reflexion der unmittelbaren Erfahrung der Teilnehmer

Abbildung aus Mccown/Reibel/Micozzi 2011, S. 214

Diese 4 Kompetenzgruppen sind miteinander verbunden, desweiteren ist die Entwick-lung von Stimme und Körper für die Kommunikation, die am ehesten mit der Kompetenz der Homiletik in Verbindung stehen, ebenso wichtig bei der Anleitung und Reflexion, während die Formen der Sprache, die in der Anleitung verwendet werden, die gesamte verbale Kommunikation beeinflussen.241

240 Vgl. Mccown/Reibel/Micozzi 2011, S. 213 f

241 Ebd., S. 215

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Alle 4 Kompetenzen hängen natürlich von der Authentizität, Autorität und der Freund-schaft des Lehrers ab - seine Fähigkeit, präsent zu bleiben und mitfühlend zu reagieren, auf das, was im jeweiligen Augenblick gerade entsteht. 242